Weihnachten ist für alle da - Predigt zu Epheser 3,2-3a.5-6 von Martin M. Penzoldt
3,2-6

Weihnachten ist für alle da - Predigt zu Epheser 3,2-3a.5-6 von Martin M. Penzoldt

Weihnachten ist für alle da

Liebe Gemeinde!
Und schon wieder ist Weihnachten.
Sie haben recht gehört!
In vielen orthodoxen Kirchen des Ostens wird heute Weihnachten gefeiert.
Weihnachten kann man natürlich gar nicht oft genug feiern,
schon weil man sich dann gegenseitig besuchen kann.
Die Weihnachtsgeschichte ist zum Glück noch in vollem Gange.

Es gibt aber nicht nur verschiedenen Weihnachtstermine,
sondern in der Christenheit von Anfang an
auch unterschiedliche Vorstellungen darüber,
wie Gott zur Welt kommt.

In der bekannten Weihnachtsgeschichte nach dem Evangelisten Lukas,
kommt Gott zur Welt - im wahren Sinne des Wortes -
als Christkind in der Krippe:
"Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und Stroh...“
Im biblischen Originalton ist diese Weihnachtsgeschichte
die schönste Geschichte der Welt.
Und seit der christliche Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert
den Geburtstag Jesu auf den 25. Dezember festlegte,
hat sich die Feier des göttlichen Kindergeburtstages
an diesem Tag in der westlichen Welt durchgesetzt.
Bei Christen und bei Heiden.
In Tokyo und Jerusalem. In Sidney und Toronto.
Und Weihnachtsbäume sah man heuer vermehrt selbst in Istanbul!

Doch wenn alle Erwartungen und alle Phantasien auf das Christusfest -
mehr noch auf den Heiligen Abend davor - fixiert sind,
dann ist das für viele Menschen ein Problem.
Viele Menschen können mit der weihnachtlichen Idylle
von der heiligen Familie nichts mehr anfangen.
Sie sind ohne Familienkontakt, ohne Gäste, allein.

Eine alleinstehende alte Dame sagte
nach dem Familiengottesdienst am Heilig Abend:
"Es war wieder wunderschön,
aber bei mir gibt es kein Weihnachten.
Mein Mann liegt auf dem Friedhof,
und die Tochter ist in Amerika;
was mir bleibt, ist Sehnsucht und Erinnerung,
das ist meine Realität."

Ich bin davon überzeugt,
dass es gerade in solchen Situationen weiterhilft,
das es auch andere Vorstellungen davon gibt,
wie Gott zur Welt kommt.
Deshalb sind die Adventszeit und die Epiphaniaszeit so kostbar.
In diesen Zeiten ereignet sich auch Gottes Kommen in die Welt und
sie helfen das Christfest als Erscheinungsfest zu verstehen und zu erleben.

Am Erscheinungsfest, an „Epiphanias“, feiern wir
die Geburt des ewigen Lichtes, das den ganzen Kosmos erhellt.
Christus erscheint nicht als Kind,
sondern das Licht der Welt, als Stern in der Finsternis,
als Herr über Krankheit und Tod –
allen Menschen, allen Tieren auch: dem ganzen Kosmos.

Das heißt: Weihnachten ist für alle da,
nicht nur für die intakten Familien
und für die sentimental berührten Erwachsenen
und auch nicht nur für die kirchlichen Insider.
Solange sich auch nur ein Mensch
vom zeitlichen und ewigen Glück ausgeschlossen fühlt,
ist diese Geburt noch nicht zu Ende.
An Weihnachten 2015 hieß es in den Predigen:
„Denn es ist erschienen
die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.“ (Titus 2,11)
Ein Satz. Nur ein Satz.
Ein Satz, der in einer großen, atemberaubenden Bewegung
die ganze Geschichte erzählt.
Die Geschichte vom Kindlein in der Krippe - aber ohne Krippe
die Geschichte vom großen Gott -  aber ohne Pathos
der das Kleine nicht scheut - aber ohne Verniedlichung
von den Menschen aus allen Völkern,
die diesem Kinde glauben – aber ohne Kniefall.
Menschen, die sich geborgen wissen bei Gott – ohne den Kopf zu verlieren.
 
Weihnachten ist für alle da.
Das klingt so einfach, fast billig.
Und doch könnte es sein,
das über diesen Satz ein Mann Jahre lang gebrütet hat,
von dem wir vorher wissen, dass er die Christen verfolgt hat
und der später ihr glühendster Prediger wurde: Paulus.

Nach seiner Christuserscheinung in Damaskus
zieht sich Paulus für Jahre nach Antiochien zurück
- und kein Mensch weiß, was er dort tat.
Bis heute meinte man,
er hätte dort eine christliche Gemeinde geleitet,
aber es gibt dafür nicht den leisesten Hinweis.
Den unermüdlich Predigenden, den reisenden, den Kirchenlehrer,
man konnte sich nicht vorstellen, was er dort tat.
Er tat nichts. Er dachte nach.

Ich vermute er dachte über den Satz nach:
Weihnachten ist für alle da.
Vermutlich hätte er gesagt: Christus ist für alle da.
„Für alle“ bedeutete damals:
nicht nur für das auserwählte Volk, die Juden,
sondern auch für die Heiden, also alle anderen.

Wenn man rückblickend die Konsequenzen bedenkt,
die aus dieser Öffnung einer jüdischen Sekte zur Weltreligion folgte,
dann ist sehr gut zu verstehen,
dass sich Paulus lange aus sein Geheimnis besann,
dann aber gab er es kund.
Paulus schreibt an seine Gemeinde in Ephesus:
  "Ihr habt ja gehört,
   welches Amt die Gnade Gottes mir für Euch gegeben hat:
   Durch Offenbarung ist mir das Geheimnis kund gemacht worden.
   Dies war in früheren Zeiten
   den Menschenkindern nicht kundgemacht,
   wie es jetzt offenbart ist,
   seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist;
   nämlich dass die Heiden Miterben sind
   und mit zu seinem Leib gehören
   und Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus sind
   durch das Evangelium." (Eph 3,2-3a.5-6)

Christus ist für alle da.
Weihnachten ist für alle da.
Die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland illustriert das.
Es geht um das Sehen und Erleben der Herrlichkeit Gottes
bei den Menschen aller Religionen, Rassen und Klassen.
„Das Geheimnis“ ist dabei immer wieder neu:
Ausgestoßene, Aussiedler, Außenstehende,
Ausländer, Aussätzige, Ausgehungerte,
Ausgebeutete, Ausgebootete, Ausgefallene,
Ausgegliederte, Ausgenutzte,
Ausgezehrte und Auseinandergehende:
alles was „aus“ war, ist wieder „in“:
alle sind eingeschlossen in die Liebe Gottes in Jesus Christus.

Der Kirchenvater Augustinus preist Epiphanias
als "den letzten großen Schöpfungstag" und sagt:
"Nicht untergehen wird die Sonne seines gnädigen Erscheinens,
ehe fröhlich aufleben alle gebrochenen Menschenherzen
samt der seufzenden Kreatur."

So beginnt auch die Litanei der Mönche auf dem Berg Athos
bis zum heutigen Tag mit den Worten:
"Gottes schöne neue Welt,
heute wird sie geboren,
heute ist der Tag des Lichts,
neu werden alle Menschen und die Welt heil,
denn Gott erscheint,
und weltweit will er entzünden
das innere Licht geliebten Lebens."

So weit, so schön.
Paulus der Völkerapostel hat die Völker
im Laufe vieler Jahrhunderte zu Menschenrechtsaposteln gemacht.
Die Idee universaler Wertegemeinschaft, Leib Christi,
ist über die Heiden in die säkulare Weltgemeinschaft übergegangen
und hat sich dort verwirklicht.
Wenn wir fragen welche Werte es denn sind,
für die sich die moderne westliche Welt neuerdings auf Kriegsfuß begibt,
dann sind es individuellen Freiheitsrechte, Religionsfreiheit,
Meinungsfreiheit, Schutz der Verfolgten und Medizin für alle.
Wenn die jeunesse doré in Paris allabendlich flaniert und feiert,
dann mag das anstößig wirken,
für die wirtschaftlich und mental Ausgeschlossenen,
aber trotzdem ist dieses Feiern ein Vorschein eines Lebensgefühls
das für alle Menschen bestimmt ist.
Wenn das Leben der reichen Länder aber diese Perspektive für alle verliert
und der Reichtum selbst zum höchsten Wert aufsteigt,
dann ist das innere Licht vom Evangelium her erloschen
und der abendliche Trubel wird zur Maske von Zynismus und Gleichgültigkeit.
Der Weihnachtsstern darf nicht mit dem Wohlstand weniger
verwechselt werden und der Heiland nicht zur Lichterreligion
nächtlicher Lumineszens depraviert werden!
Da ist dann doch die Weihnachtsgeschichte wichtig.
Sie birgt das kritischer Potential. Sie erdet. Inkarniert.
In ihr werden die schmutzigen Windeln, die Banlieues, nicht übergangen.  

Die Sternsinger halten die Erinnerung an das himmlische Licht,
das der Welt ihr Leben gibt, wach.
Wenn sie ihr "C+M+B" über die Haustüren schreiben,
so bedeutet das vermutlich nicht ursprünglich:
Caspar, Melchior, Balthasar  -
wie die Legende die sogenannten Könige benannt hat - ,
sondern Christus Mansionem Benedicat - Christus segne dieses Haus.

Im winterlichen Tirol können sie einem begegnen,
die Kinder-Könige mit ihrem Stern
und einer schönen silbernen Sammelbüchse aus der Barockzeit.
Darauf steht die Inschrift:
"Christus König - Leben der Welt".
Auch der Anfang ihres schlichten Gesanges
ist noch von echter Epiphanias-Ausstrahlung:

           "Licht strahlt aus jedem Haus.
            Lasst uns nach den Kindern sehn,
            überall ist Bethlehem,
            überall scheint Gottes Stern,
            kein Mensch ist der Liebe fern."

Ebenso angemessen sind die Missionsfeste,
die sich in unserer evangelischen Kirche mit dem Erscheinungsfest verbinden.
Der Missionsgedanke freilich, der zu Epiphanias gehört,
heißt nicht: "Gehet hin und belehret alle Völker", sondern:
"Gehet hin und lernet, nehmt auf bei euch und lehrt.“

Ob wir schon verstanden haben,
was Paulus so universell verbreitet sehen will: das Evangelium der Völker?
Wenn der Westen der Welt denkt, er hat's
und er braucht nur noch zum anderen zu gehen,
um auszupacken, dann ist das genau das Gegenteil von dem,
was am Erscheinungsfest geschieht:
Damals kamen die Leute von sich aus,
weil sie spürten, dass da etwas Erhellendes sein könnte.

Dieser Glaube leuchtet schon im Alten Testament auf,
wenn davon gesprochen wird,
dass die Völker dereinst zum Zion ziehen werden,
die Völkerscharen angezogen werden von dem Licht der Erkenntnis,
um sich miteinander zu versöhnen und Frieden zu finden.

Ich wünschte mir, dass es mit unserer Kirche ebenso wäre,
dass sie aus sich heraus leuchtet in ihren Gottesdiensten,
Trauungen, Taufen und auch bei Beerdigungen.
Dass die Menschen kommen, von sich aus,
um vielleicht etwas zu entdecken, Frieden zu finden,
um Vergebung zu bitten, das Herz zu durchwärmen - zu beten.
Nur wenn alle Handlungen der Kirche
aus diesem einen Gesichtspunkt heraus geschehen,
wird sie attraktiv, wird sie anziehend.

Ich denke an den Besuch des Bischofs
der evangelisch-lutherischen Kirche  Boliviens
in Schwäbisch Gmünd vor vielen Jahren.
Mich hat gefesselt, wie er von den Missionaren berichtet hat:
wie sie gekommen sind und gepredigt haben,
und die Menschen haben gespürt,
dass da etwas enthalten ist,
was sie berührt und angeht,
und sie haben sich ihnen angeschlossen.
Dann aber sind andere Kirchen gekommen,
die anders gepredigt und anders gelehrt haben
und die bolivianischen Christen waren verwirrt.
Da haben sich - von sich aus - drei junge Männer
aufgemacht zur allergrößten Stadt ihrer Kontinents
und sie sind nach Mexiko-City gegangen,
um dort Theologie zu studieren
und um nun selber nach den Quellen
und dem Ursprung dieser Lehre zu forschen und zu fragen,
und sie haben ihrem Volk dann Christus gebracht in einer Weise,
wie das ihr eigenes Volk verstehen und aufnehmen konnte.

Da sehe ich eine wirkliche Epiphanias-Erfahrung,
wie trotz der verschiedenen Verkündigungen
etwas von einem Licht sichtbar und deutlich wird,
das Menschen dazu bewegt, selber danach vertieft zu suchen.

Während heute viele über den Rückgang
traditioneller Frömmigkeit klagen,
beobachte ich einen erstaunlichen Anbruch der Epiphanien-Zeit.

Schon seit Jahren wurde ein Großteil unserer Amtshandlungen
von Leuten in Anspruch genommen,
die den Kirchen mindestens so ferne stehen,
wie die Astrologen aus dem Morgenland -
wahrhaft urchristliche Zustände.

Wenn zum Beispiel Eltern, die keiner Kirche angehören,
ihre Kinder zur Taufe bringen, kann ich nur staunen.
Ich frage nicht mehr "warum", seit mir einmal erklärt wurde:
"Gottes Liebe ist doch wohl für alle da."
Oder da kommt ein Brautpaar - er war früher einmal katholisch,
und sie, eine Muslima, eröffnet das Traugespräch mit der Frage:
"Kann Ihr Gott auch segnen?"
Ja, es gibt doch wohl nur einen Gott, der segnet,
und alle Religionen sind wohl etwas zu klein für seinen Segen -
und können ihn nicht allein für sich beanspruchen.

Ja, im Lichte des hellen Morgensterns kommen Menschen zusammen.
Und was mich immer wieder am meisten überrascht:
Dieses Licht scheint tatsächlich auch mitten in der Finsternis.
Eine sterbende junge Frau sagte:
"Bleiben Sie da und bleiben Sie ehrlich,
und ersparen Sie sich und mir alle frommen Worte,
es ist bereits hell genug,
und die Kraft kommt von da, wo sie herkommt."

Das alles sind für mich echte Erscheinungsfeste.
Es gibt so viele davon, berufliche und ganz private.
Ich wünsche auch Ihnen, liebe Gemeinde,
viele Erscheinungsfeste,
bei denen Ihnen ein Licht aufgeht.
Und viel eigene Ausstrahlung von da.
Ich wünsche allen wirkliche Erleuchtung,
die auch die Schatten der Ängste und des Todes überstrahlt.
Menschwerdung Gottes bedeutet
Lichtwerdung der Menschen und Heilwerden der Menschen.
Die Weihnachtsgeschichte ist zum Glück noch in vollem Gange. Amen