Im Angesicht der Herrlichkeit Gottes - Predigt zu Exodus 33,17-23 von Stephan Lorenz
33,17-23

Im Angesicht der Herrlichkeit Gottes - Predigt zu Exodus 33,17-23 von Stephan Lorenz

Manchmal gleicht unser Leben einer elenden, strapazenreichen Wüstenwanderung, wie sie die Israeliten nach der Flucht aus Ägypten gehen mussten. Und wenn einem das Leben nichts mehr bringt, dann wird nicht nur der Glaube schwer, sondern dann kann man schon mal von Glauben abfallen. Wer würde das nicht verstehen können?! Und dann wendet man sich Anderem zu, das einem mehr verspricht. Etwas, das man sieht, das man anfassen kann. Symbol dafür ist das Goldene Kalb. Aber so ein Standbild führt nicht, leitet nicht. Es ist Ausdruck der Erstarrung.

Wenn einem also die Wüstenwanderung zusetzt, dann ist es gut, wenn man jemanden hat, der einen versteht und einem beisteht. So einer wie Moses. Der kann gut mit Gott. Der redet mit Gott wie mit einem guten Freund. In der Bibel heißt es, sie redeten von Mann zu Mann. Die beiden mögen sich. Also geht Mose zu Gott und versucht, die Sache wieder gerade zu biegen, damit der Zug weiter geht. Und sie handeln miteinander wie Freunde auf einem orientalischen Basar. So dürfen auch Sie hier in dieser Kapelle mit Gott verhandeln für sich und für die, die ihnen am Herzen liegen.

Der HERR sprach zu Mose: Auch das, was du jetzt gesagt hast, will ich tun; denn du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des HERRN vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

Mose also verhandelt. Er will wissen, ob das versprochene Ziel, das gelobte Land, immer noch das Ziel des Lebenswegs ist. Ob Gott überhaupt weitergeht, nachdem die Menschen ihn in die Wüste geschickt haben. Und zuletzt - sozusagen als ultimativen Beweis - will Mose die Herrlichkeit Gottes sehen.

Das hebräische Wort dafür ist „kabod“. Und es meint die Ausstrahlung, das, was einem imponiert an einer Person. In unserer heimlichen Liebe für Könige und Königinnen, für die Queen oder Privataudienzen beim Papst zum Beispiel, können wir uns das deutlich machen. Das sind Begegnungen, die einen zu Staunen bringt. Von denen lebt man.

Gottes Herrlichkeit ist absolute Schönheit. So wie die Götterstatuen in der Antike nur schöne, ebenmäßige Menschen abbildeten. Unsere Misswahlen sind vielleicht ein schwacher Ausdruck solcher Sehnsucht nach Schönheit. Das Märchen vom Schneewittchen dreht sich um die Frage: Wer ist die schönste im ganzen Land?
Und: Gottes Herrlichkeit zeigt sich in seinem Wesen. Er ist barmherzig, gnädig, seine Zuwendung ist vollständig, bleibend und absolut verlässlich.
Davon will sich Mose selbst überzeugen, bevor er zu den enttäuschten Israeliten zurückgeht. Er will sicher sein. Gott geht darauf ein. Er zeigt sich. Geht auf alle drei Wünsche, die Mose hat, ein. Er darf seine Herrlichkeit sehen.
Aber Gottes Angesicht darf er nicht sehen. Kein Mensch würde das überleben. Das wäre so, als wenn wir mit bloßen Augen in die Sonne starren. Wir würden blind. Seine Herrlichkeit können wir auch nur im Vorübergehen sehen. Im Nachher erkennen wir, dass Gott in unserem Leben da war.
So ist das mit Gott: Er zeigt sich, zeigt seine Herrlichkeit und bleibt doch verborgen und unfassbar für den Verstand des Menschen. Er bleibt im „Sich-zeigen“ immer auch der verborgene, unfassbare Gott. Gottes Herrlichkeit ist dynamisch. Sie geht vorüber und immer voraus. Sie ist nicht starr wie das Goldene Kalb.

Mose kehrt dann zu den Israeliten zurück, und zwar mit den Zehn Geboten. Das ist sozusagen der Vertragstext. Das, was da vor dreitausend Jahren niedergeschrieben worden ist, gilt bis heute. Die allgemeinen Menschenrechte wären ohne diese Zehn Gebote so nicht entstanden. Sie schützen unser Leben und unseren Weg durchs Leben.
Der Wunsch der Menschen, Gott zu sehen, von Angesicht zu Angesicht, seine Herrlichkeit sinnlich zu spüren, hört damit nicht auf. Er ist immer da. Auch bei uns heute. Wir brauchen ein Gespür für die Herrlichkeit Gottes.
Deshalb beschäftigen sich die, die das Neue Testament schreiben auch mit diesem Wunsch. Besonders Johannes und Paulus. Und sie gehen über das, was das Alte Testament erzählt, hinaus.
Johannes erzählt: Wir können nicht nur seine Herrlichkeit spüren, sondern auch Gottes Angesicht sehen. Gott zeigt in Jesus Christus sein wahres Gesicht. Das Wort ward Fleisch und wir sahen seine Herrlichkeit, schreibt er (Joh 1,14a). Johannes betont dabei das Wesen der Herrlichkeit Gottes: Seine Liebe zu uns Menschen. Wer in seiner Liebe bleibt, bei dem bleibt Gott. Der ist Teil der Herrlichkeit Gottes. Wird ewiges Leben haben, selbst wenn er stirbt. Wer die Person Jesu sieht, der sieht Gott in seiner ganzen ergreifenden Schönheit und Liebe. Diese Sprache kennen wir alle. So sprechen Liebende zueinander. Johannes spricht die Sprache der Liebe.

Paulus, wenn er über die Herrlichkeit spricht, provoziert. Er fordert das Denken und Fühlen heraus. Ziemlich knackig sogar. Er behauptet: In der Kreuzigung zeigt sich die Herrlichkeit Gottes. Die Selbstpreisgabe der Erhabenheit Gottes ist die Offenbarung seiner Erhabenheit. Seine eigene Erniedrigung ist sein Auferstehen in Herrlichkeit. Das geschundene Gesicht des Gekreuzigten offenbart die Schönheit der neuen Schöpfung. Der Auferstehung des wahren Menschen.
Der Mensch, wie er ist, mitsamt seinem Leiden ist einer, der an der Schönheit und Erhabenheit Gottes Anteil hat. Das ist ein „Frontalangriff“ auf das antike Nachdenken über Gott und Mensch. Wir erinnern uns: In der ganzen Antike wurden behinderte Kinder sozusagen auf die Müllhalde geschmissen (berühmtes Beispiel ist Ödipus). Paulus sagt: Gott ist mit seiner Herrlichkeit, seiner Liebe, seiner Zuwendung gerade bei denen, die auf die Müllhalde des Lebens geworfen wurden. Und da schließt sich der Kreis zur Wüstenwanderung: Wie sich Gott damals den Ausgestoßenen zugewandt hat, denen, die kein Platz mehr hatten in der Gesellschaft, den Sklaven, den Armen, Ausgebeuteten und Flüchtlingen, denen die ein Ort zum Leben suchten, so tut er es immer wieder. Bis heute. Das ist seine Herrlichkeit.
So gehen auch wir hoffentlich aus diesem Gottesdienst mit dem Trost dieser Geschichte. Auch wir sind aus dem Leben gefallen, suchen unseren Platz im Leben, müssen durch die Wüste gehen, fühlen uns vielleicht weggeschmissen, wollen uns gar selber wegschmeißen. Gott aber in seiner Herrlichkeit sammelt uns auf und spricht mit uns, wie nur Verliebte miteinander sprechen können. Ich gehe mit dir. Ich werde mich dir zeigen. Du bist in meinen Augen ungeheuer wertvoll. Ich habe dich liebgewonnen.