Wer nicht den rechten Glauben hat, der muss zweifeln - Predigt zu Matthäus 10,32-39 von Thomas Thieme
10,34-39

Wer nicht den rechten Glauben hat, der muss zweifeln - Predigt zu Matthäus 10,32-39 von Thomas Thieme

Wer an einen Gott glaubt, der wird zweifeln; und wer an seinem Gott zweifelt wegen Christus, der wird glauben.

 

Sie war schon immer ein neugieriges Mädchen und der Stolz ihrer Mutter. Vater mochte die Söhne mehr – behauptete er und zog sie groß mit harter Hand und im rechten Glauben. Seine kleine Prinzessin hatte es da leichter – sie durfte mehr, schon immer. Und so fiel es nicht weiter auf, als sie das erste Mal nicht mit beim Freitagsgebet war. Als sich ihre Abwesenheit häufte, machten sich Vater und Mutter Sorgen. Sie baten zwei der Söhne, ein Auge auf sie zu haben.

„Wir dürfen sie nicht verlieren.“ Sagte Vater, nachdem er es wusste. „Meine Kleine, ach meine Kleine“ rief Mutter immer wieder aus und Tränen rannen ihr über das Gesicht.

„Dann ist es beschlossen,“ sprach der älteste Sohn, „wir werden ihr helfen.“ Am nächsten Tag stiegen der Älteste und der Mittlere in das Auto, passten ihre Schwester auf dem Weg von der Arbeit in das Christenhaus ab, zerrten sie ins Auto, fuhren mit ihr hinaus zur Psychiatrie und wiesen sie ein. Ihre Schwester musste geheilt werden mit allem, was der Medikamentenschrank hergab. Kein gesunder Mensch würde doch vom Glauben abfallen und erst recht nicht, einen anderen Glauben annehmen.

„Kaum auszudenken, wenn sie uns alle angesteckt hätte“ sprach der mittlere Sohn auf dem Heimweg. „Ja, fürchterlich,“ meinte der Ältere, „sie hätten uns aus dem Haus gezerrt, alles zerschlagen und uns mit Knüppeln aus dem Dorf gejagt.“ Die Brüder hatten Angst und ihre Angst war berechtigt.

 

Wer an einen Gott glaubt, der wird zweifeln; und wer an seinem Gott zweifelt wegen Christus, der wird glauben.

 

So, wie der Ungenannten erging es Maryam aus dem Iran und Rashad aus Jordanien, erging es Raymond Koh Keng Joo aus Malaysia und Su-Xing aus China, erging es Ruben aus Kolumbien. Wenige Namen für 200 Millionen Christen, die weltweit verfolgt werden. Rashad ist Priester, seine Kirche wurde zerstört, als er Muslime einlud. Ruben ist Missionar, er wurde entführt auf dem Weg zu den indigenen Bewohnern. Auch Raymond wurde von Nachbarn entführt.

Das Schwert, das Christus bringt, ist keine Waffe, die Christen führen. Es ist die Waffe, die wir spüren, wenn wir uns zu ihm bekennen. Bei uns mag das Spott sein oder Ignoranz. In China oder Malaysia ist es staatliche Drangsalierung ähnlich wie zu DDR-Zeiten – es sind keine scharfen Schwerter. Dennoch braucht es Mut, sich in solchen Situationen öffentlich zu Christus zu bekennen, zum Beispiel, indem man ein Kreuz trägt, das mehr ist als nur ein Schmuckstück – das ein Bekenntnis ist.

„Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.“

Ist das der Sinn dieser Sätze? Sind sie für Maryam gesagt und Rashad, für Raymond und Ruben? Ist das der Sinn dieser Sätze für Somalis oder Saudis, für Afghanen, Nord-Sudanesen oder Iraner – in allen diesen Ländern droht auf den „Abfall vom Islam“ die Todesstrafe und sie wird in der Regel mit einem Schwert vollzogen. Der Übertritt zum Christentum gilt als Geisteskrankheit. Was für eine unmenschliche Zumutung, in so einer Welt glauben zu wollen, glauben zu müssen.

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Was für eine Zumutung.

 

Wer an einen Gott glaubt, der wird zweifeln; und wer an seinem Gott zweifelt wegen Christus, der wird glauben.

 

Ein scharfes Schwert spüren auch diejenigen Christen, die von ihrer eigenen Familie entführt, eingewiesen oder „nur“ verstoßen werden. Der Glaube an Christus schneidet sie ab von allem, was ihnen vertraut war, was Sicherheit gab und Geborgenheit. Ihre eigenen Familien schneiden sie aus sich heraus wie ein faulendes Stück Fleisch. Zu diesen Christen spricht Christus:

„Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“

Wie schwer wiegt das Kreuz dieser Christen – die ein Leben mit Gott finden und dafür alles verlieren, was bisher ihr Leben war. Die ihr Leben verlieren und trotzdem weiter leben müssen. Wie schwer wiegt das Kreuz dieser Christen und wie schwer ist es für mich, mir das überhaupt vorzustellen in unserer friedlichen und heimeligen kleinen Welt, unserer Insel der Glücksseligkeit, wo wir uns alle lieb haben. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“ Das ist unsere Zumutung, wenn auch auf ganz andere Weise, als Verfolgung oder Entführung.

Würden sie sagen: sie lieben Gott? Klar würden sie – warum auch nicht. Aber ihn mehr lieben als die eigene Mutter, den eigenen Vater. Mehr als die eigenen Kinder – können wir das als Helikoptereltern, als allumfassend fürsorgliche Behüter unserer kleinen Prinzen und Prinzessinnen – wer könnte diesen Glaubenssatz für sich sagen? Andererseits – mit der Familie, das kann schon ein Kreuz sein. Streit und Ärger, Zorn und Groll – wir tragen sie nicht vor uns her, aber es gibt sie. Und Streit ist ja etwas sehr Menschliches. Selbst Ablehnung kann ich ertragen, wenn sie friedlich bleibt – ich muss weißgott nicht jeden lieben, der unter Gottes Sonne auf dieser Erde wandelt.

Aber die eigenen Kinder ablehnen, oder die Eltern – das macht betroffen, das soll doch so nicht sein und das steht doch auch ganz anders in unserer Bibel. Da steht doch, du sollst Vater und Mutter ehren – und ich will noch mehr, ich will sie lieben dürfen, will sie lieben können. Und was könnte ich mehr, als zu lieben, als mich an sie zu binden, so wie sie sind – ein Band zwischen uns zu knüpfen, dass fester ist als Macken und Marotten, als Gesinnung oder Lebenswandel.

Ich habe durch meine Eltern, durch meine Familie gelernt, was es heißt zu lieben und geliebt zu werden. Und ich habe gelernt und erfahren, auch Gott so zu lieben und von ihm so geliebt zu werden – ich kann nicht mehr als dieses Lieben. Und wem das nicht vergönnt ist, dem wünschen ich von Herzen, er möge doch den umgekehrten Weg finden. Er möge Gott erfahren als den, der Liebe möglich macht, zu den Eltern, zu den Kindern. „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, die ihn fürchten.“ Psalm 103. „Ich will euch trösten, wie einen seinen Mutter tröstet.“ Jesaja 66.

 

Wer an einen Gott glaubt, der wird zweifeln; und wer an seinem Gott zweifelt wegen Christus, der wird glauben.

 

Christus bringt das Schwert und entzweit die Familie. Entscheidet euch, wen ihr mehr liebt. In diesen Sätzen stecken Erfahrungen, die uns fremd sind und die eine Zumutung für meinen Glauben sind. Ich könnte sie historisch einordnen und einbetten in weiches Wissen und ihnen so ihre Schärfe nehmen – aber was hülfe das Maryam oder Ruben und all den ungenannten Verfolgten, was hülfe das Christian oder Marianne und all den Unbekannten, die schwer an ihrem Leben tragen.

Wie leicht wiegen doch meine Zweifel, wenn sie für diese Menschen ein Grund zu glauben sind und eine Möglichkeit, zu erfahren, was Welt und Menschen ihnen verwehren: den Frieden Gottes, jenen Frieden, der höher ist als all unsere Vernunft.

Um diesen Frieden bitte ich für sie und für uns, das er Eure und Ihre Herzen und Sinne bewahren möge in Christus Jesus.

Amen.