Man muss der Sache nachgehen - Predigt zu Mt 2,1-12 von Henning Kiene
2,1-12

I. Der Sache muss man nachgehen
„Der Sache muss man nachgehen“, denkt er. Er sieht einen namenlosen Stern, extrem hell und bisher von niemandem beschrieben. Ach, hätten er oder diese Leute, Kolleginnen und Kollegen, diesen Stern doch schon erkundet, er könnte gemütlich im Morgenland bleiben, seinen Cappuccino trinken, in der Küche für alle kochen, in Ruhe würde er die Ergebnisse der Bundesliga studieren und – zum Spaß – das Horoskop in der Zeitung lesen. So hatte er den Januar immer begonnen, lässig in das neue Jahr hineingleiten, er hatte sich mit anderen Leuten getroffen, den Weihnachtsbaum angesehen und die Krippenfiguren Tag für Tag dichter an die Krippe herangeschoben. Überhaupt nicht vergessen, heute müssten die drei Könige am Stall ankommen. 
Dass die Weisen aus dem Morgenland aufbrechen, bleibt bis heute bemerkenswert. Es wäre einfacher nicht aufzubrechen. Wie jetzt. Aber: Jetzt ist Wahlkampf, man muss sich in Bewegung setzen, die Demokratie vor Verdruss und Stillstand schützen. Der Sache, den Menschen nachgehen, auf den Marktplätzen, an den Haustüren, rund um die Küchentische braucht es weise Menschen, die der Sache auf den Grund gehen wollen. 
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von den Menschen, denen sie begegnet sind, von Herodes, dem Hofstaat des Herrschers, von den Leuten auf dem Marktplatz, von diesem geheimnisvollen Haus in Bethlehem, Maria und Joseph. Sie folgen dem Stern und auf der Erde öffnet sich ihnen ein neuer Kosmos. 

II. Sternenhimmel 
Es gibt glasklare Winternächte, in denen kein Licht stört und der Himmel sich weit ausspannt, die Sterne rauben einem den Atem, glitzern, blinken unendlich fern und sind zum Greifen nah. Die Finger Gottes lassen sich ahnen, sie rücken am Himmel alles sorgfältig zu fast ewiger Ordnung zurecht. Denn Gott setzt die Lichter „an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis.“ (1. Mose 1,17) „Der Sache muss man nachgehen“, denkt der weise Mensch, lässt den Cappuccino stehen und die Zeitung liegen, geht vor die Tür, folgt dem Stern auf dessen fremder Bahn. Dass da andere auch aufbrechen? Es wundert ihn nicht. Weisheit sucht Gesellschaft. In so einer glasklaren Nacht beginnt das neue Jahr. Da ist ein Plan, die Weisen wollen ihn lesen, alle anderen möchten staunen, sagen und schwärmen: „Oh! Wie schön.“ 
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von dem Stern, dessen fernes Licht dem Kind in der Krippe gilt? In ihm sahen sie den ganzen Kosmos und erkannten hier die Spur eines Sinnes, den alles im Leben in sich trägt. Dass der Stern aus dem fernen Kosmos auf dieses Haus weist, Maria, Joseph, das Kind in der Krippe meint, werden sie immer wieder erzählen und sagen, dass das Ferne und das Unbekannte sich enthüllt, im Naheliegenden entfaltet. Man erforscht die Ewigkeit und landet bei Jesus und dessen Leben. 
„Der Sache muss man nachgehen“, die Weisen aus dem Morgenland sind keine Couchpotatos, im Gegenteil, sie fragen sich über den Marktplatz zum Königspalast durch. Weil sie nicht sitzen bleiben, werden die Weisen berühmt, weil sie das Haupttor finden, an dem die Kamera der Sprechanlage sie anstarrt, der Türöffner summt, treten sie ein. Hände suchen sie ab nach Waffen, ein Hund schnüffelt herum. Hartnäckigkeit ist ein anderes Wort für die Weisheit. 
König Herodes empfängt sie und in Herodes' königlichem Glanz wirken sie nun so, als wären auch sie selbst Könige. Weisheit verleiht einem Menschen königliche Würde.

III. Unter verhängtem Himmel
Jeder Schritt hallt hart durch die langen Palastfluren. Stiefel dröhnen, der Sand unter ihren Sandalen knirscht. Hohe Wände werfen das Echo hin und her. Höflinge eilen, Frauen mit wichtigen Minen, Männer tragen Tabletts mit Tee und Feigen. Er holt tief Luft, sieht nach oben, vor ihm der König, hoch auf einem Thron, er fragt leise: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen.“ Seine Kolleginnen und Kollegen nicken zur Unterstützung. Weisheit ist ein anderes Wort für Mut. Die Worte hallen, das Echo hängt in allen Ecken, die Minen des Königs versteinert, die Lippen presst er fahl zusammen. Er flüstert laut: „Geht der Sache bitte gründlich nach und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.“ Und die Wände wispern weiter: „Anbete, anbete, anbete“. Bevor das letzte Wort verklungen ist, führt man sie wieder durch lange Flure, Bürotüren klappen, eiliges Treiben von Schreibtisch zu Schreibtisch. Am Ausgang sagt einer der Männer: „Ihr habt ihn doch richtig verstanden, den König? Er will anbeten.“ Seine Stimme zischelt und dann fällt die Tür hinter ihnen ins Schloss, verriegelt sich selbst mit leisem Summen. 
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von diesem Saal, den Frauen und Männern, von all den Menschen, deren Rücken krumm ist vom Dienen, deren Stimmen heiser geworden sind von all dem Flüstern. Ohne den Himmel vertrocknet die Weisheit, wird zur Zimmerlinde. Eigentlich haben sie Mitleid mit Herodes, aber dann doch nicht. 
„Cringe“, sagt einer der weisen Menschen. Das ist der Kontrast: Er, die anderen weisen Frauen und Männer, gehen der Sache nach, wollen dem Ganzen auf den Grund gehen, nur der König macht es sich bequem, rührt in seinem Cappuccino, liest das erste Horoskop des Jahres. Sie forschen und er, der König, lässt forschen. Wie so häufig: Wer sitzen bleibt, sich an der Tageszeitung, seinen Posten, den alten Positionen, am Gestern festhält, verpasst den Stern, der ihm aufgeht. „Er will anbeten“, ahmen die Weisen die Stimme des Höflings nach, sie lachen, wispern wie das Echo: „Anbeten, anbeten, anbeten. Das könnte dem so passen!“ Sie sind Weise und für weise Menschen wird es zum Glücksfall, dem Stern folgen zu können. Der König sitzt in seinem Palast, die Weisen haben keinen Palast, nur den offenen Himmel: „Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her.“ 

IV. Ankunft 
„Der Sache muss man nachgehen“, das beginnt heute, wenn Dreikönigstag ist und die Weisen aus dem Morgenland dem Stern folgen. Vielleicht sollte man häufiger unter dem Nachthimmel einer Sache nachgehen. 
Diese Weisen sind Prototypen für den Januar 2025. In dieses Jahr kann man sich nicht gemütlich einschleichen. Das Jahr 2025 hat heftig begonnen. Es wäre bequemer, wenn man den Cappuccino gemütlich zu Ende trinken würde und die Krippenfiguren an der Krippe endlich zum letzten, vollkommenen Bild, zusammenstellt: Hirten, Könige, Schafe um Krippe, Maria und Joseph herum gruppiert, die sind nun endlich vereint und man kann sich freuen, dass die Kerzen leuchten. All diese vertraut schönen Tage ließen sich noch eine Weile festhalten. Stattdessen geht es los mit den Wahlen und alle Sorgen um Frieden und den Zusammenhalt brauchen Menschen, die ihrer Sache nachgehen. 
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Vom Hall der hohen Flure, dem Flüstern der Höflinge, von dieser Angst, die in diesem Palast wohnt und dem Zischeln der menschlichen Stimmen. Der Sache wollen sie nachgehen, nur der Palast war ein Irrweg. Sie landen im Wahlkampf auf dem Marktplatz, sehen all die Menschen, die für die Freiheit kämpfen, sie ahnen im Trubel auf der Straße ihr Ziel. 
Der Stern hält seine Bahn. Sie erreichen das Haus, müssen – damit sie sich die Köpfe nicht stoßen – sich in der Tür bücken. Da sehen sie das Kindlein mit Maria, seiner Mutter. Kein Licht stört den klaren Blick, atemlos staunen sie über den Himmel, der auf der Erde aufreißt. „Dem muss man auf den Grund gehen“, sagt der Weise und weiß den Grund: Der Stern dreht den Himmel auf die Erde um. Das ist der Grund, aus dem man diesem Stern folgt, er weist auf den Himmel hin, der hier in einem Haus geboren ist. Weisheit führt in die Nähe. 
„Man muss der Sache nachgehen“, als der heimkommt, legt er die Figuren der Krippe sorgsam in den Karton, der Cappuccino duftet nach dunklem Kaffee, er hat sie vor Augen, die ungezählten weisen Männer und Frauen, die mit ihm unterwegs sind, den König, der selbst Kinderkrankenhäuser beschießen lässt und dieses Haus in Bethlehem, diesen neu geborenen König, schutzlos der Zukunft ausgesetzt. Die Tür stand offen, hinter ihnen blieb sie einen Spalt weit offen und als er sich noch einmal umdrehte, sah er einen Streifen Licht, das den Abend zerschnitt, und konnte das Licht des Sternes von dem Lichtstreifen, der aus der Krippe fiel, nicht mehr unterscheiden. 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pastor Henning Kiene

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Weihnachtsgemeinde trifft sich zum letzten Mal und erwartet die „andere“ Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium. In einer vom Tourismus geprägten Region herrscht jetzt Aufbruchsstimmung. Letzter Ferien-/Urlaubstag und mit dem Gottesdienst auch der Start in den Alltag. Für die einheimische Gemeinde beginnen die Vorbereitungen auf den Alltag im Winter. Es sind Perspektiven gefragt für lange, dunkle Wochen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Gedanke, dass die Weisen eigentlich Abenteurer:innen sind und Weisheit ein Wagnis ist. 

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
In den letzten Tagen gab es unglaublich schöne Wintersternenhimmel. Dass man so tief in einen der Schöpfungstage hineinsehen kann, macht mir Respekt.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Leider hatte sich niemand als Coach:in gefunden. Das ist bedauerlich, weil genau das Coaching den Reiz der Mitarbeit ausmacht. 

Perikope
06.01.2025
2,1-12