Predigt zu 1. Mose 28, 10-19 von Andreas Pawlas
28,10

Predigt zu 1. Mose 28, 10-19 von Andreas Pawlas

Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen. Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels. Und Jakob stand früh am Morgen auf und nahm den Stein, den er zu seinen Häupten gelegt hatte, und richtete ihn auf zu einem Steinmal und goss Öl oben darauf und nannte die Stätte Bethel.
Liebe Gemeinde!
Wir haben doch alle gut im Ohr, was viele sagen, wenn sie morgens aufwachen und sich wieder darüber wundern, was sie da alles einmal wieder an Kraut und Rüben geträumt haben: Denn da sagen sie doch: „Träume sind Schäume!“ Und dann finden sie auch vielfach verständnisvolles Nicken in ihrer Umgebung. Allerdings gibt es auch Leute, die sagen: „Ich träume nie!“, weshalb sie vielleicht meinen, dass dieser Bericht sie überhaupt nichts angehen könnte. Eigentlich müssten wir deshalb jetzt, ehe wir fortfahren, einmal unter uns herumfragen, wer unter uns nun gut und viel träumt und wer gar nicht, oder wer nur ab und zu einmal träumt.
Jedoch, egal wie häufig man träumt oder auch nur einfach in der Nacht wach liegt, was sicherlich jeder kennt, ist doch, dass einem mit einem Male nachts so etwas wie bunte Bilder vor Augen kommen. Wann und weshalb? Doch wenn etwa schwere Entscheidungen anstehen, oder wenn etwas Schlimmes passiert ist, oder wenn wir uns mit der Entscheidung quälen, wie es weiterzugehen hat – mit uns und mit unserem ganzen Leben.
Jedenfalls war das damals genauso bei diesem Jakob, dem Betrüger. Moment, wieso Betrüger? Ein Stammvater des alten Gottesvolkes als Betrüger? Das geht doch nicht! Aber es stimmt einfach. Denn Vater und Bruder hatte er nun einmal betrogen und belogen. Aber warum denn und wozu? Doch dazu, dass er den Segen des Vaters bekam und nicht der ältere Bruder, dem er als Erstgeborenen eigentlich zustand. Allerdings hatte Jakob vorher dem hungrigen älteren Bruder Esau listig gegen ein Linsengericht den Schwur abgenommen, auf das Erstgeburtsrecht zu verzichten. Und dann hatte er sich dem fast erblindeten Vater gegenüber doch tatsächlich als Esau ausgegeben, um so durch den väterlichen Segen Erbe von allem Hab und Gut der ganzen Sippe zu werden, und eben nicht der ältere Bruder. Durch Lug und Trug wollte er so erzwingen, dass alles Gute und Segensreiche von Gott auf seinem Leben lag und nicht auf dem Leben des älteren Bruders.
Und für den war es dann darum nach dem Betrug nur noch zum Verzweifeln. So schlimm war das für den älteren Bruder Esau, dass er schäumte und drohte, seinen Bruder Jakob umzubringen. Darum „Aus der Traum!“ für Jakob. Ja, das klingt genauso bitter, wie wir es selbst vielleicht schon gehört haben, dieses „Aus der Traum!“ Nichts bleibt übrig von diesen so sorgfältig eingefädelten Betrügereien, von dem Traum vom ganz großen Erfolg. „Aus der Traum!“ Jakob, dem Betrüger, bleibt nur noch die Flucht. Wohin? Weg aus der Heimat, weg in die Fremde.
Ja, zwar weg aus der Heimat, aber dann doch in das Land, aus dem er sich nach Weisung von Vater und Mutter auch eine Frau holen sollte. Also eine merkwürdige Doppelbewegung in die Ferne. Flucht und Brautwerbung in einem Zuge. Das eigene Leben durch Flucht zu bewahren und dann doch gleichzeitig bereit zu sein, durch einen neuen Menschen an der Seite alles im Leben anders werden zu lassen. Wären wir da nicht auch völlig durcheinander? Wie aufgewühlt muss Jakob darum am Abend des ersten Tages seiner Flucht gewesen sein. Etwa achtzig Kilometer mag er in Wüstenhitze zurückgelegt haben, aber nun ist er völlig erschöpft als die Sonne untergeht. Aber da gibt es für sein müdes Haupt keine Behausung und kein weiches Kissen, sondern nur einen harten Stein. Nun gut, das mag zur Not auszuhalten sein.
Aber viel härter als Stein müssen die Fragen auf seiner Seele gelegen haben: Sollte es ihm nun tatsächlich gelungen sein, seinem tobenden Bruder zu entkommen? Und selbst, wenn das nun durch die Flucht in Wüsteneinsamkeit gelungen sein sollte, was ist denn mit der Schuld, die er durch seinen Betrug vor Gott und den Menschen auf sich geladen hat, und die in ihm bohrt und die ihn weiter in seinem Gewissen verfolgt? Wie wird der Gott, dessen Gebot zur Wahrhaftigkeit und Treue er betrügerisch gebrochen hat, und von dem er sich durch seinen Betrug letztlich weit entfernt hat, ihn dafür notwendigerweise seine Strafe durch Unglück und Missgeschicke fühlen lassen? So kommt alles zusammen: Erschöpfung und Angst, Schuldgefühl und Sorge. Wie soll man dabei schlafen können? Das könnten wir doch auch nicht. Aber dann kommt mit einem Male doch der Schlaf. Und dann kommen mit einem Male doch die Bilder des Traums.
Eigentlich sollten es wohl Horror-Bilder sein, wie man sie für einen Betrüger und Gottesverächter erwarten könnte. Ja, in früheren Zeiten, wo man sehr auf Träume achtete, da hatte man schon genaue Vorstellungen darüber, was einem in einem Traum begegnen würde. Träume wurden ganz selbstverständlich als Botschaften Gottes an uns Menschen verstanden. Deshalb haben wir in der Bibel davon lebendige Berichte genug. Insofern konnte doch, was nun die Botschaft Gottes an einen Untreuen und Betrüger angeht, da nur irgendetwas zu erfahren sein über Strafe und Rache. Denn wenn Gott Gott sein will, dann könnte er es doch niemals zulassen, dass man ihn und sein Wahrheitsgebot so missachtet wie dieser Jakob. Denn wenn Gott Gott sein will, dann muss so ein Mensch wie Jakob gefälligst gezüchtigt werden, dann muss es ihm richtig schlecht gehen. Und dann muss er zumindest Albträume haben. Denn nur das wäre gerecht!
Aber liebe Gemeinde, nun kennen wir die Geschichte ja und wissen, dass es alles ganz anders kommt. Und da denkt vielleicht mancher: „Wie ungerecht!! Denn ich bin kein Betrüger wie dieser Jakob. Aber wann lässt Gott mich einmal so etwas Großartiges schauen wie Jakob oder wann tut Gott mir einmal etwas Gutes wie Jakob? Ungerecht, ungerecht, ungerecht!!
Aber seien wir vorsichtig, denn so etwas ist nur menschliches Denken. Und unser Gott, wie ihn uns unser Herr Jesus Christus in seinem Evangelium ganz nahe bringt, der lässt sich nicht auf unser Denken ein. Genauso wie Gottes Liebe zu uns größer ist als alle unsere Schuld, so ist auch Gottes Liebe zu Jakob, dem Betrüger, größer als alle üble Schuld, die dieser Flüchtling auf sich geladen hat. Und darum darf er den Himmel offen sehen. Dabei hat Jakob ja gar nicht Gott und seine in alle Wahrhaftigkeit und Treue einfließende Wirklichkeit gesucht, sondern eher versucht, ihr zu entfliehen!
Ja, so ist es. Aber viel entscheidender ist, dass der Gott der Väter diesen Jakob schon lange gefunden hat. Und darum darf dieser Jakob sehen, wie Engel die Himmelsleiter auf und ab gehen, wie es eine Verbindung zwischen Himmel und Erde gibt, an die er niemals geglaubt hat, denn sonst hätte er niemals versucht, Gottes Gebot zu verletzen und alles Gute für sich durch Betrug zu gewinnen.
Aber wir können es ganz sicher glauben, und das ist noch mehr als es zu wissen: Es gibt eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. Ja, es gibt Orte und Momente, wo der Himmel die Erde berührt und wo uns das tief ergreift. Und vielleicht haben wir alle schon einmal solche Berührungen Himmel und Erde geträumt oder erlebt. Wie viele Menschen hatten etwa in der tiefen Liebe zu ihrem Partner in manchen Momenten das Gefühl, vom Himmel angerührt zu sein. Oder wie viele Menschen sind auch tief gerührt, wenn sie bei der Geburt eines Menschen dabei sein dürfen, wo der Himmel neues Leben schenkt, was ein unbegreifliches Wunder ist, wobei so mancher Vater, der die Geburt seines Kindes miterleben darf, einfach die Tränen der Rührung nicht mehr bei sich behalten kann und ganz unvermittelt Gott dafür danken muss, wie eben in diesem Moment der Geburt der Himmel die Erde berührt. Ja, bestimmt, solche Berührungsmomente gibt es - und das nicht nur im Traum.
Und nach dem der Jakob dieses unaussprechliche Himmlische geträumt oder gesehen oder gefühlt hat, da wacht er auf. Und was dann? Etwa nun alles vergessen, denn „Träume sind Schäume“? Aber könnten wir es denn je vergessen, wenn wir einmal die Berührung von Himmel und Erde geträumt oder erlebt hätten? Nein, nichts ist vergessen. Nein, den Ort und die Gelegenheit, wo man Gottes Gegenwart, Gottes erschütternde Heiligkeit, Gottes überwältigendes Wirken leibhaftig erfahren hat, die kann man niemals vergessen. Darum macht Jakob Zweierlei: Einerseits richtet er ein Steinmal auf und gießt Öl darauf, so wie es sich damals in der Alten Welt gehörte und sich in manchen Teilen der Welt auch heute noch für heilige Orte gehört. Das war nun dieser Ort Bethel, das „Haus Gottes“. Jeder sollte das wissen und beachten!
Allerdings müssen wir nun heutzutage nicht mehr so extra Steine aufrichten, für Orte der Gottesbegegnung, denn das haben wir bereits getan. Wo? Doch bitte mit unseren Kirchen! Denn wir erbitten sie ja als Orte, an denen der Himmel die Erde berühren möge. Und doch wissen wir gleichzeitig, dass Gott in seiner Freiheit uns überall auf der Welt und zu jeder Zeit und Gelegenheit diese himmlische Berührung schenken kann.
Viel entscheidender ist darum das Zweite, das Jakob tut: Er glaubt der Verheißung, die er im Traum empfangen hat. Er rechnet damit und lässt sich auf sie ein. Dabei ist das ja wirklich ein sensationelles Versprechen, das Jakob, der Betrüger, von Gott erhält. Obwohl Jakob zuerst alles verscherzt hatte, was ihn würdig gemacht hätte, von Gott gesegnet zu werden, obwohl er eben nicht der treue und wahrhaftige Sohn war, der er hätte sein sollen, verspricht ihm Gott so immens viel. Viele Kinder soll er haben und durch sie soll die Welt gesegnet werden. Und weiter verspricht ihm Gott mit ihm zu sein, und ihn zu behüten und ihn heil wieder zurückzubringen.
Übrigens kennen wir diese Zusage als Christenmenschen. Und das ist nicht geträumt, sondern ganz real. Denn genau in der Taufe, da bekommt ein jeder von uns von Christus zugesagt, dass er mit uns sein will und uns behüten will bis in alle Ewigkeit. Und das, obwohl wir doch als kleine Kinder vorher keinerlei Leistung oder Erwartungen hatten erfüllen können. Und warum wird uns so Großartiges zugesagt, in das wir dann ja auch andere Menschen einbeziehen dürfen und sollen, um sie trösten und ihnen beizustehen, so, wie wir es selbst erfahren haben? Doch weil uns genauso dieses Großartige zugesagt ist wie Jakob! Doch weil Gott uns liebt! Und das nicht geträumt, sondern ganz real. Und deshalb dürfen wir auch lieben und leben, von Herzen froh und traumhaft schön, jetzt und bis in alle Ewigkeit! Amen.