"Angst essen Seele auf", Matthäus 22, 1-14 von Gabriele Arnold
22,14

"Angst essen Seele auf", Matthäus 22, 1-14 von Gabriele Arnold

Liebe Gemeinde
Angst essen Evangelium auf:
In Anlehnung an einen Filmtitel könnte so die Überschrift über dem heutigen Predigttext stehen. Es ist nicht mehr viel übrig geblieben von dem einladenden Gleichnis, dass Jesus erzählt hat.
Sie erinnern sich vielleicht an den Religionsunterricht. Da haben wir gelernt, dass viele Geschichten des Neuen Testamentes doppelt und dreifach, ja manches mal vierfach erzählt werden im Matthäus-, im Markus-, im Lukas- und im Johannesevangelium Und jedes Evangelium hat seinen eigenen Ton, seine eigene Farbe, eine andere Zielgruppe und es spiegeln sich andere Konflikte. Das wird an diesem Gleichnis ganz besonders scharf und einschneidend deutlich. Jesus erzählte ja gerne in Geschichten. In Gleichnissen wollte er deutlich machen, wie Gott sich zu uns Menschen verhält, wie er uns sucht, wie das Reich seines Friedens unter uns wachsen kann und was dazu gehört, dass Menschen miteinander versöhnt leben. Wer gehört zu Gottes Reich?
Auf diese Frage erzählte Jesus ein Gleichnis. Was er sagte kommt wohl der Variante, wie Lukas sie bewahrt hat, und die wir in der Schriftlesung gehört haben, am nächsten. Die Pointe ist klar. Wenn die, die eingeladen sind, nicht kommen wollen, dann holt Gott die anderen. Die am Rand, die sich selber nicht für wertvoll halten. Und was macht Matthäus daraus?
Martin Luther bringt es, wie so oft, prägnant auf den Punkt:
„Ein schreckliches Evangelium“, nennt er das Gleichnis, so wie Matthäus es erzählt. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen. Dieses Gleichnis ist kein Evangelium mehr, es ist eine Schreckensgeschichte, ein Geschichte menschlicher Barbarei und hat mit dem, was Reich Gottes meint nicht mehr viel zu tun. Was für ein König. Das kann nicht Gott sein. Zwar lädt er ein zum Fest der Prinzen-Hochzeit, aber als die Geladenen nicht kommen wollen, schickt er seine Soldaten los und lässt alle umbringen und die Stadt abbrennen. Er vergilt Gleiches mit Gleichem Hatte nicht Jesus gepredigt man solle seine Feinde lieben und lieber die andere Wange auch noch hinhalten als zu zu schlagen? Und noch ein zweites Mal reagiert der König maßlos und zornwütig. Da ist einer der Gäste ihm nicht chic genug angezogen und den lässt er ergreifen und wirft ihn in die fürchterlichste Finsternis. Heulen und Zähneklappern wird dort sein. Hölle pur. Na Danke.
Mit so einem König will ich nichts zu tun haben .Fliehe weit und schnell- kann man da nur raten. Was bewog Matthäus nur zu dieser Darstellung?
Stellen Sie sich vor sie wären eingeladen gewesen zur Hochzeit von Kate und William oder zum Empfang des Bundespräsidenten oder zum Endspiel der Frauen WM in die VIP Lounge. Würden wir nicht alles absagen und dort hingehen?
Ganz gewiss. Und wenn wir da nicht hingingen, sondern einfach unseren Alltag weiter machen würden- mit Recht könnte das keiner unserer Freunde verstehen.
„Du bist aber blöd“, wäre wohl der sanfteste Tadel, den wir uns zu ziehen würden. So ähnlich hat es Matthäus und seine Gemeinde empfunden. Da war in Jesus die große Einladung ergangen. Gott lädt alle ein. Sein Leben gehört allen Menschen. In Jesus hat er dem Tod die Macht genommen, und wer das glaubt und getauft wird, der hat Anteil an Gottes Leben. So einfach, so einladend. Und dann gab es da Menschen, die sich dieser Einladung widersetzten. Es waren Menschen gekommen Griechen und Römer und Männer und Frauen aus aller Herren Länder, Freie und Sklaven und ließen sich taufen. In Kleinasien und Griechenland, in Rom und in Nordafrika wuchsen die Gemeinden schnell und das Christentum breitet sich aus. Nur die jüdische religiöse Führungsschicht, sie verweigert der christlichen Gemeinde die Anerkennung. Und viele aus dem jüdischen Volk konnten mit dem Glauben an Jesus nichts anfangen. Das kränkte, das war bitter und war es nicht eben jene kleine religiöse Oberschicht gewesen, die auch schon Jesus erbittert verfolgte und mit dafür verantwortlich war, dass er am Kreuz landete? Und nun arbeitet Matthäus seine konkrete historische Erfahrung ein. Die Stadt, die verbrannt wird, das ist Jerusalem. Matthäus blickt zurück auf die Zerstörung Jerusalems durch die Römer im Jahr 70 nach Christus. Er interpretiert ein historisches Ereignis religiös. Der Untergang der heiligen Stadt, der Untergang des jüdischen Lebens in Palästina: das ist die Strafe Gottes. So, liebe Gemeinde, meint Matthäus. Aber dürfen wir uns dem anschließen?
Ich für mein Teil kann das nicht. Die Zerstörung Jerusalems ist kein Akt göttlicher Rache an den religiösen Führern der damaligen Zeit. Was wäre das für ein zynischer Gott. Ein Abgott. Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein; und wenn Menschen Schlachten schlagen und, Städte verwüsten , Frauen vergewaltigen, Kinder entführen und Alte niedermetzeln, dann sind das durch und durch menschliche Gräuel, befohlen von Machthabern und Kriegstreibern. Sei es aus politischem Kalkül oder aus Machtgier und Expansionswillen. Vielleicht kann es Situationen geben, in denen Krieg das letzte aller denkbaren Mittel ist, um noch Schlimmeres zu verhindern. Aber auch das sind menschliche Entscheidungen und nicht göttlicher Ratschluss. Und wie schwer es ist, solche Entscheidungen zu fällen und sie zu beurteilen, das erleben wir ja auch in unseren Tagen.
Im Gleichnis steht der König für Gott. Aber so ist Gott nicht. Gott jedenfalls, lässt keine Städte zerstören
Manchmal muss man dem Evangelisten widersprechen, um das Evangelium zu retten.
Es ist ein altes Prinzip der Bibelauslegung. Martin Luther hat es so formuliert, dass wir in der Schrift, also in der Bibel das suchen, was Christum treibet, also das, was christusgemäß ist. Das was der Botschaft Jesu, der uns bat Gott Vater zu nennen entspricht, das was seinem Leiden und Sterben, seiner Auferstehung seiner Liebe zu uns Menschen, seiner Botschaft von der Versöhnung  entspricht..
Gott ist der Vater der Menschen. Welcher Vater lässt seine Kinder umbringen? Unter Menschen gibt es das immer wieder und mit Recht sind wir entsetzt und empört. Um wie viel mehr wüssten wir es sein, wenn Gott so handelte. Der Gott, zu dem wir seit Jesus Christus Vater sagen vergibt und lässt Gnade walten und lockt und reizt uns zum Glauben -aber nicht mit Feuer und Schwert.
Und das, liebe Gemeinde, erwarte ich auch für das Ende der Tage, von dem das kleine Gleichnis im Gleichnis wohl erzählt.
Die neuen Gäste sind da. Gute und Böse sitzen zusammen. Menschen in aller Vielfalt. Aber einer gehört nicht dazu. Er ist falsch angezogen. Was ihm fehlt ist wohl der rechte Glaube oder die richtigen Taten. Er hat sich in diesem Leben nicht bewährt und so wird er an den Ohren gepackt und hinausgeworfen. Heulen und Zähneklappern erwartet ihn. Ein Gleichnis vom letzten Gericht. Von der Hölle, die doch irgendwo noch auf uns wartet.
Matthäus und seine Gemeinde werden es so verstanden haben. Bei Lukas gibt es das nicht. Wie gut! Und auch wenn ich wohl weiß, dass es biblische Aussagen gibt, die vom Gericht und auch von einer ewigen Trennung von Gott reden- so will ich mich dieser Rede nicht beugen. Ich halte mir dann die anderen Aussagen von Gott vor mein inneres Auge und nehme sie mir zu Herzen. Ich denke an den Vater, der auf den verlorenen  Sohn zueilt, oder an die Frau, die den verlorenen Groschen sucht und so lange nicht aufgibt bis sie ihn findet. Bilder von Gott der uns nachgeht und der nicht will dass einer verloren geht. Oder ich denke an diese großen Worte aus dem Psalm 139
„Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?
Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
  so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.
  Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –,
  so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.“
Wenn es stimmt, dass Gottes Wesen Liebe ist, dann kann er nicht zulassen, dass es Menschenkinder gibt, die am Ende im Finstern sitzen und heulen.
Aus unsrer menschlichen Perspektive muss es in unserer Vorstellung wohl schon so etwas wie die Hölle, wie eine Strafe geben. Oder wo sonst sollten etwa die SS Männer landen die damals in Riga die Synagoge in Brand steckten und in der brennenden Synagoge 300 Juden einschlossen? Oder die Aufseher in den Gulaks und in der Trudarmee?
Aber ich hoffe und vertraue darauf, dass es aus Gottes Perspektive doch noch mehr und anders geben muss als Heulen und Zähneklappern. In der Bibel finden sich beide Perspektiven und es ist vielleicht gut so, dass die Gegensätze nicht geglättet werden, dass da menschliches Gerechtigkeitsempfinden und die Hoffnung auf Gott der größer und anders ist nebeneinander stehen bleibt. Aber wenn am Ende Gott alles in allem ist, dann muss sich doch die göttliche Liebe durchsetzten.
Vielleicht ist es das besonders Bedrückende des Gleichnisses, so wie Matthäus es erzählt, dass da nicht mit einander geredet wird. Der König befiehlt und die Menschen bleiben weg oder kommen, und der Arme, der kein hochzeitlich Gewand hat, verstummt als er angesprochen wird.
Angst essen Evangelium auf: so, habe ich gesagt, könnte das Gleichnis heißen. Die Angst vor der Strafe Gottes und die Erfahrung der Ablehnung bestimmen diese Geschichte. Gibt es denn vielleicht doch noch ein Zipfelchen Evangelium?
Ja, da ist zum einen  die Einladung an die anderen alle. Offenbar war das was Jeus verkörperte, lebte und predigte so einladend und offen, so eindeutig und unbedingt dass niemand es tilgen wollte und konnte. Und diese Einladung an alle sie gilt bis heute. Die Botschaft von Gottes Liebe gilt auch heute gerade denen die sonst nichts Gutes zu hören bekommen. Sie gilt auch denen, die sich selber ausgrenzen oder ausgegrenzt werden. Die Jungs, die heute zu den Verlierern gehören, die Alten, die keiner mehr haben will, die, die nicht fein angezogen sind und aus dem Mund riechen, die, die nachts auf der Strasse schlafen und die, die wir ausgrenzen.
Oft machen wir uns das ja gar nicht bewusst wie ausgrenzerisch wir sind. Ich glaube wir haben oft keine Ahnung wie wenig vielen Menschen heute unsere kirchliche Sprache, unsere Bilder und Rituale sagen. Wir sind doch eigentlich hier eine gut bildungsbürgerliche Mittelschichtgemeinde. Aber wie erreichen wir die, denen Predigten zu hören kein Vergnügen ist und die, die auch nichts mit der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach anfangen können? Gott schickt seine Boten auf die Strasse um die Menschen einzuladen zum Fest des Glaubens. Wie werden wir wieder sprachfähig? Wie leben wir so, dass Menschen sich bei uns aufgehoben fühlen?
Und noch ein Zipfelchen Evangelium. Das hochzeitliche Gewand - es ist ja festlich und schön. Wer wird sich nicht schön anziehen, wenn er eingeladen ist. Wir sind eingeladen von Gott zum Fest des Glaubens, zum Fest des Lebens. Was hindert uns eigentlich daran unser Leben als Fest zu feiern?
Gott hat uns dieses Leben geschenkt. Mit allem Glück und aller Schönheit. Vielleicht können wir heute ja einmal damit anfangen, das Schöne zu sehen und Gott dafür zu loben. Und wenn es uns vielleicht gelingt nach und nach jeden Tag drei Dinge zu finden, für die wir Gott loben können- dann vergeht vielleicht manches selbst gemachte Zittern und Zähneklappern. Oder wie es im Gesangbuch heißt
„Was helfen uns die schweren Sorgen?
  Was hilft uns unser Weh und Ach?
  Was hilft es dass wir alle Morgen
  Beseufzen unser Ungemach?
  Wir machen unser Kreuz und Leid
  Nur größer durch die Traurigkeit.
Sing / bet / und geh auf Gottes Wegen
  Verricht das Deine nur getreu
  Und trau des Himmels reichem Segen
  So wird Er bei dir werden neu.
  Denn Welcher seine Zuversicht
  Auf Gott setzt / den verläst Er nicht.“
Amen
Perikope
Datum 03.07.2013
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 22,14
Wochenlied: 250 363
Wochenspruch: Mt 11,28