"Halt in unsicherer Zeit" von Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm

Liebe Gemeinde,

„Christus, der Herr der Welt. Welch ein Grund zur Freude!“ So haben wir gerade gesungen. 

Können Sie  das aus vollem Herzen singen?

Oder nur mit verhaltener Stimme? Vielleicht mit den Zweifeln oder sogar der Angst im Herzen, die die Jünger in der Geschichte von der Sturmstillung empfunden haben?

Ich kann in diesen Tagen gut nachempfinden, was die Jünger gefühlt haben. Wenn wir in die Welt schauen, dann ist das ja tatsächlich wie ein Blick in den Sturm: Plötzlich schwimmen alle Sicherheiten weg. Nichts ist mehr gewiss.

Sind wir gerade jetzt gefragt, noch mehr bis an unsere Grenzen zu gehen, um Menschen in Not beizustehen? Oder sind unsere Grenzen längst erreicht und mehr Flüchtlinge eine Gefahr für unseren Zusammenhalt?

Wie gehen wir um mit denen, die politisches Kapital aus alledem zu gewinnen versuchen, die Ängste bewusst verstärken und das Mitgefühl der Menschen ersticken?

Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen!?, sagen die Jünger in ihrer Bedrängnis vorwurfsvoll zu Jesus. So haben unzählige Menschen nach Petrus, Johannes und all den anderen in den dunklen Stunden ihres eigenen Lebens auch gefragt: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen!?

Ich bin krank, ich kämpfe schon so lange mit dieser Krankheit, ich habe schon so viele Gebete gesprochen. Aber es passiert kein Wunder! Meister, fragst du nichts danach, dass ich umkomme?!

Mir geht es so nahe, wie Menschen überall auf der Welt brutaler Gewalt ausgesetzt sind. Ich setze mich für Menschen ein, die hier Zuflucht suchen. Aber meine Kraft schwindet.

Und  die schlimmen Nachrichten von Krieg, Terror und Gewalt  reißen einfach nicht ab. Meister, fragst du nichts danach, dass so viele unschuldige Menschen sinnlos umkommen?

Die einen klagen, andere erstarren wie die Jünger neben Jesus zur Maske. Bleich, mit engen Augen. Ihre Hände klammern sich fest. Verkrampfen. Angst beherrscht jede Zelle, lähmt jeden Gedanken.

Wieder andere krempeln die Ärmel hoch, kämpfen mit hochrotem Gesicht, versuchen zu retten was zu retten ist. Aber wie lange halten sie das durch?

Zwei Meter weiter völlige Ruhe: Ein entspannter Mensch. Jesus im Tiefschlaf. Als ginge ihn das alles nichts an, wiegt er mit den Wellen. Atmet langsam ein und aus. Strahlt einen großen Frieden aus. In eigenartigem Kontrast zu den Menschen, denen die Wellen den Boden unter den Füßen wegziehen.

Ach wenn doch die Stürme in unserer eigenen und der großen, weiten Welt auch durch ein göttliches Machtwort zum Schweigen gebracht würden und das Sterben und Klagen endlich ein Ende hätte!

Mein Blick fällt auf den Beter, den wir im Fenster sehen. Mittendrin sitzt er. Die Hände gefaltet. Mit bangem Blick auf seinen Meister die Augen weit aufgerissen: „Nur er kann mich retten, wenn nichts mehr sicher ist.“ Und ich frage mit ihm:  Wie kann bei uns bloß Ruhe einkehren?

Ich weiß nicht, ob ich Christus vertrauen könnte, wenn er nur schliefe. Wenn  Christus nicht auch schreien würde. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!?“ So ruft er am Kreuz.

Ja, Christus ist Gottes Sohn, ist menschgewordener Gott. Aber eben wirklich Mensch gewordener Gott. Wirklich einer von uns Menschen geworden, der unsere Angst kennt, der unsere Verlorenheit kennt, der unsere Verzweiflung kennt.

Auf  dem Kirchenfenster ist er zu sehen, nach der Kreuzigung. Nach dem Foltertod, in den Stunden seiner größten Dunkelheit.

Da sehe ich die, die dem verheißenen Messias nachfolgten und so viel Hoffnung für die Welt hatten. Für die  jetzt alles zusammenbricht.  Die  in ein dunkles Loch fallen. In den Gesichtern der Jünger sehe ich die unter uns heute, die einen lieben Menschen verloren haben, vielleicht ihren Liebsten, und ihn nun so sehr vermissen, dass sie ihr eigenes Leben jetzt als so leer empfinden.

Und im Antlitz Jesu selbst sehe ich die, die heute leiden: Den zu Tode gequälte Freiheitskämpfer aus den Folterkellern Assads. Den wegen seines christlichen Glaubens vom IS brutal Hingerichteten.

Wir sehen Menschen, die schlimmes Leid erfahren. Die ihre Dunkelheit mit Christus teilen.

Warum schläft Jesus? Weil er so sicher ist. Weil er den Frieden in sich trägt, der höher ist als alle Vernunft. Weil er weiß, dass ihn nichts trennen kann von der Liebe Gottes, weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges. Und noch nicht einmal der Tod. Nichts kann ihn trennen von der Liebe Gottes. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in diesem Christus ist, unserem Herrn.

Und nun kommt das Wunderbare: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Christus wird auferweckt. Er lebt. Er erscheint seinen Jüngern. Er sagt zu ihnen: Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Er ist der Herr der Welt - auch über die, die sich heute noch als Herren dieser Welt aufspielen.

Christus hält die Welt in seinen Händen. Ich stimme Ihnen zu: Gott ist eine Kraft. Und seine Kraft durchwirkt das ganze Universum. Seine Erhabenheit beeindruckt mich.

Aber irgendwie ist der Gott des Universums für mich auch weit weg. Doch in Christus kommt er mir nahe. Weil er die Liebe selbst ist. Weil er uns kennt, weil er unsere Dunkelheit kennt. Und unsere Freude und unser Glück kennt. Allein durch Christus finde ich diesen Zugang zu Gott.

Und genau weil Christus mir so wichtig ist, begegne ich Menschen mit anderen religiösen Überzeugungen mit Offenheit. Mit der Liebe, die Christus selbst in so einzigartiger Weise ausstrahlt. Ich weiß nicht, ob  und wie sich Gott in den anderen Religionen zeigt. Das weiß nur Gott selbst. Aber ich weiß, dass alle Menschen seine guten und kostbaren Geschöpfe sind.

Auf dem Bild ist einer dargestellt, der so viel Kraft von Christus bekommen hat, dass er sogar Drachen töten konnte. Ja, das glaube ich: Christus gibt uns die Kraft  die Drachen zu töten, die Macht über uns zu gewinnen suchen: den Drachen der Angst, den Drachen der Hoffnungslosigkeit, den Drachen der Lieblosigkeit. So dass wir aus Glaube, Hoffnung und Liebe leben können.

Christus ist keine Versicherung gegen die Stürme des Lebens. Aber er gibt uns die innere Stärke, dass uns zwar Manches bedrängen mag. Aber nichts mehr zerstören kann.

„Solus Christus“ Christus allein - für mich heißt das: Vertrauen wagen. Niemand kann dir beweisen, dass Christus den Tod besiegt hat, dass er all deine Dunkelheiten von dir genommen hat und dich hineingenommen hat ins Licht.

Aber du kannst das Wagnis eingehen und vertrauen. Weil Jesus Christus Kraft und Gewissheit ausstrahlt. Durch seine Geschichten der Liebe. Geschichten der Heilung. Geschichten neuen Lebens.

Allein auf Christus vertrauen: das ist Leben pur! Amen.

Perikope
26.02.2017