06.12.2015, Frankfurt: "In Erwartung"

06.12.2015, Frankfurt: "In Erwartung"

Liebe Gemeinde,

"Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht." Eine große Hoffnung hat der Evangelist Lukas da ausgemalt. Die größte Hoffnung überhaupt. Gott wird dafür sorgen, dass sein Reich anbricht dass Not und Tod aufhören dass alles Kriegsgeschrei und alle Terrorwarnungen verhallt sind das nichts mehr zu fürchten ist.

Die Bilder, mit denen er diese Hoffnung ausmalt, waren in seiner Welt ganz vertraut. Gott ist wie ein König, der einen Gesandten mit allen Vollmachten kommen lässt. Dieser heißt der Menschensohn und er kommt "in einer Wolke großer Kraft und Herrlichkeit". Mit anderen Worten: er ist wie Gott, dem allein "das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit" zukommen.

Wenn Gott sich mit Glanz und Gloria und mit aller nur denkbaren Macht zeigt, dann werden Mensch und Kreatur erlöst. "Seht auf, erhebt eure Häupter" und freut euch auf das, was kommt: das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit Gottes.

Der aufrechte Gang und das erhobene Haupt des Menschen sind also Ausdruck seiner Hoffnung, dass Gott die Welt heil machen kann und will. Dabei gäbe es genug Grund zur Furcht. Lukas hat auch dafür kräftige Bilder. Die kosmischen Kräfte, das Brausen und Wogen des Meeres und die Ereignisse der Geschichte waren immer wieder Grund genug, vor Furcht zu vergehen. Ein altes Menschheitswissen ist hier aufbewahrt. Wir haben weder den Kosmos, noch die Natur und noch nicht einmal die Geschichte unter Kontrolle. Und wir Menschen müssen mit dieser Kränkung leben, nicht die Herren der Welt zu sein. Und ein Terroranschlag wie der von Paris führt uns das schmerzhaft vor Augen.

Hier scheint es fast, als hätte Lukas in unsere Zeit hineingeblickt. Auch heute gibt es Zeichen, die uns bange machen. Die Zeichen für den Klimawandel etwa sind zahlreich und wir ahnen, dass er nicht kontrollierbar ist und - bei allen Anstrengungen, die jetzt noch möglich sind - das Leben auf dem Planeten Erde nachhaltig verändern wird. Das kann unser Herz bang machen und uns verzagt.

Auch im Blick auf die Geschichte gibt es Zeichen, dass wir nicht die Kontrolle haben. Die vielen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, zeigen das besonders deutlich. Wer die Augen offen hatte, konnte die Zeichen schon lange erkennen. Kriege, zerfallende Staaten und ökologische Krisen treiben Millionen Menschen zur Flucht. Lange gab es hierzulande die Erwartung, wir könnten uns vor dieser Herausforderung abschotten. Und manche denken das immer noch. Doch auch das wäre ein Leben wie es Lukas beschrieben hat: "auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde".

Lukas, der Evangelist, geht angesichts dieser Umwälzungen davon aus, dass die Menschen ängstlich und verzagt sind. Dazu besteht ja Grund. Wir, unsere Gesellschaft, unser Land, unsere Lebensgewohnheiten, sie werden sich ändern. Und wir wissen nicht, welche Zukunft vor uns liegt.

Die Älteren hier haben das schon erleben müssen. Unser Land wurde nach den Verbrechen des Dritten Reiches grundlegend umgewälzt. Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen mussten aufgenommen werden, die Demokratie wurde eingeübt, eine soziale Marktwirtschaft aufgebaut, die Gleichheit der Geschlechter wurde zur gesellschaftlichen Norm. 1945 hätte sich kein Mensch das Land erträumt, in dem wir heute leben. Jede der genannten Errungenschaften war mit großen Ängsten und gesellschaftlichen Kämpfen verbunden. Und es brauchte mutige Menschen, die sich für dieses freie und solidarische Deutschland einsetzten, das seitdem aus den zwei deutschen Staaten entstanden ist.

Es gehört zu den großen Missverständnissen im Umgang mit der Bibel, dass manche meinen, dort würde die Zukunft vorhergesehen. Auch der Evangelist Lukas hat keinen Geschichtsplan Gottes vorhergesagt. Die Zeichen, von denen er geredet hat, hat er als aufmerksamer Zeitgenosse wahrgenommen. Es sind keine Zeichen dafür, dass Gott den Weltuntergang plant, bevor er dann die Frommen aus den Trümmern des Universums und der menschlichen Geschichte rettet. Es sind vielmehr Zeichen, die das Ende derjenigen ansagen, die das Leben terrorisieren.

Lukas ist ein Mensch wie wir, der ganz in seiner Zeit lebt und die Sorgen vor all’ den Umbrüchen zur Sprache bringt. Was er aber darüber hinaus noch sagt, das ist eine frohe Botschaft auch für uns. Inmitten all dieser Umwälzungen, sieht Lukas Gott in unsere Welt kommen mit dem Reich und der Kraft und der Herrlichkeit. Das sind die Worte Jesu, mit denen dieser uns auch gelehrt hat im Vaterunser zu beten. Diese Worte bilden den Horizont aller unserer Hoffnung: "Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit – in Ewigkeit. Amen."

Ich glaube wir sollten Lukas auch mit seinem Bild von der Wolke ernst nehmen. Gott bleibt verborgen. Das Kommen Gottes in den Kosmos und die Geschichte ist gewissermaßen umwölkt. Gott zeigt sich nicht einfach so und kommt uns auch nicht zu nahe. Denn in beiden Fällen, so können wir aus der Bibel wissen, müssten wir sterben. Deshalb kommt hier auch der Menschensohn in einer Wolke, der Gesandte Gottes, der Gott ganz und gar vertritt. Gott kann eben ganz im Himmel und ganz auf Erden sein.

Für den Evangelisten Lukas ist Jesus selbst dieser Menschensohn, in dem uns Gott entgegenkommt. Und an diesem Jesus erkennt er die Zeichen für das Entgegenkommen Gottes in der Welt. Inmitten der Umwälzungen seiner Zeit verkündet Jesus, welche Welt sich Gott erträumt. Und er setzt Zeichen für diese neue Welt Gottes, indem er Kranke heilt, indem er Menschen von ihren Besessenheiten befreit und indem er sich mit den Ausgegrenzten an einen Tisch setzt.

Sage also keiner, dass es heute ein solches Entgegenkommen Gottes nicht gibt. Hier im Gottesdienst etwa hält Gott unsere Hoffnung wach. Und in diesem Stadtteil Frankfurts – wie auch in anderen Städten und Dörfern - gibt es Menschen, die sich um Kranke kümmern. Es gibt andere, die Menschen von körperlichen Abhängigkeiten oder geistiger Besessenheit zu befreien suchen. Und es gibt viele, die Flüchtlingen oder Obdachlosen den Tisch reich decken. Und da sind die ganz Mutigen unter uns, die jene Jugendlichen nicht preisgeben, die auf dem Weg in die Gewalt sind, weil sie hier keine Zukunft für sich sehen.

Das Kommen Gottes in der Geschichte ist auch in diesen Fällen umwölkt. Gott braucht Mittelsleute, die etwas von der Kraft und der Herrlichkeit eines himmlischen Lebens zeigen. Diese Mittelsleute Gottes sitzen hier und sie sind überall in unserem Gemeinwesen zu finden.

Ich gebe zu, dass ich mir manchmal wünsche, dass Gott sich direkt zeigt, mit aller Macht und sich gegen jene Mächte durchsetzt, die zum Elend und Tod seiner Kreatur beitragen. Wie kann Gott diese Gewalt zulassen? - Aber dann kann ich mir wie in allen Erzählungen von Superhelden nur vorstellen, dass Gott sich mit Gewalt durchsetzt. Dieser "Mythos der erlösenden Gewalt" hat sich tief in die Geschichte unseres christlichen Abendlandes eingeprägt. Diese Sehnsucht nach erlösender Gewalt zeigt sich im Terror ebenso, wie im Krieg, der dem Terror erklärt wird.

Lukas, der Evangelist, steht für eine andere Hoffnung. Er erzählt von einem Kind in der Krippe, das zum Flüchtling wird und von einem Erwachsenen, der am Kreuz getötet wird. Der Menschensohn geht hier mitten hinein in die Geschichte und durch alles hindurch, was Menschen erleiden können. Dass Gott für diesen einen dann die Pforten des Todesreiches aufsprengt und sie für ein verwandeltes, himmlisches Leben öffnet, das ist dann die Hoffnung für alle anderen Menschen. Und wie sehr wünsche ich mir, dass diese Hoffnung für die Getöteten in Paris und in Syrien größer ist als unser Bedürfnis nach Rache und Vergeltung. Nur diese Hoffnung auf Gottes größere Kraft und Herrlichkeit nimmt dem Terror des Todes die Macht über unser Leben.

In dieser Hoffnung können wir mit erhobenem Haupt und aufrechtem Gang durch die Erschütterungen unserer Zeit gehen.

Wir müssen nicht furchtsam sein, wir können getrost leben und in die Zukunft schauen, denn Gott kommt uns entgegen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Amen.