Christusklänge – oder: Hat Jesus eigentlich gesungen? - Predigt zu Kolosser 3,16f. von Jochen Arnold
3,16-17

Christusklänge – oder: Hat Jesus eigentlich gesungen? - Predigt zu Kolosser 3,16f. von Jochen Arnold

Christusklänge – oder:  Hat Jesus eigentlich gesungen?

Hat Jesus eigentlich gesungen? Diese Frage hat der jüngst verstorbene Autor Umberto Eco in seinem Roman Der Name der Rose leider nicht gestellt. Er fragte ja bekanntlich, ob Jesus gelacht hat – ein Thema, das im Mittelalter übrigens einiges an Sprengkraft hatte. Denn am Lachen erkannte man den Narren, nicht den Weisen…

Was denken Sie? Hat er nun oder hat er nicht!?

Nun, keiner von uns war dabei. Viel können wir mit Sicherheit nicht sagen. Das liturgische Lob des Passa hat er noch kurz vor seinem Tod mit seinen Jüngern feierlich begangen. Das wissen wir aus der Passionsgeschichte.  Und natürlich hat er immer wieder Gott „gedankt“ oder sogar Gott feierlich gepriesen. Aber was Jesus ein Sänger? Hier schweigen die Evangelien. Und doch singen wir in der Kirche, bei Katholiken und Protestanten, Orthodoxen und in Freikirchen… in Dur und Moll, klassisch und Pop. Alte und Junge, Männer und Frauen. Gespielt und auf Instrumenten wird nicht überall, aber das Singen verbindet alle. Woher kommt das? Gibt es eine Art Dienstanweisung?

Hören wir dazu heute ein biblisches Wort, das über Jesus und die Musik spricht. Luther hat den zentralen Vers, um den es heute gehen soll, 1534 so übersetzt:

•         Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen

•         In aller Weisheit lehrt und ermahnt euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen (das ist tröstlichen,  holdseligen, gnadenreichen) Liedern

•         und singet dem Herrn in eurem Herzen.

Man hat den Eindruck, dass es aus Luther förmlich heraussprudelt. Das Adjektiv geistlich wird gleich vierfach übersetzt: lieblich, tröstlich, holdselig, gnadenreich. Was hier beschrieben wird, das ist eine Quelle der Schönheit und der Kraft, die einen schwärmen lässt…. Christus bringt sich musikalisch „unters Volk“.

Die „Einsetzungsworte der Kirchenmusik“, wie ich sie gerne nenne, beantworten unsere eingangs gestellte  Frage in einer überraschend anderen Perspektive: Ganz egal, ob Jesus von Nazareth nun gesungen hat: der gekreuzigte und auferstandene Christus kommt zu uns, wird in seiner Gemeinde damals wie heute lebendig durch Musik. Sein Wort bekommt ein Gewand von Tönen und Rhythmen, das wir uns anlegen können. Dieses Bild entnehme ich den vorigen Versen, wo von den Kleidern der Sanftmut und Freundlichkeit die Rede ist.  Du und ich, wir sind beide in der Lage, religiös musikalisch zu werden. Das was unseren Glauben trägt und inspiriert, was unser Leben mit Gott schön  und reich macht, dürfen wir weitersingen…. An Anderen weitergeben, „kommunizieren“ – ganz positiv.

Damit ist noch nichts über die Art des Singens oder über seine Qualität gesagt. Wichtig ist zunächst der Christusbezug. Logos tou christou, das Wort, das von Christus erzählt, aber auch das Wort, das Christus selbst unter uns lebendig werden lässt, ist damit gemeint. Dieser Gedanke ist unerhört und übertrifft alles, was im Alten Testament von der Musik gesagt wird. Gott (Christus) selbst kommt zu uns und nimmt musikalische Wohnung bei uns. Unser Herz und unser Gottesdienst werden zum Konzertsaal des Evangeliums, zum Resonanzraum des Glaubens.

Schon bei den ersten Christen war das Singen übrigens ein Markenzeichen. Der Schriftsteller Plinius berichtet in einem Brief an den Kaiser Trajan von seiner kritischen Inspektion der Christen: „Sie beteuerten jedoch, ihre ganze Schuld oder auch ihre Verirrung habe darin bestanden, daß sie gewöhnlich an einem fest gesetzten Tag vor Sonnenaufgang sich versammelt, Christus als ihrem Gott im Wechsel Lob gesungen und sich mit einem Eid (sacramentum) [dazu] verpflichtet hätten.“

Hier wird  das Dialogische der Gesänge ebenso deutlich wie der Mut der frühen Gemeinde, die mit ihren Gesängen ein klares Bekenntnis abgegeben haben. An ihrem Gesang hat man sie als Christen erkannt… Das Christuslob war fester Bestandteil ihrer Feier. Und zugleich eine Absage an den Kaiser. Ich behaupte: Christus selbst war bei ihnen und machte sie stark und widerstandskräftig. In den Katakomben in Rom kann man das auf den Bildern ahnen: Da singen die drei Freunde Daniels auch noch in der Glut des feurigen Ofens und Jona jubelt schon von der Rettung im Fischbauch. Das ist der „spirit“ der ersten Gemeinde.

Damit ist schon einiges zu unserer Stelle gesagt:

Das Singen ist grundsätzlich allen Christen aufgetragen. Es hat eine öffentliche Dimension. Es geschieht nicht nur in geschlossenen Kirchenmauern oder im stillen Kämmerlein… Singende Christenmenschen haben bis heute einen prominenten Anteil an der Verkündigung der Kirche.  Sie haben ein Bekenntnis auf den Lippen loben damit Christus, wie Plinius es interpretiert.

Welche Lieder sind es, was wissen wir darüber:

Drei Gattungen werden erwähnt: Psalmen, Hymnen und geistliche Lieder (Oden).

A Zum einen sind da die Psalmen. Sie stehen für die Verbindung der frühen Kirche mit dem auserwählten Volk Israel.  Singet dem Herrn, denn er tut Wunder. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Diese Formen werden von der jungen Gemeinde übernommen, etwa im Lobgesang der Maria: Meine Seele erhebt den Herren und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.

B Was sind Hymnen? Vielleicht der griechische Typus,  der auch in neutestamentlichen Christusliedern zu greifen ist. Man denke an den Anfang des Johannes-Evoder an den Hymnus im Kolosserbrief, der kurz vor unserem Vers zitiert wird.

Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes,
der Erstgeborene vor aller Schöpfung.

 Denn in ihm ist alles geschaffen,
was im Himmel und auf Erden ist,
das Sichtbare und das Unsichtbare,
es seien Throne oder Herrschaften
oder Mächte oder Gewalten;
es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen.

Und er ist das Haupt des Leibes,
nämlich der Gemeinde.

Er ist der Anfang,
der Erstgeborene von den Toten,
damit er in allem der Erste sei.

C Was sind die geistlichen Lieder (pneumatische Oden)? Das könnten auch spontan gedichtete Lieder sein. Man denke an kleine Singsprüche oder Chorusse, wie wir sie auch heute noch singen. Eine zeitgenössische jüdische Quelle von Philon aus Alexandria beschreibt: Nach dem Mahl bilden sie zwei Chöre, den einen von Männern, den andern von Frauen. Zum Führer und Vorsänger wird für jeden Chor der geachtetste und musikalischste gewählt...  Bald singen sie voller Begeisterung Lieder, die für feierliche Aufzüge bestimmt sind, bald Lieder, die vom Chor vorgetragen werden.

 Vielfalt ist also angesagt, Männer und Frauen sind beteiligt, Chor und Gemeinde musizieren im Wechsel. Altes und Neues erklingt unter guter Anleitung. Heute würden wir sagen: Anything goes, fast alles ist musikalisch möglich im christlichen Gottesdienst. Choräle und Kantaten, Gospels, Worship und Rap. Sofern sie Gott loben und Menschen aufbauen.

Doch nun kommt noch das Beste. Der Verfasser des Kolosserbriefs hört hier nicht auf, der Gottesdienst geht bei ihm weiter. Er setzt sich fort im Alltag:

Alles was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen Jesu! Und preist Gott, den Vater durch ihn.

Das Singen und Klingen inspiriert zum Handeln. Mit dem Ohrwurm auf den Lippen lässt es sich leichter glauben und leben, bezeugen und helfen. Die Eucharistia, die Dankbarkeit Gott gegenüber, ist der cantus firmus des christlichen Lebens. Wer mit den Lippen Gott lobt, ist auch mit Händen und Füßen bei den Menschen, in einer Welt die Gott nicht fallen lässt.

Deshalb können wir auf die Kirchenmusik in all ihren Facetten nicht verzichten. Ja mehr noch, das „neue Lied“ von Christus ist ein Markenzeichen der Kirche. Nur als klingende&singende Kirche sind wir eine einladende, gewinnende Kirche. Sie singt das Lied von Ostern, auch dann wenn es im Alltag dunkel wird und die Welt über uns zusammenbricht.

Hat Jesus gesungen!? Wir können es nur vermuten. Aber das neue Lied von Jesus klingt in uns und durch uns weiter, am Sonntag und im Alltag. Wir bekommen so viel geschenkt, wenn eine Schwester oder ein Bruder für uns ein Lied des Glaubens singt. Dann werden sie uns zum Christus. Kirche wird erhoben und gestärkt,  wenn unsere Chöre musizieren, wenn Orgeln zum Lob Gottes klingen. Nicht immer im Fortissimo, auch im Piano kann das sein: Das klagende Kyrie ist so wertvoll wie das jubelnde Gloria. Und erst recht dann ist Christus da, wenn ein „Fürchte dich nicht“ oder „Ich bin bei euch“ zum Klingen kommt.

J.S. Bach vereinte diese drei Aspekte in seinem Schaffen in eindrücklicher Weise. Über seine Partituren schrieb er JJ, Jesu Iuva, Jesus hilf. Am Ende stand bekanntlich immer das SDG, Soli Deo Gloria, Gott allein die Ehre. Und in seine Bibel notierte er zur Tempelweihe Salomos (2 Chronik 5), bei der Gott selbst unter Gesang, Trompeten- und Saitenspiel mit seiner Wolke Wohnung bei den Menschen nimmt:  „Nota bene. Bey einer andächtigen Musique ist Gott allezeit mit seiner Gnaden=Gegenwart!“