Im Jahr 1804 bleiben Schnee und Frost bis in den März. Es ist ein kalter Winter, der viele Menschenleben fordert. Auch am 12. Februar ist es kalt. In einer Königsberger Wohnung liegt Immanuel Kant in seinem Bett und wartet auf den Tod. Zeitlebens hat der Philosoph sich gefragt, was man glauben darf. Was man hoffen kann.
In seinen letzten Stunden ist ein Pfarrer bei ihm und als der Philosoph nach einem Glas Wasser verlangt, nimmt er dieses mit den Worten „Es ist gut.“ Es sind die letzten Worte des großen Denkers.
Ob er damit das Wasser meint, eine Zusammenfassung seines Lebens formuliert oder einfach den Moment des nahen Sterbens beschreibt, bleibt offen.
300 Jahre nach der Geburt des Königsbergers fragt sich die Welt immer noch: Was darf ich hoffen? Was ist realistisch? Was hätte Immanuel Kant zu dieser Zeit gesagt? Ein „Es ist gut“ käme mir angesichts des dunklen Jahres nicht über die Lippen. Zu viele Rück- und Tiefschläge hat die Welt einstecken müssen. Es ist gut? Ich denke nicht.
Aber gute Hoffnungen gibt es trotzdem viele. Eine Frau, die das erlebt hat, feiern wir heute. Maria hat auch nicht aufgegeben. Hat den Kopf nicht in den Sand gesteckt. Ist nicht auf halber Strecke umgedreht.
Also geht es doch und am Ende eines harten, teilweise erschütternden Jahres fragt man zu Recht, was darf die Welt hoffen? Was darf ich hoffen?
Auf Frieden möchte ich hoffen. Auf die Niederlage des Aggressors. Das ist auch eine gute Hoffnung. Und ich hoffe gleich mit, dass Syrien nicht im Chaos versinkt. Dass sich die Inflation in Luft auflöst und ein halbes Pfund Butter nicht mehr 2,09 Euro kostet. Ich wünsche mir, dass Demonstrationen nicht zum Hass aufrufen und Frieden herrscht unter allen Völkern. Ich hoffe, wer Ordnung und Recht, wer Frieden und Freiheit bejaht, muss Unordnung, Unrecht, Unterdrückung und Krieg verneinen.
Die Zuversicht ist eben nicht klein zu kriegen.
Gott hat einst extra das Licht angemacht. Damit es in die traurigsten Ecken scheint. Heute auch und Kant sagt: Die Hoffnung ist nicht dumm oder naiv. Und ich denke: Vielleicht können wir doch aus Fehlern lernen?
Über das Wetter im Jahr 733 v. Chr. wissen wir wenig, aber schon damals redet ein Mensch ein bisschen wie Kant über die Hoffnung. Verbreitet Zuversicht. Sagt seinem Volk, was man hoffen darf. Was realistisch ist. Gut ist es nämlich auch damals nicht.
Jesaja heißt der Prophet und er spart nicht mit großen Worten.
Das mag daran liegen, dass die schönen Farben der Schöpfung längst nicht mehr hell strahlen, grässliche Klänge durch die Welt hallen und Blut die Kleider färbt. Die Zeiten sind dunkel.
Aber Jesaja prophezeit, dass der Schrei eines Neugeborenen die leidende Welt erlösen wird. Dass das Grau in Grau verschwindet. Dass wieder geerntet und geteilt wird. Dass alles Militärische den Flammen übergeben wird. Dass die Welt sich erneuern wird.
Jesajas Worte tun gut – auch in dieser Zeit. Darum sagt er, richtet euch nicht ein im Dunklen. Nehmt den Ernst der Lage wahr, aber ergebt ihm euch nicht. Die Welt erscheint dunkel und verbraucht. Wohl wahr, ein tödlicher Egoismus hat sich in ihr breit gemacht, der die guten Strukturen bedroht. Die Demokratie ist gefährdet, Falschmeldungen machen die Runde und an zu vielen Ecken auf der Welt regieren das Gewehr und die Gewalt.
Natürlich wählt Jesaja große Worte für eine Welt, die sich verlassen wähnt. Die Wüste wächst und das Licht der Hoffnung scheint spärlicher. Es ist dem Propheten hoch anzurechnen, dass er trotzdem ein Hoffnungsbild malt. Nicht als Placebo, nicht als Vertröstung. Der Trost, den Jesaja verheißt, ist konkret. Und schreit. Durchdringend und laut.
Die Nacht ist klar und kalt. Die Szenerie ist nüchtern. Aber die Hoffnung lebt.
All das klingt dieser Tage ein wenig merkwürdig – nicht nur rund um dieses Weihnachtsfest. Aber mit Kant setze ich auf die Aufgeklärten, die guten Kräfte und mit Jesaja setze ich auf die Hoffnung, dass die Dinge sich grundlegend verändern lassen.
Mit der Welt hoffe ich, dass das Blöde nicht gewinnt, weil das immer zum Bösen führt. Weil das Böse die Blöden braucht, so ‚wie der Sonnenkönig das Solarium‘.
300 Jahre nach der Geburt des Königsberger Philosophen Immanuel Kant und fast dreitausend Jahre nach dem Propheten Jesaja fragt die Welt immer noch: Was darf ich hoffen? Was ist realistisch?
Irgendwo schreit ein Kind und zerreißt die Starre. Dieses Kind ist das Licht, das in der Dunkelheit stört. Eben noch im Tal des Todes, jetzt auf dem Weg zum Fest. Das ist kein Zweckoptimismus, das ist ein realistischer Weg. Eine Möglichkeit.
Weil ich glaube, dass wir aus Fehlern lernen können – langsam, aber immerhin!
Weil ich glaube, dass das bisschen Vernunft, das wir haben, uns besser macht, weitsichtiger. Rücksichtsvoller, freundlicher, menschlicher.
Weil ich glaube, dass diese Welt und alles, was darinnen ist, mehr verdient hat. Gott hat diese Welt nicht aufgegeben. Und das feiern wir heute.
Im Dezember 2024 mag das Wetter unentschieden sein. Die Lage in der Welt ist es nicht. Existenzangst liegt vielerorts mit unterm Baum. Und da ist die Sorge darum, wie es weitergeht. Wird es Frieden geben? Was wird aus den USA kommen? Die Tafeln haben nicht genug Lebensmittel, um alle versorgen zu können. Die Verschnaufpausen für uns, für die Welt werden weniger. Es steht nicht gut um uns.
Also. Was darf ich hoffen? Was ist realistisch?
Der Heilige Abend, die Weihnachtszeit ist die Zeit der Wunder und Wünsche. Und mein Wunschzettel sieht so aus: Ich wünsche mir mehr Rücksicht. Weniger Hass. Mehr Nachdenken, weniger Urteilen. Weniger Extremismus und mehr Bereitschaft zuzuhören.
Möglicherweise ist das naiv und unrealistisch. Von einem „es ist gut“ bin ich mindestens 2,09 Euro entfernt, aber wie sagte einst ein großer jüdischer Denker: „Wer nicht an Wunder glaubt, der ist kein Realist.“ In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Heiligabend. Die Stadtkirche ist gut gefüllt. Im Halbdunkel sitzen die Ungeübten neben denen, die vertraut sind mit Liturgie und Tag. Gemein haben alle diesen Ort, den sie für diesen Abend ausgewählt haben. Das ist für diesen Moment ihrer aller Kirche. Und so ist es auch mit der Geschichte.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ein Päckchen Butter kostet aktuell 2,09 Euro, VW will Menschen in großer Zahl entlassen, die Ukraine erlebt den dritten Kriegswinter, Immanuel Kant fragt, was darf man hoffen und in dieser Dunkelheit einer gefallenen und erschöpften Welt macht Gott das ganz große Licht an.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wunder gibt es immer wieder.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Kollege hat seinen Auftrag sehr ernst genommen und maßgeblich zum Schliff beigetragen.