Wochenschlussandacht von Stefanie Arnheim

Wochenschlussandacht von Stefanie Arnheim

Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand,
  Ohne Gott ein Tropfen in der Glut,
  Ohne Gott bin ich ein Gras im Sand
  und ein Vogel, dessen Schwinge ruht.
  Wenn mich Gott bei meinem Namen ruft,
  bin ich Wasser, Feuer, Erde, Luft. (Jochen Klepper)
Liebe Gemeinde, herzlich willkommen zur Andacht heute Abend hier in der Matthäus-Kapelle. Gemeinsam halten wir inne am Ende der Woche und bevor mit dem Sonntag eine neue beginnt. Wir bringen mit, was uns bewegt. Und wir tun das im Vertrauen darauf, dass Gott uns kennt und um uns weiß, um das Schöne und das Schwere. Die Gemeinschaft in seinem Geist, die Begegnung mit ihm und mit einander in Wort und Sakrament bieten uns Kraftquellen für das Leben in dieser Welt. Gott ruft uns bei unserem Namen und lädt uns dazu ein. Bevor wir so miteinander Gottesdienst feiern, möchte ich mich Ihnen noch kurz vorstellen: (...)
Lasst uns still werden und beten.
Am Morgen bist du, Gott, und am Abend, im Anfang und am Ende der Welt. In deine Tiefe lege ich mein Leben. Ich atme aus: Lebensatem ist mir von dir geschenkt. Hab Dank dafür. Amen.
Lied: Nun steht in Laub und Blüte 641, 1-3
Psalmgebet im Wechsel: Psalm 42 / EG 723
Ansprache
„Ich heiße Renee. Ich bin vierundfünfzig Jahre alt. Seit siebenundzwanzig Jahren bin ich Concierge in der Rue de Grenelle, einem schönen herrschaftlichen Stadthaus mit Innenhof und Innengarten, aufgeteilt in acht exquisite Luxuswohnungen, alle bewohnt, alle gigantisch. Ich bin Witwe, klein, häßlich, mollig… ich habe nicht studiert, ich war immer arm, unauffällig und unbedeutend.“
Wer bin ich? Liebe Gemeinde, diese Frage hat Ihnen gerade eine Figur aus einem Roman beantwortet. Renee, Pförtnerin in einem reichen Pariser Wohnhaus, und eine der tragenden Rollen in dem Roman „Die Eleganz des Igels“ von Muriel Barbery. Wenig warmherzig spricht die Concierge von sich und versteckt sich nach außen hinter einer einfältigen und wortkargen Fassade. Wie belesen und gebildet, wie phantasievoll sie ist, bekommt niemand zu spüren – bis sie die 12jährige Paloma in ihrem Haus kennlernt, die auf ihre Weise auf der Suche nach sich selbst ist. Eine ungewöhnliche Freundschaft entsteht, in der beide einander wahrhaft begegnen.
Es ist ein Buch über Begegnungen und Beziehungen, und wie sich darin Menschen neu entdecken, entwickeln und auch zeigen können. Ein spannendes Unternehmen, und wer für die Urlausbzeit noch nach Lektüre sucht, dem kann ich „Die Eleganz des Igels“ empfehlen. Wer bin ich? Die Antwort ist nicht einfach. Und vielleicht lässt sie sich auch so ganz allein gar nicht geben, sondern nur in Beziehung zu einem Gegenüber. Im Kontakt mit anderen Menschen, in den vielfältigen Beziehungen, in denen wir Tag für Tag stehen, im Gebet. Da habe ich eine Adresse für das, was mich bewegt, ein Gegenüber, das mein Leben noch einmal in ein anderes Licht stellt. Dass Gott uns als einzelne Menschen wahrnimmt, liebevoll und barmherzig, das gehört für mich zu den ganz großen Zusagen des christlichen Glaubens, unserer jüdisch-christlichen Tradition. „Gott spricht: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, diese Worte aus dem Buch Jesaja können einen Menschen vom Anfang bis zum Ende seines Lebens begleiten. In einer Welt, in der sich nach meinem Eindruck viele ungesehen und nicht gebraucht fühlen, empfinde ich diesen Zuspruch als immer wichtiger. Du bist gemeint. Das Leben ist kein Film, der nur an dir vorbei rauscht, nein, du bist mitten drin und trägst deinen Teil bei zu der großen Geschichte Gottes mit seiner Welt. Was hast du zu erzählen?
Das Evangelische Monatsmagazin Chrismon ist dieser Frage auf die Spur gekommen. „Wer bist du?“, wurden die Leserinnen und Leser gefragt. Mehr als 1000 von ihnen haben geantwortet. Im aktuellen Chrismon-Heft ist eine Auswahl abgedruckt.
„Ich bin Schauspieler“, „Ich bin Endstationen-Liebhaberin“, „Ich bin die Mutter eines schwerstbehinderten Kindes“, „Ich bin wie die See“, „Ich bin ein Chaot“ – so unterschiedlich kann es klingen, wenn Menschen nach dem gefragt werden, was uns so nah und so fern zugleich ist: nach uns selbst. Da bekennen sich Menschen zu ihren Sternstunden und Niederlagen, zu ihren Träumen.
„Ich bin Deutsche, seit 2008“, schreibt eine. „Ich bin Iranerin seit meiner Geburt. 1979 geboren, bin ich ein Kind der Revolution, wie man im Iran sagt. Ich bin ein Kriegskind (…). Wenn ältere Menschen in Deutschland von Krieg und Nachkriegszeit erzählen, kommt mir vieles bekannt vor. (…) Ich bin unmusikalisch, aber ich liebe Musik. Ich liebe das Leben. Ich bin frei.“
„Ich bin eine Nummer“, schreibt Eric. „Ich bin Nummer 378/2010. Ich bin Gefangener der JVA Landesberg am Lech. Aber ich bin auch ein Mensch! Ich bin Vater und Ehemann. Ich bin ein Mensch, der einen Fehler gemacht hat. (…) Ich suche die Schuld nicht bei jemand anderem. Ich habe mich geändert. Ich bin 23 Jahre, ein Mensch und keine Nummer!“
„Ich habe mein Gedächtnis verloren. Ein Fahrradunfall. Einfach weg. (…) Und die große Frage: Bleibe ich oder sterbe ich? Und dann wieder aufwachen. Und ein komplett anderer. Und die Frage: Was bleibt? Wer bin ich? Kann ich wieder laufen? Kann ich wieder ich selbst sein? Kann ich wieder lieben und leben? (…) Ich weiß immer noch nicht, warum sich unser Leben in einem kleinen Moment so komplett verändern kann. Ich vermute, dass wir es erst wissen, wenn wir unser eigenes Stück am Ende als festes Drehbuch bekommen. Bis dahin müssen wir wohl noch ein bisschen selbst sein.“ - Dr. Frank Morath, Köln, steht darunter.
Das Drehbuch unseres Stückes: Wer hätte das nicht manchmal gern in den rätselhaften Schwüngen des Lebens, in dem, was für uns offen bleibt, auch schmerzhaft. „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild“, schreibt der Apostel Paulus. „Dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ Dass es einen gibt, der mich besser kennt als ich selbst, ein DU, das mich beim Namen ruft und mich hineinnimmt in eine Geschichte, die ich nicht angestrengt selbst schreiben muss – das finde ich eine ungeheuer tröstliche Vorstellung. Und zugleich auch ermutigend, das Leben in die Hand zu nehmen, so wie es in meinen Möglichkeiten steht. Meinen Vers beizutragen, in der Begegnung mit Gott und anderen Menschen nach Worten und Bildern zu suchen, die diese große Geschichte, zu der wir gehören, widerspiegeln und fortsetzen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, korrekturbedürftig, im Überarbeitungsmodus. Die Bibel erzählt so auf wunderbare Weise von unseren Vätern und Müttern im Glauben. Lebensbilder werden sichtbar im Alten und Neue Testament, eigentümlich unvollendet und rund zugleich. Widersprüchlich auch, und doch verbunden in einem Zusammenhang. Es ist das Zutrauen, dass alle diese Geschichten sich vor den Augen Gottes abspielen, eines Gottes, der sich zu seinen Menschen bekennt, sich in Beziehung setzt und ihnen die Treue hält. Uns die Treue hält. Allen Widrigkeiten zum Trotz bekennt sich Gott zu unseren Lebensgeschichten und erzählt seine Geschichte mit uns weiter. Wer bist du? Dieser Frage ist auch Gott nicht ausgewichen. „Ich bin, der ich bin. Ich bin, der für euch da ist“, antwortet er dem Mose. Und erzählt sich hinein in ein Menschenleben in der Gestalt des Jesus von Nazareth. „Ich bin das Licht der Welt“, „Ich bin das Brot des Lebens“. Das macht hell und satt, Sehnsucht nach mehr erwünscht.
Rainer Maria Rilke schreibt: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn. Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied: Lebensweisen 48 Ich sing dir mein Lied, 1-5
„Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“
So schrieb Dietrich Bonhoeffer 1944 im Gefängis. Wenn wir nun Fürbitte halten, dann lasst uns besonders an alle diejenigen denken, die unter äußerer und innerer Bedrängnis leiden.
Lebendiger Gott,
du gibst unserem Leben Würde und Wert. Du birgst uns in deiner Liebe und vollendest, was wir selbst nicht zurecht bringen. Angewiesen sind wir auf die Begegnung mit dir und mit einander.
Wir bitten für alle, die sich nach Gemeinschaft sehnen. Wir bitten um Menschen, die ihnen wahrhaftig und verlässlich begegnen. ***
Wir bitten für alle, deren Leben bedroht ist durch äußere Gewalt oder innere Not. Wir bitten um Freiheit für die Bedrängten und Brot für die Hungernden. ***
Wir bitten für alle, die nach Ziel und Sinn suchen. Wir bitten um Arbeit für die ohne Aufgabe und um Schutz für die Flüchtenden. ***
Hab Dank dafür, dass du uns hinein nimmst in deine Geschichte und uns zu Teilhabern machst an deiner Welt. Öffne unsere Herzen und Sinne, damit wir empfangen können, was du uns gibst und tun, was in unseren Kräften steht.
[Wir beten gemeinsam: Vater unser…]
[Dir vertrauen wir uns an, jetzt und allezeit. Amen.]
Lied: 229 Kommt mit Gaben und Lobgesang
Abendmahlsgebet
Vaterunser
Einsetzungsworte
Christe, du Lamm Gottes
Einladung zum Abendmahl
Austeilung
Dankgebet
Gott,
  wir waren Gäste an deinem Tisch
  und hatten Teil am Brot des Lebens
  und am Kelch des Heils.
  Dafür danken wir dir und bitten dich:
  Lass uns davon zehren,
  wenn wir in diesen Abend gehen und in die kommende Woche.
  Stärke unsere Zuversicht,
  mach uns getrost und unverzagt. Amen.
Liedvers: 171,1
Segen
Perikope
Datum 23.07.2013