Von Liebe, Tod und Leben - Predigt zu Hld 8,6b-7 von Christine Schlund
8,6b-7

Von Liebe, Tod und Leben - Predigt zu Hld 8,6b-7 von Christine Schlund

Vereint sein mit dir – das ist wie frisches Basilikum. Getrennt sein wie Tod. Du bist mein Wunsch und mein Willen.
Mein Dauergedanke und das Ziel meiner Grübelei. Und nur deine Nähe kann meine Sehnsucht stillen.
Auch wenn dich das Auge nicht sieht, im Herz bist du immer da.
Entblößt mich das Schicksal, so wirst du mich verhüllen.

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Des Nachts auf meinem Lager suchte ich, den meine Seele liebt, ich suchte ihn, und fand ihn nicht.
Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester, meine Braut. Deine Liebe ist lieblicher als Wein.
Sagt allen, krank bin ich vor Liebe.
Meinem Freund gehöre ich und nach ihm steht mein Verlangen.
Lege mich wie einen Siegel auf dein Herz, wie einen Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme, so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.

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Die Worte klingen in mir. Ganz fern und ganz nah. Duft von Basilikum und Wein. Sehnsucht nach großen Worten und Gefühlen. Sehnsucht nach Sehnsucht. Entblößt mich das Schicksal, so wirst Du mich verhüllen. Stark wie der Tod ist die Liebe. Nicht um rosa zuckerguss’ne Liebeslyrik geht es hier, um Leben und Tod geht es. Ums Ganze. Um Alles. Und damit wohl: um Gott. Und ich? Weiß nicht so ganz genau, ob ich mich nach solcher Gefühlsstärke sehne, oder froh bin, dass es auch gemächlichere Wasser und Zeiten gibt.

Entblößt mich das Schicksal, so wirst Du mich verhüllen. Stark wie der Tod ist die Liebe.

Der erste Text stammt aus einem der ältesten arabischen Manuskripte von Tausendundeine Nacht. Der zweite Text aus dem Hohenlied. Dem Lied der Lieder, zugeschrieben dem jungen Salomo – denn wer jung ist, schreibt erstmal Liebeslieder, sagten die jüdischen Gelehrten. Später kommen dann die Weisheitslehren. Weil sie dem großen dichtenden König zugeschrieben werden, landen die Verse im Kanon der Heiligen Schriften des Judentums. Um Liebe und Tod geht es in ihnen wie auch in Tausendundeine Nacht, jener Schriftensammlung, die ihren Ursprung nur ein wenig später und vermutlich nur ein wenig weiter östlich als das LIED DER LIEDER hat.

Liebe und Tod. Darum drehen sich Literatur, Religion, das Leben. Die Kräfte des Lebens und der Liebe ringen mit dem Tod. In antiken Mythen und Sagen, Isis und Osiris, Orpheus und Eurydike. Gottes Liebe gibt sich in den Tod und besiegt ihn dadurch, sagt unsere christliche Erzählung. Der Tod ist in den Sieg verschlungen. Denn stark wie der Tod ist die Liebe. Oder stärker.

Frederick und Lara haben sich die Verse als Trautext herausgesucht: „Das klingt nicht so fromm“. „Es klingt nicht nur nach Reglementierung und Moral wie sonst oft in der Kirche“. „Es macht Lust auf die Liebe“ „Aber es macht auch ein bisschen Angst“. „Es bringt zum Ausdruck, worum es doch eigentlich geht für uns: Nichts und niemand wird die Liebe auslöschen“. „Aber ich mag eigentlich nichts vom Tod hören bei der Hochzeit“. „Tod und Leben und Liebe gehören doch zusammen“.

Auch Julia und Felix haben sich für die Verse aus dem Hohenlied als Trautext entschieden. Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine gewaltige Flamme, so dass auch viele Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.

Julia und Felix wurden von der Liebe förmlich weggerissen. Eine verzehrende Kraft. Sie haben ihre früheren Partner verlassen. Auch Kinder sind dabei. Es ging nicht anders. Schmerz und Verletzung sind tief, abgründig wie die Liebe.

Die Liebe ist eine gewaltige Flamme. Sie hat etwas zutiefst Verstörendes, auch Subversives. Sie setzt sich oft über geltende Normen und Normalitäten hinweg. Das ist gefährlich. Hart und unbarmherzig, so könnte man den hebräischen Text auch übersetzen, hart und unbarmherzig wie das Totenreich ist die eifernde, die eifer–süchtige, leidenschaftliche Liebe. Ihre Blitze sind Blitze von Feuer, ein heftiges Auflodern. Oder eine göttliche Flamme, Flamme des Herrn? Ein kleines Anhängsel an dem Wort Flamme kann auf den Gott Israels gedeutet werden. Jah heißt es am Ende des Wortes – ähnlich wie in Hallelu-jah. Heißt das, dass die Liebe in all ihren Formen von Gott kommt? Oder ist es nur eine Steigerungsform, wie es die neue Lutherübersetzung entscheidet: eine gewaltige Flamme (nicht eine Flamme des Herrn?). Wenn hier von Gott die Rede ist, so wäre es die einzige Erwähnung im ganzen Buch, dem Hohenlied, dem Lied der Lieder. Und ein wichtiger Hinweis auf die Verortung dieser Verse in der Geschichte des Volkes Israel mit seinem – dann auch unserem – Gott.

Stark wie der Tod ist die Liebe. Der Mensch ist ein Beziehungswesen und als solches hat er über den Tod hinaus eine andere Lebensdauer – deren Maß ist die Liebe. Und diese Lebensdauer ist eingebettet in die göttliche Liebe. Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Menschliche Liebe ist ambivalent, ist oft zwiespältig – die göttliche Liebe vermag diesen Zwiespalt aufzuheben, zu integrieren. Sie ist eine Verheißung inmitten der wunderbaren, paradiesischen, lustvollen, überglücklichen, verrückten, verzweifelten, gefährlichen Liebe der Menschen. Ein Sehnsuchtsort der Gottesnähe. Sehr deutlich zu spüren in der Liebe, die wir leben und geben. Aber nicht immer deckungsleich. „Nicht obwohl, sondern weil das Hohe Lied ein echtes, will sagen weltliches Liebeslied war, gerade darum war es ein echtes geistliches Lied der Liebe Gottes zum Menschen“. Franz Rosenzweig, der große Gelehrte und Übersetzer der hebräischen Bibel, hat es so formuliert. „Nicht war, sondern ist“ möchte ich ergänzen und mit Franz Rosenzweig fortfahren: „Der Mensch liebt, weil Gott liebt“. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfrn. Dr. Christine Schlund: 

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Meine innenstädtische Berliner Kirchengemeinde mit Predigthörenden, die Lust an biblischen Details, Geschichte und Literatur haben.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Hohelied als alte orientalische Poesie zu begreifen im Vergleich mit Tausendundeine Nacht.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die exegetisch-philologische Frage, ob die hier beschriebene Liebe eine „Flamme des/der Ewigen“ ist oder nicht.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Wichtige Impulse, an einigen Stellen genauer nachzuhaken, mehr in die Tiefe zu gehen, präziser zu informieren. Nicht nur Freude an Poesie verbreiten, sondern auch etwas zum Bedenken des eigenen Glaubens und Alltags mitzugeben. Ein ausführlicherer, weniger abrupter Schlussteil.

Perikope
Datum 30.10.2022
Bibelbuch: Hohes Lied
Kapitel / Verse: 8,6b-7