Prüft alles und behaltet das Gute - Predigt zu Jes 51,4-6 von Elke Markmann
I Mit der Liebe zurück blicken
Alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe!
Das zu Ende gehende Jahr stand unter der Jahreslosung: Alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe! Haben Sie nach diesem Grundsatz gelebt? Konnte diese Jahreslosung es in Ihren Alltag schaffen? Was heißt das konkret, alles in Liebe zu tun?
Die Liebe kann ein guter Maßstab sein. Aber sie muss präzisiert werden. Denn die Liebe ist ja selten eindeutig. Paulus schrieb diesen Satz damals an die Gemeinde in Korinth, um damit aufzuzeigen, welche Beweggründe all ihren Entscheidungen zu Grunde liegen sollten. Wenn es um konkrete Entscheidungen geht, muss das konkrete Handeln aus Liebe entfaltet und präzisiert werden. Das gilt für Gemeinden und Gruppen, aber auch für Einzelne.
Der Predigttext für den heutigen Altjahresabend hat mich auf eine Spur gebracht. Dort ist von Gerechtigkeit die Rede. Dieses Wort ist genauso vieldeutig wie Liebe. Für mich hängt beides zusammen.
II Lesung von Jesja 51, 4-5: Nahe ist meine Gerechtigkeit! - ?
Im Buch des Propheten Jesaja heißt es:
Hört mir gut zu, mein Volk und meine Nation, hört her auf mich! Denn Weisung geht von mir aus und mein Recht mache ich im Nu zum Licht der Völker. Nahe ist meine Gerechtigkeit, bereits losgezogen ist mein Heil. Meine Arme werden die Völker richten. Auf mich hoffen die Inseln und auf meinen Arm warten sie.
Hebt eure Augen zum Himmel und blickt nach unten auf die Erde: Denn der Himmel wird wie Rauch verwehen und die Erde wie ein Kleid zerschlissen werden und die auf ihr wohnen wie Stechmücken sterben.
Aber mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört. (Jes 5, 4-6 BigS)
III Das Verhältnis von menschlicher Liebe und Gottes Gerechtigkeit
Gerechtigkeit und Liebe. Sie gehören zusammen. Es geht darum, dass Menschen je nach ihren Bedürfnissen und Begabungen von anderen geliebt und gerecht behandelt werden. Das ist ein hoher Anspruch. Liebe und Gerechtigkeit sollen beide in unserem Fokus bleiben. Ich kann mich immer wieder hinterfragen, wie viel Liebe und Gerechtigkeit in meinem Alltag Platz finden. Aber es ist keine individuelle Frage. Und es ist auch keine Schlussfolgerung: Wenn ich nur richtig lieb bin, wird die Welt gerecht.
Gottes Gerechtigkeit hat noch eine ganz andere Dimension. Gottes Gerechtigkeit und Gottes Heil gehen über unser menschliches Tun und Lassen hinaus. Es geht nicht um mich. Es geht um die Menschen, um die Völker und die Inseln.
IV Wo ist Gerechtigkeit, Recht und Heil?
Ich blicke zurück auf ein Jahr, in dem Vieles geschehen ist. Und vieles ist nicht den Weg hin zu einer besseren liebevolleren Welt gegangen.
Meine Gedanken wandern nach Vanuatu. Das Land stellte sich der weltweiten Christenheit 2021 durch den Weltgebetstag vor. Vanuatu liegt mitten im Süd-Pazifik und besteht aus vielen Inseln. Dieses Land droht unterzugehen. Der steigende Meeresspiegel bedroht Menschenleben und ganze Länder. Bei der Klimakonferenz im November 24 kämpften Staaten wie Vanuatu um eine Zukunft und um Unterstützung. Sie haben verschwindend wenig Unterstützung bekommen. Vanuatu klagt aktuell vor dem Internationalen Gerichtshof mehr Klimaschutz ein. Ihnen bleibt keine Wahl: Sie müssen alle Wege gehen, um sich selbst zu retten.
„Auf mich hoffen die Inseln und auf meinen Arm waren sie!“ Es reicht nicht aus, allein auf Gott zu vertrauen oder auf das Wohlwollen und die Einsicht anderer Staaten. Vanuatu und viele andere Länder klagen nun. Sie klagen bei weltlichen Gerichten Gerechtigkeit ein.
Ich fürchte, dass Vanuatu und andere Inseln nicht stark genug sind. Ich fürchte, dass sie Ähnliches erleben wie bei der Klimakonferenz: Die anderen sind mächtiger und leben auf Kosten der Inseln.
Was ist dann mit Gottes Gerechtigkeit? Lässt sich Gottes Gerechtigkeit mit menschlicher Gerechtigkeit vergleichen? In vielen biblischen Texten lesen wir, dass das eine nicht unbedingt mit dem anderen zu tun hat.
V keine guten Aussichten
Bei Jesaja heißt es: Hebt eure Augen zum Himmel und blickt nach unten auf die Erde: Denn der Himmel wird wie Rauch verwehen und die Erde wie ein Kleid zerschlissen werden und die auf ihr wohnen wie Stechmücken sterben. (Jes 51, 6 a BigS)
Keine guten Aussichten! Das, was dann kommt, hört sich nach Apokalypse und Weltuntergang an.
Und mir kommen Bilder aus den Nachrichten von Rauchschwaden über Flächenbränden in den Sinn. Sie sind nur schwer zu bekämpfen. Menschen müssen ganze Orte verlassen. Malibu ist ein Opfer der Flammen geworden. (aktuelle Nachrichten einfügen)
Wie bei vielen apokalyptischen Texten in der Bibel habe ich auch hier das Gefühl, dass dort direkt von unserer Zeit die Rede ist. Ein düsteres Bild für einen festlich-fröhlichen Abend! Und wirklich keine guten Aussichten für das neue Jahr!
VI Was bleibt!
Und dann bleibe ich am letzten Satz unseres Predigtwortes hängen: Aber mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört.
Dieser Satz macht mich nachdenklich.
Ich spüre, dass ich mich immer wieder auf einen ähnlichen Weg begebe wie der Predigttext: Am Anfang steht mein festes Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit. Dann fällt mein Blick auf die vielen Orte und Zeiten, wo und wenn alles schief geht. Aber dann wird die Hoffnung und das Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit wieder stark. Am Ende bleibt: Aber mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört.
Ich vertraue darauf, dass Gott größer ist als all unser Tun und Lassen. Gottes Heil und Gerechtigkeit scheinen immer wieder auf in dieser Welt. Sie werden sich durchsetzen.
VII Prüft alles und behaltet das Gute!
Mein Blick fällt auf die Jahreslosung 2025: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1. Thess 5,21)
Also beginne ich von vorn: Ich prüfe und sichte alles, was ich lese und höre. Ich bedenke die aktuellen Ereignisse der Welt, die Nöte und Sorgen der Menschen, die nicht nur unter dem Klimawandel, sondern auch unter Krieg und Aufständen, Unruhen und Hunger leiden. Ich bedenke mein eigenes Leben und Handeln und meine Entscheidungen – konkret in diesem Jahr.
Und: Ich behalte das Gute:
Ich behalte die Erzählungen von Menschen, die in den Überflutungsgebieten in Spanien unaufgefordert kommen und anfassen.
Ich behalte die Schiffe, die geflüchtete Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Tod retten.
Ich behalte die Ehrenamtlichen in unserer Kirche, die ihre Ideen einbringen und durch die Kirche lebendig ist.
Ich sehe Schwestern, Pfleger, Ärztinnen und Hebammen, die sich oft weit über das von ihnen Geforderte für Patientinnen und Patienten einsetzen.
Ich sehe Erzieherinnen, die in den Tageseinrichtungen mit viel zu dünner Personaldecke intensiv mit den Kindern spielen, singen, basteln, ihnen vorlesen und sie trösten.
Ich sehe Lehrerinnen und Lehrer, die Kindern und Jugendlichen auf ihrem Weg ins Leben helfen.
Ich prüfe und sehe mich an. Ich blicke auf das, was ich in diesem Jahr getan habe.
Ich prüfe und schaue noch einmal auf unser Predigtwort: Und behalte, was es mir verspricht, für das, was war und ist und werden wird. Gott spricht: mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört.
Prüft alles und behaltet das Gute! (1. Thess 5,21)
Ich weiß nicht, wie Sie diesen Silvester-Tag ausklingen lassen werden. Ich lade Sie ein zu einer kleinen Übung: Schreiben Sie auf, an welche guten 100 Ereignisse Sie sich aus diesem Jahr erinnern! Es können kleine gute Ereignisse sein und große. Es braucht dazu etwas Übung und Anlauf, aber dann strömen die guten Erinnerungen. Prüft alles und behaltet das Gute für das kommende Jahr. Denn das gibt Kraft für das, was kommt.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch alles Gute für das neue Jahr!
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich werde meine Predigt in einer Gemeinde halten, in der kein Gottesdienst zum Neujahrstag geplant ist. Da dies in vielen Gemeinden mittlerweile normal ist, nehme ich auch schon die Jahreslosung 2025 in den Blick.
Mir selbst ist der Blick zurück am Altjahresabend sehr wichtig. Den möchte ich stärken, ohne den Blick nach vorn völlig aus dem Blick zu verlieren.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Als erste Idee stand die Klammer aus den beiden Jahreslosungen rund um den Predigttext. Zugleich sind die Bilder der letzten Klimakonferenz sehr präsent und die aktuelle Meldung der Klage Vanuatus vor dem internationalen Gerichtshof. Zukunftsängste und Gottvertrauen stehen in den Texten und im Alltag in unseren Kirchen in Spannung.
Ich werde beim Gottesdienst die Karte zur Jahreslosung von Susanne Niemeyer verteilen, in der die beiden Worte „Alles Gute“ groß und fett gedruckt ins Auge fallen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Hoffnung wird oft enttäuscht. Wichtig ist, dass am Ende die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit stärker bleibt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Struktur und Aussagekraft. Danke!
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Es ist gut? - Predigt zu Jesaja 9,1-6 von Frank Nico Jaeger
Im Jahr 1804 bleiben Schnee und Frost bis in den März. Es ist ein kalter Winter, der viele Menschenleben fordert. Auch am 12. Februar ist es kalt. In einer Königsberger Wohnung liegt Immanuel Kant in seinem Bett und wartet auf den Tod. Zeitlebens hat der Philosoph sich gefragt, was man glauben darf. Was man hoffen kann.
In seinen letzten Stunden ist ein Pfarrer bei ihm und als der Philosoph nach einem Glas Wasser verlangt, nimmt er dieses mit den Worten „Es ist gut.“ Es sind die letzten Worte des großen Denkers.
Ob er damit das Wasser meint, eine Zusammenfassung seines Lebens formuliert oder einfach den Moment des nahen Sterbens beschreibt, bleibt offen.
300 Jahre nach der Geburt des Königsbergers fragt sich die Welt immer noch: Was darf ich hoffen? Was ist realistisch? Was hätte Immanuel Kant zu dieser Zeit gesagt? Ein „Es ist gut“ käme mir angesichts des dunklen Jahres nicht über die Lippen. Zu viele Rück- und Tiefschläge hat die Welt einstecken müssen. Es ist gut? Ich denke nicht.
Aber gute Hoffnungen gibt es trotzdem viele. Eine Frau, die das erlebt hat, feiern wir heute. Maria hat auch nicht aufgegeben. Hat den Kopf nicht in den Sand gesteckt. Ist nicht auf halber Strecke umgedreht.
Also geht es doch und am Ende eines harten, teilweise erschütternden Jahres fragt man zu Recht, was darf die Welt hoffen? Was darf ich hoffen?
Auf Frieden möchte ich hoffen. Auf die Niederlage des Aggressors. Das ist auch eine gute Hoffnung. Und ich hoffe gleich mit, dass Syrien nicht im Chaos versinkt. Dass sich die Inflation in Luft auflöst und ein halbes Pfund Butter nicht mehr 2,09 Euro kostet. Ich wünsche mir, dass Demonstrationen nicht zum Hass aufrufen und Frieden herrscht unter allen Völkern. Ich hoffe, wer Ordnung und Recht, wer Frieden und Freiheit bejaht, muss Unordnung, Unrecht, Unterdrückung und Krieg verneinen.
Die Zuversicht ist eben nicht klein zu kriegen.
Gott hat einst extra das Licht angemacht. Damit es in die traurigsten Ecken scheint. Heute auch und Kant sagt: Die Hoffnung ist nicht dumm oder naiv. Und ich denke: Vielleicht können wir doch aus Fehlern lernen?
Über das Wetter im Jahr 733 v. Chr. wissen wir wenig, aber schon damals redet ein Mensch ein bisschen wie Kant über die Hoffnung. Verbreitet Zuversicht. Sagt seinem Volk, was man hoffen darf. Was realistisch ist. Gut ist es nämlich auch damals nicht.
Jesaja heißt der Prophet und er spart nicht mit großen Worten.
Das mag daran liegen, dass die schönen Farben der Schöpfung längst nicht mehr hell strahlen, grässliche Klänge durch die Welt hallen und Blut die Kleider färbt. Die Zeiten sind dunkel.
Aber Jesaja prophezeit, dass der Schrei eines Neugeborenen die leidende Welt erlösen wird. Dass das Grau in Grau verschwindet. Dass wieder geerntet und geteilt wird. Dass alles Militärische den Flammen übergeben wird. Dass die Welt sich erneuern wird.
Jesajas Worte tun gut – auch in dieser Zeit. Darum sagt er, richtet euch nicht ein im Dunklen. Nehmt den Ernst der Lage wahr, aber ergebt ihm euch nicht. Die Welt erscheint dunkel und verbraucht. Wohl wahr, ein tödlicher Egoismus hat sich in ihr breit gemacht, der die guten Strukturen bedroht. Die Demokratie ist gefährdet, Falschmeldungen machen die Runde und an zu vielen Ecken auf der Welt regieren das Gewehr und die Gewalt.
Natürlich wählt Jesaja große Worte für eine Welt, die sich verlassen wähnt. Die Wüste wächst und das Licht der Hoffnung scheint spärlicher. Es ist dem Propheten hoch anzurechnen, dass er trotzdem ein Hoffnungsbild malt. Nicht als Placebo, nicht als Vertröstung. Der Trost, den Jesaja verheißt, ist konkret. Und schreit. Durchdringend und laut.
Die Nacht ist klar und kalt. Die Szenerie ist nüchtern. Aber die Hoffnung lebt.
All das klingt dieser Tage ein wenig merkwürdig – nicht nur rund um dieses Weihnachtsfest. Aber mit Kant setze ich auf die Aufgeklärten, die guten Kräfte und mit Jesaja setze ich auf die Hoffnung, dass die Dinge sich grundlegend verändern lassen.
Mit der Welt hoffe ich, dass das Blöde nicht gewinnt, weil das immer zum Bösen führt. Weil das Böse die Blöden braucht, so ‚wie der Sonnenkönig das Solarium‘.
300 Jahre nach der Geburt des Königsberger Philosophen Immanuel Kant und fast dreitausend Jahre nach dem Propheten Jesaja fragt die Welt immer noch: Was darf ich hoffen? Was ist realistisch?
Irgendwo schreit ein Kind und zerreißt die Starre. Dieses Kind ist das Licht, das in der Dunkelheit stört. Eben noch im Tal des Todes, jetzt auf dem Weg zum Fest. Das ist kein Zweckoptimismus, das ist ein realistischer Weg. Eine Möglichkeit.
Weil ich glaube, dass wir aus Fehlern lernen können – langsam, aber immerhin!
Weil ich glaube, dass das bisschen Vernunft, das wir haben, uns besser macht, weitsichtiger. Rücksichtsvoller, freundlicher, menschlicher.
Weil ich glaube, dass diese Welt und alles, was darinnen ist, mehr verdient hat. Gott hat diese Welt nicht aufgegeben. Und das feiern wir heute.
Im Dezember 2024 mag das Wetter unentschieden sein. Die Lage in der Welt ist es nicht. Existenzangst liegt vielerorts mit unterm Baum. Und da ist die Sorge darum, wie es weitergeht. Wird es Frieden geben? Was wird aus den USA kommen? Die Tafeln haben nicht genug Lebensmittel, um alle versorgen zu können. Die Verschnaufpausen für uns, für die Welt werden weniger. Es steht nicht gut um uns.
Also. Was darf ich hoffen? Was ist realistisch?
Der Heilige Abend, die Weihnachtszeit ist die Zeit der Wunder und Wünsche. Und mein Wunschzettel sieht so aus: Ich wünsche mir mehr Rücksicht. Weniger Hass. Mehr Nachdenken, weniger Urteilen. Weniger Extremismus und mehr Bereitschaft zuzuhören.
Möglicherweise ist das naiv und unrealistisch. Von einem „es ist gut“ bin ich mindestens 2,09 Euro entfernt, aber wie sagte einst ein großer jüdischer Denker: „Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist.“ In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Heiligabend. Die Stadtkirche ist gut gefüllt. Im Halbdunkel sitzen die Ungeübten neben denen, die vertraut sind mit Liturgie und Tag. Gemein haben alle diesen Ort, den sie für diesen Abend ausgewählt haben. Das ist für diesen Moment ihrer aller Kirche. Und so ist es auch mit der Geschichte.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ein Päckchen Butter kostet aktuell 2,09 Euro, VW will Menschen in großer Zahl entlassen, die Ukraine erlebt den dritten Kriegswinter, Immanuel Kant fragt, was darf man hoffen und in dieser Dunkelheit einer gefallenen und erschöpften Welt macht Gott das ganz große Licht an.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wunder gibt es immer wieder.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Kollege hat seinen Auftrag sehr ernst genommen und maßgeblich zum Schliff beigetragen.
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Die Steppe wird blühen! - Predigt zu Jes 35,3-10 von Manfred Wussow
1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien.
2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unsres Gottes.
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! 4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. 6 Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch, und die Zunge des Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. 7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
8 Und es wird dort eine Bahn sein und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. 9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen. 10 Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
[Vorbemerkung
Als Lied vor oder nach der Predigt schlage ich das Lied „Die Steppe wird blühen“ (Nr. 11 aus „Lieder zwischen Himmel und Erde“ ) vor. Es kommt aus der Feder von Huub Oosterhuis, von Diethard Zils ins Deutsche übertragen und komponiert von Antoine Oomen. Möglich ist auch, die drei Strophen „in“ der Predigt zu singen anstatt sie zu zitieren.
Die niederländische Originalfassung „De steppe zal bloeien“ ist zu hören unter:
Trijntje Oosterhuis (Tochter von Huub Oosterhuis)
https://www.youtube.com/watch?v=RrlaSwKQrJc
Lenny Kuhr
https://www.youtube.com/watch?v=hptIyJ6Vd7o
Wer mehr wissen will:
https://kerkliedwiki.nl/De_steppe_zal_bloeien
http://www.tweeofdriebijeen.nl/de-steppe-zal-bloeien/
Die Predigt versucht, Jes. 35 mit einem Lied, das aus Jes. 35 entwickelt wurde, zu verbinden.
Es ist eine „Liedpredigt“. Die Linienführung von Huub Oosterhuis ist nicht eins zu eins bei Jesaja zu finden, legt auf eigenständige Weise aber den vorgegebenen Text aus. Das Lied ist ein „Schriftlied“.
Als Lesung schlage ich vor: Mt. 11,1-6 oder Lk. 7,18-23.]
Predigt
Lilien in der Wüste
„Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien.“
Ein furioser Auftakt!
Wüste, Einöde und Steppe wissen sich vor Freude nicht mehr zu halten!
Die Schakale trollen sich!
Müde Hände packen wieder zu,
wankende Knie richten sich auf.
Seht, da ist euer Gott!
Blinde sehen! Taube hören! Lahme gehen!
Verstummte brechen in Jubel aus!
Wasser brechen in der Wüste hervor,
Quellen sprudeln in der Dürre!
Eine Oase!
Für Menschen, für Völker.
Seht, da ist euer Gott!
Dann ein Weg.
Unberührt von den Schindern,
von den Despoten.
Ein Weg
für die Erlösten,
für die von Gott geliebten Menschen.
Sie kommen nach Hause.
Schmerz und Seufzen entfliehen.
Seht, da ist euer Gott!
Ein furioser Auftakt! Die Bilder überschlagen sich förmlich, die Worte überbieten sich. Wir sehen in das Paradies.
Das Volk Israel hat sich auf lange Wege einstellen müssen. Endlose Wege. Geröll, Sand – die Schakale heulen. Die Höllenhunde, die Boten des Totenreiches. Wenn die Nacht hereinbricht, wenn Kälte sich unter die Decke schleicht, sitzen Menschen dicht aneinander gedrängt und reden über verlorene Hoffnungen, vertane Tage und über die Angst vor der Zukunft. Stille und laute Wut gibt’s auch. Überall Wüste, Steppe, Einöde – soweit das Auge reicht. Verdorrt, trocken ist alles. Die Gegend, die Herzen, die Träume.
Und dann:
Wüste, Einöde und Steppe wissen sich vor Freude nicht mehr zu halten!
Die Schakale trollen sich!
Müde Hände packen wieder zu,
und wankende Knie richten sich auf.
Seht, da ist euer Gott!
Die Steppe wird blühen
Heute, am 2. Advent, wollen wir uns einmal auf diese Vision einlassen. So manches ist für uns auch nur endlos, vertrocknet und sinnlos. Viele Geschichten, die bei uns hochkommen, atmen den Geist der Verzagtheit. Wir sehnen uns danach, hoffnungsvoll in die Zukunft, in unsere Zukunft, in die Zukunft der Welt schauen zu können. Gerade jetzt in der Adventszeit. Eine Zeit der Erwartung, des Wartens. Seht, Gott kommt!
Vor vielen Jahren hat Huub Oosterhuis, ein niederländische Dichter und ehemaliger kath. Priester – er lebte von 1933 bis 2023 –, ein Lied geschrieben. Es trägt den Titel: Die Steppe wird blühen. Wörtlich: Die Steppe soll blühen. Huub Oosterhuis hat sich ausdrücklich auf Jesaja bezogen, auf unseren Predigttext.
(Wir haben dieses Lied gerade gesungen / wir werden dieses Lied gleich noch singen)
Die erste Strophe geht so:
Die Steppe wird blühen, die Steppe wird lachen und jauchzen.
Die Felsen voll Wasser seit den Tagen der Schöpfung,
doch sie halten es fest. Die Felsen zerspringen.
Das Wasser wird strömen, das Wasser wird funkeln und strahlen.
Durstige kommen und trinken.
Die Steppe wird trinken. Die Steppe wird blühen,
die Steppe wird lachen und jauchzen.
Dass eine Steppe zur Oase wird, ist so ungewöhnlich nicht. Das Wasser, das Wasser ist das Wunder! Durstige kommen und laben sich. Die Steppe - verwandelt in einen Lebensraum, in einen Garten, in das Paradies.
Für viele Menschen sind Wasserstellen weit weit entfernt. Frauen tragen auf ihren Köpfen Krüge. Malerisch sind nur die Kleider. Versiegt und verseucht sind viele Brunnen. Reines, sauberes Wasser ist an vielen Orten ein Traum. Eine Sehnsucht. Bomben und Drohnen nehmen keine Rücksicht. Wasser kann auch sterben.
Wir sehen aber auch, dass Wasser aus den Fugen gerät. Kleine idyllische Bäche entwickeln sich zu reißenden Strömen. Sie reißen alles mit, ziehen alles in den Schmutz. Erinnerungen und Existenzen gehen unter. Wasser entpuppt sich als Unheil. Geht es zurück, lässt es Menschen zurück, die neu anfangen müssen.
Dass dann, umgekehrt, an vielen Stellen Lebensräume versteppen, Wüsten wachsen und Menschen fliehen müssen vor der Dürre – wir haben auch das in diesem Jahr oft gesehen. Wasser fehlt! Brände breiten sich aus, fressen Wälder und legen Siedlungen in Schutt und Asche. Manchmal helfen Menschen sogar nach, wenn sie sich Grundstücke und Ländereien unter den Nagel reißen wollen.
Wasser: Lebenselixier. Doch Wasser kann sich in Tod verwandeln. Bleibt Wasser aus, sterben Landschaften. Wasser soll Wasser bleiben! Lebenswasser!
Huub Oosterhuis hat sich die Verheißung des Propheten Jesaja zu eigen gemacht. Die Verheißung, dass die Steppe zu leben beginnt. Dass Menschen leben können. Dass Menschen glücklich sind. Ich höre Lachen und Jauchzen.
Frisch und lebendig läuft Wasser über die staubigen Köpfe, über müde Füße, über eine verschwitzte Haut. Die Welt erlebt einen Neuanfang! Funkelnd und strahlend. Eine Hoffnung.
Flüchtlinge kommen nach Hause
Huub Oosterhuis hat sich in ein Gespräch mit Jesaja verwickelt. Steppen- und Wüstenerfahrungen, Bedrohungen und Ängste gibt es unter uns auch. Aber es gibt auch Bilder der Hoffnung, wachsendes Vertrauen und neue Wege in unwegsamen Geländen.
Das besingt die zweite Strophe:
Die Flüchtlinge kommen nach Hause mit leuchtenden Garben.
Die gingen in Trauer bis ans Ende der Erde,
hoffnungslos, und allein, sie kommen in Scharen.
Wie Bäche voll Wasser, wie Bäche voll rauschenden Wassers,
stürzend herab von den Bergen,
wie Lachen und Jauchzen.
Die säten in Tränen, sie kommen und lachen und jauchzen.
Huub Oosterhuis nimmt Flüchtlinge in den Blick. In anderen Übersetzungen ist auch von Verbannten die Rede. Im Wort „Verbannte“ kommt noch stärker heraus, dass Menschen von Menschen verbannt werden, dass Menschen Menschen verbannen. Im Bild: Verbannte werden in die Wüste geschickt. Ihre Hände sollen nichts festhalten, ihre Schritte nicht fest sein – sie sollen verstummen. Klein gemacht. Kein Lachen – betretenes Schweigen.
Huub Oosterhuis hat im 126. Psalm Worte gefunden:
„Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.
Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsere Zunge voll Rühmens sein…
Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen
und kommen mit Freuden
und bringen ihre Garben“
Als Huub Oosterhuis sein Lied schrieb, gab es noch keine Massenmigration, auch noch keine Diskussionen um ungeregelte Migration, auch kein Geraune über Remigration. Durch unsere Gesellschaft verläuft gerade ein tiefer Riss. Das Lied hat aber eine große Kraft, mit den biblischen Verheißungen Menschen in den Blick zu nehmen – und nicht nur Zahlen und Statistiken, nicht nur Bedrohungen und Ängste vor Verlust.
Die Flüchtlinge kommen nach Hause mit leuchtenden Garben.
Die gingen in Trauer bis ans Ende der Erde,
hoffnungslos, und allein, sie kommen in Scharen.
Ein Bild hat es mir besonders angetan: die leuchtenden Garben! Garben stehen für Ernte, für den Reichtum des Lebens, für Sattwerden und glücklich sein. Um Garben lässt es sich fröhlich tanzen. Dass Flüchtlinge etwas mitbringen, soll heute wieder neu entdeckt werden.
Viele Fragen sind offen und müssen von uns politisch beantwortet werden. Dass wir bei allen Überlegungen einen Blick auf die Garben haben können – das befreit und ermutigt.
Viele Menschen erzählen auch bei uns, woher sie, ihre Familien, einmal gekommen sind.
Ostpreußen, Pommern, Schlesien – und Polen, Italien, Spanien – und aus der Türkei. Viele Geschichten sind Geschichten von Vertriebenen, Flüchtlingen und Heimatlosen, auch die Geschichten von Gastarbeitern, die eine Heimat gefunden haben.
Die gingen in Trauer bis ans Ende der Erde,
hoffnungslos, und allein, sie kommen in Scharen.
Wie Bäche voll Wasser, wie Bäche voll rauschenden Wassers,
stürzend herab von den Bergen.
Flüchtlinge hat der Prophet Jesaja tatsächlich nicht erwähnt – oder doch? Jesaja spricht sein Volk, er spricht Menschen an, die vor Gewalt und Unterdrückung geflohen sind! Die alles hinter sich gelassen haben! Die mit immer weniger doch dem Gefühl erliegen, nie anzukommen. Irgendwann sind die Hände schlaff, die Knie geben nach und die Augen sind leer. In den Ohren rauscht es. Nirgendwo ein gutes Wort. Keine Verheißung. Keine Liebeserklärung. Nirgendwo.
Der Tote wird leben
Die 3. Strophe seines Liedes hat Huub Oosterhuis als Lied eines Aufbruchs gestaltet.
Der Tote wird leben, die Tote wird hören: jetzt Leben.
Zu Ende gegangen, unter Steinen begraben:
Toter, Tote, steh auf, ein ganz neuer Morgen.
Es winkt eine Hand uns, es ruft eine Stimme:
Ich öffne Himmel und Erde und Abgrund.
Und wir werden hören, und wir werden aufstehen
Und lachen und jauchzen und leben.
Aufstehen! Toter, Tote, steh auf!
Wer ist eigentlich tot? Wie ist das, tot zu sein? Was macht das mit Menschen, tot zu sein? Zum Schweigen gebracht?
Viele Menschen sind – innerlich – tot. Sie können nichts mehr hoffen. Sie sind verstummt. Sie haben keine Worte. Für sich nicht, für die Dinge nicht, für andere Menschen auch nicht. Für Gott schon mal gar nicht. Aber sie schlagen oft um sich, sie sind aggressiv, sie geben die Welt auf. Sie geben die Welt auf, die nicht so ist, wie sie sie haben wollen. Sie geben Menschen auf, die nicht so sind, wie sie sich formen. Sie geben Geschichten auf, die nicht so sind, wie sie sie erzählen wollen.
Aufstehen! Toter, Tote, steh auf!
Bei Jesaja heißt es:
„Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen:
»Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!“
Es winkt eine Hand uns, es ruft eine Stimme:
Ich öffne Himmel und Erde und Abgrund.
Und wir werden hören, und wir werden aufstehen
Und lachen und jauchzen und leben.
Nicht wir – ER öffnet Himmel und Erde und Abgrund. ER – er kommt!
Abgrund ist übrigens die Hölle, das Totenreich, das Reich der Schakale. Ihr Markenzeichen ist das Geheul. Schakal heißt: der Heulende.
Ein Protest
Genau genommen ist das Lied von Huub Oosterhuis nicht als Adventslied geschaffen worden. Es ist bewusst ein Protestlied! Doch alle Adventslieder sind Protestlieder. Gegen Dürre, Verlorenheit und Verlogenheit, gegen Angst, Fremdheit und Tod. Seht, da ist euer Gott.
Jesus hat auf eine Anfrage an ihn so geantwortet:
Sagt, was ihr hört und was ihr seht! Redet!
„Blinde sehen und Lahme gehen,
Aussätzige werden rein und Taube hören,
Tote stehen auf,
und Armen wird das Evangelium gepredigt“
(Mt. 11,5)
Noch einmal Jesaja, erstes und letztes Wort:
„Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude.
Wir sehen die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unsres Gottes.“
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich nehme in meiner Umgebung – geht über Gemeinde hinaus – wahr, dass für viele Menschen Hoffnungen vertrocknet sind, die aktuellen Geschehnisse („multiple Krisen“) Angst machen oder auch zur Lethargie verführen, andererseits Widerstand provozieren, der aber an vielen Stellen Zerrissenheit verstärkt. Der 2. Advent hat mit Jes 35 einen erfrischenden Blick, der von Gott aus eine Zukunftsperspektive öffnet.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt hat mich bei der Predigtvorbereitung ein Gedicht von Huub Oosterhuis, das, zum Lied geworden, den Predigttext „singbar“ macht. Die Predigt versucht, Linien auszuziehen, die Huub Oosterhuis freilegt, dabei die Textebene aber auch verlässt. Die Predigtvorbereitung kämpft aber auch damit, der Bilderflut und der Assoziationen Herr zu werden. Die Predigt will ein „Schriftlied“ vorstellen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Huub Oosterhuis bei uns, mit wenigen Liedern im Gesangbuch vertreten, noch zu entdecken ist. Ich lebe im Grenzgebiet zu den Niederlanden. Mit der Gemeinde möchte ich einmal ein „Seminar“ veranstalten mit Huub Oosterhuis und Kurt Marti als Bezugspersonen und Zeitgenossen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mein Coach, „Erstleser“, hat mich auf einige Ungereimtheiten aufmerksam gemacht und wichtige Rückfragen gestellt. Ich habe sie alle abgewogen, aber nicht alle aufgreifen können. Wenn ich noch mehr Zeit hätte, würde ich weiter an dem Text feilen. Die abschließende Bearbeitung kam einem Gespräch gleich, das kein Gegenüber hatte, ein Gegenüber aber auch nicht mehr brauchte. Das war spannend und inspirierend. Dem Coach ein herzliches Dankeschön!
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Rückreise durchs Niemandsland - Predigt zu Jesaja 29,17-24 von Henning Kiene
17Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. 18Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; 19und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 20Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, 21welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen.22Darum spricht der Herr, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. 23Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. 24Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.
Wir Geschwister saßen auf der Rückbank unseres Autos. Die Ferien gingen zu Ende. Hinter uns lagen freie Wochen und der Familienurlaub. Wir waren an der Ostsee. „Am Meer“, sagten wir. Mittags nach langem letztem Frühstück ging es los, „nach Hause“. Ich wusste schon jetzt, der Sand und die Muscheln in den Hosentaschen würden noch wochenlang wehmütige Erinnerungen wachhalten. Ich sah das nette Gesicht mit den Grübchen, das Mädchen gefiel mir und die Fußballstunden auf dem Bolzplatz waren klasse. Das lag nun hinter mir. Im Auto fuhren wir durch ein graues Niemandsland. In solchen Momenten sagte mein Vater: „Wird alles wieder gut werden, Ihr werdet schon sehen.“ Seine Stimme klang optimistisch. Dann nannte er die Namen der besten Freunde, auf die ich mich freuen könne. Sogar die Vorzüge der Schule wusste er zu benennen. Und ich stimmte mit ein und wir Geschwister begannen erste Pläne zu schmieden.
Mein Vater war kein Prophet. Aber in grauen Momenten, in diesem Niemandsland zwischen den Zeiten, wusste er die Zukunft anzusagen, das ist Lebenskunst. Es ist Lebenskunst, den Horizont mit Bildern, die optimistisch stimmen, auszumalen. Vater sprach nicht in den vielen Grautönen, die er zweifellos auch ahnte. Er schürte die Vorfreude auf das, was gelingen will. Wir Kinder profitierten von seinem Optimismus und vertrauten ihm. Unser Vater war Kriegskind, er wusste genau, wie schwer die Gegenwart drücken kann. Er lebte lange Jahre hungrig im grauen Niemandsland. Aber er hatte auch erlebt, dass das Bedrückende überwunden wird.
Der Prophet Jesaja spricht im Grau der Gegenwart und wählt hellbunte Farben. In der Zeit gefährlicher Bedrohung, auch durch Krieg, spricht der Prophet vom Heil und malt es in kräftigen Farben an den Horizont. Er sorgt dafür, dass die Gefahren – wenigstens für eine gewisse Zeit – in den Hintergrund treten. Ich höre heute: „Es wird ein Ende haben mit den Tyrannen.“ Und darauf freue ich mich. Ich denke an die Verächter unserer Demokratie und sehe, dass ihre grau-schwarzen Bilder einer müden Einheitswelt ohne Zukunft sein werden. Und mein Herz springt vor Freude, wenn ich in solcher Ödnis höre: „Die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels.“ So macht der Prophet Mut für den Schritt in die Zukunft.
Dann sitze ich auf der Hinterbank im Rückreiseverkehr, muss den Feriensommer hinter mir lassen, grüble über all das, was kommen wird, zweifele leise in mich hinein. Und am Steuerrad sitzt einer der sagt: „Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden.“ Und die Stimmung wird gehoben.
Jesaja, der Prophet, spricht präzise und zeigt konkrete Bilder. Er spricht von den tauben Ohren, die hören, den blinden Augen, die sehen werden, von den Elenden, die sich freuen, von den Tyrannen, die vertilgt werden, vom Gericht und dem Ende der Scham. Das sind scharf gestochene Bilder, die zeigt er schon jetzt. Es geht aber nicht nur um die Gehörgänge und das Trommelfell und die Iris und die Pupille, es geht um einen Blick in die Zukunft. Die soll nicht denen gehören, die nur sehen wollen, was kaputt sein könnte, und nur noch hören möchten, was sowieso überall genörgelt wird. Es gibt so viele endlose Schleifen, die durch graues Niemandsland führen. Es geht um die Achtung vor den anderen Menschen, um eine Ahnung von dem herannahenden Heil, das heute offene Augen und weite Ohren braucht. Denn es braucht einen wachen Blick für die Worte des Propheten.
Der Prophet sitzt auf dem Fahrersitz, hält das Lenkrad, er führt sicher durch das Niemandsland einer „alles wird immer schlechter“ Stimmung. Er spricht nicht vom Unheil, das droht, sondern er weitet den Blick in eine lichte Zukunft. Er sagt allerdings auch, dass Gott möglicherweise anders handeln könnte. Gott könnte den Blick auf die Zukunft versiegeln, er könnte die Menschen im Dunkeln sitzen lassen. Das wäre im wahrsten Sinn des Wortes der Weg, der in das Tal der Ahnungslosen führt. Gott könnte uns tatsächlich einen grauen Schleier vor die Augen ziehen und einen Packen Ohropax in die Ohren stecken. Aber Jesaja spricht von dem Heil, das in einer kurzen Weile kommen wird.
Die Federn des Autositzes bohrten sich in die Beine. „Nicht so lange anhalten. Bitte nur eine kurze Pause,“ baten wir auf dem Parkplatz, jetzt wollten wir nach Hause. Ich weiß noch, wie ich einmal – ich war schon etwas älter – mit kräftigem Klopfen den Sand und kleine Muschelreste aus der Hosentasche auf den Parkplatz beförderte. Ich freute mich auf die alten Freunde, den ersten Brief von dem Mädchen mit den lustigen Grübchen. Dass ich mich sogar auf die erste Deutschstunde freute, mochte ich mir selbst nicht so richtig eingestehen.
Propheten ziehen graue Vorhänge, die die Wehmut schließt, beiseite, sie suchen wegweisende Worte und malen Bilder in bunten Farben. Und das neue Schuljahr erschien mir im helleren Licht und gewann schon an Farbe. Meine Gedanken wanderten vom herrlich blauen Meer, dem Strand, den Ferienfußballfreunden und dem Mädchen mit den lustigen Grübchen in den Alltag zurück. Und da tauchte da plötzlich die Verheißung auf, die der Zauber des neuen Schuljahres versprach. Die lange Fahrt mit dem Auto führte durch das Niemandsland, das zwischen all dem Schönen der letzten Woche und den neuen Herausforderungen liegt. Abends kamen wir an, voller Wehmut und voll mit Erwartung.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ende des Sommerferien. Alle kommen an diesem Wochenende zurück. Montag beginnt die Schule!
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Gedanke, dass Jesaja – Protojesaja (!) – eine Heilsansage im Sound der Heilsprophetie wagt, obwohl die Fakten gegen ihn stehen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Geschichtliche Fakten sind das eine. Die Heilsgeschichte setzt am anderen Ende an. Manches werde ich von hinten lesen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mir fehlt das Coaching. Schade.
[Hinweis der Redaktion: Im Moment muss die üblich Begleitung der Prediger:innen des Portals durch ausgebildete Predigtcoaches aus organisatorisch-personellen Gründen leider entfallen.]
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Ein Spruch fürs Leben - Predigt zu Jesaja 43,1-7 von Manfred Wussow
1Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! 2Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. 3Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich gebe Ägypten für dich als Lösegeld, Kusch und Seba an deiner statt. 4Weil du teuer bist in meinen Augen und herrlich und weil ich dich lieb habe, gebe ich Menschen an deiner statt und Völker für dein Leben. 5So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln, 6ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde, 7alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.
Wenn ich den Satz höre, bin ich glücklich, wenn ich ihn sagen kann, noch glücklicher: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“. Es ist der erste Satz in einem großen Stück! Alle Instrumente stimmen ein. In den Stimmen liegt ein Jubel. Der Auftakt ist grandios. „Fürchte dich nicht!“
Sie kennen den Satz auch? Wie gerne würde ich Sie jetzt fragen! Vielleicht verbinden Sie mit ihm auch Erinnerungen? Nach dem Gottesdienst könnten wir in ein Gespräch kommen! Wir haben hier einen beliebten Taufspruch vor uns. Eltern wählen ihn für ihr Kind. Eine große Verheißung, die am Anfang eines Weges steht. „Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Das steht vor eigenen Leistungen, aber auch vor eigenem Versagen. Eine große Freiheit tut sich auf, für die es nur das Wort gibt „Liebe“! Jesaja hat auch das formuliert: „Weil du teuer bist in meinen Augen und herrlich und weil ich dich lieb habe.“ Spricht nun der Herr!
Sammeln wir weiter: Konfirmation. Das ist ein großer Tag für die Familie, aber auch für die Gemeinde. Auf der Urkunde wird auch ein Konfirmationsspruch stehen. Junge Menschen suchen ihn sich aus – oder bekommen ihn geschenkt. Jesaja hat wohl nicht geahnt, dass die Wahl auf ihn fällt.
Wie viele Lebensgeschichten stehen dazwischen, über Jahrhunderte verteilt? Früher war mit der Konfirmation für die meisten Kinder die Kindheit zu Ende. Der „Ernst des Lebens“ begann. Das ist heute zwar anders, aber die Abenteuer, in das eigene Leben hineinzuwachsen, sind nicht einfacher geworden.
An eine Trauung denken wir auch. Zwei Menschen wollen ihr Leben miteinander teilen, durch dick und dünn gehen, schöne und harte Zeiten gemeinsam meistern – bis der Tod sie scheidet. Liebe verträgt keine Begrenzung, kein Haltbarkeitsdatum. Dabei wissen wir, wie zerbrechlich Beziehungen sind. Der gemeinsame Weg kann beschwerlich werden. Mit der Trauung ist ein großer Anfang verbunden, für den wir Gottes Segen erbitten. Eine Traukerze wird überreicht – und im Vorgespräch ein Trauspruch ausgesucht. Viele finden ihn im Internet. Jesaja ist da gut vertreten!
Schließlich drückt dieser Spruch bei einer Trauerfeier oder am Grab eine große Hoffnung aus. Während wir zurückschauen auf ein Leben mit den vielen Facetten und Beziehungen, während wir oft auch mit unseren Gedanken ganz alleine sind, hören wir, was wir uns selbst nicht sagen können: „Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“. Es ist wie ein Band, das um ein Leben gelegt wird – oder wie eine Krone, die ihm aufgesetzt wird. Die Grautöne bekommen Farbe. Was im Leben unvollendet bleibt, Fragment, wird von Gott zusammengehalten und in sein Bild von mir, von uns, geformt.
Hanns Dieter Hüsch (1925 bis 2005)[1], das „schwarze Schaf vom Niederrhein“, hat ein Gedicht daraus gemacht:
„Ich bin vergnügt
erlöst
befreit
Gott nahm in seine Hände
Meine Zeit
Mein Fühlen Denken
Hören Sagen
Mein Triumphieren
Und Verzagen
Das Elend
Und die Zärtlichkeit.“
Eine Taufgeschichte
Ich denke jetzt an Olga und Heinrich. Ihre Namen sind nicht echt – ich hätte sie fragen müssen, ob ich ihre Geschichte erzählen darf. Sozusagen auf EKD-Ebene. Vor vielen Jahren schon sind sie aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Ihr Deutsch hörte sich ziemlich alt an, als sie irgendwann im Gottesdienst auftauchten. Dass noch andere Menschen aus ihrer verlassenen Heimat da waren und auf sie zu warten schienen, hat ihnen sichtlich gutgetan. Sie kamen immer öfter. Nur zum Kaffee blieben sie nicht. Wollten sie nur unter sich bleiben? Hatten sie Angst vor den anderen? Fühlten sie sich fremd?
Aber dann war da der Wunsch: Wir möchten getauft werden. Beide hatten schon graue Haare. Und ein bewegtes Leben hinter sich. Ein Glücksfall? Ein Glücksfall! Zum Taufgespräch bin ich zu ihnen gegangen. Wir saßen in ihrem kleinen Wohnzimmer. Sie erzählten. Von Kasachstan, von der Familie, von ihrer Familiengeschichte. Von Verwandten und Freunden, die blieben. Von der Arbeit, die sie einst verrichteten. Vom Aufnahmelager im „Westen“, vom schweren Anfang in der neuen Welt – in unserer Stadt. Vom Gefühl, die falsche Sprache zu sprechen und nicht verstanden zu werden. Von der Angst, nicht Fuß fassen zu können. Einiges, was sie erzählten, kannte ich schon von anderen Geschichten. Sie waren nicht allein. Nachdem die Formalitäten geklärt waren und das Formular zur Anmeldung einer Taufe fein säuberlich ausgefüllt war, mussten wir noch ein Feld ausfüllen: Taufspruch. Wir haben in der Bibel geblättert. Es war wie eine Entdeckungsreise. Glücklicherweise waren manche Sätze, Spitzen-Sätze, dick gedruckt, fielen also auf. Der Versuchung, ihnen etwas zu „empfehlen“, wollte ich nicht erliegen. Die Bibel auf dem Küchentisch, Luther 1912, war wie ein Versprechen.
Bei Jesaja stockten ihre Blicke. „Und nun spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Ich sehe noch die Blicke, die die beiden wechselten. Gesagt haben sie nichts. Aber auch so war alles klar: Er ist es, dieser Spruch, dieses Wort!
Wenn wir jetzt Zeit hätten, würde ich Ihnen gerne mehr erzählen, wie unser Gespräch dann verlaufen ist. Es ist ein ziemlich langes Gespräch geworden. Ein paar Schlaglichter dürfen wohl sein. Wir haben den ganzen Text gelesen.
Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen.
Wenn du ins Feuer gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen.
Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland.
Die beiden erzählten von Stalin und seiner „Bevölkerungspolitik“, als sie von dem Wasser und dem Feuer lasen. Sie erzählten vom „großen Krieg“. Sie erzählten von bedrohlichen Situationen, die sie erlebt haben, davon, wie eingeschüchtert und ängstlich sie waren und sich nicht wehren konnten. Die große Geschichte ist wie ein Bulldozer über sie hinweggegangen. Wasser und Feuer – Bilder für Zerstörung und Tod. Wir sprachen dann darüber, was die Taufe ist: Ein Hindurchgehen. Eine Passage in das Leben.
Hanns Dieter Hüsch mag jetzt noch einmal zu Wort kommen:
„Was macht, dass ich so fröhlich bin in meinem kleinen Reich?
Ich sing und tanze her und hin, vom Kindbett bis zur Leich.
Was macht, dass ich so furchtlos bin an vielen dunklen Tagen?
Es kommt ein Geist in meinen Sinn, will mich durchs Leben tragen.
Was macht, dass ich so unbeschwert und mich kein Trübsinn hält?
Weil mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt“
An einer Stelle lebten die beiden „Taufbewerber“ richtig auf:
Ich will vom Osten deine Kinder bringen und dich vom Westen her sammeln,
ich will sagen zum Norden: Gib her!, und zum Süden: Halte nicht zurück!
Bring her meine Söhne von ferne und meine Töchter vom Ende der Erde,
alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen und zubereitet und gemacht habe.
Was Jesaja wohl dachte? Ich habe den beiden von der großen Heimkehr erzählt, die dem Volk Israel in der Verbannung zugesagt wurde. Das Volk Israel war damals in Babylon. In der Heimat war Jerusalem verwüstet, der Tempel in Schutt und Asche gelegt, Familien auseinandergerissen. Während die Himmelsrichtungen wie Gefängnisse wirken, verkündet der Prophet, dass sie „alle“ wieder nach Hause kommen. Weil Gott es so will, weil er es so sagt. Nein, richtig interessiert waren die beiden nicht, eine alte Geschichte zu hören – sie waren viel zu sehr mitten drin. Sie verbanden mit den Himmelsrichtungen Hoffnungen, dass die vielen Trennungen, die es im Leben von Menschen und Völkern gibt, aufgehoben werden. Keine Angst mehr. Keinen Hass mehr.
Bitte, entschuldigen Sie, ich kann Ihnen nur bruchstückhaft widergeben, was wir bis weit in den Abend hinein in dem kleinen Wohnzimmer bedachten. Als der Taufspruch seinen Platz im Formular gefunden hatte und wir uns verabschiedeten, hat Jesaja gelächelt. Naja, der Jesaja, der uns heute Abend so freundlich und liebevoll begegnet ist.
Der Taufgottesdienst
Am Sonntag darauf feierten wir die Taufe der beiden im Gottesdienst unserer Gemeinde. Es war eine bewegende Szene, als sie am Taufbecken standen und ihre Köpfe sanken. Als das Wasser über ihren Haaren perlte. Sie hatten ihre Namen genannt. Und die Gemeinde hörte: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Olga und Heinrich.
Doch, es war ein Anfang! Aber in diesem Anfang war schon ein ganzes Leben beschlossen. Die Erfahrungen, die nicht verblassen. Die Ängste, die immer wieder hochkommen. Die Hoffnungen, die nicht versiegen.
Wenn ich den Satz höre, bin ich glücklich, wenn ich ihn sagen kann, noch glücklicher: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“. Es ist der erste Satz in einem großen Stück! Alle Instrumente stimmen ein. In den Stimmen liegt ein Jubel. Der Auftakt ist grandios. „Fürchte dich nicht!“
Als Jesaja den Menschen in Babylon eine neue Zukunft ansagte, als die alten Geister noch ihr Unwesen trieben, mussten die vier Himmelsrichtungen – Osten und Westen, Norden und Süden – ihre Abwehrhaltung aufgeben:
Die Söhne von ferne,
die Töchter vom Ende der Erde –
kommt!
Ihr Verloren drüben,
ihr Geschassten dort –
kommt!
Ihr Heimatlosen in der Ecke,
ihr Verfluchten auf der Flucht –
kommt!
Alle, die mit meinem Namen genannt sind, die ich zu meiner Ehre geschaffen
Und zubereitet
Und gemacht habe.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.
[1] Ich bin vergnügt, erlöst, befreit. Erinnerung an Hanns Dieter Hüsch. Deutschlandfunk 10. Juni 2018.
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Unnahbar nah - Predigt zu Jesaja 6,1-8 von Martina Janßen
I. Als Kind habe ich es geliebt, auf einer Wiese zu liegen und nach oben in den Himmel zu sehen. Wie eine riesige blaue Leinwand erschien mir damals der Himmel, und die Wolken erzählten Geschichten von Burgen, die sanft auseinanderfielen, von Schafen und Nebelfeen und von Dinosauriern, die langsam dem Horizont entgegen wanderten. Inmitten all dieser Bilder war sie dann plötzlich da, eine kleine Schleierwolke. Wie der Zipfel eines langen weißen Bartes sah sie aus und ich war mir sicher: Da ist der liebe Gott, so nah, dass ich ihn fast berühren und ihn vorsichtig am Bart zupfen kann. Nur ein kurzer Moment an einem ganz normalen Juninachmittag. Dann hatte der Wind die Wolken zerstoben und der liebe Gott war wieder in seinem Versteck irgendwo im unendlichen Blau des Sommerhimmels verborgen. Aber ich habe ihn gesehen, Gott war da, unnahbar nah. Mein kleines Kindergeheimnis. Manchmal ertappe ich mich noch heute dabei, ihn zwischen den Wolken zu suchen.
II. Möchten Sie ihn auch mal sehen? So ganz in echt? Nicht nur auf Gemälden oder Bildern, die die Fantasie malt, sondern von Angesicht zu Angesicht? Dann sind Sie nicht allein. Schon Mose wollte Gott sehen: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen! [...] Und Gott sprach: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ (Ex 33,18-20). Das ist wohl als ein „Nein“ zu verstehen. Nein, du darfst mich nicht sehen, Mose. Aber eines darf Mose dann doch: „Wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht, stelle ich dich in den Felsspalt und halte meine Hand über dich, bis ich vorüber bin. Dann ziehe ich meine Hand zurück und du wirst meinen Rücken sehen.“ (Ex 33,22f). Wenn Gott an Mose vorübergezogen ist, dann darf Mose sich umdrehen und Gott nach sehen, darf Gott hinterher sehen, ihn von hinten sehen. Immerhin. Manche haben mehr als Mose gesehen, mehr als nur Gottes Spuren im Vorübergehen. Jesaja war einer von ihnen.
Jesaja 6,1-8: „In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!
Jesaja blickt nicht nur durchs Schlüsselloch in ferne Welten, er steht mitten im himmlischen Thronsaal. Dort sieht er mehr als er ertragen kann: Einen Saum, der den Tempel füllt, himmlische Heerscharen, Rauch und Hymnen, bebende Schwellen – und Gott selbst, „heilig, heilig, heilig“. Jesaja hält seine Vision kaum aus, und die Wahrheit, die dahinter steht, noch viel weniger. Gott zu sehen, ihm zu begegnen, ist nicht ohne. „Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist… (Psalm 24,3f). Wer hat das schon, immer und überall? Wer kann dem Heiligen schon in die Augen sehen? Die Seraphim, jene gewaltigen Engelswesen, die in der Hierarchie der himmlischen Heerscharen nicht gerade unten stehen, jedenfalls nicht. „Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Antlitz.“ Zu blendend die Herrlichkeit, zu gleißend das Licht, zu hell ist Gott. Wer direkt in die Sonne sieht, wird geblendet, blind, die Netzhaut verbrennt. Wenn es zu hell wird, muss man sich schützen, sei es mit einer Sonnenbrille, sei es mit bloßen Händen oder auch mit Flügeln. Nicht anders ist es mit Gottes Herrlichkeit. Sehenden Auges erträgt man sie nicht. Und Jesaja, der Visionär, der Seher? Er schaut Gott doch – ohne Schirm und Schutz, Auge in Auge, von Angesicht zu Angesicht. Das bleibt nicht folgenlos: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.“ Da sind so viel Größe, Licht und Herrlichkeit und und da ist Jesaja – so klein, so schuldig, so unwürdig. Das kann nicht gutgehen. „Denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ (Ex 33,20). Eine Begegnung auf Augenhöhe sieht anders aus. Und doch: Jesaja sieht Gott, aber er vergeht nicht. Seine Schuld wird durch Engelshand gesühnt. Nur so geht es. Des Engels Hand an des Sünders Lippen. Christi Blut für dich vergossen. Gottes Schutz und Schirm, sein Schatten, „dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts.“ (Psalm 121,6).
III. Als ich größer wurde, wollte ich mehr über Gott wissen und habe Theologie studiert. Wenn ich Gott mit meinen Augen schon nicht sehen kann, kann ich ihn dann mit meinem Verstand begreifen? Anders gefragt: Wer ist Gott und wenn ja wie viele? Die altkirchlichen Theologen hatten darauf eine Antwort. Aller guten Dinge sind drei. Auch Gott: Vater, Sohn, Heiliger Geist, heilig, heilig, heilig. Die „drei“ steht für Vollkommenheit, für drei Facetten, drei Personen, drei Rollen: Schöpfer, Erlöser, Tröster. Wie ein Vorhang, der drei Falten wirft und doch einer ist. Vater, Bruder, Kraft. Das alles ist Gott – und er ist doch noch so viel mehr. Vielleicht ist ja auch die Dreifaltigkeit letztlich nur ein kleines Gedankenspiel großer Theologen, um das Unbegreifliche begreifbar zu machen? Denn Gott ist immer mehr als das, was wir denken, definieren und deklarieren; immer bleibt etwas verborgen in ihm, immer bleibt etwas unbegreiflich. Martin Luther nannte das den deus absconditus, den verborgenen Gott, den, den weder Herz noch Verstand fassen können, fern und drohend, finster und dunkel, den Gott, der tobt und tötet, prüft und peinigt, den Gott, der diese Welt loslässt und uns allein lässt. Auch das ist Gott. Nicht nur helle Facetten, auch dunkle Seiten, Tabu- und Todeszonen. Da sagen wir nicht wie Jesaja: „Hier bin ich!“, sondern fragen: „Wo bist du – Vater, Sohn, Heiliger Geist? „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22,2). Da verstummen dann „Heilig, Heilig, Heilig“, „Hallelujah“ und all die Hymnen. Was bleibt ist Schweigen. Und doch – irgendwo am Saum des Schweigens in der Finsternis der Gottverlassenheit erhebt sich Gottes Wort aufs Neue. „Es werde Licht.“ (Gen 1,3). Nie verstehen wir ganz, wir sehen nie klar, immer nur schemenhafte Schatten, flüchtige Bilder, halbfertige Skizzen. So viel wir von Gott auch zu sehen und zu verstehen glauben, wir stochern doch am Ende nur im Nebel. Vielleicht wissen die am meisten von Gott, die nichts wissen. „Negative Theologie“ nennt man das. Gottes Gestalt – so ein anonymer Theologe aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert – „kann weder ein Verstand verstehen, noch wird ein Wort ihn vermitteln können, noch wird ein Auge ihn sehen können, noch wird ein Körper ihn ergreifen können, wegen seiner unergründbaren Größe und seiner unbegreifbaren Tiefe und seiner unmessbaren Höhe und seines unerfassbaren Willens.“ (Tractatus Tripartitus [NHC 1,5] 54,15-24). Auch so geht es von Gott zu reden: Ich sehe ein, dass ich dich nicht sehen kann; ich weiß, Gott, dass ich nichts weiß, dass ich nichts von dir weiß. Und doch preise ich dich. „Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth.“ Klingt paradox, ist aber wahr. Gott ist da, unnahbar nah.
IV. Wir brauchen sie, die großen Visionen der kleinen Propheten, die naiven Kinderbilder und die komplexen Gedankenkonstruktionen, wir brauchen all die Versuche, Gott zu sehen mit den Augen des Leibes und mit den Augen des Verstandes. Das ging schon Jesu Jüngern so. Thomas konnte erst an den Auferstandenen glauben, als er seine Wundmale gesehen und sie ertastet hatte. Erst dann ging es ihm über die Lippen zu sagen, wer Gott ist. „Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ (Joh 20,28f). Wir brauchen Bilder und Gedanken, um uns an Gott heranzutasten, ihn nahbar zu machen. Das ist menschlich, allzu menschlich. Aber das kann nicht alles, das kann nicht das Entscheidende sein. Gott ist anders und immer mehr. All unser Sehen und Verstehen gerät bei Gott an Grenzen. Am Ende kommt es auf den Glauben an, auf das blinde Vertrauen in den, der zu uns gesagt hat: Ich bin da. „Glauben ist das Finden eines du, das mich trägt.“ (Joseph Ratzinger). Von all den klugen Sätzen, die ich gelesen habe, hat sich dieser Satz mir besonders eingeprägt. Getragen von Gott gehe ich durch mein Leben und auch wenn ich meine zu fallen – da ist einer, „welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält“ (Rainer Maria Rilke). Es ist dieser Glaube, der mich auf Gottes Spur setzt, in diesem Glauben finde ich ihn, seine Spuren im Vorübergehen – sei im Spiel der Schleierwolken, sei in einer Berührung, die meine Lippen heilt, sei in den aparten Abstraktionen und grandiosen Gedankengängen der Theologen. Er ist da, unnahbar nah. Im Schatten seiner Herrlichkeit lebe ich und falle nicht. „Hier bin ich, Herr, sende mich.“ (Jes 6,8).
Amen
Das Zitat aus dem Tractatus Tripartitus (NHC 1,5) ist entnommen aus Gerd Lüdemann/Martina Janßen, Unterdrückte Gebete. Gnostische Spiritualität im frühen Christentum, Stuttgart 1997, S. 95.