Mit leichtem Gepäck und großer Verheißung – Predigt zu 1. Mose 12, 1 - 4a von Anke Fasse
12,1-4a

Mit leichtem Gepäck und großer Verheißung – Predigt zu 1. Mose 12, 1 - 4a von Anke Fasse

Liebe Gemeinde,

er hat sein Leben gelebt. Fünfundsiebzig Jahre ist er inzwischen alt. Er lebt schon eine ganze Weile an einem Ort, der ihm zur Heimat wurde. Dort lebt er zusammen mit seiner Frau, seinem Bruder und einer großen Verwandtschaft. Ja, er hat sein Leben gelebt und eigentlich ist auch alles in Ordnung so. Man hat sich halt so eingerichtet. Ja, manchmal ist er traurig, dass er keine Kinder hat. Aber mit fünfundsiebzig Jahren muss er nun wirklich damit abschließen. Und noch einmal umziehen? Nein, einen alten Baum verpflanzt man nicht. Abraham heißt er, und er ist ein gottesfürchtiger Mann. Vielleicht kennen Sie ihn. Oder Ihnen fallen vielleicht Menschen ein, zu denen die Beschreibung von Abraham auch irgendwie passt.

Mitten in seinem normalen Alltag, kam für Abraham der Tag, der alles veränderte. Kein „Weiterso“, sondern Umbruch und Aufbruch wurde von ihm gefordert – und Vertrauen.

Aber hört selbst:

Der Herr sprach zu Abraham: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ Da zog Abraham aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte. (1. Mose 12, 1-4a)

 

Unglaubliches wird da von Abraham gefordert – und das in seinem Alter. Er soll seine Heimat verlassen, die ihm seit vielen Jahren vertraut ist, wo er verwurzelt ist. Er soll seine Verwandtschaft verlassen, die zu ihm gehört und ihm Sicherheit gibt. Er soll alles zurücklassen, nur mit seiner Frau Sara und seinem Bruder soll er aufbrechen, mit kleinem Gepäck und einer großen Verheißung. Ich will dich segnen und du sollt ein Segen sein – das sagt Gott zu ihm. Abraham, der jetzt schon fünfundsiebzig ist und seine Frau nicht viel jünger, er wird eine große Nachkommenschaft haben, auch wenn es sich unglaublich anhört. Bleibe nicht, geh nicht dahin, wo Du willst, sondern geh in das Land, das Gott dir zeigen wird. Mach dich auf den Weg, mach dich frei, geh mit der Verheißung Gottes und mit seinem Segen.

 

Unglaubliches wird von Abraham gefordert. Aber der hört Gottes Auftrag ganz deutlich – und er stellt sich voller Vertrauen unter seine Verheißung und unter seinen Segen. Davon lesen wir in der Bibel.

Später lesen wir auch von Schwierigkeiten auf dem Weg, von Zweifeln, denn der Weg in das gelobte Land ist alles andere als eine gut ausgebaute Autobahn. Und die große Nachkommenschaft ist auch nicht im nächsten Jahr da. Aber Abraham geht seinen Weg. Er vertraut seinem Gott – und dessen Verheißung.

 

Ich denke an so viele andere Menschen, die ihre Heimat verlassen, oftmals verlassen müssen, zu allen Zeiten gab es sie. Ich denke an meine Großeltern, die vor gut 70 Jahren Flüchtlinge waren. Die aufbrachen aus ihrer Heimat, und fast alles zurückließen. Das Gepäck war klein, der Weg mühevoll und oftmals gefährlich. Hunger, Angst und Sorgen waren Begleiter. Und schließlich ein Ankommen an einem neuen Ort gar nicht leicht.

Vor wenigen Tagen las ich in der Zeitung, dass gerade aktuell so viele Menschen, wie noch nie zuvor auf der Flucht sind, ihre Heimat und fast alles, was ihnen vertraut war, hinter sich gelassen haben und auf der Suche sind nach einem neuen Ort, nach einem neuen Leben, nach Sicherheit.

 

In meiner Arbeit als Krankenhausseelsorgerin erlebe ich noch ganz andere Aufbrüche, die von Menschen gefordert werden. Meist unfreiwillig. Meist scheint das Leben vorher in guten, ruhigen Bahnen zu verlaufen. Alles ist gut und normal, kein Grund oder Wille, etwas zu verändern. Und dann kommt die Krankheit, die alles auf den Kopf stellt. Die Sicherheit nimmt. Die alten Gewohnheiten unmöglich macht. Die zum Aufbruch zwingt. Der Weg scheint oft unkalkulierbar und vor allem sehr beschwerlich. Und das Ziel?

 

Abraham. Ein Menschheitsvater. Vater aller drei großen monotheistischen Religionen. Von ihm fordert Gott einen unglaublichen Aufbruch. Exemplarisch.

In der Bibel lesen wir nichts davon, ob Abraham versucht hat mit Gott zu verhandeln. Wir lesen nichts von seinen Sorgen und Ängsten, von seinen Tränen. Wir lesen von seinem großen Vertrauen in den Gott, der für ihn Grund und Ziel des Lebens ist. Wir lesen von seinem offenen Ohr für diesen Gott der Väter und seinem Gehorsam in sein Wort. Und mit der Verheißung dieses Gottes und unter seinem Segen, konnte Abraham voller Vertrauen aufbrechen. Er tat dies als erster. Exemplarisch. Als Vater einer großen Nachkommenschaft. Als Menschheitsvater.

Vertrauen ist ein Wagnis. Abraham ist es eingegangen, sein Glaube gab ihm die Kraft dazu. Und auf dem Weg, mit all seinen Umwegen und Beschwernissen, hat er die Erfahrung gemacht, dass Gottes Verheißungen tragen.

Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen. So hat es Dietrich Bonhoeffer ausgedrückt.

 

Leben und Aufbruch, dies gehört zusammen. Es gibt die großen freiwilligen und auch die unfreiwilligen Aufbrüche. Die neuen Lebensabschnitte. Die äußeren Gründe, die den Aufbruch fordern. Und es gibt die kleinen täglichen Aufbrüche. Kein Ort, kein Mensch, keine Gewohnheit, kein Umstand ist ewig, ist fest, ist sicher.

 

Im Urlaub bekommen wir manches Mal eine Ahnung davon.

„Ein Tourist macht Station in einem Kloster. Er wird freundlich aufgenommen, und man bietet ihm eine Mönchszelle als Schlafquartier an. Darin stehen nur ein Bett und ein Stuhl. In der Tür fragt der Tourist erstaunt: „Und wo sind Ihre Möbel?“ „Wo sind denn Ihre?“, erwidert der Mönch. Verwirrt antwortet der Tourist: „Ich bin ja nur auf der Durchreise.“ Der Bruder lächelt: „Wir auch.““

 

Wir sind auf der Durchreise, immer wieder zu neuen Aufbrüchen herausgefordert. Aber seit Abraham sind wir nie allein unterwegs, nie ohne Ziel. Gottes Verheißung und sein Segen, beides ist da, aktuell.

Und wie das Vertrauen darin, vor Urzeiten an Abraham lag – so liegt es heute an uns, darauf zu vertrauen, dass Gott mit mir und mit Dir auf dem Weg ist, durch alle Kurven hindurch und bei allen Aufbrüchen. Dass er für mich und für Dich ein Ziel hat und auch am Ende einen Neuanfang. Und Gott spricht: Ich will Dich segnen. Und so sollst und wirst Du selbst ein Segen sein, jeden Tag neu. Amen