Was gut ist - Predigt zu Micha 6, 6-8 von Michael Plathow
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Was gut ist - Predigt zu Micha 6, 6-8 von Michael Plathow

WAS GUT IST
“Womit soll ich Jahwe entgegentreten,
  mich beugen vor dem Gott der Höhe?
  Soll ich ihm entgegentreten mit Brandopfern,
  mit einjährigen Kälbern?
  Hat Jahwe Gefallen an Tausenden von Widdern,
  an zehntausenden von Ölbächen?
  Soll ich (ihm) meinen Erstgeborenen hingeben für mein Verbrechen,
  Meine Leibesfrucht für mein verfehltes Leben?
  Man hat dir angesagt, Mensch, was gut ist
  und was Jahwe von dir fordert:
  Nichts als Recht tun, Hingabe (Güte) lieben
  und einsichtig (demütig) mitgehen mit deinem Gott” ( Text übers. von J. Jereminas)
1. Liebe Gemeinde, ein Rechtsstreit wird erzählt vom Propheten Micha; der Schuldner will wieder gutmachend Ersatzleistungen erbringen: “Wie stimme ich die andere Seite gnädig?”
Heute fragt mancher “Wie kriege ich ein gnädiges Gewissen?, eine gnädige Umwelt?, eine gnädige Nachkommenschaft?”. So manchen treibt um, wie sehr wir in Überschuldung der Schulden, in Zerstörungen der natürlichen Umwelt und in eigenem Wohlergehen auf Kosten anderer verstrickt sind. Und da müssen als Ausgleich Ersatzleistungen heran: Die besondere Kerosinsteuer für bequeme Flüge in den Urlaub erkennt man als irgendwie gerecht an. Schweißtreibende Plackerei in Fitnessstudios werden als moderner Ablass für Völlerei akzeptiert. Durch Spenden an die sog. “Dritte Welt” kaufen manche den eigenen Wohlstand frei. Und die zu vererbende Immobilienmasse soll Ersatz für hinterlassene Schuldenlasten sein.
Und doch - trotz all der vielen Bemühungen - nimmt der CO2-Ausstoß zu; die Schere zwischen Nord und Süd lässt die Flüchtlingsströme mit den oft tödlichen Folgen für “boat-people” anschwellen; und der Schuldenberg steigt und steigt.
Auch die durch die Moderne heilig gesprochenen Güter erleben ihre Grenze: Vernunft, szientistisch verabsolutiert, erfährt ihre Grenze angesichts der Mehrdimensionalität von Wirklichkeit. Aufklärung, als letztgültige Epoche verengt, wird entgrenzt durch das kultur-religiöse Gedächtnis. Fortschritt, neuzeitlich aufgeladen, entbirgt Schreckensszenarien in Hiroshima, in Fukoshima, im Börsencrash 2008, in den Bekanntgaben E. Snowdons.
Bei uns selbst bleiben oft zurück Ohnmacht und Angst; sie weisen auf das menschliche Herz, “das böse ist von Jugend an” (Gen 6, 5). “Wie kriege ich ein gnädiges Gewissen?, eine gnädige Umwelt?, eine gnädige Nachkommenschaft?”
Nach dem Propheten Micha übersteigern sich im Rechtsstreit die Ausgleichsangebote der Überschuldeten ins Maßlose des Immer-mehr - auf ironische Weise; lächerlich wirkt die Aufzählung der Ersatzleistungen. Denn in diesem Streit geht es um den Riss im Verhältnis von Gott und Mensch. Da ist der kategoriale Unterschied zwischen Gottes Handeln und menschlichem Tun; nur die Erkenntnis dieses Unerschieds kann ein neues Wirklichkeitsverständnis möglich machen. Und das geschieht durch die Beziehung Gottes zum Menschen als Beziehung des Menschen vor Gott, vor sich selbst und vor der Mitwelt.
2. Liebe Gemeinde, diese Beziehung Gottes zu den Menschen ist eine ganz andere als der geschäftliche Austausch über schuldhaft entstandenen Sachschaden. Allzu winzig würden wir in dem Fall Gott machen. Gott aber ist anders; Gott ist größer, alles wird von ihm unbedingt angegangen: “Nichts ist so groß, Gott ist noch größer; nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner” (M. Luther). Alle unsere Beziehungen verbinden sich mit ihm. Darum, ja, darum, ist es Gott, der leidenschaftliches Interesse an seinem Volk hat, der in personaler Zuwendung “alles Gute an ihm getan” hat, an den Menschen, an seinem Volk, an uns und überhaupt an dieser Welt, seiner Schöpfung (Mi 6, 5). - Welch ein Gott!
Erinnern wir uns und lassen wir uns gedenkend hineinnehmen in die große Geschichte Gottes von der Befreiung seines Volkes im Exodus aus Ägypten, von seinem helfenden Geleit, seiner rettenden Wohltat und bewahrenden Fürsorge auf den Wüsten- und Holzwegen - und ebenso von den Zukunft eröffnenden Erlebnissen und Leben fördernden Widerfahrnissen in unserem eigenen Leben und im Leben unserer Mitmenschen. Erzählen wollen wir von Gottes Ja zu mir, von seiner Zuwendung zu uns, die uns neu seines Zu-Kommens zu uns vergewissert.
Denn Gott hat es gesagt und es geschah und er wird es wieder nach seiner Verheißung tun. So bin ich angesprochen, weil Gott mich angesprochen hat; ich erkenne, weil ich von ihm erkannt bin; ich mache Erfahrungen mit Gott, weil seine Güte mir widerfahren ist; ich bin ergriffen, weil Gottes Erbarmen mich ergriffen hat; ich glaube, weil Gott mir glaubt. Das meint der “kategorische Indikativ” der Glaubenden.
3. Liebe Gemeinde, das, was Gott immer schon an und für uns getan hat an Gutem, erweist sich als Grund unserer Existenz: “Ich glaube, darum bin ich”. Und der kategorische Indikativ der Christen entbirgt den Imperativ zu verantwortlichem Leben. Der Ruf Gottes erfährt Geltung, d. h. das Gebot Gottes: “Es ist dir mitgeteilt, Mensch, was gut ist” (Mi 6, 8). “Was gut ist” - ein Menschheitsthema.
Gut ist, was dem Willen Gottes, dem Gottesrecht, entspricht, was dem Menschen gut tut, was der Mitwelt gut tut, was den Nachkommen gut tut, weil Gottes gutes Gebot es will für Leben Förderliches und Zukunft Erschließendes. In den 10 Freiheitsworten zum Leben ist das Gottesrecht angesagt.
Was gut ist und was Gott bei uns sucht, das sind Menschen wie Du und Ich, deren Leben seiner Zuwendung entspricht, Menschen, die leben, was ihnen von Gott schon gegeben und geschenkt ist. Lebe, was du bist!
An uns persönlich tritt da die Frage heran: “Wie lässt du das Evangelium für dich gelten?”
Drei Kurzformeln des Propheten wollen Orientierung geben:
“Recht üben“. Recht tun, “Tun des Gerechten” da, wo schreiendes Unrecht herrscht, das - oft gar nicht bewusst - auf Kosten anderer gut leben lässt - gerade der Schwachen, etwa der Menschen auf der Südhalbkugel unserer kleinen Erde. Recht tun mit vernünftiger Vernunft im Blick auf leistungsgerechten Lohn hier bei uns und in den Textilfabriken in Dakkar und in den Orangenplantagen in Brasilien, usw.
“Freundlichkeit lieben”. Andere übersetzen: Güte, Hingabe lieben, indem Billigkeit und Freundlichkeit in rationaler Kälte den Wärmestrom der Liebe und Gemeinschaft aufklärend erfahren lässt. Der ausgegrenzte Mitschüler und die gemobbte Klassenkameradin erfährt Empathie und Solidarität, heimatlose Flüchtlinge Aufmerksamkeit und Hilfe, seufzende Mitwelt Achtsamkeit. “Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft”, “dass du die Gebote des Herrn hältst und seine Rechte, ... auf dass dir’s wohl, gut, gehe” (Deut 6, 5; 10, 12).
“Einsichtig mitgehen mit deinem Gott”. Andere übersetzen: “aufmerksam mitgehen mit Gott“, und M. Luther “demütig sein vor Gott”. Unser Lebensweg in der Welt sonntags und alltags, unser ganzes Leben vor und mit Gott ist hier angesprochen. Die “evangelischen Wahrheiten” von Barmen 1934, etwa Barmen These II, sagen entsprechend: “Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben” im “Fortschritt” auf den Advent Gottes. Der Prophet Micha verweist darauf (Mi 5, 1): Mein Leben und - untrennbar verbunden - mein Glaube ist konstituiert durch Gottes immer schon vorausgehendes Gutes als sein Geschenk; ich erkenne, weil schon in Gottes Liebe in Jesus Christus erkannt; ich erfahre, weil mir Gottes Erbarmen in Jesus Christus widerfahren ist. Und das ohne disqualifizierende Verurteilung Anderer Wege, vielmehr mit Jesu Doppelgebot aufmerksam und einsichtig der Anderen Nächster sein. “Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft ... und deinen Nächsten wie dich selbst” (Mt 20, 37f).
M. Luthers Übersetzung “demütig sein” findet - nach oft abfälliger Bedeutung in der Umgangssprache - neuerdings wieder einen positiv besetzten Gebrauch, wenn herausragende Naturwissenschaftler angesichts der Begrenztheit ihrer Erkenntnisse im Makro- und Nanobereich von “Demut” sprechen und wenn einige neugewählte Abgeordnete von “Demut” reden gegenüber dem Vertrauen, das die Wähler ihnen entgegen gebracht haben.
M. Luther hat die Demut in der “Freiheit eines Christenmenschen” vor Augen; sie erweist sich als Geschenk der rechtfertigenden Gnade Gottes in Jesus Christus durch den Glauben. “Ein Christenmensch lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe“. Somit ist “ein Christenmensch ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan und ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan”. Durch Gottes Erbarmen wird die Freiheit des Glaubens vernünftig gelebt im Dienst vor Gott und zum Guten des Nächsten.
Denn das Gute des Gottesrechts ist das, was uns Menschen und unserer Mitwelt gut tut, was Zukunft eröffnet und Leben fördert. “Wie lässt du das Evangelium für dich gelten”, wenn Gott bei uns Menschen sucht, was er schon für uns Menschen getan hat: das Gute, was gut ist?
Gebet: “Schaff in mir, Herr, den neuen Geist, der dir mit Lust Gehorsam leist,
  und nichts sonst, als was du willst, will, auch Herr, mit ihm mein Herz erfüll”.
(EG 390, 2)
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne und euer Tun im Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn”. Amen.