1. Advent: "Er kommt! – Wer kommt? – Ach komm!" - Predigt über Sacharja 9, 9-10 von Irene Mildenberger
9,9

1. Advent: "Er kommt! – Wer kommt? – Ach komm!" - Predigt über Sacharja 9, 9-10 von Irene Mildenberger

Er kommt! – Wer kommt? – Ach komm!
Er kommt! Das ist die Botschaft im Advent.
  Er kommt. Das besingen unsere Lieder!
  Er kommt! – Wer kommt?
  Wer ist der König der Ehren? So fragt schon der Psalm – wir haben ihn gebetet.
  Wer ist der König der Ehren?
  Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr mächtig im Streit. (Ps 24,8)
Mächtig im Streit? Vergangenen Sonntag haben wir es noch anders gesungen:
  „... von Gnaden stark, von Wahrheit mächtig“ (EG 147,2) – so ist er, der Bräutigam, den die Tochter Zion erwartet. Der Freund, der ihr Herz voll Freude springen lässt.
Er kommt – der König.
  Und beim Propheten Sacharja, da sieht er wirklich ganz anders aus als im Psalm 24. Bei Sacharja und bei Matthäus und seinen Evangelistenkollegen, die uns das Kommen des Königs beschreiben.
  Wer ist dieser König? Wie ist er?
Ein Gerechter ist er. –
  Nicht wie der große König David, der dem Armen sein einziges Schaf wegnahm. Im Klartext: der seinem Feldherrn, dem Uria, seine Ehefrau raubte – und das Leben gleich noch mit dazu.
  Ein Gerechter: Wir werden die Weissagungen in den nächsten Wochen wieder hören: Von dem Reis aus der Wurzel Jesse: Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande. (Jesaja 11,3f)
  Ein König, besser als David.
Er ist gerecht, ein Helfer wert, so singen wir (EG 1,2). Ein Gerechter und ein Helfer, so hat Martin Luther übersetzt. Aber eigentlich steht da etwas anderes: Der König ist einer, dem geholfen wird.
  Der sich also nicht in allem selbst helfen kann, eben gerade nicht stark und mächtig, mächtig im Streit. Der König ist einer, der weiß, dass er auf einen anderen angewiesen ist. Einer, der sich helfen lassen kann und muss. Und zugleich einer, der diese Hilfe auch erfährt.
  (Wenn wir seine Geschichte am Palmsonntag wieder hören werden und in den Tagen danach, am Karfreitag und an Ostern, dann werden wir das noch einmal neu verstehen.)
Er ist gerecht, ein Helfer wert. Mehr noch ist zu sagen über diesen König: Arm ist er.
  Nicht wie König Salomo, der Sohn Davids. Der war nicht nur sehr weise, sondern auch sehr reich.
  Dieser König aber, der jetzt kommt, der wird gar nicht als ein König erkannt.
  Darum müssen die Leute in Jerusalem auch nachfragen: Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? (Mt 21,10[1])
  Selbst die Jünger verstehen erst einmal nicht, was Jesus eigentlich mit diesem Esel will. (Joh 12,16)
Gerecht also, hilfsbedürftig, arm – und ein Eselreiter.
  Nicht, dass ein Esel von vorneherein das Reittier eines Armen wäre. Es gibt auch königliche Esel.
  Aber Pferde, die gehören zu Soldaten, die reiten auf ihnen oder lassen sie ihre Streitwagen ziehen. Pferde, Rosse, das sind Kriegstiere – einen Esel nimmt man nicht mit aufs Schlachtfeld.
  Ross und Reiter der Ägypter musste Gott im Schilfmeer untergehen lassen. (Ex 15,1) Und von da an zieht sich der Gegensatz durch die ganze Bibel hindurch: Jene verlassen sich auf Wagen und Rosse, wir aber denken an den Namen des Herrn, unseres Gottes. (Ps 20,8) Und noch einmal: Er hat keine Freude an der Stärke des Rosses und kein Gefallen an den Schenkeln des Mannes. Der Herr hat Gefallen an denen, die ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen. (Ps 147,10-11)
Nein, ein Pferd, das ist kein Reittier für Friede-Fürsten! Für einen, der sich von Gott helfen lässt und für andere zum Helfer wird.
  Ein König, der nicht streitbar ist, nicht als Herr Zebaoth, Herr der Heerscharen, auftritt und einreitet, so ein König braucht einen Esel.
Kein Kriegskönig also, sondern ein Friedenskönig. Auch das haben schon die Propheten vor Sacharja gewusst. Wir lernen es bei Jesaja, und auch das werden wir in den nächsten Wochen noch hören: Friede-Fürst heißt das Kind, das uns geboren ist, Friede ohne Ende gehört zu seinem Reich, keine dröhnenden Stiefel mehr, kein Blut. (Jes 9,4-6)
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.
  Ein Friedenskönig: Genau das, was wir heute brauchen! Möge er doch bald kommen!
Aber wie kommt der Friede durch diesen König und mit diesem König?
  Noch einmal, ein „Geholfener“ ist er, einer, dem geholfen wird. Und so greift Gott direkt ein, meldet sich selbst zu Wort, wo es um den Frieden geht:
  Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem.
  Noch einmal wird ganz klar: Rosse und Wagen, das ist Kriegsgerät. Und das soll keinen Raum mehr haben, wenn dieser Eselreiter-König kommt.
  Wagen und Rosse entfernt Gott selbst aus dem ganzen Land Israel – Ob es sich hierbei um die Waffen von Angreifern und Besatzern handelt, oder ob es die Waffen der Verteidiger sind, das bleibt im ungewissen. Beide Seiten werden abgerüstet, damit der Friede kommen kann.
  So wird jetzt Waffenruhe, garantiert von einer größeren, der größten, unparteiischen Macht, eine Waffenruhe, der sich niemand widersetzen kann.
  Keine Wagen mehr und keine Rosse, keine Panzer und keine U-Bote, keine Truppentransporter und keine Helikopter, keine Autos, die militärisch genutzt werden ...
... und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. – Noch einmal versteckt sich hier Gottes direktes Eingreifen hinter der unpersönlichen Sprache. Die Kriegsbogen und Drohnen und Panzerabwehrraketen und Sprengminen, die Gewehre und Granaten und Atombomben – zerbrochen, nutzlos, wirkungslos, nicht mehr zu fürchten.
  Der Kriegsbogen – der schließt alle Waffen ein, auf allen Seiten. Die, die angreifen und die, die verteidigen.
Und dieser Friede, der da durch das Eingreifen Gottes garantiert wird, dieser Friede, der gilt nicht nur für den kleinen umkämpfte Landstrich Israel, Palästina, und die umliegenden Länder.
  Denn er – jetzt ist es wieder der Friedenskönig, allerdings mächtig und wirkungsvoll nur durch Gottes Hilfe und Wirken – Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.
  Von einem Meer bis zum andern, bis an die Enden der Erde – auf der ganzen Welt!
Und er wird nicht mit Waffengewalt geschlossen, dieser Friede, sondern durch das Wort. Frieden gebieten wird der König, Frieden verkünden, Frieden reden – so kann man das auch übersetzten. Überzeugen, predigen, mit Vollmacht und wortgewaltig seinen Friedensvertrag durchsetzten.
  Ja, er ist der Friede-Fürst – schon bei seiner Geburt haben die Engel das ja besungen:
  Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. (Lk 2,14)
Er kommt!
  Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir.
  Aber wann und wie kommt er, den wir in unserer friedlosen Welt so dringend brauchen?
  Er fängt klein an, er kommt zuerst einmal zu jedem einzelnen, zu jeder einzelnen von uns. Schafft sich Raum in unserem Herz. Zumindest unsere Lieder wissen davon:
  Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, eu’r Herz zum Tempel zubereit’. (EG 1,4)
  Richte du auch eine Bahn dir in meinem Herzen an. (EG 12,4)
  Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. (EG 1,5)
Er schafft sich und seinem Frieden Raum in unserem Herz. Und durch uns einzelne Menschen hindurch, da wirkt er auch in die Welt hinein, spricht sein Wort, das Frieden gebietet.
  Das könnte eine Adventsübung sein: Ihn immer wieder darum bitten. Bitten, dass er sich und seinem Frieden Raum schafft, in uns und durch uns.
  Raum in unserem Miteinander, im Umgang mit anderen, und Raum auch da, wo wir mit politischem Handeln versuchen, dem Frieden in unserer Welt ein Stückchen näher zu kommen.
  Ihn, den Friedenskönig, als Wandergenossen willkommen heißen, weil es gerade so unfriedlich ist unter uns:
  Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld! (EG 16,4)
Ihn bitten, dass er sich Raum schafft, bei uns und in unserer unfriedlichen Welt.
  Dass er kommt., bald kommt, sichtbar kommt.
  Denn das ist die andere Melodie des Advents.
  Nicht nur der Jubel: Er kommt! Freue dich!
  Sondern die drängende Bitte: O komm, ach komm doch:
  O komm, du Sohn aus Davids Stamm, du Friedensbringer, Osterlamm. (EG 19,2)
  Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt? (EG 7,4)
  Ach komm, ach komm, o Sonne, und hol uns allzumal zum ewgen Licht und Wonne in deinem Freudensaal. (EG 11,10)
  Amen, das ist: es werde wahr. (EG 344,10)

  
  
    [1] Dem Revisionsvorschlag folgend wird als Evangelium Mt 21,1-11 gelesen, nicht nur die Verse 1-9.