"Was ist Ruhm?", Predigt zu Jeremia 9, 22-23 von Margot Käßmann
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"Was ist Ruhm?", Predigt zu Jeremia 9, 22-23 von Margot Käßmann

Was ist Ruhm?
Liebe Gemeinde,
Elbling ist Techniker. Er hat eine Frau, zwei Kinder, wenige Kollegen und ein ruhiges Leben. Nach langem Zögern schafft er sich ein Handy an. Als es zum ersten Mal klingelt, sagt jemand: „Was ist, wie läuft es, du blöde Sau?“ Elbling ruft den Kundendienst an. Der erklärt ihm, es sei unmöglich, dass dieselbe Nummer an zwei Menschen vergeben wird. Die nächste Anruferin erklärt ihm, er sei ein Idiot, auf eine wie sie zu verzichten. Er bestätigt das. Bald gefällt ihm die neue Kommunikation. Ein Mann erwartet ihn auf dem Locarnofestival, ohne ihn, den vermeintlichen Ralf, könne man das doch nicht durchziehen. Und Frauen rufen an, die mit ihm spielen wollen, sich mit ihm verabreden, Katja und Carla und… Mit Carla entwickelt sich geradezu eine Beziehung. Es heißt: „Mit klopfendem Herzen hörte er ihr zu. Er war der Seele einer aufregenden Frau noch nie so nahe gekommen.“
Die Geschichte von Elbling und seinem neuen Handy ist eine von neun Geschichten, die der junge Autor Daniel Kehlmann – einige werden sich erinnern an „Die Vermessung der Welt“ – unter dem Titel „Ruhm“ gesammelt hat[i].
Es sind wunderbare Geschichten aus dem Alltag, von der Suche nach Lebenssinn, etwa von dem Namenlosen mit dem Usernamen „mollwitt“, der so viel posted bei Supermovies und literature4you, im Real Life Mitte dreißig ist, vollschlank und im Officezwang Krawatte trägt, damit er seinen Lifesense realisieren kann….
Eine leichte Lektüre, die ich Ihnen für die vorlesungsfreie Zeit nur empfehlen kann. Es sind verlorene Gestalten in einem Geflecht von Beziehungen, die belanglos erscheinen, oft hin- und hergerissen zwischen realem und virtuellem Leben. Sie alle sind auf der Suche nach Sinn, nach Bedeutung. Irgendetwas muss doch Halt geben: Erfolg, Sex, Liebe, notfalls ein Blogeintrag.
Ist das aber schon die Suche nach Ruhm? Auf jeden Fall ist es eine Suche nach Bedeutung. Mein Leben soll doch ein Besonderes sein! Wie lang ich leben werde, weiß ich nicht, 20, 40, 60 oder 80 Jahre. Aber am Ende will doch niemand sagen: „War nichts Besonderes! Ob ich nun geboren war oder nicht, es hat nichts verändert, nichts ausgemacht, blieb unbemerkt. Sorry, aber die Chance wurde verpasst.“
Die Sehnsucht nach Ruhm, nach Berühmtwerden, ist eine Sehnsucht, aus der Masse herauszutreten. Beachtet, ja gesehen werden, darum geht es. Da gilt nicht mehr der Satz von Descartes: Ich denke, also bin ich. Sondern: Ich bin im Fernsehen, also bin ich. Und dafür setzen sich Menschen dann Demütigungen aus, die vielleicht ihre Bekanntheit steigern im Sinne von „bekannt und belächelt“, aber kaum Ruhm im positiven Sinne von „geschätzt und gerühmt“. Daran hat das Internetzeitalter einen gewichtigen Anteil. Jochen Mai schreibt: „Aus dem Bonmot ‚Es geht nicht darum, was du weißt, sondern wen du kennst‘ hat das Web längst eine neue Ableitung geformt. Sie lautet: ‚Es geht nicht darum, wen du kennst, sondern darum, wer dich kennt.‘“[ii]
Schauen wir von hier auf den biblischen Befund, so ergibt sich ein völlig anderer Zugang. Das Hebräische HALLAL kann aktives Rühmen und Preisen bedeuten, aber auch eine Gerühmt-Werden oder auch ein Sich-Rühmen. Von diesem HALLAL aber wird vor allem das Hallelujah abgeleitet. Und das ist wohl die zentrale Aussage der Bibel: Es geht darum, Gott zu rühmen! Unser Leben, das Agieren der Kirche, prachtvolle Gotteshäuser – das alles dient nicht dem Ruhm der Menschen, der Institution, des Architekten oder Geldgebers, sondern: soli deo gloria, allein der Ehre und dem Ruhm Gottes.
Und so heißt es auch im Predigttext für den kommenden Sonntag, der dem heutigen Gottesdienst am Ende des Semesters zugrunde liegt, beim Propheten Jeremia (9, 22f.): „So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.“
Es geht also um zweierlei: um Lebensklugheit der Weisen, Starken und Reichen sowie um ein Erkennen Gottes in den Kategorien von Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit. Diesem doppelten Dreischritt möchte ich nachgehen.
Offen gestanden: Dass Ruhm etwas mit Lebensklugheit zu tun haben könnte, ist mir in jüngerer Zeit etwas entfallen. Ich denke an den vermeintlichen Ruhm der vermeintlichen DSDS-Stars. Du lieber Himmel! Mehr als 34.000 Menschen haben sich in der jüngsten Staffel beworben. Die Predigtvorbereitung hat mir einen wunderbaren Grund gegeben, sich das anzuschauen! Bei den meisten ist es eher definitiv unklug, sich derart zu präsentieren und der Lächerlichkeit preiszugeben. Ähnliches gilt beim jüngsten Dschungelcamp – pure Feldforschung natürlich. Dass ein Mensch meint, durch Kakerlakenschlucken oder ein sich Bewerfen lassen mit Sch… Ruhm zu gelangen, hat mit Klugsein nichts, aber auch gar nichts zu tun. Ruhm in der Mediengesellschaft ist also ganz offensichtlich ein mehr als zweischneidiges Schwert. Eine hoch ambivalente Sache, der sich ein Mensch besser entziehen sollte. Das wäre klug, in der Tat.
Aber heben wir uns hier in der Universität nicht zu sehr ab! So ein wenig Rühmen der Weisheit, das gibt es auch, nicht nur in Tübingen oder Heidelberg, selbst in Bochum. Das gilt für Professorinnen und Professoren: Welche Vorlesung ist mehr besucht, wer hat die meisten Doktoranden. Für den Mittelbau: Wer promoviert glanzvoller? Wo liegt eine Karrierechance? Für die Studierenden: eine glanzvolle Note, ein großartiger Bachelor, ein beeindruckendes Examen. Ruhm – ein Unterscheidungskriterium. Ein Alleinstellungsmerkmal….
Gewiss, es ist biblisch gesehen nicht nur der Ruhm Gottes, der gedacht wird, sondern durchaus auch der Ruhm von Menschen. Gerühmt wird etwa der König (2.Chronik 23,12), die Geliebte im Hohen Lied der Liebe (6,9) oder auch die Mutter (Sprüche 31, 28). Grundsatz aber bleibt: Der Weise, der Starke und der Reiche werden ermahnt, als Gabe Gottes, als Geschenk zu sehen, was sie erreicht und erzielt haben. Das bringt eine völlig andere Lebenshaltung mit sich. Da bin ich nicht der „Macher“, der alles im Griff hat.
 
Das gilt auch für die vermeintlich Starken heute. Ich muss keine Namen nennen, alle hier im Raum können Politiker der jüngeren Zeit vor Augen rufen, die glaubten, sie hätten eine unantastbare Stärke, die ihnen erlaube, die Grundlagen von wissenschaftlichen Standards, Amtsverpflichtung oder Transparenz übergehen zu können. Ruhm hat das nicht gebracht, im Gegenteil…
Und das gilt zu prophetischen Zeiten wie heute auch mit Blick auf Reichtum. Eine zentrale Symbolfigur dafür ist heute Herr Ackermann. Vorletzte Woche wurde er in meinem Seminar zitiert mit dem Satz: „Als ich zur Deutschen Bank kam, hatte ich zwei Millionen Mark. Wenn ich heute ein vergleichbares Gehalt hätte, würde ich jeden Respekt verlieren. Man würde sagen: 'Der hat keinen Marktwert.'“[iii]Da macht der Marktwert den Menschen und wer nicht mithalten kann, wird nicht respektiert. Ein gruseliges Weltbild! Und spannend, dass der Prophet auf genau eine solche Haltung zielt- so viel scheint sich nicht geändert zu haben in der Disposition von Menschen, ihrer Verführbarkeit durch Geld und Macht. Dass dies aber nicht Lebensklugheit bedeutet, erschließt sich heute ebenso gut wie damals. Da kann ich der Schriftstellerin Donna Leon nur zustimmen, die in einem Interview sagte: „Ruhm ist nicht gut für die Menschen. Berühmte Leute glauben plötzlich, was man ihnen sagt: dass sie besser sind.“[iv]
Dem Dreiklang von Weisheit, Stärke und Reichtum, der nur zu vermeintlichem Ruhm führt, stellt Jesaja den von Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit entgegen. Wer sich rühmen will, soll sich dafür rühmen, Gott zu kennen, dem diese drei Haltungen wesentlich sind. Es ist eine Kontrastgesellschaft, die hier gezeichnet wird - ganz ähnlich wie in den Seligpreisungen. Statt Weisheit, Stärke und Reichtum treten bei Gott ganz andere Kategorien in den Vordergrund.
Wer sich barmherzig erweist, zeigt etwas von einer Lebenshaltung, die sich vor Gott verantwortet. Wir stehen ja am Semesterende und auch wenn für Studierende wie Mitarbeitende und Professorium keine Semesterferien anstehen, sondern lediglich die vorlesungsfreie Zeit, gibt es vielleicht auch Zeit für das Kino. Neben der Buch- also eine Filmempfehlung: „Ziemlich beste Freunde“. Francois Cluzet und Omar Sy spielen einen reichen, vom zweiten Halswirbel an gelähmten Pariser und einen gerade aus dem Gefängnis entlassenen, aus dem Senegal stammenden Arbeitslosen. Ein wunderbares Zusammentreffen. Während sich alle anderen Bewerber um die gut dotierte Stelle des Pflegers langatmig über ihr Verhältnis zu Behinderten auslassen, sagt Driss, als er Philippe zum ersten Mal sieht, schlicht: „Das ist ja voll scheiße, oder?“ Und als ein guter Freund des Hauses Philippe warnt, wo Driss herkomme, kenne man kein Mitleid, erklärt Philippe, dass er genau das will: KEIN Mitleid. So spiegelt sich in dem gegenseitigen Respekt der beiden die Barmherzigkeit Gottes, die nicht mitleidig und herablassend daherkommt, sondern den Menschen ansieht, ihn wahrnimmt, wertschätzt mit allen Schwächen und Fehlern. Ein wunderbarer Film, tiefsinnig, humorvoll. Als wir das Kino verließen, war auch ein Rollstuhlfahrer dabei und ich hatte den Eindruck, er wurde neu, anders wahrgenommen. Barmherziger vielleicht, aber nicht mitleidig.
Es ist dieselbe Haltung, die im Ringen um Recht und Gerechtigkeit zu erkennen ist. Da geht es nicht um Rechthaben, sondern um das Lebensrecht jedes Menschen. Um Gerechtigkeit, die nicht auf Europa oder die Industrienationen begrenzt ist, sondern grenzüberschreitend zur Geltung zu bringen ist. Und wenn es dann heißt, Glaube und Kirche dürften nicht politisch sein, dann wird ein solcher Prophetentext eines Besseren belehren. Wenn wir uns unseres Gottes rühmen, der für Recht und Gerechtigkeit steht, werden wir als Christinnen und Christen Unrecht hinterfragen, komme es nun in Form von Nahrungsmittelspekulanten, der Abwehr von Asylsuchenden oder in Form von Lohndumping daher. Sich Gottes Rühmen ist eben gerade keine weltabgewandte Haltung, sondern eine, die sich radikal in diese Welt, die wir als Gottes Schöpfung ansehen, einmischt. Vielleicht ist das die grundsätzliche Aussage des Propheten: Wenn wir uns nicht selbst rühmen, weil wir ach so weise, stark oder reich sind, sondern uns Gottes rühmen, der für Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit eintritt, dann verändert das unseren Blick. Weg von uns selbst, hin zu anderen. Ein Blick auf das Miteinander, die Gemeinschaft, die nicht virtuell ist, sondern sehr real. Und ein solcher Blick weg von mir, bringt eine ungeheure Befreiung von allem Leistungsdruck und Leistungsdenken mit sich. Weil ich mit anderen lebe, bin ich. Gott sagt mir Lebenssinn zu, nicht ich mir selbst. Und aus dieser Haltung heraus, kann ich etwas beitragen zum Miteinander der Kinder Gottes. Weltlicher Ruhm ist dann ziemlich gleichgültig und letzten Endes wenig erstrebenswert. Es dürfte für die Seele des Menschen wesentlich hilfreicher sein, die Suche danach abzuhaken und sich hineinzustürzen ins Leben, in ein Miteinander, das menschliche Erfüllung bringt.
Dieses Miteinander können wir feiern. Vorläufig, sicher. Gebrochen, oft. Nicht immer ohne Trennungen, leider. Aber an einem Tisch können wir zusammenkommen. Die Weisen, Starken und Reichen, die Suchenden, Schwachen und Armen. Wir teilen miteinander Brot und Wein zu seinem Gedächtnis. Das verändert unsere Haltung. Weil nicht wir im Mittelpunkt stehen, sondern Christus, der uns einlädt. Wir kommen mit Gaben und Lobgesang. Aber der Gesang, das Hallal, gilt nicht uns. Das Rühmen gilt Gott, der das Leben und seine Versuchungen kennt, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit liebt und uns annimmt, mit all unseren Schwächen. Ja, vielleicht auch manches Mal lächeln kann über unsere Ruhmsucht - sei es an der Universität, im Dschungelcamp, auf der politischen Bühne oder auf dem Börsenparkett. Denn wie sagte Martin Luther: „Wenn der liebe Gott keinen Humor hat, möchte ich gar nicht erst in den Himmel kommen!“
Übrigens, Elbling, der Protagonist aus einer der Kurzgeschichten von Daniel Kehlmann, erreicht am Ende sein Ziel. Der andere Telefonteilnehmer wird abgeschaltet. Er spürt Leere. Sabotiert drei Computer. Aber das Telefon schweigt. Ihm fehlt der Mut, eine der Nummern anzurufen, mit denen er in den letzten Tagen in so aufregendem Kontakt war. Er starrt das Handy an, wartet. Sein Kollege sagt: „Versteh das jetzt bitte nicht falsch. Aber wer sollte dich schon anrufen?“. Auch der Ruhm als gefragte Handynummer ist am Ende hohl. Aber vielleicht führt die Erfahrung Elbling auf die Spur zu einem erfüllten Leben in der realen und nicht der virtuellen Welt. Und zu einer Frage nach dem Lob des ganz anderen, das ein Leben in Balance bringen kann, weil es sich nicht mehr um den eigenen Ruhm sorgen muss. Das Lob Gottes kann den Druck lösen, mich selbst rühmen zu müssen, Sinn in mir zu finden.
Was ist Ruhm? Was bedeutet Lebenssinn? Der christliche Glaube hat eine spezifische Antwort – wir finden sie nicht bei uns, sondern bei Gott. Und das kann eine ungeheure Freiheit bedeuten. Amen.


  
    [i]Vgl. Daniel Kehlmann, Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten, Reinbeck 2009.
  
  
    [ii]Jochen Mai, Ruhmsicht – Sind Ranglisten der Rassismus der Zukunft?, http://karrierebibel.de, 28.9.2009.
  
  
    [iii]DIE ZEIT, Nr. 22, 24. Mai 2007, zeit.de
  
  
    [iv]Donna Leon, Interview im Migros-Magazin 26, 28. Juni 2005.