ZDF-Predigt über Johannes 4, 6-30 von Pfarrerin Andrea Busse
4, 6-30

ZDF-Predigt über Johannes 4, 6-30 von Pfarrerin Andrea Busse

Liebe Gemeinde,

am Anfang war der Durst. Der Durst nach Freiheit, Recht, sozialer Gerechtigkeit. Diese Sehnsucht hat Tausende in Kairo auf den Tahrir-Platz getrieben – am 25. Januar 2011. Der Beginn der ägyptischen Revolution. Fast zur gleichen Zeit saß eine Gruppe ägyptischer Frauen an der Vorbereitung für den Weltgebetstag, der 2014 Ägypten in den Mittelpunkt stellt.

Und ich habe auch den Ort vor Augen, an dem sie sich getroffen haben, um über "Wasserströme in der Wüste"  - das Motto des Weltgebetstages nachzudenken.  Anafora – ein koptisches Zentrum – entstanden in der Wüste. Durch Bewässerung nach und nach fruchtbar gemacht. Ich liebe diesen Ort: Nachts sieht man den sternenklaren Himmel. Es ist still dort, so still wie es eben nur in der Wüste sein kann. Es war für mich ein Zufluchtsort, wenn ich mal aus dem lauten, quirligen, lebendigen Kairo raus und zur Ruhe kommen wollte.

Während die Frauen also in Anafora darüber nachdachten, welche Texte und Themen den Weltgebetstag aus Ägypten bestimmen sollten, standen Menschen, auch viele Frauen, auf dem Tahrir in Kairo und schrien ihre Sehnsucht lautstark heraus. Sprachen von ihrem Durst nach Leben. Leben, das mehr ist als Über-Leben.

Am Anfang war der Durst. Auch schon in biblischen Zeiten. "Gib mir zu trinken!" sagt Jesus zu der Frau am Brunnen. (Er sitzt da mit leeren Händen.) Das Wasser  - viel zu tief unten. Ihm fehlt ein Krug zum Schöpfen. Die Frau hat einen. Er spricht sie also an – obwohl man das nicht macht: nicht ein Mann eine Frau, schon gar nicht ein Jude eine Samariterin. Denn Juden und Samaritaner  – diese beiden benachbarten Volksgruppen – waren sich spinnefeind. Aber: Wer wirklich Durst hat, fragt nicht nach Freund und Feind. Jesus bittet die Frau um Wasser und dann bietet er ihr Wasser:

Sie missversteht ihn. Lebendiges Wasser – das scheint ihr als eine Art Wunderwasser, das von alleine immer weiter sprudelt und das ihr die Arbeit, den täglichen Gang zum Brunnen, erspart. So nicht, sagt Jesus. So kommt man nicht ans lebendige Wasser. Der Brunnen ist tief, da muss man sich weit beugen. Wer sich über den Brunnen beugt, der sieht nicht nur das Wasser, der sieht auch sich selbst. Im Hebräischen – und auch im Ägyptischen –  ist das Wort für Brunnen und Auge das gleiche.

Das Wasser eines Brunnens ist wie ein Spiegel, ein Auge der Erde. Dieses Auge sieht dich und du siehst dich in diesem Auge. Um an das lebendige Wasser zu kommen, muss die Samariterin sich selbst ins Auge blicken. Daher dieser seltsame Themenwechsel mitten im Gespräch. Eben noch reden sie über Wasser und plötzlich dreht sich alles um die Männergeschichten der Frau. Es ist ihre Lebensgeschichte und zeigt -: ihre Sehnsucht nach Anerkennung und Liebe, nach gelungener Beziehung.  Jesus sagt, wie es ist: du hast fünf Männer gehabt und der sechste ist gar nicht dein Mann – und zeigt ihr damit: "Ich sehe dich, ich sehe dich an. Du hast An-sehen, du hast in meinen Augen Würde." Deswegen kann die Frau ihre Sehnsucht erkennen und anerkennen.

Unser Durst, unsere Sehnsucht verrät uns, wer wir sind. Das sehen wir besonders gut, in der Begegnung mit anderen, mit Fremden. Ich habe mich selbst in Ägypten, als Ausländerin, als Fremde, noch einmal völlig anders kennen gelernt. Wenn ich z.B. zwischen zwei Terminen in einem Café saß und eine halbe Stunde auf einen ganz normalen Kaffee warten musste, obwohl fünf Kellner für drei Gäste zuständig waren, dann riss mir der Geduldsfaden – und ich traf auf völliges Unverständnis bei den Kellnern. Dann sah ich mich durch ihre Augen: eine reiche Frau, die sich diesen Cafébesuch leisten und doch diese halbe Stunde in Ruhe nicht genießen kann. Wieso nicht?

Ich habe die Gelassenheit der Menschen dort genossen – und selbst schnell die Grenzen meiner Gelassenheit gespürt. Mich in den Augen der anderen zu spiegeln – das kann mich verändern. Auch die Frau am Brunnen ändert sich. Sie wird mutig. Sie ahnt: Dieser Fremde ist meine Chance. Er zeigt mir, wie ich bin. Vielleicht kann er mir auch zeigen, wie Gott ist. Und so stellt sie die Fragen aller Fragen:  Wie glaube ich richtig? So wie die Samaritaner oder wie die Juden?

Entweder – oder, richtig oder falsch, wir oder ihr – dazwischen gibt es nichts. Einer muss ins Unrecht gesetzt werden. Aber Jesus lässt sich auf das Entweder - Oder nicht ein. Gott lässt sich nicht festlegen auf ein Hier oder Da, euer Gott oder unser Gott. Gott der Christen oder Gott der Muslime. Gott ist frei, frei auch über Grenzen zu gehen, so wie Jesus, als er nach Samarien ins Feindesland reist. Gott taucht dort auf, wo man ihn nicht erwartet. Hier und jetzt an diesem Brunnen begegnet die samaritanische Frau Gott. Gott ist Geist, und der Geist weht, wo er will.

Das erlebt die Frau. Jesus doziert nicht über das lebendige Wasser, er lässt sie trinken. Sie trinkt seine Zuwendung und Anerkennung. Ihr Durst ist gestillt. Und wir – wo bleiben wir heute mit unserer Sehnsucht? Was ist mit der Sehnsucht der Ägypterinnen, was mit unserer? Ich habe in Ägypten – gerade in den Tagen und Wochen nach der Revolution – manches aufblühen sehen. Vorher gab es viele Tabus, Themen, über die einfach nicht geredet wurde – und ich hätte nie gewagt, meine ägyptischen Freunde darauf anzusprechen. Politik, z.B. war so ein Thema. Und plötzlich, 2011, habe ich lebhafte Diskussionen genau darüber miterlebt. Da standen Mütter und Väter mit mir auf dem Schulhof und während wir auf unsere Kinder warteten, wurden hitzige politische Debatten geführt. Direkt vor der Präsidentschaftswahl z.B. "Wen sollen wir wählen Mursi oder Schafik? Eigentlich keinen von beiden. Wir wollen nicht die Muslimbrüder und auch nicht das alte Regime", sagten die einen. "Aber wir haben wenigstens eine Wahl" – sagten die anderen, "das ist mehr als wir jemals zu träumen gewagt haben."

Natürlich sind schon wieder viele Träume ausgeträumt. Christen und Christinnen haben es schwer in Ägypten. Aber manches wächst auch langsam. Wenn mein Mann und ich zu unserer Partnerkirche, der koptischevangelischen Kirche eingeladen waren, dann sollte oft ich vorne sprechen – und zwar unbedingt in Amtskleidung, damit ich als Geistliche erkennbar war. Eine Pfarrerin eben. Pfarrerinnen gibt es in der evangelischen Kirche in Ägypten nicht – noch nicht. Aber  Frauen in der koptisch-evangelischen Kirche werden stärker,  - vielleicht sogar bald Geistliche. - Das finde ich ein erstaunliches Zeichen.

Am Anfang war der Durst. Die Frau am Brunnen hat gezeigt, wie es geht: Aus dem vollen Schöpfen. Sie macht uns Mut, dem Fremden zu begegnen. Nur so können wir Dinge auch mal anders sehen. Mit anderen Augen. Vielleicht auch uns selbst anders sehen. Das können wir nicht, wenn wir allein bleiben. Auch nicht, wenn wir nur unter Gleichgesinnten bleiben. Der Weltgebetstag lädt ein, einer fremden Kultur zu begegnen. Auch einer fremden christlichen Kultur. Wenn ich in Kairo mit deutschen Konfirmandinnen und Konfirmanden einen orthodoxen Gottesdienst besucht habe – dann war ihnen das völlig fremd. Der viele Weihrauch, -Melodien, die –ganz  anders klingen. Für manche war das –ungewohnter  als der Besuch einer Moschee. Und doch ist es unser gemeinsamer Glaube an Jesus Christus, der da besungen wird.

So können wir lernen, die Welt, den Glauben – auch uns selbst anders zu sehen. Was ich brauche, um meine Sehnsucht zu stillen, das kann ich mir selbst nicht geben – dazu brauche ich ein Gegenüber. Der Brunnen ist schon immer ein Ort der Begegnung gewesen. Nur in der Begegnung kann unsere Sehnsucht gestillt werden – in der Begegnung mit anderen, mit mir selbst und mit Gott.

Was trocken ist, blüht auf. Das sind immer nur Momente – nie ein Zustand. Wer keinen Hunger hat, ist satt, wer keinen Durst hat ist – ja was? Die deutsche Sprache hat kein Wort dafür. Das passt. Unsere Sehnsucht wird nie auf Dauer gestillt sein, und das ist auch gut so. Die Sehnsucht wach halten, heißt auch die Sehnsucht nach dem anderen wach halten. Und nach Gott. Uns immer wieder aufmachen, an den Brunnen setzen und sehen, wer dort auf uns wartet.

Amen.