Kurze Liedrufe tragen zur Lebendigkeit der christlichen Liturgie bei. Es handelt sich dabei um einprägsame Bibelworte, z. B. den Wochen- bzw. Monatsspruch oder die Jahreslosung. Sie geben besondere Akzente in der Dynamik eines Gottesdienstes, verstärken dessen dialogische Grundstruktur und fördern die Aufmerksamkeit der Gemeinde im liturgischen Geschehen. Anscheinend viel zu wenig genutzt sind die im Evangelischen Gesangbuch zusammengestellten Liedrufe (sog. „Kehrverse“, z. B. in der Ausgabe für Baden, Elsass und Lothringen EG 781.1 - 781.12: „Dem Herrn will ich singen; machvoll hat er sich kundgetan“, „Meine Seele dürstet nach dir, mein Gott“ u. a.); diese können laut EG 781 „als Rahmen- oder Zwischengesänge zu gesprochenen Psalmen verwendet werden“. Jedoch ist die Verwendungsmöglichkeit von Liedrufen bzw. (gesungenen) „Kehrversen“ (vgl. die Taizégesänge, EG 789.1-189.7: „Laudate, omnes gentes“ u. a.), seien es biblische Lob- und Danksprüche oder Klage-/Bittrufe, keineswegs auf die Psalmen beschränkt.
So kann auch der Liedruf zur Jahreslosung 2012 liturgisch an verschiedenen Stationen des Gottesdienstes erklingen: Außer als Rahmen- oder Zwischengesang jetzt in der Passionszeit nach dem Kyriegebet als Zuspruch aus Gottes Wort (Gnadenspruch). Dadurch verändert sich die liturgische „Korrespondenz“: Es besteht nicht allein das Gegenüber zwischen Liturgin und Gemeinde, sondern jede einzelne Person ist der anderen ein Gegenüber, sie nimmt damit priesterliche Funktion an, denn nicht der Liturg allein tröstet, sondern die Gottesdienstteilnehmenden singen einander Jesu Zuspruch, den „Trost des Evangeliums“, zu.
Ebenso kann nach dem auf die Schriftlesung folgenden Schlussspruch der Liedruf gesungen werden, z. B. indem die Lektorin bzw. der Lektor als Schlussspruch die Jahreslosung spricht und die Gemeinde sie singend aufnimmt. Sinnvoll ist außerdem die gesungene Jahreslosung in Verbindung mit Fürbitten, hier nicht wie gewöhnlich als Kyrieruf, sondern als Ermutigung für die Menschen, an die die Gemeinde weltweit fürbittend denkt. Möglich ist schließlich der Liedruf vor dem Segen, indem er die Sendung der Gemeinde in den Lebensalltag, den Gottesdienst im Alltag der Welt, „betont“ und jedem einzelnen Menschen die Worte Jesu, des Christus/Messias Gottes, persönlich zuspricht: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“.
Die beigefügte Vertonung der Jahreslosung bietet eine Art Sprechgesang. Sie folgt dem Sprachrhythmus und der (subjektiv) empfundenen Sprachmelodie. Die Worte klingen in einem ruhigen Vierertakt. Diese Taktung möchte zu einem besinnlich-meditativen Gehen und einem durch Christi Zuspruch bestärkten Weitergehen, Schritt um Schritt, im eigentlichen und übertragenen Sinn, inspirieren. Die Schwachstellen meines Lebens muss ich darum gerade nicht in weitem Bogen umgehen, sie nicht klein reden oder gänzlich ignorieren, „denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark“ (2.Korinther 12,10). Die Dreiviertellänge auf „spricht“ im zweiten sowie die Sequenz im dritten und vierten Takt heben das vollmächtige Sprechen Jesu von Nazareth hervor und geben seinem Kraftzuspruchs besonderes Gewicht und bleibende Gültigkeit. Die Takte drei bis sechs können kanonisch gesungen werden, indem die zweite Kanonstimme auf Takt vier einsetzt.   
Vielleicht können im „Jahr des Gottesdienstes 2012“ Liedrufe in unseren Gottesdiensten den „Geist der Liturgie“ (Romano Guardini) neu erfahren, spüren und die darin vertonten Bibelworte in uns nachklingen lassen.
Liedruf: s. unten unter Download!