Wo ist der beste Platz für mich?- Predigt zu Markus 10,35-45 von Anke Fasse
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Wo ist der beste Platz für mich?- Predigt zu Markus 10,35-45 von Anke Fasse

Wo ist der beste Platz für mich?

Liebe Gemeinde,

wo werde ich sitzen? Jedes Jahr wenn nach den Ferien die Schule wieder beginnt, macht sich unser Jüngster darüber viele Gedanken. Wo er denn in der Klasse sitzen will und warum, neben wem und neben wem nicht so gern … und wie er dieses Ziel erreichen könnte, denn letztendlich entscheidet das ja nicht er, sondern die Klassenlehrerin. All diese Fragen und Gedanken beschäftigen uns dann bei der ein oder anderen Mahlzeit am Familientisch.

Die Platzverteilung ist eine wichtige Frage nicht nur bei den Schülern, sondern wohl auch im Lehrerzimmer, in anderen Kollegien, in (Kirchen-)Vorständen oder bei ganz anderen Veranstaltungen.

Dieses Gespräch hörte ich vor ein paar Tagen mit an: „ Wie war es denn gestern Abend?“ „Ja, war schon ganz nett, aber wir hatten einfach blöde Plätze. Die reservierten Plätze waren schon weg, so dass wir mit irgendwem zusammen am Tisch waren, den wir gar nicht kannten. Sehen konnten wir auch nicht wirklich gut und die Gespräche waren auch recht mühsam…. Hätten wir einen anderen Platz bekommen, wäre es bestimmt ein schönes Fest gewesen.“

Es gäbe sicher noch viele andere Beispiele, die ausdrücken, wie wichtig der eigene Platz ist. So Vieles hängt damit zusammen, die gefühlte Wertschätzung, der Blickwinkel, die angenehmen und interessanten Nachbarn. Vom Platz hängt es ab, wie ich mich fühle in der Schulklasse, bei einem Fest, im Kollegium, bei einem Konzert, im Gottesdienst ….

Und so stelle ich die Frage noch umfassender: Welchen Platz im Leben habe ich? Gibt es da Unterschiede? Mein Platz in der Familie? Im Beruf? In der Kirche und im Glauben? Im kulturell-sozialen Leben? Im Freundeskreis? Und dann: Welchen Platz wünsche ich mir? Und schließlich: Was tue ich dafür?

Auch für die Jünger Jesu war die Platzfrage eine entscheidende. Die Jünger Jakobus und Johannes lösen sich aus der Gruppe der Jünger heraus. Ich stelle mir vor, sie sind auf dem Weg Richtung Jerusalem. Gerade hatte Jesus allen Jüngern zum dritten Mal von seinem bevorstehenden Leiden und dem Weg, der folgt, erzählt. Und diese beiden nehmen das nun zum Anlass Jeus direkt mit einer konkreten Bitte anzusprechen: „Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.“ Er sprach zu ihnen: „Was wollt ihr, dass ich für euch tue?“ Sie sagten: „Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit:“

Ganz klar sagen die beiden, was sie wollen. Aus dem Markusevangelium wissen wir, dass die beiden Brüder sind, Söhne eines Fischers. Sie gehörten innerhalb der Jünger zu den engsten Vertrauten von Jesus. Sie waren bei den ersten, die Jesus überhaupt berufen hat. Sie waren, zusammen mit Petrus, dabei als Jesus sich ihnen auf dem Berg offenbarte. Sie sahen ihn in strahlendem Licht  als Sohn Gottes. Welch besonderes, exquisites Erlebnis, dass nur sie zusammen mit Jesus hatten. Und aus dem weiteren Verlauf des Evangeliums wissen wir, dass wiederum sie es sein werden, die mit Jesus im Garten Gethsemane ausharren.

Eine besondere Nähe gab es also schon zwischen diesen Jüngern und Jesus. Aber rechtfertigt das ihren Vorstoß, ja ihre Forderung nach Bevorzugung, die über dieses Leben hinausgeht? Ihre Bitte nach einem besonderen Platz im Himmelreich? „Zur Rechten und zur Linken in deiner Herrlichkeit!“

Was macht Jesus nun mit dieser Bitte um besondere Platzreservierungen?

„Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, und euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ Sie sprachen zu ihm: „Ja, das können wir.“ Jesus aber sprach zu ihnen:“ Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten und zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.“
Jesus weist ihre Bitte ganz klar zurück. Erstens ist es nicht seine Sache, besondere Plätze zu vergeben. Und zweitens, wird jeder den Platz bekommen, der ihm zusteht. Fertig!

Aber erledigt ist das Gespräch damit nicht, denn die anderen Jünger haben natürlich davon mitbekommen und ärgern sich über den Vorstoß von Johannes und Jakobus.

Und da das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

Diese beiden haben schon so oft eine besondere Rolle gespielt. Warum denn jetzt noch mehr? Und dann gerade so? Sind sie nicht alle zwölf der besondere Kreis der Apostel um Jesus herum? Warum soll es da Sonderplätze geben. Nein, so ohne weiteres können die anderen Jünger das nicht akzeptieren. Auch sie hätten gern einen guten Platz. Sonderrollen, Sondergenehmigungen und Vordrängeln kommen einfach nicht gut an. Das ist ja schon bei der Schlange beim Einkauf oder bei Behördengängen so. Um wieviel mehr dann bei solch entscheidenden Fragen, wie dem Sitzplatz im Himmelreich?!

Es knistert also in der Luft in der Jüngerschar um Jesus. Jesus nun nutzt die Situation und ruft alle, nicht nur die zehn und auch nicht nur Jakobus und Johannes, nein alle, zusammen und redet Klartext mit ihnen. Aber wahrscheinlich ganz anders als sie alle sich das gedacht und erwartet haben:

„Ihr wisset, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will,  der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“

Das ist die Antwort Jesu. Eine Antwort, die die üblichen menschlichen Maßstäbe auf den Kopf stellt, ja umdreht. Bei Jesus und für das Reich Gottes gelten andere Maßstäbe. In der Welt, in der Politik und im Alltag ist es wohl eher so, dass die, die Macht haben, diese auch zeigen und andere ihre Macht und ihren Einfluss spüren lassen. Oft durch unschöne, unterdrückerische Methoden. Die Jüngerschaft spürte das am Römischen Reich. Auch bei uns heute sind die Nachrichten davon voll. Aber so ist es bei Jesus nicht: wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will,  der soll aller Knecht sein.

Jesus setzt andere, neue Maßstäbe. Er stellt die bisherigen auf den Kopf. Nicht nur für sich selbst und für das Reich Gottes, sondern er sagt: So -–wie in der Welt – ist es bei euch nicht, wer groß sein will, der soll euer Diener sein. Wer einen besonders guten Platz haben will, der lasse all die anderen vor und sorge dafür, dass sie es gut haben. Und diese neuen Maßstäbe holt er nicht aus der hohlen Hand, sondern sie spiegeln seine Predigten, sein Handeln, sein Leben wieder. Jesus ging auf Zachäus zu, der Zöllner, der nicht angesehen war und sich auf den Baum verkrochen hatte. Ihn sieht er an, in sein Haus geht er, ihm gibt er einen guten Platz. Die Ehebrecherin, vom Gesetz und von vielen anderen abgestempelt und dem Todesurteil übergeben. Jesus guckt neu, eröffnet neue Räume und Wege, schenkt neues Leben. Er heilt, macht satt an Leib und Seele. Aber anders. Mit neuen Maßstäben. Und genau deswegen sind die Jünger ja bei ihm, folgen ihm nach, vertrauen ihm, hoffen auf ihn. Jesus guckt nicht in erster Linie nach denen, die oben stehen, die angesagt sind, denen es gut geht. Nein, ganz im Gegenteil.

Jesus schenkt neues Leben, immer wieder, aber nicht einfach so, indem er die besten Plätze zuweist. Jesus schenkt neues Leben in der Nachfolge und dazu gehört ein Stichwort DIENEN. Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein.

Demnach ginge es in der Klasse nicht darum, dass ich den besten Platz habe, sondern, dass die anderen einen möglichst guten Platz haben und selbstverständlich würde ich dafür sorgen. Gleiches gilt für das Fest, zu dem ich eingeladen bin. Nicht mein Platz ist entscheidend, sondern der, der anderen. Das bedeutet dann: Mein Platz im Leben ist gut und richtig, wenn ich dabei über den Tellerrand hinausschaue und nicht meine Interessen in den Vordergrund stelle, sondern mich um den und die andere sorge und mich für unsere Welt einsetze. Ein großer Anspruch. Ob ich dem gerecht werden kann?

Ich blicke auf Jesus: Jesu Leben ist ein dienendes Leben, das in die Freiheit führt. Mit Leiden, mit Qualen, mit Angst und Gottverlassenheit. Mit Schmerzen und Todesangst am Kreuz. So weit ging Jesu Dienst an uns. Ohne diesen Dienst an uns, ohne seinen Weg durch Leiden und Kreuz hindurch, hätte es keinen Ostermorgen gegeben. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“

Jesu Leben, ist ein dienendes Leben, das zeigt: Jeder hat seinen Platz, denn jeder ist geliebt von Gott.  Und so ist es nicht nötig, weder für Jakobus und Johannes, noch für uns, um die besten Plätze irgendwo zu kämpfen, geschweige denn bei Gott. Bei ihm haben wir alle unsere Plätze, ohne Rangordnung. Er sieht uns alle an. Er vergisst keinen. Das lässt uns aufatmen. Das schenkt Freiheit und Sicherheit. Und ich spüre:  Ich selbst habe da meinen Platz, wo ich mich einsetzen kann für die Sache Jesu, für andere, für unsere Welt. Das ist der beste Platz, und sicher ganz nah bei Gott.

Natürlich weiß ich, dass mir das nicht immer gelingt. Und dann hilft der Blick auf den menschlichen Jesus selbst, der auch Zweifel hatte und manchmal mit begrenzten Kräften sich von all den Menschen zurückgezogen hat. Und ich denke daran, dass Gott sich die Menschen ausgesucht hat als seine Kinder und Werkzeuge, in aller Fehlbarkeit, in aller Schönheit und Kreativität, mit allen Fähigkeiten. Und so wünsche ich uns Vertrauen zum Dienst in dieser Welt, denn das ist unser Platz  - bis ER uns eines Tages in seiner Ewigkeit willkommen heißen wird. Amen