Die Gotteskindschaft des jüdischen Volkes – Gottesdienstentwurf und Lesepredigt zu Römer 9,1-5 zum Israelsonntag von Ursula Rudnick
9,1-5

Die Gotteskindschaft des jüdischen Volkes – Gottesdienstentwurf und Lesepredigt zu Römer 9,1-5 zum Israelsonntag von Ursula Rudnick

Gottesdienstentwurf

Bei der ersten biblischen Lesung aus Exodus 19 schlage ich vor, die Lesung um zwei Verse zu erweitern und sie somit nicht nur auf Gottes Rede zu beschränken, sondern auch die Antwort des Volkes einzuschließen. Beim Predigttext schlage ich eine Kürzung der Lesung vor, da sich die ausgearbeitete Predigt auf die Verse Röm 9,1-5 beschränkt.

Orgelvorspiel

Begrüßung:
„Wohl dem Volk, dessen Gott der HERR ist, dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat.“ Mit diesen Worten aus Psalm 33,12 begrüße ich Sie herzlich am Israelsonntag.

An diesem Sonntag feiern wir die Treue Gottes zu seinem Volk Israel, dem jüdischen Volk.
„Israel“ – das ist der Name Jakobs, den er nach dem Kampf am Jabbok von Gott erhielt und es ist der Name des jüdischen Volkes. Unsere Beziehung zu Jüdinnen und Juden steht im Mittelpunkt dieses Gottesdienstes.

In der Lesung aus dem 2. Buch Mose vergegenwärtigen wir, wie Gott seinen Bund mit Israel am Sinai schließt. In der Lesung des Evangeliums bekräftigt Jesus das höchste Gebot: Gottes- und Nächstenliebe, und Paulus hält die Auszeichnungen Israels fest, die auch nach Jesu Tod und Auferweckung gültig bleiben.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Lied: Gott ist gegenwärtig (eg 165,1-4)

Psalm 111 (im Wechsel mit der Gemeinde)

Ehr sei dem Vater

Kyrie

Ehre sei Gott

Allein Gott in der Höh

Gebet

Gott,
wir sind zusammengekommen, um Dich zu loben und zu preisen.
Wir sehen das Werk Deiner Hände und freuen uns an ihm.
Wir danken Dir für das Gute, wir danken Dir für dein Wort.

Gott,
öffne uns Augen und Ohren, sende uns Deinen Geist.
Dies beten wir durch Jesus Christus unseren Herrn. Amen.

Lesung: Exodus 19,1-8

Lied: Nun danket Gott (eg 290,1.3-6)

Lesung: Markus 12,28-34

Lied: Wir glauben Gott im höchsten Thron (eg 184,1-5) (gesungenes Credo)

Predigt zu Römer 9,1-5

Liebe Schwestern und Brüder,

Paulus, der Apostel der Völker. Er hätte gut in die heutige Zeit gepasst, denn Paulus weiß sich zu inszenieren. Denken Sie an seine Berufung: Die dramatische und höchst einprägsame Geschichte. Wer sie einmal gehört hat, vergisst sie nicht so schnell: Die Wandlung des Paulus vom Verfolger der Jesus- Gläubigen hin zum engagierten Botschafter Christi unter den Völkern.

Paulus würde gut in heutige Talk-Shows passen. Er ist streitbar, lässt sich von niemandem ins Bockshorn jagen und vertritt seine Position engagiert.

Sein Credo: Die frohe Nachricht vom Gott Israels gilt nicht allein dem Volk Israel, sondern mit der Auferweckung Jesu Christi auch den Völkern.

Unter den Propheten Israels gibt es Visionen für ein Miteinander von Israel und den Völkern. So stellt sich Micha eine Zeit vor, da nicht nur Israel, sondern auch die Völker zum Zion, zu Gottes Wohnsitz in Jerusalem, pilgern werden: „Kommt, lasst uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gott Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir in seinen Pfaden wandeln. Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herrn Wort von Jerusalem.“ (Mi 4,2) Und dann werde Frieden herrschen, Schwerter werden zu Pflugscharen geschmiedet und jeder werde unter seinem Feigenbaum und Weinstock sitzen.

Diese Visionen sind messianische Hoffnungen, Vorstellungen einer Endzeit, die anders ist als die erlebte Gegenwart.

Wider allen Anschein sagt Paulus: Diese Hoffnung von der Versöhnung der Völker ist schon jetzt Wirklichkeit. Dieser Überzeugung widmet er sein Leben. Sie wird sein Auftrag, seine Mission.

Seine Botschaft ist in der jüdischen Gemeinschaft allerdings umstritten. Deshalb haben sich nur einige Menschen Jesus und seinen Anhängerinnen und Anhängern angeschlossen. Außerdem fragen sich Juden und Jüdinnen: Auf welche Weise können und dürfen Nicht-Juden Zugang zum Gott Israels haben?

Paulus macht sich dafür stark, dass die Menschen aus den Völkern, die durch den Glauben an Jesus Christus ihren Zugang zum Gott Israels gefunden haben, keinen Status zweiter Klasse erhalten. Dies wäre naheliegend, denn sie sind später gekommen und sie halten nicht alle Gebote der Tradition. Was für uns Christinnen und Christen heute selbstverständlich ist, dass Menschen aus den Völkern den Namen des Gottes Israels anrufen, war im 1. Jahrhundert eine umstrittene Frage.

Paulus behauptet: Die neu Hinzugekommenen sind „nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19), wie es der Epheserbrief so anschaulich formuliert.

Und so wie Paulus Respekt für die „Neuen“ fordert, so macht er gleichermaßen deutlich, dass die „Neuen“ keinen Anlass für Überheblichkeit gegenüber den „Alten“ haben. In komplexen Gedankengängen führt er dies – insbesondere in den Kapiteln 9-11 des Römerbriefes – aus.
Hören wir auf Worte aus dem 9. Kapitel, die Verse 1-5.

„Ich sage die Wahrheit im Gesalbten, ich lüge nicht, mein Gewissen legt dabei Zeugnis für mich ab im heiligen Geist: Ich haben großen Schmerz, und mein Herz hat unaufhörlich Kummer. Ich wünschte nämlich, selbst verflucht und so vom Gesalbten getrennt zu sein zugunsten meiner Geschwister, meiner Landsleute der Herkunft nach. Sie sind ja doch Israeliten, ihnen gehört die Kindschaft, der Glanz, die Bundesschlüsse, die Gabe der Tora, der Gottesdienst und die Verheißungen, ihnen gehören die Väter, und von ihnen kommt der Gesalbte seiner Herkunft nach. Der über allem ist, Gott: Er sei gesegnet für immer! Amen.“

Mit seinem ganzen Sein wünscht sich Paulus also, dass seine jüdischen Zeitgenossen sein Vertrauen auf Jesus, den Gesalbten Gottes, den Messias teilen. Alles würde er dafür geben: Selbst seine Zugehörigkeit zum Gesalbten.

Und doch muss er feststellen: Viele teilen seine Leidenschaft nicht. Sie glauben nicht an Jesus als Gesalbten Gottes.

Dies ist jedoch kein Grund den „Alten“, den jüdischen Geschwistern ihre Verbindung zu Gott abzusprechen.

Das jüdische Volk hat reiche Schätze. Paulus macht eine lange Liste:

  • Die Kindschaft – das heißt Gottes geliebtes Kind zu sein.
  • Der Glanz und die Herrlichkeit – das meint die Erfahrung der Gegenwart Gottes. Sie spiegelt sich im Antlitz seines Volkes.
  • Die Bundesschlüsse: Zu ihnen gehören der Noachbund, der Abrahams-Bund und in der Lesung haben wir die Geschichte des Sinaibundes gehört.
    Der Bund – das ist die Selbstverpflichtung Gottes, für sein Volk da zu sein und es durch die Zeiten hindurch zu bewahren.
  • Die Tora als Lebensmittel – als Mittel zum Leben in Freiheit: Die fünf Bücher Mose mit den Weisungen Gottes für ein gelingendes Leben in Freiheit. Zugleich bedeutet das Wort Tora „Lehre“ und meint die gesamte schriftliche und mündliche Lehre, die Moses auf dem Berg Sinai erhalten hat, also die jüdische Bibel und den Talmud.
  • Der Gottesdienst – in ihm wird Gott gelobt und immer wieder auch die Geschichte mit Gott vergegenwärtigt. Gottesdienst, das ist auch die Feier der Geschenke Gottes im Alltag.
  • Die Verheißungen – die Hoffnungen und die Versprechen auf eine Zukunft in Frieden. Sie kennen die Visionen von Jesaja, Micha und der anderen Propheten.

Die sechs Punkte, die Paulus hier benannt hat, laden ein zum Erzählen.
Und sie fordern heraus, Jüdinnen und Juden nach der Bedeutung des Bundes und der Tora heute zu fragen.

Zum Beispiel David Freund: Er ist Mitglied einer liberalen Jüdischen Gemeinde in Hove in der Nähe von Brighton und kommt jedes Jahr zur jüdisch-christlichen Bibelwoche in Ohrbeck bei Osnabrück. Einer seiner Großonkel war Landesrabbiner in Niedersachsen, sein Großvater war Direktor des jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee. Sein Vater studierte Germanistik in Göttingen und konnte sich rechtzeitig nach Großbritannien retten. Dort konnte er in den 30er-Jahren jedoch keine feste Stelle bekommen und emigrierte deshalb mit seiner Frau Kitty nach Südafrika, wo David geboren wurde. Heute lebt David in Großbritannien. Er ist ein liberaler Jude, der tief in der jüdischen Tradition verwurzelt ist.

David Freund sagt: „Der Bund ist die Grundlage meines Lebens. Er verbindet mich mit meinen Vorfahren, der Geschichte meiner Väter und Mütter. Mit der Geschichte meines Großonkels, der Rabbiner in Hannover war und mit dem Großvater, der Direktor des jüdischen Friedhofs in Berlin war. Mit der Geschichte meines Vaters, der sein Land verlassen musste, weil er Jude war. Das Leben meiner Vorfahren und auch mein Leben wären anders verlaufen, wenn ich nicht jüdisch wäre.

Der Bund ist etwas Positives. Ich erlebe ihn in der Gemeinschaft, wenn ich zur Synagoge oder zur Talmudstunde gehe. Ich versuche, so gut ich kann den Bund in meinem Alltag zu leben.
Für mich heißt dies, gegenüber Menschen eine wohlwollende Haltung zu haben und das Leben – mit allem was geschieht – positiv zu betrachten. Und es heißt für mich, für Gerechtigkeit einzutreten und auch dafür zu kämpfen, sei es in persönlichen oder politischen Fragen.
Mein Verständnis vom Bund ist nicht exklusiv: Er verbindet mich mit dem Ewigen und mit allen Menschen und Geschöpfen [...] Mit Worten lässt sich seine Bedeutung gar nicht ausdrücken. Es ist so viel und so viel mehr.“

Was für viele Menschen sich nach einem abstrakten Konzept anhört – der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk – ist für David Freund etwas Konkretes, das einen wichtigen Teil seines Lebens ausmacht. Es ist das Fundament seines Lebens, welches auf vielfältige Weise seinen Ausdruck findet – auch und gerade im alltäglichen Leben.

Und zur Tora sagt David Freund: „Die Tora ist für mich Geschichte, Kultur und Ethik. Wichtig ist mir dabei, immer wieder neue Perspektiven zu entdecken: Fragen zu stellen. Neue Fragen zu entdecken. Immer wieder neu.“

Bund und Tora sind ein tragbares Vaterland. Heinrich Heine sprach vom portativen Vaterland. Mit dem Bund und der Tora zu leben, bedeutet eine nicht-zerstörbare geistlich-geistige Heimat zu besitzen. Es heißt, sich als Kind und Volk Gottes zu wissen, mit einem Kompass und einer Landkarte fürs Leben ausgestattet, für ein Leben in Freiheit und im Gegenüber und im Angesicht Gottes.

Es gäbe viel zu erzählen. Es gibt viel zu entdecken. Paulus zählt Schätze des Volkes Israel auf.
Sie waren im 1. Jahrhundert Schätze des Volkes Israel – und sie sind es auch in der Gegenwart.

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich Christinnen und Christen auf den Weg in Synagogen und Lehrhäuser gemacht, haben Jüdinnen und Juden zugehört und haben viel Neues gelernt.

Wir haben theologische Urteile als Vorurteile und Falschurteile entlarvt.
Wir haben Neues entdeckt, so zum Beispiel die Freude an der Tora mit ihren Geboten.
Wir haben jüdische Tradition und Traditionen schätzen gelernt und ein zusätzliches Geschenk erhalten. Das Geschenk, auch unsere eigene Tradition in einem neuen Licht zu sehen und sie auf diese Weise besser zu verstehen.

Dies ist die Verheißung und die Aufforderung des Apostel Paulus: „Freut euch ihr Völker mit Gottes Volk!“ Ja, freuen wir uns mit Gottes Volk, mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern!

Wir können uns freuen, weil uns so viel miteinander verbindet. Als Juden und Christen sind wir Kinder und Geliebte Gottes, mit Abraham als unserem Vater. Wir sind als Juden und Christen erwählt und berufen, als Geschwister die Herrlichkeit Gottes zu verkünden und Gottes Willen zu tun.

Aus der Freude wächst das Gotteslob. Gott „sei gesegnet für immer!“ – so Paulus. Denn wir sind reich beschenkt. Es gilt die Schätze zu entdecken, sie miteinander zu teilen und sich an ihnen zu freuen. Amen.

Orgelmeditation (fröhlich)

Abkündigungen

Lied: Bewahre uns Gott, behüte uns Gott (eg 171,1-4)

Fürbitten:
Gott,
wir danken Dir für die Bewahrung Deines Volkes:
Du hast es aus der Knechtschaft in Israel befreit, du hast es durch die Wüste geführt, du hast den Bund mit ihm am Sinai geschlossen und gabst ihm Deine Weisung, die Tora.

Gott,
wir danken Israel für die Bewahrung Deiner Worte.
Ohne Dein Volk wüssten wir nicht von Dir.

Gott,
bewahre Dein Volk, behüte es vor Anfeindungen.
Gib uns die Kraft und den Mut, an seiner Seite zu stehen.

Gott,
lass uns teilhaben an der Freude Deiner Gebote, sodass wir als Juden und Christen Deinen Willen tun, als Partnerinnen und Partner Deinem Reich entgegen gehen. Amen.

Vaterunser

Sendung und Segen
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen. (Jesaja 54,10)

Amen.

Orgelnachspiel

 

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