Predigt zu Offenbarung 1, 4-8 von Güntzel Schmidt
1,4

Predigt zu Offenbarung 1, 4-8 von Güntzel Schmidt

Liebe Gemeinde,
  
  Heute, an Christi Himmelfahrt,
  schauen wir in den Himmel
  und hoffen, dass er für einen glücklichen Moment aufreißt
  und wir einen Schimmer erhaschen können von Gottes Herrlichkeit.
  Heute wandert unser Blick nicht über Alltagsgrau,
  über all das Unvollkommene, das uns umgibt
  und das wir an uns selbst entdecken.
  
  Heute richten wir uns zum Himmel aus,
  heute soll es um Gott gehen und darum,
  wer er ist und wie er ist.
  Denn bei der Himmelfahrt Jesu
  muss ja der Himmel für einen Moment aufreißen;
  vielleicht lang genug,
  um einen Blick hinein wagen zu können.
  
  Der Predigttext aus der Offenbarung des Johannes
  ist der Anfang eines Briefes des Sehers Johannes,
  der einen Blick in den Himmel gewagt hat.
  Hören wir, was er schreibt:
  
  "Johannes an die sieben Gemeinden in der Provinz Asien.
  Gnade sei mit euch und Friede
  von dem, der ist, der war und der kommt,
  von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind,
  und von Jesus Christus.
           Er ist der treue Zeuge,
           der Erstgeborene von den Toten
           und der Herr über die Könige der Erde.
           Er liebt uns
           und löst uns von unseren Sünden durch sein Blut,
           und machte uns zum Königtum, Priester für Gott, seinen Vater.
  Ihm gehört die Ehre und die Herrschaft in alle Ewigkeit. Amen.
           Schau, er kommt mit den Wolken,
           und jedes Auge wird ihn sehen,
           auch die, die ihn durchbohrten,
           und trauern werden über ihn alle Völker der Erde.
           Ja, Amen.
  Ich bin das A und das Z, spricht Gott, der Herr,
  der ist, der war und der kommt, der Allherrscher."
  (Eigene Übersetzung)
  
  I
  Da schreibt einer einen Brief
  und lässt schön grüßen.
  Aber nicht von Tante Hilde und Onkel Hans,
  sondern von Gott, vom Heiligen Geist, und von Jesus.
  Die drei wünschen auch nicht nur alles Gute,
  sondern Gnade und Friede.
  Dabei meint das altertümliche Wort "Gnade",
  das wir höchstens aus Spielfilmen kennen,
  wenn jemand um Gnade bittet,
  tatsächlich so etwas wie "alles Gute".
  
  Dieses Gute der Gnade zeigt sich aber nicht darin,
  dass es uns gut geht und wir gesund sind,
  dass alles, was wir tun, gut gelingt,
  dass wir Erfolg haben und uns keine Sorgen machen müssen,
  dass wir gute und zufriedene Tage erleben
  und alle Menschen nett zu uns sind.
  
  Jesus hat uns mit seinem Leben und mit seinem Sterben gezeigt,
  was Gottes Gnade ist.
  Jesus hat uns gezeigt, dass Gottes Gnade ganz andes ist
  als das, was wir dafür halten würden.
  Johannes beschreibt es mit folgenden Worten:
           "Er liebt uns
           und löst uns von unseren Sünden durch sein Blut,
           und machte uns zum Königtum, Priester für Gott, seinen Vater."
  
  Gottes Gnade besteht darin, dass er uns liebt.
  Einen Menschen lieben, das heißt:
  ihn so annehmen, wie er ist
  ihn so gelten lassen, wie er ist,
  ihn respektieren in seiner Eigenart,
  ihn nicht wesentlich anders haben wollen.
  - So jedenfalls möchten wir geliebt werden.
  
  Einen Menschen lieben heißt auch:
  für ihn da sein.
  Solidarisch mit ihm sein.
  Hinter ihm stehen
  und sich vor ihn stellen, wenn es nötig ist.
  - So jedenfalls möchten wir geliebt werden.
  
  Gott liebt uns so.
  Deshalb wurde er Mensch
  und ging aus Liebe zu uns den Weg des Leides
  bis zum bitteren Ende,
  opferte sich,
  damit wir uns nicht opfern müssen
  und damit kein Menschleben mehr geopfert werden muss.
  
  Gottes Gnade besteht weiter darin,
  dass er unsere Sünden von uns ablöst.
  Gott unterscheidet zwischen dem Menschen, der wir sind,
  und dem, was wir getan haben.
  Er lässt nicht zu, dass unsere Vergangenheit darüber bestimmt,
  wer wir sind.
  
  Gott sagte, als er uns ins Leben rief:
  Siehe, es war sehr gut.
  Gott sieht in uns das Gute, zu dem wir fähig sind,
  sieht in uns die Menschen, die wir eigentlich sind
  und will nicht, dass unsere Fehler dieses Bild entstellen.
  
  Unsere Entscheidungen und unsere Taten
  haben uns zu den Menschen gemacht, die wir heute sind.
  Die Fehler, die Irrtümer gehören zu uns
  wie die Erfolge und die richtigen Entscheidungen.
  Wir können nichts davon ungeschehen machen.
  Deshalb hat Jesus auf sich genommen,
  was unser Gewissen belastet;
  hat alles ans Kreuz getragen,
  und dort ist es mit ihm gestorben.
  Es ist geschehen, aber es ist von uns getrennt.
  Wir müssen es nicht mit uns herumschleppen,
  wir können es am Kreuz liegen lassen.
  
  Schließlich besteht Gottes Gnade darin,
  dass er unserem Leben einen Sinn und ein Ziel gibt.
  Gott macht uns zu Königinnen und Königen.
  Gott will unsere Schönheit zum Strahlen bringen.
  Es ist nicht die Schönheit der Models und Hochglanzmagazine,
  der trainierten oder schlankgehungerten Körper.
  
  Es ist die Schönheit, die jeder Mensch besitzt
  und die der entdeckt, der diesen Menschen liebt.
  Für jemanden, der liebt, ist die Liebste eine Königin,
  ist der Liebste ein König,
  weil man mit dem Blick der Liebe
  die wahre Schönheit eines Menschen entdecken kann.
  
  Gott interessiert sich nicht dafür, wie wir sind,
  sondern wer und wie wir sein könnten:
  Mitmenschen - oder, biblisch gesprochen: Nächste.
  Wir entdecken unsere Menschlichkeit;
  dadurch werden wir Priesterinnen und Priester Gottes,
  die Gott so dienen, wie Jesus es tat:
  anderen von der Liebe, mit der Gott uns liebt, weitergeben.
  Wo das geschieht, können unsere Mitmenschen, unsere Nächsten
  durch uns einen Blick auf den Himmel erhaschen.
  
  II
  Johannes lässt schön grüßen
  und lenkt dabei unseren Blick in den Himmel:
           "Schau, er kommt mit den Wolken,
           und jedes Auge wird ihn sehen,
           auch die, die ihn durchbohrten."
  
  Der Blick in den Himmel ist auf etwas Besonderes aus.
  Mit dem Himmel verbindet man nicht das Bild des Gekreuzigten,
  überhaupt nichts Negatives.
  "Himmlisch", damit lobt man etwas ganz besonders Schönes,
  Leckeres, Angenehmes.
  Durchbohrte Hände und Füße
  sind alles andere als himmlisch.
  
  Johannes will uns Gott sehen lassen,
  wie er wirklich ist.
  Wenn wir hören,
  dass ihm die Ehre und die Herrschaft in alle Ewigkeit gehören
  und dass er Anfang und Ende umschließt,
  dann haben wir eine Art Supermann vor Augen.
  Jedenfalls nicht einen am Kreuz sterbenden Menschen.
  
  Zur Himmelfahrt passt kein Verlierer,
  kein schwacher, zerbrechlicher Mensch,
  sondern nur ein strahlender Held,
  vor dessen Größe und Gewalt alles in die Knie geht.
  Johannes aber zeigt uns Jesus,
  wie ihn auch der ungläubige Thomas zu sehen bekam:
  Mit den Wundmalen der Nägel am Kreuz.
  
  Mit der Zumutung, den Gekreuzigten anzusehen,
  gibt uns Johannes die Blickrichtung an,
  in der wir Gott finden können:
  Nicht in den Wolken,
  sondern indem wir unsere Augen auf den Boden richten,
  auf die Straße und in die dunklen Ecken,
  in die Altenheime, Krankenhäuser,
  Gefängnisse und Obdachlosenheime.
  Da ist er zu finden.
  
  Wie Gott uns nicht auf unser Versagen und unsere Fehler festnagelt,
  sondern unsere Möglichkeiten sieht
  und, wie ein Liebender, unsere wahre Schönheit entdeckt,
  so lernen wir, unsere Mitmenschen anzusehen -
  besonders die gewöhnlichen und geringen,
  die unansehnlichen und unscheinbaren.
  Wir lernen, sie anzusehen und wahrzunehmen,
  und irgendwann entdecken wir in ihnen den Menschen,
  den Gott gewollt hat.
  Dann haben wir Gott gefunden.
  
  III
           "Trauern werden über ihn alle Völker der Erde".
  Der Weg zum Glauben führt über die Traurigkeit.
  Traurigkeit, die mitfühlt mit dem Menschen am Kreuz,
  mit seinen Qualen, seiner Gottverlassenheit, seiner Verzweiflung.
  Traurigkeit, die den Gekreuzigten in all den Menschen erkennt,
  die körperliche oder seelische Qualen leiden,
  die von Familien oder Mitmenschen verlassen,
  im Stich gelassen sind,
  die verzweifelt versuchen,
  Freiheit zu gewinnen, Wohlstand,
  Gesundheit oder Gerechtigkeit.
  
  Die Traurigkeit bringt uns dazu,
  dass wir uns das nicht länger mit ansehen wollen.
  Dass wir, indem wir in diesen Menschen
  den Gekreuzigten erkennen,
  ihnen einen Aufstieg aus ihrem Elend gönnen,
  eine kleine Himmelfahrt, sozusagen.
  Unser Blick verändert sich
  - der Blick, mit dem wir unsere Mitmenschen ansehen,
  und der Blick, mit dem wir uns selbst ansehen.
  Wir lernen immer mehr,
  sie und uns mit Gottes Augen zu sehen.
  Wo uns das gelingt,
  das ist der Himmel aufgerissen.
  Amen.
Perikope
Datum 17.05.2012
Bibelbuch: Offenbarung
Kapitel / Verse: 1,4
Wochenlied: 121
Wochenspruch: Joh 12,32