Neuer Rahmen, anderer Blick - Predigt zu Johannes 12,20-24 von Barbara Bockentin
(Der Bibeltext in der Übersetzung der Basisbibel wird vor der Predigt gelesen.)
Einfach stehen gelassen, die namenlosen Griechen. Weil sie zu spät waren. Welch ein doofes Gefühl! Wäre das nicht auch anders gegangen? Nun aber waren sie ausgeschlossen, gehörten nicht dazu.
Einfach stehen gelassen – so fühlten sich Philippus und Andreas. Sie waren enttäuscht. Da waren sie als Fürsprecher ausgesucht worden. Und nun dies. Sie verstanden die Welt nicht mehr. Nicht nur, dass Jesus auf ihre Bitte nicht einging. Sie gar nicht erst zur Kenntnis nahm. Schlimmer noch, sie kamen sich wie dumme Jungs vor. Wie jemand, der keine Ahnung hatte. Sie auch nie haben würde. Rätselhafte Worte, die warf Jesus ihnen hin. Worte vom Sterben. Worte von Verwandlung.
Milly spielte mit den Bohnen. Sie ließ sie durch die Finger rieseln. Eins ums andere Mal. Glatt fühlten sie sich an. Nur an einer Stelle, da fühlten sie sich anders an. Da sahen sie anders aus. Fast wie ein Auge. Oma stupste sie an. „So, nun kannst du je drei Bohnen in ein Loch legen. Am besten mit dem Auge nach oben.“ Gewissenhaft folgte Milly der Anweisung. Wie das zugehen sollte mit dem Keimen, konnte sie sich nicht vorstellen. Sie hoffte einfach, dass Oma recht hatte.
„Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
In einem einfachen Bild deutet Jesus eine Zeitenwende an. Alles, was bisher den Alltag geprägt hat, geht dem Ende entgegen. Eine winzige Bewegung braucht es dazu: einfach die Hand öffnen und das Samenkorn in die Erde fallen lassen.
Als alle Bohnen gelegt waren, nahm Oma den Spaten wieder in die Hand. Sorgfältig schippte sie Erde auf die Löcher. Milly durfte anschließend darüber harken. Genauso sorgfältig. „Oma, woher sind die Bohnen, die wir gepflanzt haben?“ „Erinnerst du dich an den letzten Sommer? Als wir das Stroh der Bohnen hier im Garten verbrannt haben?“ Milly nickte. „Dabei haben wir doch Bohnen getrocknet. Die haben wir jetzt wieder zum Pflanzen benutzt.“
Ein Kreislauf wird beschrieben. Eine Unterbrechung wäre lebensfeindlich. Das leuchtet ein. Trotzdem sträubt sich etwas in mir. Das Leben vom Ende aus betrachten. Mitten im Leben sich darauf vorbereiten. Auf das Ende. Und dann dort nicht stehenbleiben. Darüber hinaus denken, schauen. Eine Vorstellung von dem entstehen lassen, was dann folgt.
Das sind Worte, die von der Zeit danach sprechen. Dabei verheimlichen sie nicht das Bittere, das Schwere. Und weisen doch darüber hinaus.
Ins Herz treffen diese Worte. Sie machen das Leiden nicht klein. Es hat seine Zeit. Soviel es braucht, damit Neues keimen und wachsen kann. Die Veränderung ist im Sterben bereits angelegt. Unvorstellbar. Einzig zu hoffen, zu glauben. Und hoffentlich im Nachhinein bestätigt.
„Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, sonst bleibt es allein. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“
Ein Bild, das das Unsagbare verstehbar macht. Ohne viele Worte, aber mit viel Bodenhaftung und Erfahrung.
Ein Bild, das Vertrauen auf das, was meinen Augen verschlossen bleibt, erlaubt.
Ein Bild, das dem Abschied eine neue Perspektive gibt.
Das Unausweichliche, der Tod, erhält einen neuen Rahmen.
Einfach stehen gelassen.
Mitten im Leben, das gerade jetzt verlockend ist. Auf dem Punkt des höchsten Triumphes taucht auf einmal die Ahnung des Todes auf. Schwer zu hören. Schwer zu verstehen.
Diese Worte, die einen anderen Raum eröffnen.
Hinter denen mehr steht als eine simple Naturerfahrung.
Eben nicht sich weitertragen lassen von der Euphorie und den Hosanna-Rufen.
Stattdessen auf den Boden einer Wirklichkeit gestellt, die ihnen unbegreiflich ist.
Ohne zu wissen, ob er trägt. Ob das Versprechen gehalten werden kann.
Jetzt. Einfach stehen lassen.
Alle Pläne, alle Vorstellungen gelten nicht mehr.
Ein abrupter Schnitt.
Das tut weh.
Das bleibt unverständlich.
Am liebsten die Augen verschließen.
Nicht wissen wollen, was Jesu weiß.
Nicht verstehen können, wie sehr sie sich auch anstrengen.
Vertrauen auf etwas, dessen Gelingen unvorstellbar ist.
Vertrauen auf etwas, was das Herz nicht wahrhaben möchte.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Seit Weihnachten feiern wir in unserer Gemeinde durchgängig Gottesdienste am Küchentisch per zoom. Da kommen Menschen aus unterschiedlichen Gemeinden und Orten zusammen. Der Altersdurchschnitt ist deutlich jünger als in unseren vorher üblichen Gottesdiensten. Auch Menschen, die sonst nie zum Gottesdienst kamen, sind seitdem regelmäßig dabei. Seit dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr sind die Gottesdienste nicht länger als 30 Minuten. Das bedeutet für die Predigt eine Zeitbeschränkung auf etwa fünf Minuten.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Im ersten Durchgang hat mich die Frage, was „Sehen“ eigentlich bedeutet, am meisten beschäftigt. Die Griechen meinen damit etwas anderes als die Jünger. Und die müssen damit leben, dass Jesus diesen Wunsch abschlägt. Dem habe ich zunächst versucht nachzugehen und dabei gemerkt, dass V. 24 wie eine Rahmung des Lebens gelesen werden kann.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Überrascht hat mich selbst, die Entdeckung von V. 24 als Ansage einer Zeitenwende. Über den Vers predige ich häufiger bei Beerdigungen. Da hat mich die Arbeit an der Predigt noch mal auf andere Facetten gebracht.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Als hilfreich, aber auch anstrengend empfand ich die Herausforderung, meinen Predigtentwurf so zu überarbeiten, dass es noch erkennbar meine Art zu predigen blieb. Dabei aber die berechtigten Hinweise zu bedenken, mich auf sie einzulassen und sie (nach meiner Art) zu berücksichtigen.