Von der Schwachheit Gottes – Predigt zu 1. Korinther 1,18-31 von Christina Costanza
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Von der Schwachheit Gottes – Predigt zu 1. Korinther 1,18-31 von Christina Costanza

I Kein ganz normaler Weihnachtsbrief

Rundbrief von den Mayfields aus Portland, USA, Weihnachten 2015. Vor genau einem halben Jahr also.
Einer dieser üblichen Rundbriefe. Ganz oben das Foto von vier Menschen, zwei kleinen und zwei großen. Mutter mit Baby im Arm, daneben der Vater, der fürsorglich den Arm um die beiden legt, davor die fünfjährige Tochter, fröhlich grinsend. Auch die Eltern schauen lächelnd in die Kamera.
Im Brief steht, was das Jahr so gebracht hat für diese vier Menschen.
Und da wird es ungewöhnlich.
Der Brief beginnt mit den Worten (ich übersetze aus dem Englischen): „Hallo! Grüße von den Mayfields. Das war das härteste Jahr, das wir jemals hatten, und wir haben uns noch nicht erholt!“
Und wo in den meisten Weihnachtsrundbriefen erzählt wird, was Gutes geschehen ist im vergangenen Jahr, oder doch zumindest Normales (Einschulung eines Kindes, Flötenkonzerte, Stress bei der Arbeit, aber es wird schon besser, Erinnerungen an den Sommerurlaub oder Ähnliches), schreibt D.L. Mayfield, die Mutter, was hart war im letzten Jahr.

Ich bewundere ihre Ehrlichkeit. Wie sie nichts beschönigt. Offen schreibt und sich verwundet zeigt: Von der traumatischen Geburt der jüngeren Tochter und dem anschließenden Krankenhausaufenthalt, vom Umzug in eine andere Stadt weit weg von Freunden und Verwandten, in ein überfülltes, lautes, verschmutztes Mietshaus. Sie schreibt von den Versuchen ihres Mannes, genügend Geld für die Familie zu verdienen, von der Angewiesenheit auf Lebensmittelgutscheine. Von der Depression, an der sie selber erkrankt, so dass sie kaum noch ihrem eigenen Beruf – D.L. Mayfield ist Schriftstellerin – nachgehen kann, und das Versorgen der beiden kleinen Mädchen zur großen Anstrengung wird. D.L. Mayfield schreibt von Angst und Schwäche, von Verzweiflung und Einsamkeit. Acht Monate im „Überlebensmodus“, wie sie es selber nennt. Es geht nur noch ums Überleben, ums irgendwie Durchkommen. „Wir haben nicht die Energie Euch vorzumachen, dass es uns gut geht – denn es geht uns nicht gut.“

 

II Das Wort vom Kreuz...

(aus 1 Kor 1,18-31; Abschnitt wird als Ganzer als Epistel gelesen)
Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.
Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.
Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist;
und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.

Worte aus einem anderen Rundbrief, fast zweitausend Jahre alt. Paulus schreibt an die Christen in Korinth, was für ihn das Wichtigste an seinem Glauben ist. Was ihn tröstet und was ihm Kraft gibt. Das will er teilen, mit den Menschen in Korinth, und ich lese es, als hätte er an mich geschrieben, an die Mayfields und an alle, die sich einmal verloren gefühlt haben, ganz und gar.
Diesen Verlorenen kommt der nahe, der sich selber aufgibt. Der seine Macht und seine Kraft preisgibt.
Das Wort vom Kreuz erzählt eine Geschichte der Erniedrigung und Schwäche. Das Besondere: Gott selber wird schwach. Gibt das Gotteskind Jesus in dunkelster Stunde preis. Lässt zu, dass das Gotteskind zum Folteropfer wird. Schlimmere Schmerzen, größere Angst kaum vorstellbar. Die, die ihn verhöhnen, haben recht: Da greift kein allmächtiger Gott ein. Gott ist schwach.

 

III ... ist eine Torheit

„Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt. Nicht, dass ich die Menschen, die zum Kreuz beten, weniger respektiere als andere betende Menschen. Es ist kein Vorwurf. Es ist eine Absage. Gerade weil ich ernst nehme, was es darstellt, lehne ich das Kreuz rundherum ab. Nebenbei finde ich die Überhöhung [im Original: Hypostasierung] des Schmerzes barbarisch, körperfeindlich, ein Undank gegenüber der Schöpfung, über die wir uns freuen, die wir genießen sollen, auf dass wir den Schöpfer erkennen. Ich kann im Herzen verstehen, warum Judentum und Islam die Kreuzigung ablehnen. (...)
Meine Tochter früher in der Kirche zu wissen, wo sie als Grundschülerin gelegentlich die Fürbitte las, weil sie so gut lesen konnte (...), meine Tochter unterm Kreuz zu wissen, war unangenehm.“
So schreibt Navid Kermani, deutsch-iranischer Schriftsteller. Ein Muslim, der sich den christlichen Glauben anschaut, wie er ihn erlebt als ein Mitmensch – und er staunt über diesen Glauben, über seine Schönheit, seine Kraft. Und gerade deshalb schreibt er, was er ablehnt am Kreuz. Kermanis Worte sind wie ein Weckruf für mich, die ich Kreuze so gewohnt bin, dass ich sie am Wegesrand, an der Wand des Klassenzimmers, an der Halskette einer Frau kaum noch wahrnehme:
Auf was wir hier vorne schauen, das Kreuz, es ist ein Folterinstrument. Mit ihm wurden Menschen getötet, unter schlimmsten Qualen. Es als „unangenehm“ zu bezeichnen, das eigene Kind unterm Kreuz zu wissen, in einer Kirche oder einer Schule, ist noch zurückhaltend. Manchmal habe ich ihn gesehen, den Schrecken in den Augen meiner Kinder, als sie ein Kreuz mit totem Jesus anschauten. Und beim Blick in ihre Augen etwas von der Tiefe dessen geahnt, was auf Golgatha wirklich geschehen ist: Ein Mensch wie ich und wie mein Kind wurde hingerichtet, blutig, hat geschrien, ist verendet.
Das Wort vom Kreuz ist eine Torheit...“
Navid Kermani versteht Paulus gut. Er weiß, dass das Kreuz allem widerspricht, was Menschen sich von Gott erhoffen, und dass es allem widerspricht, was sie von Gott wissen können. Ist ein Gott, der schwach wird, überhaupt noch ein Gott? Ist Gott selber am Kreuz gestorben, so dass er keinen mehr retten kann? Hat er das, was er so gut geschaffen hat, aufgegeben an diesem dunkelsten aller Tage?

 

IV Menschwerdung

Es gibt in dem Weihnachtsrundbrief von D.L. Mayfield kein Happy End. Vielleicht sagen die Mayfields mittlerweile, nach diesem ersten halben Jahr 2016: Es geht bergauf. Das Baby schläft durch, immerhin Schlaf. Die Medikamente gegen die Depression wirken. Die Fünfjährige schließt erste Freundschaften am neuen Ort, und es gibt ein paar nette Nachbarn. Wahrscheinlich aber werden die Vier es noch eine Zeitlang schwer haben.
Sie werden es schwer haben – und inmitten all dieser Schwere und Traurigkeit, inmitten all ihrer Verlorenheit ist Gott. Ein kurzer Satz nur im Brief weist darauf hin, dass D.L. Mayfield das glaubt. Sie schreibt:
„Dieses harte Jahr war das Jahr, in dem ich Jesus erkannte – als meinen geschlagenen, verletzten Bruder. Und ich merke, wie er niemals meine Seite verließ.“
Mit diesen Worten, Worten vom Kreuz, wird der Rundbrief zum Weihnachtsrundbrief. Nicht, weil er im Dezember geschrieben wurde. Sondern weil er davon erzählt, wie ein Mensch Gott noch in der größten Traurigkeit spürt. Nicht als den mächtigen Schöpfer, der alles gut macht, nicht als den starken Retter, der Unheil wendet. Sondern als den, der gerade dann spürbar wird, wenn alles verloren ist. Wie ein Licht, obwohl es dunkel ist. Wie ein Lächeln unter Tränen. Wie eine Kraft in größter Schwäche.
Auch Navid Kermani kennt diese Kraft, die vom Kreuz ausgeht. Eine Zeitlang hat er selber auf seinem Schreibtisch ein Kreuz stehen, von einem Bildhauer aus Stahl geformt, und er empfindet, „wie es erst den Tisch, dann den Raum verwandelt“. Dieses Kreuz, es ist für ihn deshalb „so voller Segen“, weil es für die Menschwerdung Gottes steht.

 

V Gott will im Dunkel wohnen

Eben darum geht es im Wort vom Kreuz: Gott gibt Menschen Kraft, indem er selber Mensch wird, selber schwach. Er geht so tief in seine Welt ein, dass sein Gottsein, seine Macht verborgen ist. Aber gerade deshalb ist seine Schwachheit stärker als alles andere. Weil er, Gott, dabei ist in allem, was Menschen geschehen kann. Nichts kann mich trennen von ihm.

„Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.“ Die Melodie dieses Weihnachtsliedes klingt in meinen Ohren mit, wenn ich das Wort vom Kreuz höre. Auf der Höhe des Jahres, kurz nach dem Johannistag – der Kehrseite des Weihnachtsfestes – bringt es einen weihnachtlichen Ton in den Sommer. Das Wort vom Kreuz erzählt vom Höhepunkt der Weihnachtsgeschichte, der nicht im Engelchor oder dem Jubel der Hirten erklingt. Sondern im Schrei des am Kreuz Gestorbenen.

Gott ist Mensch geworden und so schwach, wie Menschen es sind. Kein Gott im Himmel, sondern auf der Erde. Aber eben deshalb einer, der dabei ist. Mein geschlagener, verletzter Bruder. Keine Minute wird er von meiner Seite weichen.

Amen.

 

 

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