Predigt über Hiob 14,1-6 von Christian Stasch
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Predigt über Hiob 14,1-6 von Christian Stasch

Predigt über Hiob 14,1-6
 
Textlesung.
 
Liebe Gemeinde,
 
Halt auf freier Strecke.
Frank ist 44, Familienvater, er sitzt mit seiner Frau Simone im Besprechungszimmer der onkologischen Abteilung. Der Chefarzt ist da. „Ja, also, man kann das hier auf der Aufnahme deutlich erkennen, hier, sehen Sie, dieser Teil von Ihrem Gehirn ist ganz normal, aber hier auf der anderen Seite – das ist… ein bösartiger Tumor in Ihrem Gehirn. Manche kann man operieren, andere nicht. Bei Ihnen sitzt das in so einem zentralen Bereich. Den kann man nicht operieren. Ja das ist wirklich: bösartig.“
 
Stille.
 
„Und was heißt das, ich meine: wie viel Lebenserwartung hab ich da noch?“, fragt Frank.
„Das lässt sich immer nicht so genau sagen“, antwortet der Arzt. „Bei denen, die man operieren kann, sind das einige Jahre, fünf oder so. Bei denen, die man nicht mehr operieren kann, ist das weniger, wie gesagt, ganz genau kann man es nicht sagen. Drei Monate vielleicht.“
 
Wieder Stille.
 
„Und was macht man da jetzt so? Ich meine: Sagt man es den Kindern?“ fragt Simone.
„Ja. Das sollte man denen schon sagen.“ – antwortet der Arzt.
 
Und fügt dann noch abschließend hinzu: „Wir wissen nicht, warum jemand so eine Erkrankung bekommt. Das ist, sozusagen, Schicksal.“
 
Frank und Simone sind die beiden Hauptrollen in dem preisgekrönten Film von Andreas Dresen „Halt auf freier Strecke.“ Der Zug des Lebens bremst ganz plötzlich, früher als gedacht: Seinen 45. Geburtstag wird Frank, das weiß er, nicht mehr erleben.
 
Nichts ist mehr wie es war. Im Leben von Frank, seiner Frau Simone und der beiden Kinder.
Das Haus in einem Berliner Vorort, gerade bezogen und längst noch nicht abbezahlt.
Frank wird zu Hause gelassen, zu Hause gepflegt, beim Sterben begleitet.
Seine Kräfte nehmen mehr und mehr ab.
Manchmal geht das Ganze auch über die Kräfte der Familie hinaus.
Und doch sind sie froh, dass es ihnen möglich ist, bis zum Schluss zusammen zu sein.
 
Irgendeine Art Deutung bietet der Film nicht an, will er auch bewusst nicht,
keine Warum-Frage oder Wozu-Frage wird gestellt.
Der Film zeigt aber den Tod mitten im Leben und die Würde des Wenigerwerdens, des Loslassens, des Begleitens, und in allem auch: der Liebe.
 
Der Arzt, der zu Beginn des Films die Krebs-Diagnose übermittelt, ist kein Schauspieler, sondern wirklicher Arzt. Das verleiht dieser Eingangsszene eine besondere Wucht.
Und solch eine Todesnachricht muss er in seinem Beruf tatsächlich dreimal pro Woche überbringen. Hiobsbotschaft.
 
2.
Die Hauptfigur des biblischen Buches Hiob, fiktive Kunstfigur wie Frank im Spielfilm,
ist fromm, tut viel Gutes und meidet das Böse.
Hiob ist wohlhabend, besitzt 7000 Schafe, 3000 Kamele, 1000 Rinder, 500 Esel, zahlreiche Knechte. Familie ist auch da: Er und seine Frau haben drei Mädchen und sieben Jungs.
 
Doch dann kommt es knüppeldick. Ein Knecht meldet es dem Hiob. Überbringt die Hiobsbotschaft. Hiob verliert zunächst alle seine Tiere, und fast alle Knechte.
Halt auf freier Strecke.
Dann die nächste Hiobsbotschaft, noch übler: Seine Kinder sterben während eines Festmahls, weil die Decke des Hauses einstürzt, in dem sie sich aufhalten.
Und dann kommt er selbst an die Reihe: Er bekommt juckende Geschwüre am ganzen Körper, das verändert ihn, macht ihn zum Außenseiter.
 
Seine Frau gibt ihm den Ratschlag: „Hältst du immer noch fest an deiner Frömmigkeit? Gib Gott den Laufpass und stirb!“
 
Kennen Sie ähnliche Ratschläge heute? „Bringt doch nichts. Glauben. Beten. 10 Gebote beachten. In die Rehburger Kirche zum Gottesdienst gehen. Kirchensteuer zahlen. Das machen Gestrige, Unaufgeklärte. Und uncool ist es sowieso.“
 
Hiob antwortet im Laufe der langen Erzählung nicht einheitlich. Zunächst klingt es noch recht abgeklärt, wenn er sagt: „Gott hat´s gegeben, Gott hat´s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“ Und: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ Das ist fast schon cool. Später aber wird seine Klage lauter: „An Haut und Fleisch klebt mein Gebein. Meine Bekannten sind mir entfremdet. Meine Gefährten verabscheuen mich. Mein Atem ist meiner Frau zuwider.“ (Kap.19). „Mich ekelt mein Leben an. Ich will meiner Klage ihren Lauf lassen und zu Gott sagen: Verdamme mich nicht! Lass mich wissen, warum du mich vor Gericht ziehst. Gefällt dir´s, dass du Gewalt tust und verwirfst mich, den deine Hände gemacht haben?“ (Kap.10). Und cool klingt es auch nicht in dem Predigt-Abschnitt, den ich zu Beginn gelesen habe: „Gott, schau doch weg von mir, lass doch ab von mir.“ Also: „Wenn das Leben schon so ist wie es ist, dann lass mich doch wenigstens in Ruhe, Gott.“
 
Hiob sagt all das nicht resignativ, sondern durchaus kämpferisch. Er ist nicht fertig mit Gott, gibt Gott eben nicht den Laufpass. Sondern wendet sich immer wieder hin zu Gott, ringt mit ihm, klagt ihm sein Leid, willigt nicht ein in seine Situation, schleudert offene Fragen hin zu Gott, gibt nicht klein bei, begehrt auf.
Und bekommt am Ende von Gott bescheinigt, „recht geredet“ zu haben.
Das Klagen, Hadern und Zweifeln gehört zum Glauben mit dazu.
Vielleicht ist gerade das in dem untröstlichen Hiobbuch das Tröstliche: Dass es einen gibt, der zuhört und die Klage zulässt: Gott.
 
Anders als im Spielfilm wird in der Hiobgeschichte nach dem Sinn oder auch Unsinn des Leidens gefragt, geradezu gerungen.  Im Film sagt der Arzt: Das, was Frank zustößt, der Krebs, ist: Schicksal.
Das was Hiob zustößt, Verlust von Hab und Gut, Kindern und Gesundheit, ist: Schicksal?
Eine schlüssige Antwort scheint es nicht zu geben, sie bleibt aus.
Auch wenn wir als Leser wissen, was Hiob nicht weiß. Dass nämlich dem Ganzen eine Wette im Himmel voraus ging. Der Teufel will mit Gott zocken und behauptet: Menschen halten an Gott ja nur fest, wennes ihnen nützt, wenn etwas dabei für sie herausspringt. Gott hält dagegen: Der Glaube ist ein Wert an sich – unabhängig davon, ob er dem Glaubenden etwas einbringt.
 
 
Man mag diese Wette für etwas geschmacklos halten. Aber das Thema ist dennoch klar benannt.
Was bringt es zu glauben? Oder bringt es nichts? Bringt es vielleicht sogar Nachteile mit sich?  
Und muss ich im Leiden meinen Glauben aufgeben, weil die Gleichung von Glaubensinvestition und Glücksgewinn nicht mehr aufgeht?
 
Die vor einigen Jahren verstorbene Theologin Dorothee Sölle schreibt dazu: „Liebe zu Gott ist anders, sie ist un amour fou, eine verrückte Liebe, ohne Berechnung, eine Liebe, die sich nach Meinung des Teufels nicht auszahlt. (…) Gott zu lieben heißt nicht: ich geb dir den richtigen Glauben und komme dafür in den Himmel. Es heißt sich Gott geben, ohne Versicherung, ohne Rückzahlung.“
 
Eine solche intensive Gottesbeziehung, ganz ohne Berechnung, lässt sich von Hiob lernen.
So wie wir ja auch einen Menschen, den wir lieben, einfach so lieben, ohne Berechnung. Hoffentlich.
 
 
3.
Und was heißt das nun für das Leiden? Für Hiobs Leiden? Für unser Leiden?  
 
Hiob hat Freunde, die ihn besuchen. Das ist anständig von ihnen. Sie halten sein Trauern und Schweigen aus. Später gibt es dann lange Redewechsel zwischen Hiob und den Freunden. Die Freunde sagen: „Leiden geht immer auf Schuld zurück. Da Gott gerecht ist, musst du, lieber Hiob, irgendwas ausgefressen haben, sonst ginge es dir jetzt nicht so. Überleg doch mal.“
 
Hiob pflichtet zwar bei, komplett unschuldig sei ja kein Mensch auf Erden. Aber so viel Leid, wie er zu tragen hat - das kann nichts mit eigenem schuldhaften Leben zu tun haben.
 
Uns rutscht das oft so raus, das wir beim Leid und bei Krankheiten anderer sagen oder zumidest denken: „Kein Wunder.“ „Sie hätte mal mehr auf ihren Körper hören sollen.“ „Er hätte mal etwas kürzer treten müssen.“ Und auch wenn wir die fachmännische Überzeugung einstreuen: „Es ist ja letztlich alles psychosomatisch“ klingt das wie ein „selber Schuld“. Wir sind, so meinen wir, oft selbst verantwortlich, wir sind selbst schuld, an dem was uns widerfährt. So geben wir dem Leiden einen Sinn, wir erklären es, wir wissen anscheinend genau, wo es herkommt. Und sind dabei ziemlich ungnädig.
 
Bei Hiob hingegen können wir lernen, dass es komplett sinnloses Leid gibt. Und dass allein schon das Forschen nach einer Ursache lieblos und zynisch wirken kann.
Wie wäre es, wenn unser christlicher Glaube uns darin stark machen könnte, gerade auch die Sinnlosigkeit von Leid auszuhalten? Und dennoch „in allem Leide“ an Gott festzuhalten?
 
Halt auf freier Strecke. Der Blick auf Hiob im Alten Testament. Der Blick auf Frank in dem berührenden Spielfilm. Der Blick schließlich auf den, den auch ein Halt auf freier Strecke ereilte, nicht mit 44 Jahren in Berlin, sondern mit 33 Jahren auf Golgatha.
Mit diesem leidenden Jesus hat Gott sich verbunden. Uns zugute.
 
Halt auf freier Strecke und schlimme Hiobsbotschaften wünsche ich keinem, ich selbst möchte auch lieber 84 werden als 44 (wenngleich ich darauf keinen Anspruch habe).
Wonach ich mich in jedem Fall sehne und ausstrecke, ist: Auf freier Strecke, mitten im Leben Halt zu finden und gehalten zu werden.
Amen.