"Zuviel gute Vorsätze schaden nur ... " - Predigt über Sprüche 16,9 von Claudia Bruweleit
16,9

"Zuviel gute Vorsätze schaden nur ... " - Predigt über Sprüche 16,9 von Claudia Bruweleit

9 Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der HERR allein lenkt seinen Schritt.
Liebe Gemeinde!
Willkommen im Neuen Leben! Im Neuen Jahr wird alles anders – bis gestern hatten wir Zeit, uns dieses Versprechen zu geben und sicher haben Sie es auch in vielerlei Weise getan: im Neuen Jahr werden Sie weniger arbeiten, mehr mit den Kindern spielen, sich nicht über jede Kleinigkeit aufregen und überhaupt ein besserer Mensch sein, nicht wahr? Ich jedenfalls habe es mir fest vorgenommen.
Nun also, fangen wir an!
Vielen Menschen geht es so wie uns und manche fangen ganz praktisch damit an, indem sie sich zum Jahresbeginn neue Möbel kaufen. Von einer solchen Person erzählt der Wahlberliner Wladimir Kaminer. Er erzählt in seinem Buch „Helden des Alltags“ von seiner Nachbarin Gudrun, die auch ein neues Leben anfangen wollte und sich schon im Dezember eine neue Couchgarnitur zugelegt habe. Sie stellte alle Möbel im Wohnzimmer konsequent um. Daraufhin wurde ihr Kater Schröder plötzlich wahnsinnig und erklärte seiner Besitzerin den Krieg. Er rannte durch die Wohnung und machte überallhin, unter anderem auf die neue Couchgarnitur. Anschließend verrichte Schröder seine Notdurft auch noch in die Hausschuhe von Gudrun und brach damit das letzte Tabu des zivilen Lebens. „Haben Sie etwa die Möbel in Ihrer Wohnung umgestellt??“ mutmaßte der Tierarzt sofort. „Wenn Sie wollen, dass Ihre Katze wieder gesund wird, stellen Sie alles wieder so hin, wie es war.“
„Das ist aber nicht mehr möglich, ich will doch ein neues Leben anfangen“, meinte Gudrun.
„Dann besorgen Sie sich auch eine neue Katze“, riet ihr der Arzt.“[1]
Also, Gudrun hatte ihr neues Leben ohne einen wichtigen Faktor geplant: ohne die Seelenverfassung ihres Haustiers. Da sind ihre guten Vorsätze schon gescheitert, bevor es noch richtig losging mit dem neuen Jahr und dem Neuen Leben. Ein Wink mit dem Zaunpfahl? Ein Hinweis darauf, dass ihr die Gemeinschaft mit ihrem Tier irgendwie auch wichtig ist für ihr Leben?  Sie hatte eine entscheidende Komponente ihres kleinen Lebens nicht mit einbezogen in ihre neue „Im-nächsten-Jahr-wird-alles besser- Strategie“. Und diese Komponente hatte nicht funktioniert. Ihr Kater protestierte gründlich und zwang sie zum Umdenken. Wie sich der Kater fühlte, können Sie mit einem kleinen Experiment aus der Kategorie „Gehirnjogging“ ausprobieren: Um die Gehirnzellen zu trainieren und zu  neuen Verknüpfungen anzuregen, empfehlen die Trainer, man solle neue Anreize schaffen, zum Beispiel, indem man den Papierkorb bewusst auf die andere Seite des Schreibtisches stellt. Für den ganz normalen Schreibtischtäter ist das Wegwerfen von Papiermüll dann eine neue Herausforderung, weil er jedes Mal denken muss: halt, auf die andere Seite!
Ich habe dieses Experiment nach einem halben Tag aufgegeben, nachdem ich zahlreiche zerknüllte Papierseiten vom Boden aufheben und auf die andere Seite tragen musste. Immer wieder war ich schon im Vorwege an meinem neuen Vorsatz gescheitert. Stress pur war das! Das soll gesund sein?  Nein danke, ich beendete das Experiment. Es schien mir eher für Menschen geeignet, die weniger Abwechslung im Leben haben als ich.
Überhaupt denken wir Menschen ja gern, dass es mit neuen Einrichtungsgegenständen und neuer Kleidung irgendwie besser gehen würde, ein neuer Mensch zu werden, doch schon die Menschen der Bibel wussten, dass es nicht so einfach ist:
9 Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der HERR allein lenkt seinen Schritt, weiß das Buch der Sprüche und stellt die Weichen für ein Umdenken: Oft kommt irgendetwas dazwischen, wenn wir unser Pläne machen. Das ist seit Urzeiten so. Wer weise und lebensklug werden will, der rechnet mit Gott. Davon  sind die weisen Verfasser der Sprüche in der Bibel überzeugt: Gott hat einen Plan für einen jeden und eine jede von uns. In seiner unendlichen Weisheit lenkt er unsichtbar unser Tun. Und der Mensch tut gut daran, demütig nach Gottes Willen zu fragen und seinen Schritt immer wieder an Gottes Willen auszurichten.
Ein weiser Mensch unserer Tage sagte das so: „Die Unsichtbarkeit Gottes darf uns nicht davon abhalten, jeden Augenblick mit seiner Gegenwart zu rechnen.“[2]
9 Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der HERR allein lenkt seinen Schritt. Unser Herz ist so schnell dabei, große Pläne zu machen und tief bestürzt, wenn sie zu zerbrechen drohen.
Am Beginn dieses Neuen Jahres können wir üben, nicht nur auf unser Herz zu hören und auf unsere Vorstellungen, sondern auch mit Gott zu rechnen. Denn, dass alles anders kommt, ist leichter zu ertragen, wenn wir einräumen,  dass Gott selbst es sein könnte, der unsere Schritte lenkt. Er hat sich
etwas dabei gedacht. Auch, wenn es sich für uns so anfühlt, als ob unsere Lebensträume zerbrechen oder unser Kater uns den Krieg erklärt hat. Vielleicht geht uns dabei dann auf, dass wir über das Ziel hinaus geschossen sind. Und vielleicht entdecken wir dann, wo Gott uns neue Spielräume für unser Leben auftut. Mit offenem Herzen vorangehen, das können wir üben. Und mit dem Vertrauen, dass Gott uns begleitet und korrigiert. Und wir können lernen, aufmerksam zu werden für den unsichtbaren  Lenker unseres Geschicks.  Es könnte sein, dass diese Begegnung den Blick auf unseren Weg verändern wird.
So ist es vielen Reisenden im ICE zwischen München und Leipzig vor einiger Zeit geschehen:
Da betrat ein Frau Anfang Dreißig mit zwei etwa zehn und zwölf  Jahre alten Kindern den Speisewagen mit einem großen Korb voller Rosen. Mit freundlicher Stimme fragte sie, ob ihr die Anwesenden einen Moment Aufmerksamkeit schenken würden. Sie sei, sagte die Frau in die Runde, die Tochter des Lokführers. Und ihr Vater habe just in dieser Stunde im Führerstand der Lok seine allerletzte Fahrt, und diese ende in Leipzig. Er habe Zeit seines mehr als 40-jährigen Berufslebens bedauert, dass er nie die Fahrgäste sehen könne, die er tagaus, tagein befördere. Und so habe sie sich gedacht, dass heute eine gute Gelegenheit sei. Und ob sie denn allen Fahrgästen eine Rose aushändigen dürfe, die diese wiederum bei der Ankunft in Leipzig ihrem Vater überreichen würden?
Es war einen Moment still im Speisewagen, erst sah man erstaunte Gesichter, dann viele nickende Köpfe. Es hat jeder eine Rose genommen. Bundeswehr-Soldaten, Manager, Geistliche, Monteure, Laptop-Klapperer, Studenten, Omas und Enkel. Als der Zug in Leipzig einfuhr, war alles anders als sonst, wenn ein Zug ankommt. Besonders auffällig: Die Abwesenheit von Hektik. Der sonst so eilig fließende Strom der Reisenden schob sich gemächlich dahin, er tröpfelte nur. Zahllose Menschen bewegten sich auf die Lok zu, vor der sich in kürzester Zeit eine lange Schlange bildete. Und jeder sagte dem nach kurzer Zeit tränenüberströmten Lokführer einen kleinen Spruch ins Gesicht. Schon bald war der Führerstand übersät mit Rosen. Das dreiköpfige Empfangskommando der Bahn, das am Bahnsteig gewartet hatte, um dem Lokführer-Jubilar einen   kleinen Strauß zu überreichen, starrte fassungslos auf den Auflauf und heulte wenig später selber mit. Und mehrere Reisende aus Indien und Japan zückten nach wenigen Sekunden des Überlegens die Kameras und hielten drauf, was das Zeug hielt.
Kann sein, sie erzählen jetzt zuhause, dass es in Deutschland so wenig Bahnunfälle gibt, weil die Reisenden den Lokführer nach jeder Tour mit Blumen überschütten.[3]
Vielleicht ist einigen der Reisenden erst in dieser Begegnung mit dem Lokführer bewusst geworden, dass ja nicht sie es sind, die Zug fahren, sondern dass sie Mitfahrende sind, Geführte, auch auf der selbstgewählten Strecke zwischen München und Leipzig, deren Schienentrasse intakt und deren Verkehrszeiten weitgehend berechenbar sind. Es war sicher auch für sie bewegend, diesem Menschen zu begegnen, der sie sicher durch alle Bahnhöfe und Zwischenhalte geleitet und an dem übrigen Zugverkehr ohne Kollisionen vorbeigeführt hat.
Uns kann diese Begebenheit inspirieren, nicht gleich mit unseren Vorsätzen voranzupreschen in das Neue Jahr, sondern es sutje, ganz gelassen anzugehen. Mit dieser Ruhe haben wir schon einen guten Schritt ins Neue Jahr gemacht, der auch im Sinne unserer Bibel ein richtiger Schritt ist.  Denn zur Gelassenheit will dieses Buch der Sprüche anleiten, zu einer Gelassenheit, die daraus resultiert, dass wir erkennen, wo unser Platz ist in dieser Welt. Nicht ganz allein auf einer Insel, sondern eingebunden in die Schöpfung und Teil in Gottes Plan mit dieser Welt, eingespannt in eine größere Gemeinschaft – zu der im Falle der Nachbarin Gudrun auch der Lieblingskater Schröder gehört, im Falle der Bahnreisenden auch der ICE Lokomotivführer, in unserem Falle unsere Lieben zu Hause, die Partnerinnen oder Partner, die Kinder, die Freunde, die Gemeinde.
Und eben Gott. Wo wir mit ihm rechnen, werden unsere Schritte im Neuen Jahr gesegnet sein! Auf dieses neue Leben zuzusteuern, lohnt sich für uns und andere.

  
  
    [1] Wladimir Kaminer, Helmut Höge, Helden des Alltags. Goldmann 2002, S. 57f, leicht abgeändert
  
  
    [2] Albrecht Goes, zitiert nach: www.smsimadvent.de, 21.12.12
  
  
    [3] Birgit Kummer, Thüringer Allgemeine vom 25.10.2008, zitiert nach: Andere Zeiten e.V., Der Andere Advent 2009/2010, 05.01.
Perikope
Datum 01.01.2013
Bibelbuch: Sprichwörter
Kapitel / Verse: 16,9
Wochenlied: 64
Wochenspruch: Kol 3,17