Freuen wir uns? - Predigt zu Jesaja 9,1 ff von Stephan Lorenz
Wenn Kinder geboren werden, ist das ein Anlass größter Freude. Da singt man Lieder. Auch ich habe nach der Geburt für jedes meiner Kinder ein Lied gesungen. „Lobe den Herrn. o meine Seele, ich will ihn loben bis in den Tod.“-für meinen Sohn. „Tochter Zions freue dich.“ – für meine Tochter.
Auch der Prophet hat Jesaja ein Lied für ein neugeborenes Kind gesungen.
Menschen, die in Finsternis gehen, sehen Licht, wer in der Todeszone wohnt, Licht erscheint über ihm. Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen. Denn das Joch unserer Quälerei, das uns den Rücken krumm macht, die Knute, die uns unbarmherzig schlug, - zerbrochen wie ein morsches Stück Holz. Alles was in Soldatenstiefeln durch die Welt stampft mit lautem Gedröhn, die Uniformen mit Blut der Opfer getränkt, wird verbrennen. Ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben, auf seinen Schultern liegt unsere Würde. Man nennt ihn: er ist Gottes Rat, Vater unseres Sieges, Friedensbringer.
Für welches Kind Jesaja dieses Lied gesungen hat, wissen wir nicht. In welcher Situation er es tat, schon eher. Das wird ja auch deutlich. Das Leben der Menschen ist finster, sei wohnen in einer Todeszone, das Leben ist Qual, zur Arbeit wird man geprügelt. Dröhnend hört man die Kampfstiefel der Soldaten, ihre Uniformen verschmiert vom Blut ihrer Opfer.
Heute sieht das Leben von vielen Menschen genauso aus wie Jesaja es vor 2800 Jahren beschrieb. Nichts hat sich geändert. Syrien, Afgahnistan, Jemen. Aber auch vielen von uns geht es nicht besser, obwohl wir nicht in einer Todeszone leben müssen, wo die Weltmächte um ihren Einfluss kämpfen. Man kann das Lied auch als Beschreibung unseres seelischen Erlebens hören. Leben ist finster, ohne Sinn. Das gilt für mehr Menschen als wir wahrhaben wollen. Leben ist Qual. Jeden Tag auf‘s Neue reißen Depression Menschen in die Tiefe. Arbeit ist nicht erfüllend. Man muss sich hinquälen. Oft für einen Lohn, von dem man nicht wirklich leben kann. Wir sind von Ängste besetzt wie von einer wilden Soldateska. Wie viele, gerade junge Menschen ritzen sich blutig, um wenigsten etwas von diesem Druck los zu werden.
Und Gott? Wo ist Gott in unseren Finsternissen?
Jesaja singt: Ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben, auf seinen Schultern liegt unsere Würde.
Sein Lied sollte den Menschen seiner Zeit Mut machen. Gott sieht das Elend seiner Menschen und er will es ändern. Jedes Kind ist Neuanfang. Hoffnung. Zukunft ohne genau zu wissen, wo sie hinführt.
Wahrscheinlich hat Jesaja mit diesem Kind einen Nachkommen des großen Königs David gemeint. Als starker Herrscher würde er das Land von den Assyrern befreien, den Geschundenen ihre Würde als Menschen zurückgeben.
Wenn ein Kind geboren wird bekommt es einen Namen. Einen offiziellen. Oft auch einen inoffiziellen. Der beschreibt die besondere Beziehung, die Vater oder Mutter zu diesem Kind haben. Als mein Vater mich das erst Mal sah, fühlte er sich erinnert an eine Comicfigur namens Bone. Wahrscheinlich weil ich dünn war, wie ein abgekauter Knochen.
Das Kind, von dem Jesaja singt hat auch Namen. Aus dem hebräischen kaum zu übersetzen: Gottes Rat, Vater unseres Sieges, Friedensbringer. Jeder König bekommt solche Beinamen. Den ersten Kaiser des römischen Reiches nannte man Caesar, was nichts weiter hieß als der „Behaarte“. Vater des Vaterlandes hießen wir unseren Kaiser. Bismarck den Eisernen. Mutti unsere Kanzlerin.
Heute feiern wir die Geburt Jesu Christi. Wie und wo Jesus wirklich geboren wurde, wissen wir nicht. Aber wir Menschen geben uns mit unserem Unwissen nicht zufrieden. Davon erzählte ja schon die Paradiesgeschichte. Wir wollen wissen. Was wir nicht wissen, ersetzen wir mit unserer Phantasie. Science fiction lässt grüßen.
So kam Lukas zu seiner Geburtsgeschichte. Böse Leute würden heute sagen: alles fake news! Lukas kannte die jüdischen Geschichten der Propheten sehr genau. Er hatte seinem Lehrer und Freund Paulus gut zugehört.
Und daraus bastelt er die uns bekannte Geschichte der Geburt Christ. Nichts an ihr ist Zufall, jedes Detail eine Anspielung an die jüdischen Geschichten und Traditionen. Die Hirten, eine Anspielung an den großen König David, der als Hütejunge angefangen hat. Bis hin zu Ochs und Esel, die besser wissen als die Menschen, wer für sie sorgt. Die Magier und die Flucht vor der Staatspolizei wegen Verschwörung stammen von Matthäus.
Die entscheidende Änderung ist jedoch die Verlegung der Geburt in einen Viehstall mitten in der Nacht, mit einem Vater, der nichts geregelt bekommt, weil er weiß: das Kind ist nicht von ihm. Dieses Arrangement stellt alle Geburtsgeschichten, die die Antike von großen Persönlichkeiten als PR-Geschichten erzählte, auf den Kopf, und führt sie gleichzeitig ad absurdum.
Gott kommt in einem Kind zur Welt, hat Eltern, die nicht mal für sich selber sorgen können, in einem Saustall mitten in einer kalten Nacht, in einem Dorf, das die Welt nicht kennt. Und die Hirten treiben das Chaos auf die Spitze mit ihrer meckernden, stinkenden Ziegenherde.
Menschen, die in Finsternis gehen, sehen Licht, wer in der Todeszone wohnt, Licht erscheint über ihm.
Gott wird nicht Mensch in einem Palast. Kein König. Kein Herrscher, der Größenphantasien erfüllt. In den Palast kommt der verratene Gott am Ende seiner Geschichte, als Angeklagter, zum Verhör, in Ketten, kurz vor seiner Hinrichtung. Wir machen kurzen Prozess mit Gott, macht er nicht, was wir wollen.
Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen.
Der Gag an der lukanischen Geschichte. Perspektivwechsel. Gott wechselt die Perspektive. Das ist das Geheimnis dieser Nacht. Gott selbst lebt ein Leben von einer kümmerlichen Geburt bis zum qualvollen Tod, als Verbrecher am Kreuz.
Aus der Perspektive derer, die wir armselig, nicht lebenswert, sinnlos nennen, schaut Gott uns wohlwollend an. Mit dem Lächeln eines Neugeborenen.
Ein Kind ist geboren, ein Sohn uns gegeben, auf seinen Schultern liegt unsere Würde.
Er äußert sich all seiner G’walt, wir niedrig und gering, und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding.
Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran
Heißt es in einem alten Reformationslied. Vielleicht ist es das, was wichtig ist: lassen wir uns von IHM, dem Schöpfer aller Dinge, in unserer Armseligkeit und Niedrigkeit wohlwollend anschauen? Wird Gott nicht in unserem Herzen geboren, wird er gar nicht geboren. (Angelus Silesius)
Der Blick Gottes auf unser Leben verändert uns. Wir merken. Unser Wert besteht nicht darin, was wir sinnlos anhäufen, nicht in unserer oft schamlosen Besitzgier, dranghaftem Streben nach immer mehr Wissen, nicht darin, dass wir immer volle Pulle etwas leisten und einen durchtrainierten Körper bis ins Alter haben, ja noch nicht einmal darin, dass wir heile Knochen oder eine unbeschadete Seele haben. Solche Werte führen Leben ad absurdum.
Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen.
Unser Wert besteht darin, dass wir uns von IHM, von Gott, wohlwollend angeschaut wissen. Er kommt in unsere Nacht. Zerbricht das Joch unserer Quälerei, das uns den Rücken krumm machte, die Knute, die uns unbarmherzig schlägt, wie ein morsches Stück Holz.
Die Wirkung eines freundlichen, wohlwollenden Blicks kennen wir. Wir fangen an, uns selber anders anzuschauen. Merken, sind nicht mehr amselig, aus der Welt gefallen, beschämt, sondern viel reicher als wir uns das erträumen konnten.
Groß machst DU unseren Jubel, groß unsere Freude, wir freuen uns vor deinem Angesicht, als ob wir das Leben gewonnen haben oder den vollen Lohn unserer Mühen ernten dürfen.
Der Perspektivwechsel Gottes, sein Blick auf uns verändert unser Leben.
Ich lag in tiefster Todesnacht, DU warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht, Licht, Leben, Freud und Wonne, o Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht‘, wie schön sind deine Strahlen.
Ich sehe dich mit Freuden an, und kann mich nicht satt sehen, und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen.
Wann oft mein Herz im Leibe weint und keinen Trost kann finden, rufst DU mir zu: Ich bin dein Freund, der Tilger deiner Sünden. Was trauerst du o Menschlein klein? Du sollst ja guter Dinge sein, ich zahle deine Schulden.
Gottes Heiliger Geist befestige diese Worte in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf daß euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen