Predigt zu Matthäus 28,16-20 von Sven Keppler
28,16-20

Predigt zu Matthäus 28,16-20 von Sven Keppler

I. Lin Aili will keine Angst mehr haben. In ihrem Glauben sucht sie Halt. Katja Eichhorn aus dem ZDF-Studio in Peking erzählt ihre Geschichte.1 Lin kniet vor einer Holzbank in der dritten Etage eines einfachen Hauses. Die Wände sind kahl. Die weiße Farbe blättert ab.

Mit anderen Gläubigen singt sie Kirchenlieder. Inbrünstig, die Finger ineinander verkrampft. Dann betet sie. Vor allem dafür, dass ihr Ehemann Huang Yizi, der Pfarrer der Gemeinde, bald aus dem Gefängnis entlassen wird.

Sie bewahrt sich einen Hauch von Hoffnung, obwohl Huang erst vor ein paar Tagen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Er wollte kein Schuldeingeständnis unterschreiben wie viele andere.

Was war passiert? Die Behörden in China gehen immer stärker gegen Christen und ihre Kirchenhäuser vor: Sie entfernen Kreuze, zerstören Kirchentreppen, reißen Kirchen sogar komplett ein – und sie verurteilen Pfarrer und Gläubige, die sich dagegen wehren, zu Haftstrafen.

Auch Huang Yizi hatte zusammen mit anderen Gläubigen gegen den Abriss einer Kirche protestiert. „Er hatte vorgeschlagen, dass alle zusammen ein Lied singen“, sagt Lin Aili. „Nach diesem Gebet wollte er, dass sich die Menge auflöst. Trotzdem wurde er wegen Störung der öffentlichen Ordnung verurteilt.“

„Das ist ein Konflikt zwischen den Ideologien“, sagt Huang Yizis Anwalt. „China wird autoritär regiert, das wissen wir alle. In der Gesellschaft wird alles monopolisiert. Sowohl das Materielle als auch das Geistliche und daher eben auch der Glauben. Die Kirche fordert das Glaubensmonopol heraus. Das ist eine Form von Ungehorsam.“

II. Die Verfolgung von Christen ist so alt wie das Christentum selbst. Heute zum Beispiel ist der Gedenktag von 3 Männern, die im Jahr 304 getötet wurden: Felix und Nabor aus Nordafrika und Hermagoras, ein Bischof aus Norditalien.

Sie wurden ermordet, als Kaiser Diocletian die Christen verfolgen ließ. Dieser römische Kaiser hatte versucht, das römische Reich zu reformieren und zu stärken. Das Christentum sah er dabei als Gegner. Als Konkurrenten. Und so startete er die vielleicht brutalste römische Gewaltwelle gegen die Anhänger unseres Glaubens.

Wie kommt es, dass autoritäre Systeme von Rom bis China immer wieder Christen verfolgen? Was ist an unserer friedlichen Religion so gefährlich? Was macht Diktatoren aller Zeiten so unruhig, wenn sie mit Christen zu tun haben? Steht nicht der Friede im Zentrum unseres Glaubens? Und eine gewaltlose Herzensfrömmigkeit?

Wir kommen einer Antwort auf die Spur, wenn wir den heutigen Predigttext lesen. Es ist der berühmte Schluss des Matthäusevangeliums [lesen: Mt 28,16-20].

Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Das ist unmissverständlich. Eine klare Ansage. Machet zu Jüngern alle Völker. Lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Kein Wunder, dass Machthaber bei solchen Worten unruhig werden. Sie müssen das als eine unerhörte Konkurrenz empfinden. Ihr eigenes Gewaltmonopol trifft auf ein anderes, das überlegene Ansprüche anmeldet. Ihre eigene Forderung nach Gehorsam wird von einer anderen noch überboten.

Es ist also ganz deutlich: Bei den Diktatoren liegt kein Missverständnis vor. Sie schätzen das Christentum nicht falsch ein, wenn sie eine Konkurrenz empfinden. Sondern sie fühlen sich zu Recht infrage gestellt. Je absoluter ihr eigener Anspruch auf Herrschaft ist, umso konsequenter geraten sie mit den Worten des Auferstandenen in Konflikt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.

III. Erstaunliche Worte für einen, der kurz zuvor hingerichtet worden war. Für einen Rabbi, der übers Land gezogen war und Kranke geheilt hatte. Der versucht hatte, Ausgegrenzte wieder in die Gesellschaft einzugliedern.

Jesus hatte sich damals kritisch gegenüber Macht und Herrschaft geäußert: Die Könige üben Macht über ihre Völker aus, und die Tyrannen lassen sich sogar noch Wohltäter des Volkes nennen. Bei euch muss es anders sein! Der Größte unter euch muss wie der Geringste werden und der Führende wie einer, der dient. Wer ist denn größer: der am Tisch sitzt oder der bedient? Natürlich der am Tisch! Aber ich bin unter euch wie der Diener. [Lk 22,25-27, Gute Nachricht]

Vom Sozialarbeiter zum Weltenherrscher. Innerhalb von einer Woche. So erlebten es seine Anhänger, kurz nach dem Osterfest. Jesus war nun der „Herr“. Mit einem Herrschaftsanspruch, der in dieser Welt keine Grenze kennt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Wie konnte es zu diesem Umschwung kommen?

Der Tod Jesu hatte alles verändert. Aber nicht eigentlich sein Tod. Sondern dass seine Anhänger überzeugt wurden: Er lebt! Er ist nicht tot geblieben. Deshalb ist es kein Zufall, dass uns der Predigttext als Rede des Auferstandenen begegnet.

Die Mächtigen, die ihn beseitigen wollten, haben ihr Ziel nicht erreicht. Ihre Macht war nicht stark genug für ihn. Sie haben sich an ihm die Zähne ausgebissen. Ja sogar der Allermächtigste konnte ihn nicht bezwingen: der Tod. Der sonst noch jeden Tyrannen und Diktator klein gekriegt hat.

Der Tod ist der grausamste Herrscher von allen. Mit ihm verbünden sich die Gewalthaber, um ihre Schreckensherrschaften auszuüben. Mit dem Tod im Bunde schicken die Juntas ihre Todesschwadronen ins Land. Aber selbst der Tod war machtlos gegenüber Jesus.

Folgte daraus nicht sonnenklar: Jesus, der zarte Prediger, ist in Wahrheit der Mächtigste von allen?! Der sanfte Heiler ist der stärkste Herrscher! Nicht aus sich heraus. Sondern die Gewalt ist ihm gegeben. Von dem, der allein wahre Macht verleihen kann – von Gott. Vom Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat.

IV. Wir dürfen das Thema ‚Macht‘ nicht verharmlosen. Nicht klein reden. Es geht nicht bloß um eine irgendwie geistige Macht. Nicht nur um eine Herrschaft über die Gedanken und Seelen. Jesus ist nicht bloß König der Herzen. Ihm ist wirklich alle Gewalt gegeben. Auf Golgatha habe wir gesehen, dass es um einen ganz realen Machtkampf geht.

Auch im nationalsozialistischen Deutschland wurde deutlich, dass das ein ganz realer Machtkampf sein kann. Die Bekenntnisschrift, die mitten in diesem Machtkampf vor 81 Jahren entstand, ist die Barmer Theologische Erklärung. Dort heißt es unzweideutig: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären.“

Sobald ein Staat über den ganzen Menschen herrschen will, gerät er in Konkurrenz zum christlichen Glauben, ja zu Christus selbst. Sobald er einfordert, dass Menschen ihren Glauben in bestimmten Lebensbereichen ausklammern. Sobald er nicht anerkennt, dass es eine Macht gibt, die größer ist als er. Der „Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Diese berühmt gewordene Einsicht des früheren Verfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde bringt es auf den Punkt.

V. Was heißt das für uns? Ich möchte das in einigen kurzen Sätzen auf den Punkt bringen:

•   Wir dürfen uns täglich daran erinnern, wer letztlich die Macht über unser Leben hat. Nicht die Zwänge des Alltags. Nicht die Polizei. Auch nicht unsere Krankheiten. Sondern Jesus, der Auferstandene.

•   Wir dürfen für unseren freiheitlichen Staat eintreten, wenn er um seine Grenzen weiß. Wenn auf die Erwähnung Gottes in der Verfassung verzichtet wird, wie zuletzt in Schleswig Holstein, ist das der falsche Weg.

•   Wir dürfen unsere Geschwister wie Lin Aili und Huang Yizi nicht vergessen. In China und vielen anderen Ländern der Welt. Nie gab es so viele Christenverfolgungen wie heute. Diese Menschen brauchen unsere Solidarität und unser Gebet.

•   Wir dürfen uns aber auch nicht verleiten lassen, Glaubenskämpfe mit den falschen Mitteln zu führen. Hassprediger und islamische Fundamentalisten spüren natürlich, dass der Anspruch Christi auch ihnen entgegentritt. In jeder Auseinandersetzung sollen wir uns erinnern, was die angemessenen ‚Waffen‘ des Glaubens sind: Wahrheit, Gerechtigkeit, Friede und Vertrauen [Eph 6,14-16]. Wenn Jesus sagt, dass wir lehren und leben sollen, was er uns befohlen hat – dann meint er genau dies.

•   Und vor allem: Wir dürfen darauf vertrauen, dass Jesus bei uns ist. Dass seine liebevolle, menschenfreundliche Macht uns trägt. Alle Tage. Bis an das Ende der Welt. Amen.

1 Quelle: http://www.heute.de/christenverfolgung-wie-christen-in-china-drangsalier...