November mit Gott - Predigt zu Hiob 14,1-6 von Karoline Läger-Reinbold
14,1-6

November mit Gott - Predigt zu Hiob 14,1-6 von Karoline Läger-Reinbold

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war, und der da kommt.

Liebe Gemeinde,

da ist sie wieder, die Novemberdepression. Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt – ein Text wie ein Seufzen. Auch längst vergangene Trauer wird unvermittelt wieder wach, legt sich leise wie ein Schleier auf die Haut, macht wieder rau, was doch schon geglättet war. Mit schneller Geste fahren wir darüber, wischen weg, polieren, setzen Glanzlichter auf. Ungeduldig möchte ich vertreiben, was tief im Innern schon entschieden ist: das Eingeständnis der Vergänglichkeit und der unsichtbaren Grenzen, unter denen wir leiden. Glücklich die Momente, in denen das alles von uns abfällt, in denen wir unbelastet gehen können. Glücklich die Zeiten, in denen es uns gut geht und wir das Leben genießen können. Selten sind sie von Dauer. Da gibt es Phasen melancholischer Verstimmung, die gehören zum Leben einfach dazu. Und leider gibt es manchmal auch die Zeiten tiefer Depression und echter Krise, in denen wir Hilfe brauchen und Unterstützung.

Die Bibel erzählt die Geschichte von Hiob, einem frommen Mann. Er war rechtschaffen, gottesfürchtig und mied das Böse. Gott hatte ihn gesegnet mit sieben Söhnen und drei Töchtern, mit einem großen Bestand an Vieh und also sehr großem Reichtum. Hiob war ein gemachter Mann, dem es gut ging. Er war dankbar und glaubte an Gott.

Doch dann wird dieser Glaube auf eine harte Probe gestellt. Hiob verliert sein Haus, seine Kinder und seinen Besitz. Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es war. Das Unglück bricht über Hiob herein, und zwar im ganz großen Stil. Menschen, die so etwas erleben, sind traumatisiert. „Der Boden tat sich unter meinen Füßen auf“, sagt der Mann, der gerade vom Arzt seine Diagnose  erfahren hat. Oder: „Ich habe gedacht: jetzt ist alles vorbei.“ So wird auch Hiob sich gefühlt haben, so wird er gedacht haben, als er seine Kleider zerreißt und sich das  Haupthaar rasiert zum Zeichen seiner Trauer. Dann wirft er sich auf den Boden und ergibt sich seinem Los. Geradezu abgeklärt klingt es, wenn Hiob sagt: Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat's gegeben, der HERR hat's genommen; der Name des HERRN sei gelobt! (1,21)

Hiob steht so fest in seinem Glauben, dass er auch in  großer Trauer und Leid noch ein Gotteslob sagen kann. Doch es kommt sogar noch dicker: Hiob wird krank. Sein ganzer Körper wird überzogen mit bösen Geschwüren, vom Kopf bis zu den Füßen ist er übersät mit schmerzhaftem, ekligem Ausschlag. Und selbst Hiobs Frau stellt seine Frömmigkeit nun infrage: Sage Gott ab und stirb, sagt sie ihm. Kein schöner Satz aus dem Mund eines liebenden Partners. Die Nerven liegen also blank. Das ruft die Freunde auf den Plan. Hiob bekommt Besuch von seinen drei besten Freunden, die ihn nicht wieder erkennen, wie er da so liegt. Erschüttert leisten sie ihm Gesellschaft, zerreißen ebenfalls ihre Gewänder, setzen sich zu Hiob auf den nackten Boden und sagen ganze sieben Tage erst einmal nichts. Wortlos bleiben sie da und halten aus mit ihm. Und dann, nachdem eine Woche vergangenen ist, da bricht es aus Hiob heraus, und er verflucht die Last seines Lebens: Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, und die Nacht, da man sprach: Ein Knabe kam zur Welt! (3,3) Worte wie diese und noch viel mehr sprudeln aus der Tiefe seiner Seele hervor, ungefiltert und bitter, und er lässt es geschehen. Die Freunde versuchen zu trösten, doch es zeigt sich schnell, dass sie mit ihrer Weisheit am Ende sind. Hiob lässt sich nicht trösten, er hält fest an seiner Klage, und er streitet mit Gott. Der Hinweis des Elifas, des ersten Freundes, Hiob können vielleicht sein Leid selbst verschuldet haben durch sein Verhalten, wird energisch zurück gewiesen. Nein, Hiob hat sich nichts vorzuwerfen, er ist nicht Schuld an dem, was ihn getroffen hat. Und diese Feststellung ist wichtig, auch für uns Heutige: der Tun-Ergehens-Zusammenhang ist obsolet, er funktioniert nicht. Es mag einzelne, wenige Fälle geben, in denen Menschen selbst verschuldet in ihr Unglück laufen. Eine schwere Erkrankung, ein tragisches Schicksal, in der Regel sind sie weder hausgemacht und schon gar nicht als Strafe von Gott geschickt, sondern einfach geschehen. Und es ist keinem geholfen, wenn wir als Freunde oder Angehörige sagen: ach, hättest du doch nur… – besser aufgepasst oder gesünder gelebt oder intensiver gebetet. Oder noch schlimmer, die subtile Tour,  Psychotherapie für Anfänger: guck doch mal genauer bei dir hin, was das bei dir ist, dass du dieses oder jenes Problem hat. Das wird ganz schnell zynisch und oft auch gefährlich. Solches Denken und Reden hilft keinem. Und Hiob hält zu Recht daran fest: dieses Leid, das mir widerfährt, ist zu groß und zu schwer, ich möchte lieber sterben und ich verstehe auch meinen Gott nicht mehr, der mich dies alles aushalten lässt. Der Mensch ist vergänglich, seine Tage sind gezählt, und am liebsten wäre mir, alles wäre vorbei und ich hätte endlich meine Ruhe.

Liebe Gemeinde, so geht es im Hiob-Buch immer wieder hin und her. Da sind die klugen und wohlmeinenden Reden der Freunde, die sich um Hiob sorgen und  ihm helfen wollen, seine Lage zu verstehen oder doch zumindest zu ertragen. Und da sind die Klagen Hiobs, der seine Leidenserfahrung beschreibt. Ruhe wünscht er sich, keine schwatzhaften Ergüsse, die regen ihn nur auf. Ihr seid Lügentüncher und seid alle unnütze Ärzte, so beschimpft er die Freunde (13,4). Wollte Gott, dass ihr geschwiegen hättet, so wäret ihr weise geblieben, sagt er (13,5). Und dann spricht Hiob sehr eindrücklich von der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens und von der Kürze des Erdenglücks. Und ich muss sagen, diese authentischen, offenen Worte in der Bibel sind mir unendlich lieb. Die Echtheit und Unverstelltheit, mit der Hiob zu Gott spricht und mit ihm sogar streitet, ich empfinde sie als heilsam. Für mich sind sie eine starke Ermutigung zum Gespräch mit Gott, zum Gebet. An Gott kann ich mich wenden auch dann, wenn gar nichts mehr geht, wenn ich in Sack und Asche auf dem nackten Boden sitze, er ist für mich da, und ich muss mich nicht schämen, weder für meinen kläglichen Zustand noch für die unfrisierten Gedanken. Das Hiobbuch endet mit einer langen Rede, in der Gott den Hiob anredet. Eine Antwort will ich diese Rede nicht nennen. Sie ist vielmehr ein eindrucksvolles Zeugnis für Gottes Souveränität und Macht, ein Hinweis auf sein schöpferisches Handeln in Raum und Zeit. Sie ist ein Erweis göttlicher Nähe und Ausdruck seiner Stärke, und Hiob begreift und wird still. Hiob sagt: Ich erkenne, dass du alles vermagst, und nichts, das du dir vorgenommen hast, ist dir zu schwer (42,2). Und Hiob erkennt: nachdem er lange selbst geklagt hat, um Gott besser zu verstehen, muss er auch lernen, auf ihn zu hören. Ich will dich fragen, lehre mich, sagt Hiob zu Gott (42,4). Ein bemerkenswerter Satz. Denn für unsere Klage, für unser Beten heißt das ja: bei allem Raum, den die Klage bekommt, bei allem Fragen und Nachdenken über das eigene Los, das Gebet hat immer diese beiden Aspekte, die eigene Rede und die Öffnung für Gottes Wort. Und so, wie Hiob am Ende dieser Auseinandersetzung mit Gott den Weg aus Leid und Verzweiflung heraus findet, so scheint es mir ein guter Versuch zu sein, auch die Novemberdepression einmal hinein zu nehmen in unsere Gespräche mit Gott. Die kleine melancholische Verstimmung wie auch das tiefe Leid, das uns trifft. Bei ihm können wir es zeigen, wie schwer wir daran tragen, an der Vergänglichkeit des Lebens und an unserer Verletzung. Denn in Gott sind wir aufgehoben und zuhause, und das gilt ganz unabhängig davon, wie sich das Leben gerade wieder zeigt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.