Predigt zu Johannes 6, 30-35 von Matthias Rein
6,30

Predigt zu Johannes 6, 30-35 von Matthias Rein

Liebe Gemeinde,
das Himmelsbrot steht auf dem Flugfeld in Nairobi.
  14 Tonnen, ein mittlerer LKW voll, verladen in einem Flugzeug.
  Seit zwei Tagen steht das Himmelsbrot da. Aber das Flugzeug startet nicht, es bekommt keine Starterlaubnis.
Himmelsbrot – das sind kleine Päckchen mit Erdnusspaste. Angereichert mit Milchpulver und Mineralien. Die Flugzeugladung kann 5000 Kinder am Leben erhalten, einen Monat lang.
Kinder sitzen oder liegen erschöpft und dem Tode nahe in Mogadischu, Somalia.
  Sie haben Hunger. Sie sind ganz still. Sie warten auf Rettung, sie hoffen. Auf das Flugzeug mit dem Himmelsbrot.
Das aber steht auf dem Flugfeld in Nairobi, Kenia, 1000 km entfernt, drei Flugstunden.
  So ein Flug - Routine. Und es darf nicht starten. Warum nicht? Das weiß man nicht so genau: Bürokratie, Korruption, politische Absichten.
Ein Flugzeug, 14 Tonnen – 5000 Kinder.
  Himmelsbrot – wenn es da ist, dann leben 5000 Kinder, und wenn nicht, dann sterben sie.
Unser Bibelwort vom Brot, vom Brot des Lebens, liebe Gemeinde, kann man nicht verstehen, wenn man satt ist. Man kann es nur verstehen, wenn man Hunger hat.
Ich hatte Hunger damals, so erzählt mir ein Mann bei seinem 75. Geburtstag. Ich war 10 Jahre alt im Jahr 1946, wir waren Flüchtlinge und hatten nichts. Meine Mutter ging von Bauernhof zu Bauernhof und bettelte um ein Stück Brot.
  Er erzählt mir das an einem gedeckten Tisch: Brez´n, Lachshäppchen, Kuchen. 75. Geburtstag halt. Die Erfahrung des leiblichen Hungers hat sich tief in seine Seele eingegraben. Hunger, nichts anderes mehr fühlen, nichts anderes mehr denken können, das ist schrecklich. Und das ist demütigend. Es reduziert uns auf die nackte Leiblichkeit. Wir brauchen Nahrung, um zu leben. Alles andere wird nebensächlich.
„Ich habe Hunger!“ Mein Sohn, 13 Jahre alt, stürzt zur Tür herein, immer mittags, wenn er aus der Schule kommt. Die wichtigste Frage: „Was gibt es heute?“ Und dann setzt er sich an den Tisch und isst.
  Ausgehungert sein und nichts zu essen haben - wir kennen diese Erfahrung glücklicherweise nicht mehr seit vielen Jahren.
Hunger aber gibt es auf der Welt zu viel. Kein einziger Mensch, so sagen die Hilfsexperten, müsste hungern, wenn Friede herrschte, wenn umsichtig Politik gemacht würde, wenn Menschen sorgsam mit Boden, Pflanzen und Wasser umgehen.
Hunger hatte Israel in der Wüste. Und das Brot kam vom Himmel. Gott ließ das Manna vom Himmel regnen. Diese Erfahrung - der leibliche Hunger und das rettende Himmelsbrot - hat sich dem Volk Israel tief ins Gedächtnis eingegraben. So ist Gott, so lehrt diese Erfahrung. Und jede Generation lernt diese Erfahrung neu kennen: Wir hatten Hunger und er gab uns zu essen.

Seit vielen Jahren wissen wir nicht mehr, was lebensbedrohlicher Hunger ist.
  Wie aber steht es mit dem Hunger der Seele?
  Ich bin so satt, so merke ich in den letzten Tagen. Ich bin satt im Blick auf die Arbeit mit ihren Anforderungen, den Entscheidungen, dem Druck, den Schwierigkeiten, den Unwägbarkeiten. Ich brauche Abstand vom Alltagsgetriebe, ich bin urlaubsreif.
  Und in dieser Sattheit, in dieser Übersättigung spüre ich einen Hunger. Hunger nach äußerer und innerer Ruhe, nach Stillstand, nach Entschleunigung, nach Besinnung auf Wesentliches.
  Man kann das Wort vom Brot des Lebens nicht verstehen, wenn man den Hunger der Seele nicht spürt.
  Hunger der Seele – was meint das?
Amy Winehouse, Soulsängerin aus England, ist vor einigen Tagen im Alter von 27 Jahren gestorben. Alkohol, Drogen, völlige Verausgabung in Konzerten und auf Partys. Ihr Körper brach zusammen. Menschen wie Amy Winehouse, so ein spezialisierter Pschyologe, spüren in sich eine große Leere. Sie versuchen alles, um dieser Leere zu entfliehen. Der Applaus von zehntausenden Konzertbesuchern soll helfen, Alkohol, Drogen. Ob sie so mit dieser Leere fertig werden, bleibt ein Spiel auf Leben und Tod.
Diese große Leere, sicher nicht so extrem wie bei Amy Winehouse, spüren auch andere Menschen. Wachstum, Optimierung, Individualisierung, authentisches Leben soll diese Leere füllen. Und so geraten wir in eine Spirale des „Immer besser“, des „Immer authentischer“.
  Kann so der Hunger der Seele gestillt werden? Kann so die innere Leere verschwinden?
Übersättigung, Reizüberflutung einerseits, innere Leere andererseits. Zwischen diesen Polen schwanken wir hin und her.
Die Sommertage sind eine Chance, den Hunger der Seele wahrzunehmen, ihm nachzuspüren.
  Das Getriebe fährt runter, wir können Abstand gewinnen und uns besinnen.
  Wo ist meine Seele unterwegs? Was macht mich unruhig und unzufrieden? Wo bin ich leer? Wo bin ich geborgen, wo erlebe ich partnerschaftliche Beziehungen?
  Der Hunger der Seele – ihn zu spüren ist lebenswichtig.
  Und ihn zu stillen und zwar mit dem Brot, das die Seele satt macht, auch.
Was stillt den Hunger der Seele?
  Es gibt Menschen, die sind wie Brot für die Seele. In der Begegnung mit diesen Menschen spüre ich: Ich werde gehört. Was ich sage, denke, fühle, erzeugt Resonanz im Anderen. Und ich nehme Neues auf: Anregende Gedanken, Lebendigkeit, Visionen, Energie.
Vielleicht fällt Ihnen ein Mensch ein, eine Begegnung, ein Gespräch, ein Satz, eine Frage, die das Wichtige benennt und Sie begleitet.
  Menschen, die Brot sind für die Seele: Nicht zu weich, nicht zu süß, nicht zu luftig, nicht zu schnell zu verdauen. Eher kernig, kräftig, inhaltsreich und nachhaltig nahrhaft.
Vielleicht begegnen Sie einem solchen Menschen in diesem Sommer wieder, ein Mensch, der wichtig für Sie ist. Der die Seele nährt.
Jesus Christus spricht so von sich: Ich bin das wahre Brot des Lebens. Wer an mir teil hat, dessen Hunger wird gestillt. Der leibliche und der seelische Hunger.
Das wahre Brot des Lebens?
  Ein herausforderndes Bild. Eine starke Behauptung. Und eine große Verheißung:
  Verbinde Dich mit mir und dein Hunger wird gestillt, so fordert Jesus auf.
  Verbinde Dich mit mir, und du gelangst in ein Kraftfeld,
  das dir Lebenskraft gibt,
  das dich nährt,
  in dem Du Resonanzen spürst und aus guten lebendigen Beziehungen lebst.
Brot zum Leben, Brot, das lebendig macht, Brot, das leben lässt.
Jesus Christus hält dieses Brot in der Hand, es ist Himmelsbrot, Nahrung für Leib und Seele. Er streckt seine Hand aus und bietet uns solches Brot an: Nimm und iss vom Brot des Lebens.
Und das Ende?
Nach zwei Tage Warten konnte das Flugzeug mit dem Himmelsbrot starten.
  Eine Helferin aus dem Flüchtlingslager in Mogadischu erzählt, wie es weiterging:
  „In einem Krankenhaus hier war ein zwei Monate altes Baby. Es wog nur so viel wie ein Neugeborenes und sah aus wie ein alter Mann, mit hohlen Wangen und eingesunkenen Augen.
  Wir konnten der Mutter Spezialnahrung geben und auch dem Kind.
  Wenige Tage später sah der Junge schon deutlich besser aus, die Verwandlung war unglaublich. Darum müssen wir helfen.“
Amen
 
Gliederung der Predigt:
1. Der Hunger des Leibes und das Himmelsbrot
  2. Der Hunger der Seele und das Himmelsbrot
  3. Menschen – wie Brot / Christus – das Brot des Lebens
  4. Das Ende?
Perikope
Datum 07.08.2011
Bibelbuch: Johannes
Kapitel / Verse: 6,30
Wochenlied: 221 326
Wochenspruch: Eph 2,19