Predigt zu 2. Petrus 1,16-19 von Luise Stribrny de Estrada
Liebe Schwestern und liebe Brüder!
„Ich war dabei. Ich habe es selbst erlebt!“ So beginnt einer einen neuen Abschnitt in seinem Brief.[1] Es ist ihm wichtig, dass er Augenzeuge gewesen ist von etwas Großem. Das trägt ihn bis heute. Derjenige, der so schreibt, ist der Apostel Petrus, bzw. einer, der in seinem Namen spricht[2]. Was er miterlebt hat, ist die Verklärung Jesu, als Petrus, Jakobus und Johannes mit ihrem Meister auf einen hohen Berg gestiegen waren und aus der Wolken Gottes Stimme hörten: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Sie hörten und sahen, dass Jesus, den sie doch gut kannten, mit dem sie täglich Umgang hatten, mehr war als ein Mensch: Er war Gottes Sohn, in ihm konnten sie dem Ewigen begegnen. Gottes Gegenwart wurde in Jesus greifbar. Aus dieser Erinnerung lebt Petrus, aus ihr speist sich sein Glaube.
Für den Apostel ist der Glaube zusammengefasst im prophetischen Wort, das er in der Bibel findet. An ihm macht er sich fest. Wie ein Schiff mit Tauen an einem Poller festgezurrt wird, so macht Petrus sein Lebensschiff am Wort der Bibel fest. In seinem Brief heißt es:
„Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“
Petrus empfindet, dass er im Düsteren wohnt, an einem dunklen Ort. Er fühlt sich nicht wohl in dieser Welt, sondern erlebt sie als feindlich. Aber er hat eine Hoffnung: Das Licht wird sich durchsetzen, das Licht, das auf Jesu Gesicht lag, als er verklärt wurde. Der Morgenstern wird es ankündigen und wird aufgehen in unseren Herzen, so hofft es Petrus. Vom Morgenstern singen wir auch in den Liedern zu Epiphanias und meinen damit Jesus, den menschgewordenen Sohn Gottes, der zu uns gekommen ist.
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft greifen ineinander und verbinden sich im Brief des Petrus. Die Erinnerung, das, was wir mit Gott erlebt haben, macht uns stark für das Heute und Morgen. Da ist zum einen das, was wir selbst, jede und jeder von uns, schon mit Gott erfahren haben. Vielleicht war es, dass Gott an unserer Seite ging und da war, als es dunkel um uns war und wir nicht wussten, wie es weitergehen sollte. Da ist zum anderen auch das, was andere vor uns mit Gott erlebt haben. Zum Beispiel Dietrich Bonhoeffer, der sich zweifelnd fragt: Wer bin ich? Der hin- und her schwankt zwischen Verzweiflung und Gelassenheit, zwischen Zorn und Ohnmacht und doch nicht klar sehen kann, wer er ist. Am Schluss legt er das, was er von sich kennt und auch alles andere in Gottes Hände und sagt: „Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott.“[3]In diesen Worten mögen wir uns wiederfinden und sie uns ausleihen, um unsere Erfahrungen mit Gott in eine Form zu gießen.
Als Christen sind wir nicht alleine unterwegs auf unserem Weg durchs Leben. Andere gehen mit uns, wir gehören in eine Gemeinschaft. Es gab schon Christinnen und Christen vor uns, an die wir anknüpfen können. Andere sind mit uns gemeinsam unterwegs. Und es wird wieder welche geben, die nach uns kommen, und das Wort Gottes weitertragen in eine neue Zeit, die nicht mehr unsere ist. Den Glauben kann keiner alleine leben. Er braucht den Trost und die Hoffnung seiner Geschwister. - Wir Protestanten neigen dazu, die Beziehung des einzelnen zu Gott zu betonen, und es gibt viele, die sagen: Gott bin ich am nächsten, wenn ich alleine durch den Wald gehe oder einen Spaziergang am Meer mache. „Ja und nein“, erwidere ich darauf. Ich kenne auch diese Momente der Stille in der Natur, der besonderen Atmosphäre, aber das ist nicht alles. Meine eigene Erfahrung mit Gott braucht als Pendant die Gemeinschaft: zum Singen sowieso, aber auch zum Beten, zum Hören und zum Bekennen des Glaubens. Und wenn mein eigener Glaube mir manchmal klein und zerbrechlich erscheint, tut es mir gut, wenn andere mich mit ihrem Glauben stärken. Und was wären wir ohne die Geschichten mit Gott, die andere vor uns erlebt und aufgeschrieben haben?
In der Bibel, im „prophetischen Wort“, wie Petrus es in seinem Brief nennt, finden wir viele Geschichten, die uns stärken und Hoffnung geben können. Jede/r hat seine Lieblingsgeschichten, und es ist spannend, sich darüber auszutauschen, welche das sind. Welche Geschichte fällt Ihnen ein, die Ihnen besonders lieb ist? (Pause) Eine Geschichte, die ich sehr mag, ist die von der Heilung des blinden Bartimäus. Mich fasziniert, dass der Blinde nicht locker lässt, sondern immer weiter schreit: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner.“ Endlich hört Jesus ihn und ruft ihn zu sich. Er stellt ihm die Frage: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Der Blinde muss es selbst noch einmal sagen, Jesus will es von ihm hören. Und er antwortet: „Rabbuni, dass ich sehend werde.“ Da kann der Blinde auf einmal sehen. - Es gibt eine Kinderbibel, in der Bartimäus mit weit aufgerissenen Augen gemalt ist, die zum ersten Mal alles um sich herum sehen, ein Ausdruck großen Erstaunens liegt auf seinem Gesicht. Ich kann mir, wenn ich dieses Bild sehe, vorstellen, wie es ist, plötzlich alles, was vorher im Dunkel lag, mit eigenen Augen zu sehen.
Manchmal sind es auch einzelne Verse, die uns begleiten und wichtig sind. Vielleicht der Konfirmationsspruch oder der Vers, den wir uns zur Hochzeit ausgesucht haben oder der für uns ausgesucht wurde. Sie können zum Wegweiser werden, an dem wir uns immer wieder neu orientieren. „Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1.Kor.13,13) Oder: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ (Römer 12,12) Manchmal geraten diese Sprüche in den Hintergrund und beschäftigen uns über längere Zeit nicht, dann aber sind sie wieder präsent und sprechen zu uns.
Das prophetische Wort ist ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, schreibt Petrus. Das Licht bricht durch das Dunkel hindurch, und mit dem Licht kommt Gott in unsere Welt hinein. Damit wird das, was uns tagtäglich umgibt, durchscheinend für Gott. Wie kann das geschehen? Wo Menschen einander begegnen und sich helfen. Ich denke an einen Seelsorger im Altenheim, der einer demenzkranken Frau Lieder aus dem Gesangbuch vorsingt in der Hoffnung, sie damit zu erreichen und in Tiefen vorzudringen, die noch nicht verschüttet sind. Ihre Kinder haben ihm erzählt, dass sie viele Lieder auswendig kennt - oder zumindest kannte. Aber die Frau reagiert nicht, nicht beim ersten, nicht beim zweiten, nicht beim dritten Lied. Er will schon aufgeben, aber probiert es noch ein letztes Mal. Plötzlich, beim vierten Lied, hört er sie mit summen. Er hat ihr mit seinem Lied eine Hand hinstrecken können, die sie ergreift. Man kann auch sagen: Er ist für sie zum Engel geworden, zu einem Boten von Gott. Durch ihn fällt ein Lichtstrahl in ihre Dunkelheit.
Gottes Licht erreicht uns im Heute und erinnert uns daran, dass andere lange vor uns sein Leuchten gesehen haben. Das lässt uns weitergehen in die Zukunft und uns ausstrecken nach dem Morgenstern, nach Christus, der unsere Welt verändern und neu machen will. „Der Morgenstern wird aufgehen in euren Herzen“, sagt Petrus im Brief an seine Gemeinde. Das ruft er auch uns zu. In der Epiphaniaszeit erahnen wir einen Vorschein von dem Licht, das uns eines Tages ganz erfüllen wird. Wir kommen aus dem Licht und gehen hinein in das Licht. So schließt sich der Kreis unseres Lebens und ist aufgehoben bei Gott.
Ein Lied möchte ich Ihnen mitgeben zum Geleit, ein Lied, das diesen Vers aufnimmt:
„Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;
es hat Hoffnung und Zukunft gebracht;
es gibt Trost, es gibt Halt
in Bedrängnis, Not und Ängsten,
ist wie ein Stern in der Dunkelheit.“
Amen.
[1] Der Predigttext 2. Petrus 1,16-19 ist bereits als Epistel vorgelesen worden.
[2] Der 2. Petrusbrief ist ein Pseudepigraph, ich gehe hier aber nicht näher darauf ein, da das für die Predigt m.E. nichts austrägt.
[3]Dietrich Bonhoeffer „Wer bin ich?“ in: Widerstand und Ergebung