Gott hat den größeren Kopf, das größere Herz - Predigt zu 1.Korinther 4,1-5 von Matthias Loerbroks
4,1-5

Gott hat den größeren Kopf, das größere Herz - Predigt zu 1.Korinther 4,1-5 von Matthias Loerbroks

Gott hat den größeren Kopf, das größere Herz

1   So rechne jeder Mensch mit uns: als Diener des Christus und Haushalter der Geheimnisse Gottes.
2  Nichts anderes sucht man bei Haushaltern, als dass sie treu gefunden werden.
3 Mir ist es ein Geringes, dass ich von euch beurteilt werde oder von einem menschlichen Gerichtstag. Aber auch ich selbst beurteile mich nicht.
4 Mir ist nichts bewusst, aber dadurch bin ich nicht gerecht gesprochen, der Herr ist es, der mich beurteilt.
5  So richtet nicht vor dem entscheidenden Augenblick – ehe der Herr kommt: der wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und aufleuchten lassen das Wollen der Herzen. Dann wird ein jeder Lob bekommen von Gott.

Von dort wird er kommen zu richten – so haben wir es gerade mit den Worten unseres Glaubensbekenntnisses gesagt. Das ist der erste Zukunftssatz, der erste Hoffnungssatz dieses Bekenntnisses. So ein Bekenntnis ist ja keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Vertrauensvotum. Angesichts unserer so verzweifelt und blutig zerrissenen Welt vertrauen wir darauf, dass sie nicht gottverlassen ist, darum auch nicht verlassen von allen guten Geistern, sondern Gottes gute Schöpfung – geschaffen von dem Gott, von dem die Bibel erzählt, der nicht preisgibt das Werk seiner Hände. In seinem Sohn ist er uns ganz nah gekommen, denn der wurde selbst ein Mensch, wurde allen Menschen zum Mitmensch – davon werden wir zu Weihnachten viel singen und sagen. Der hat alles auf sich genommen, uns weggenommen, was uns von Gott trennt, geriet darum selbst in grässliche Gottesferne, in finsterste Finsternis. Doch er wurde auferweckt, herausgerissen aus dem Reich des Todes, er sitzt zur Rechten Gottes und vertritt uns, entschuldigt uns, redet Gutes von uns, kehrt alles zum Besten. In ihm, mit ihm sind alle Menschen schon bei Gott – ob sie das wissen, ob sie das glauben, es darum auch ihr Tun prägt oder nicht. Dann der Zukunftssatz, buchstäblich ein Zukunftssatz, denn er redet davon, dass Jesus auf uns zukommt: Von dort wird er kommen zu richten.

Er wird kommen – das ist das Thema der Adventszeit. Dass er kommen wird, um zu richten, das ist in der Geschichte christlichen Predigens und Predigthörens immer wieder als Schreckensnachricht verstanden worden, eine Botschaft, die Angst macht. Für Paulus aber ist es eine frohe, eine befreiende Botschaft, reines Evangelium. Der Herr ist es, der mich richtet – das bedeutet für ihn: es kann mir ein bisschen egal sein und es ist mir auch egal, was andere über mich denken oder gar sagen, wie sie mich beurteilen, ob sie mich verurteilen, mit welchem Recht, nach welcher Richtschnur sie mich richten. Er rechnet damit, dass das Gericht, das Jesus Christus halten wird, der Gottessohn, der Menschensohn wurde, in dem die Menschlichkeit Gottes aufleuchtete, ein menschliches, ein gnädiges Gericht sein wird – sehr im Unterschied  zu den sehr unmenschlichen Urteilen, die wir Menschen an menschlichen Gerichtstagen sprechen – also: jeden Tag.

Stell dir eine Gemeinde vor, liebe Gemeinde, eine größere oder kleinere Gruppe von Jesusjüngern und Jesusjüngerinnen, die es in ihrem persönlichen Leben wie in ihrem Zusammenleben als Gemeinde ganz gelassen lassen können, sich zu verteidigen, alles Mögliche richtigzustellen, zurechtzurücken – und sich selbst ins rechte Licht –, denen es einfach wenig oder nichts bedeutet, was andere über sie sagen und denken, die darum auch nicht öffentlich ausposaunen, jedenfalls mehr oder weniger – meist weniger – unverhohlen durchblicken lassen müssen, wie edel, hilfreich und gut sie sind, die darum auch darauf verzichten können, ihre Mitmenschen zu ermahnen, doch bitte nicht zu vergessen, was sie Gutes getan haben und noch tun. Das wäre eine Gemeinde freier, befreiter Menschen, sie wäre schon ein Vorschein und Vorgeschmack des Reiches Gottes, des Reichs der Freiheit.

Leider ist es ja so, dass auch wir evangelischen Christen gerade dafür sehr viel Zeit und Kraft verwenden, obwohl doch gerade wir wissen oder wissen könnten oder wissen sollten, dass Selbstrechtfertigung ein völlig aussichtsloses, überdies überflüssiges Unterfangen ist. Seit fast genau fünfhundert Jahren hören und reden wir davon, dass Gott durch seinen Sohn Sünder gerecht spricht; dass wir das weder verdienst haben noch uns verdienen oder erdienen können; dass Gott uns nicht so sieht, wie wir uns sehen oder wie wir von anderen gesehen werden, sondern so, wie er Jesus Christus sieht; dass er ihn gelten lässt als unseren Vertreter; dass er ihm, dem Menschensohn, sein Gericht übertragen hat. Ein großer Namensvetter des Paulus, der Dichter und Pfarrer Paul Gerhardt singt und sagt es so: „In ihm kann ich mich freuen, hab einen Heldenmut, darf kein Gerichte scheuen, wie sonst ein Sünder tut.“ Doch so ganz scheinen auch wir dem Frieden nicht zu trauen, den – wie wir verkünden – Jesus schon gemacht hat.

Nun sind unsere Versuche, uns – in mehrerer Hinsicht: wider besseres Wissen – doch selbst zu rechtfertigen, zwar oft unfreiwillig komisch, aber harmlos. Es gibt ja leider fürchterlich fromme Menschen, die nicht nur in jeder Sekunde bereit, geradezu begierig darauf sind, gekränkt zu sein, sondern auch meinen, dass ihre ständig verletzte Ehre, die ihnen immer wieder neu zugefügte Schmach es ihnen erlaubt oder sogar gebietet, morden zu gehen; die sich als Gottes Gerichtsvollzieher verstehen und betätigen; die meinen, Gott einen Dienst zu tun, wenn sie möglichst viele Menschen umbringen, die sie für ungläubig halten.

Tatsächlich hat ja die frohe Botschaft, dass Jesus kommt, um zu richten, etwas Kränkendes. Sie verdrängt uns von unserem Lieblingsplatz: dem des Richters, der Richterin. Kaum etwas tun wir ja lieber als zu urteilen und zu verurteilen. Nicht urteilsfähig zu sein, das empfinden wir als Armutszeugnis. Darum war und ist ja die Verheißung der Schlange im dritten Kapitel der Bibel so verführerisch, so wirksam: ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist – endlich selbst Gott sein, endlich selbst richten, urteilen, verurteilen! Doch dieser Platz, sagt uns das Evangelium, ist besetzt. Den müssen wir räumen. Denn er kommt zu richten. Darum hat das fröhlich unbekümmerte Bekenntnis des Paulus, es ist mir ziemlich egal, was andere von mir denken, als kritische Kehrseite auch den Appell: richtet nicht! Überlasst das Gott. Der hat nicht nur den größeren Kopf, auch das größere Herz.

Wenn er kommt zu richten die Lebenden und die Toten, dann wird er, so sieht es Paulus voraus, ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und aufleuchten lassen das Wollen der Herzen. Für manche von uns ist das eine etwas unangenehme, ungemütliche Vorstellung. Nicht ohne Grund halten wir Manches verborgen, und es wäre uns ganz lieb, wenn es auch verborgen bliebe. Über Einiges lassen wir auch uns selbst lieber im Unklaren. Wir sind nicht geradezu erpicht darauf, dass all die Wünsche unseres Herzens, einige davon sind ihrerseits recht finster, hell aufleuchten. Doch Paulus ist überzeugt: dann wird ein jeder, eine jede Lob bekommen von Gott.

Das ist nun nicht nur für uns unsichere und verängstigte Menschen überraschend. Sondern wohl auch für diejenigen, die von keinerlei Selbstzweifel geplagt sind; die im Gegenteil finden, dass es Zeit wird, längst Zeit ist, dass wenigstens Gott einmal all das Gute, das sie dauernd tun, angemessen würdigt, zum Leuchten bringt, wertschätzt, lobt, das ihre übelwollenden und Übel tuenden Mitmenschen so beharrlich übersehen oder gar madig machen. Doch auch sie werden etwas überrascht sein zu hören, dass wirklich jeder und jede, dass alle Lob von Gott bekommen wird. Denn sie haben doch recht klare Vorstellungen davon, wer jedenfalls nicht gelobt, sondern mindestens schwer getadelt, wenn nicht hart bestraft werden wird oder werden müsste.

Statt unseres ständigen sei es ängstlichen, sei es eitlen und selbstzufriedenen Schielens danach, was andere von uns denken und sagen, wie wir bei anderen ankommen oder wie wir rüberkommen, empfiehlt uns Paulus, auf etwas ganz anderes zu achten: dass wir treue, verlässliche Diener des Christus und Hausverwalter der Geheimnisse Gottes sind. Uns wurde was anvertraut, Großes und Wichtiges wurde uns anvertraut, Gott hat uns ins Vertrauen gezogen. Paulus will, dass wir dem treu sind, das nicht veruntreuen, was uns anvertraut wurde. Er nennt es: Geheimnisse Gottes. Das Evangelium, das er verkündet, das zu verbreiten auch uns aufgetragen ist, ist nichts, was offensichtlich sonnenklar ist, auf der Hand liegt, sich von selbst versteht, was auch ohne unser Reden und Tun längst allen Menschen aufgeleuchtet ist und eingeleuchtet hat.

Es gibt ja so ´ne und solche Hausverwalter: mürrisch abweisende, abwimmelnde, überdies nörgelnde und herzliche, hilfsbereite und auch tatsächlich hilfreiche. Treue Hausverwalter sind so oder so diejenigen, die dem Stil des Hauses und des Hausbesitzers entsprechen. Treue Hausverwalter der Geheimnisse Gottes heißt darum nicht, mit dem Evangelium knausrig umzugehen, sparsam, damit bloß ja keine einzige Perle womöglich vor die Säue gerät, sondern genauso großzügig, so barmherzig, geduldig und von großer Güte und Treue, wie uns das Evangelium Gott schildert. Es wäre ja ein lächerlicher Widerspruch, würden wir angesichts des Evangeliums vom Freispruch der Sünder darauf bestehen, unsere Mitmenschen, unsere Mitsünder zu verurteilen; angesichts der uns verkündeten Feindesliebe Gottes hartnäckig auf unsere Feindseligkeiten zu bestehen.

Die frohe Botschaft, dass er kommen wird, um zu richten, wird uns heute verkündet als Anweisung dazu, diesem Kommen den Weg zu bereiten, und zwar mitten in der Wüste, mitten in unserer Wüstenei. Wir denken bei dieser Aufforderung an große und schwere Aufgaben, denken an unsere zerrissene Welt, die es zu heilen, an all die viel zu hohen Höhen und tiefen finsteren Täler, die es auszugleichen gilt, und das ist ja auch wahr. Doch wir übersehen dabei, wie hartnäckig wir selbst das Hindernis sind, das seinem Kommen im Weg steht, das wir darum aus dem Weg räumen sollten: unsere beharrliche Weigerung, den Platz freizugeben, den er einnehmen will und soll, wenn er kommt zu richten die Lebenden und die Toten.

Amen.

 

Zum Gottesdienst:

Da die Epistel Predigttext ist, kann an ihrer Stelle die alttestamentliche Lesung, Jesaja 40,1-11 gelesen werden. Sie stellt den Wochenspruch in seinen Kontext und unterstreicht ihn.

Lieder:

Nach der Begrüßung mit dem Wochenspruch aus Jes 40: 10,1-3(4);
nach der ersten Lesung, wenn sie Jes 40 ist: 20,1-3;
wenn sie 1. Kor 4 ist: 6,1.2.5;
nach Evangelium und Credo: 279,1-2;
nach der Predigt: 286,3-4;
zwischen Abkündigungen und Gebet: 283,3-6 (Nachdichtung des Wochenpsalms);
als Schlussstrophe zwischen Gebet und Segen: 10,4 oder 6,5.