"Bauwerke des Glaubens entwickeln", Genesis 11, 1-9, Gerhard Weber
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"Bauwerke des Glaubens entwickeln", Genesis 11, 1-9, Gerhard Weber

Bauwerke des Glaubens entwickeln
  Wo Menschen ihren Allmachtsphantasien nachgeben, wo sie sich selber als höchstes Wesen verstehen, da geraten sie bald in heillose Verwirrung, und keiner kann den anderen mehr verstehen.
  Von dieser uralten Erfahrung spricht die Geschichte vom Turmbau zu Babel, wie sie im Predigttext im 1. Buch Mose im 11. Kapitel aufgezeichnet ist:
  (Verlesen des Bibeltextes)
  Liebe Gemeinde,
  wer will das nicht: hoch hinaus, etwas Großartiges erreichen im Leben, sich einen Namen machen. Was ist daran denn so verwerflich? Der Erfindungsgeist der Menschen beginnt schon früh. Es war ein großer Fortschritt, als die Menschen anfingen, Steine und Ziegel zu brennen und Häuser zu bauen. Sie wollten sicher und geschützt wohnen und etwas schöner natürlich auch. Und sie bauten eine große Stadt, Babel wurde sie genannt.
  Prächtige Bauten entstanden und ein Turm, der bis an den Himmel reichte. Alle waren sich einig. Sie sprachen eine Sprache, heißt es. Es ist schon erstaunlich zu welchen Leistungen die Menschen fähig. Wir können und dürfen das auch bewundern. Sie haben alle an einem Strick gezogen und gemeinsam Opfer auf sich genommen, um dieses Ziel zu erreichen.
  Gigantische Bauwerke standen immer schon für den Fortschritt.
  AStuttgart 21" soll der supermoderne Verkehrsknotenpunkt im Süden Deutschlands werden. Aber bei genauerem Hinsehen gibt es immer wieder Zweifel von unterschiedlicher Seite: Zerstört der Fortschritt nicht manchmal mehr als er wirklich an Vorteilen verspricht?
  Das erleben wir in vielen Bereichen unseres Lebens immer wieder. Wir haben eine hocheffektive, moderne Landwirtschaft mit Prüfsiegeln und Kontrollen und dann kommt so ein EHEC-Bakterium wie aus dem Nichts und das auch evtl. noch von einem Bio-Betrieb und bedroht Hunderte von Menschen mit dem Tod. Erschreckend, dass selbst unsere hochmodernen Kliniken an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen.

  Eckhart von Hirschhausen, den ich auf dem Kirchentag in einer Bibelarbeit erlebt habe, hat die prägende Lebenseinstellung unserer Gesellschaft so beschrieben: Wir kaufen uns Dinge, die wir nicht brauchen, von Geld, das wir nicht haben, um Leute zu beeindrucken, die wir nicht mögen…
  Wir Menschen brauchen mehr als nur Erfindungsgeist und blindem Fortschrittsglauben. Sonst passiert es, dass jeder nur noch höher hinaus will als der andere, dass wir uns nicht mehr verstehen, weil wir nicht mehr richtig zuhören, was der andere uns sagen will. Ich will die Entdeckungsfreude und den Mut sich auf Neues einzulassen, nicht verurteilen, das will die Geschichte vom Turmbau zu Babel auch gar nicht. Sie will uns nur hinweisen darauf, dass wir Menschen leicht etwas übersehen:
  Wir streben voran, nach oben, immer weiter, wir schauen in den Himmel und vergessen den Menschen neben uns.
  Der Apostel Paulus macht uns das ganz deutlich: wir haben viele Begabungen und Fähigkeiten. Gott hat uns reichlich ausgestattet. Und es sind gute Gaben. Entscheidend ist in welchem Geist wir diese Gaben leben und für wen wir sie einsetzen. Für Paulus ist es klar: Nur wenn ich meine Gaben für andere einsetze, können sie sich entfalten und auch mir wieder neue Kraft geben.
  Das ist der Kern der Pfingstgeschichte: Ein kleiner Haufen verängstigter Jünger besinnt sich auf die eigentliche Kraftquelle, die sie durch die Auferstehung Jesu erfahren haben und erfährt selber neues Leben und vorher nie geahnte Möglichkeiten. Man könnte die Pfingstgeschichte als Gegengeschichte zum Turmbau zu Babel verstehen. Dort wird beschrieben wie die Menschen verwirrt und zerstreut werden und hier wie sie wieder zusammenfinden.
  Ich denke, dass beide Geschichten in unserem Leben ihren Platz haben. Wir erfahren beides. Wir erleben die Hoch-Zeiten des Lebens, unsere Erfolge und sind stolz, wenn etwas gelingt. Manchmal auch, wenn es uns besser gelingt als den anderen. Aber wir leiden auch wieder unter dem Verlust der Gemeinsamkeiten. Dann blicken wir wehleidig zurück, wie schön es früher doch war...
  Dabei dürfen wir aber nicht stehen bleiben.
  Wir können immer wieder neu anfangen. Wir können die Möglichkeiten entdecken, die in uns und unserem Glauben stecken. Wir können auch etwas Neues bauen. Einen Turm vielleicht, nicht aus Steinen gebaut, sondern aus Menschen, die gegenseitig verbunden sind. Die verschieden sind, manchmal sehr verschieden, manchmal schwer verträglich verschieden. Doch jeder wird gebraucht. Jeder ist wie ein Baustein. Ohne ihn wird das Gebäude nur halb so schön.
  Und das ist für mir ein Bild von christlicher Gemeinde: An ganz unterschiedliche Orte stellt uns Gott: in der Schule, in der Klasse, am Arbeitsplatz, auf der Straße, in der Nachbarschaft, bei Freunden, in der Freizeit, beim Sport, in der Familie. Und jeder von uns kann seine Begabungen und Fähigkeiten einsetzen. Nicht gegen die anderen. Das würde das ganze Bauwerk zerstören. Und wir dürfen unsere Gemeinde bauen mit den Steinen, die die Welt meint, nicht mehr gebrauchen zu können. Es stecken in jedem Menschen große Fähigkeiten, sie müssen nur entdeckt und gefördert werden. Gott legt uns genug Baumaterial vor die Füße.
  Und wir haben einen Baumeister vor Augen:

Jesus von Nazareth ist auf die Menschen zugegangen. Er ist durch das Land gezogen. Dabei hat er die Menschen immer wieder da aufgesucht, wo sie sich befanden. Er ist auf sie zugegangen, hat ihnen von Gott erzählt. Er hat sie dabei weder bedrängt noch moralisch unter Druck gesetzt. Aber er hat seine Zuhörer oft provoziert und ihre Probleme in ein neues Licht gerückt. Jesus hat ihnen so zu einem neuen Anfang verholfen.
Unsere Chance besteht darin, dass wir uns nicht in uns selbst zurückziehen müssen, sondern wir können Gemeinschaft stiften und finden. Und damit wir in unseren Hemmungen und Ängsten nicht gefangen bleiben, sendet Gott uns seinen Geist.
Wir erhalten einen Tröster, einen Beistand, der uns Frieden gibt. Dieser Friede ist nicht von dieser Welt. Durch Verhandlungen und diplomatischen Austausch lässt er sich nicht herstellen. Er kann nicht gemacht werden. Dieser Friede kann nur ergriffen werden und von uns als Geschenk angenommen werden. Damit wir dann Wohnung finden in einem größeren Haus. Und Raum erfahren können für uns und für andere. Uns öffnen können. Aus der Enge der Begrenzung in uns selbst heraustreten können.
Und dabei die Kraft finden, uns für den Erhalt unserer Schöpfung einzusetzen, in dem wir auf etwas zu verzichten, vom dem wir dachten, es sei ein Fortschritt und wir hätten ein Anrecht darauf es zu verbrauchen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir in der Genügsamkeit, im Verzicht und in der Sparsamkeit auch ein neues Verhältnis zu den elementaren Dingen unseres Lebens finden können.
Und der Friede Gottes der höher ist als alle menschliche Vernunft bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Perikope
Datum 13.06.2013
Bibelbuch: 1. Mose
Kapitel / Verse: 11,1
Wochenlied: 125 129
Wochenspruch: Sach 4,6