Prüft alles und behaltet das Gute - Predigt zu Jes 51,4-6 von Elke Markmann
51,4-6

I Mit der Liebe zurück blicken

Alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe! 
Das zu Ende gehende Jahr stand unter der Jahreslosung: Alles, was Ihr tut, geschehe in Liebe! Haben Sie nach diesem Grundsatz gelebt? Konnte diese Jahreslosung es in Ihren Alltag schaffen? Was heißt das konkret, alles in Liebe zu tun? 
Die Liebe kann ein guter Maßstab sein. Aber sie muss präzisiert werden. Denn die Liebe ist ja selten eindeutig. Paulus schrieb diesen Satz damals an die Gemeinde in Korinth, um damit aufzuzeigen, welche Beweggründe all ihren Entscheidungen zu Grunde liegen sollten. Wenn es um konkrete Entscheidungen geht, muss das konkrete Handeln aus Liebe entfaltet und präzisiert werden. Das gilt für Gemeinden und Gruppen, aber auch für Einzelne. 
Der Predigttext für den heutigen Altjahresabend hat mich auf eine Spur gebracht. Dort ist von Gerechtigkeit die Rede. Dieses Wort ist genauso vieldeutig wie Liebe. Für mich hängt beides zusammen. 

II Lesung von Jesja 51, 4-5: Nahe ist meine Gerechtigkeit! - ?

Im Buch des Propheten Jesaja heißt es:

Hört mir gut zu, mein Volk und meine Nation, hört her auf mich! Denn Weisung geht von mir aus und mein Recht mache ich im Nu zum Licht der Völker. Nahe ist meine Gerechtigkeit, bereits losgezogen ist mein Heil. Meine Arme werden die Völker richten. Auf mich hoffen die Inseln und auf meinen Arm warten sie. 
Hebt eure Augen zum Himmel und blickt nach unten auf die Erde: Denn der Himmel wird wie Rauch verwehen und die Erde wie ein Kleid zerschlissen werden und die auf ihr wohnen wie Stechmücken sterben. 
Aber mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört. (Jes 5, 4-6 BigS)

III Das Verhältnis von menschlicher Liebe und Gottes Gerechtigkeit

Gerechtigkeit und Liebe. Sie gehören zusammen. Es geht darum, dass Menschen je nach ihren Bedürfnissen und Begabungen von anderen geliebt und gerecht behandelt werden. Das ist ein hoher Anspruch. Liebe und Gerechtigkeit sollen beide in unserem Fokus bleiben. Ich kann mich immer wieder hinterfragen, wie viel Liebe und Gerechtigkeit in meinem Alltag Platz finden. Aber es ist keine individuelle Frage. Und es ist auch keine Schlussfolgerung: Wenn ich nur richtig lieb bin, wird die Welt gerecht. 
Gottes Gerechtigkeit hat noch eine ganz andere Dimension. Gottes Gerechtigkeit und Gottes Heil gehen über unser menschliches Tun und Lassen hinaus. Es geht nicht um mich. Es geht um die Menschen, um die Völker und die Inseln. 

IV Wo ist Gerechtigkeit, Recht und Heil?

Ich blicke zurück auf ein Jahr, in dem Vieles geschehen ist. Und vieles ist nicht den Weg hin zu einer besseren liebevolleren Welt gegangen.
Meine Gedanken wandern nach Vanuatu. Das Land stellte sich der weltweiten Christenheit 2021 durch den Weltgebetstag vor. Vanuatu liegt mitten im Süd-Pazifik und besteht aus vielen Inseln. Dieses Land droht unterzugehen. Der steigende Meeresspiegel bedroht Menschenleben und ganze Länder. Bei der Klimakonferenz im November 24 kämpften Staaten wie Vanuatu um eine Zukunft und um Unterstützung. Sie haben verschwindend wenig Unterstützung bekommen. Vanuatu klagt aktuell vor dem Internationalen Gerichtshof mehr Klimaschutz ein. Ihnen bleibt keine Wahl: Sie müssen alle Wege gehen, um sich selbst zu retten. 
„Auf mich hoffen die Inseln und auf meinen Arm waren sie!“ Es reicht nicht aus, allein auf Gott zu vertrauen oder auf das Wohlwollen und die Einsicht anderer Staaten. Vanuatu und viele andere Länder klagen nun. Sie klagen bei weltlichen Gerichten Gerechtigkeit ein. 
Ich fürchte, dass Vanuatu und andere Inseln nicht stark genug sind. Ich fürchte, dass sie Ähnliches erleben wie bei der Klimakonferenz: Die anderen sind mächtiger und leben auf Kosten der Inseln. 
Was ist dann mit Gottes Gerechtigkeit? Lässt sich Gottes Gerechtigkeit mit menschlicher Gerechtigkeit vergleichen? In vielen biblischen Texten lesen wir, dass das eine nicht unbedingt mit dem anderen zu tun hat. 

V keine guten Aussichten

Bei Jesaja heißt es: Hebt eure Augen zum Himmel und blickt nach unten auf die Erde: Denn der Himmel wird wie Rauch verwehen und die Erde wie ein Kleid zerschlissen werden und die auf ihr wohnen wie Stechmücken sterben. (Jes 51, 6 a BigS)

Keine guten Aussichten! Das, was dann kommt, hört sich nach Apokalypse und Weltuntergang an. 
Und mir kommen Bilder aus den Nachrichten von Rauchschwaden über Flächenbränden in den Sinn. Sie sind nur schwer zu bekämpfen. Menschen müssen ganze Orte verlassen. Malibu ist ein Opfer der Flammen geworden. (aktuelle Nachrichten einfügen)
Wie bei vielen apokalyptischen Texten in der Bibel habe ich auch hier das Gefühl, dass dort direkt von unserer Zeit die Rede ist. Ein düsteres Bild für einen festlich-fröhlichen Abend! Und wirklich keine guten Aussichten für das neue Jahr!

VI Was bleibt!

Und dann bleibe ich am letzten Satz unseres Predigtwortes hängen: Aber mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört. 
Dieser Satz macht mich nachdenklich.
Ich spüre, dass ich mich immer wieder auf einen ähnlichen Weg begebe wie der Predigttext: Am Anfang steht mein festes Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit. Dann fällt mein Blick auf die vielen Orte und Zeiten, wo und wenn alles schief geht. Aber dann wird die Hoffnung und das Vertrauen auf Gottes Gerechtigkeit wieder stark. Am Ende bleibt: Aber mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört. 
Ich vertraue darauf, dass Gott größer ist als all unser Tun und Lassen. Gottes Heil und Gerechtigkeit scheinen immer wieder auf in dieser Welt. Sie werden sich durchsetzen. 

VII Prüft alles und behaltet das Gute!

Mein Blick fällt auf die Jahreslosung 2025: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1. Thess 5,21)
Also beginne ich von vorn: Ich prüfe und sichte alles, was ich lese und höre. Ich bedenke die aktuellen Ereignisse der Welt, die Nöte und Sorgen der Menschen, die nicht nur unter dem Klimawandel, sondern auch unter Krieg und Aufständen, Unruhen und Hunger leiden. Ich bedenke mein eigenes Leben und Handeln und meine Entscheidungen – konkret in diesem Jahr. 
Und: Ich behalte das Gute:
Ich behalte die Erzählungen von Menschen, die in den Überflutungsgebieten in Spanien unaufgefordert kommen und anfassen. 
Ich behalte die Schiffe, die geflüchtete Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Tod retten.
Ich behalte die Ehrenamtlichen in unserer Kirche, die ihre Ideen einbringen und durch die Kirche lebendig ist.
Ich sehe Schwestern, Pfleger, Ärztinnen und Hebammen, die sich oft weit über das von ihnen Geforderte für Patientinnen und Patienten einsetzen. 
Ich sehe Erzieherinnen, die in den Tageseinrichtungen mit viel zu dünner Personaldecke intensiv mit den Kindern spielen, singen, basteln, ihnen vorlesen und sie trösten. 
Ich sehe Lehrerinnen und Lehrer, die Kindern und Jugendlichen auf ihrem Weg ins Leben helfen. 
Ich prüfe und sehe mich an. Ich blicke auf das, was ich in diesem Jahr getan habe.
Ich prüfe und schaue noch einmal auf unser Predigtwort: Und behalte, was es mir verspricht, für das, was war und ist und werden wird. Gott spricht: mein Heil wird für immer bleiben und meine Gerechtigkeit wird nicht zerstört.

Prüft alles und behaltet das Gute! (1. Thess 5,21)

Ich weiß nicht, wie Sie diesen Silvester-Tag ausklingen lassen werden. Ich lade Sie ein zu einer kleinen Übung: Schreiben Sie auf, an welche guten 100 Ereignisse Sie sich aus diesem Jahr erinnern! Es können kleine gute Ereignisse sein und große. Es braucht dazu etwas Übung und Anlauf, aber dann strömen die guten Erinnerungen. Prüft alles und behaltet das Gute für das kommende Jahr. Denn das gibt Kraft für das, was kommt.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch alles Gute für das neue Jahr! 
Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrerin Elke Markmann

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich werde meine Predigt in einer Gemeinde halten, in der kein Gottesdienst zum Neujahrstag geplant ist. Da dies in vielen Gemeinden mittlerweile normal ist, nehme ich auch schon die Jahreslosung 2025 in den Blick. 
Mir selbst ist der Blick zurück am Altjahresabend sehr wichtig. Den möchte ich stärken, ohne den Blick nach vorn völlig aus dem Blick zu verlieren. 

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Als erste Idee stand die Klammer aus den beiden Jahreslosungen rund um den Predigttext. Zugleich sind die Bilder der letzten Klimakonferenz sehr präsent und die aktuelle Meldung der Klage Vanuatus vor dem internationalen Gerichtshof. Zukunftsängste und Gottvertrauen stehen in den Texten und im Alltag in unseren Kirchen in Spannung. 
Ich werde beim Gottesdienst die Karte zur Jahreslosung von Susanne Niemeyer verteilen, in der die beiden Worte „Alles Gute“ groß und fett gedruckt ins Auge fallen.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Hoffnung wird oft enttäuscht. Wichtig ist, dass am Ende die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit stärker bleibt.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Struktur und Aussagekraft. Danke! 

Perikope
31.12.2024
51,4-6