Man muss der Sache nachgehen - Predigt zu Mt 2,1-12 von Henning Kiene
I. Der Sache muss man nachgehen
„Der Sache muss man nachgehen“, denkt er. Er sieht einen namenlosen Stern, extrem hell und bisher von niemandem beschrieben. Ach, hätten er oder diese Leute, Kolleginnen und Kollegen, diesen Stern doch schon erkundet, er könnte gemütlich im Morgenland bleiben, seinen Cappuccino trinken, in der Küche für alle kochen, in Ruhe würde er die Ergebnisse der Bundesliga studieren und – zum Spaß – das Horoskop in der Zeitung lesen. So hatte er den Januar immer begonnen, lässig in das neue Jahr hineingleiten, er hatte sich mit anderen Leuten getroffen, den Weihnachtsbaum angesehen und die Krippenfiguren Tag für Tag dichter an die Krippe herangeschoben. Überhaupt nicht vergessen, heute müssten die drei Könige am Stall ankommen.
Dass die Weisen aus dem Morgenland aufbrechen, bleibt bis heute bemerkenswert. Es wäre einfacher nicht aufzubrechen. Wie jetzt. Aber: Jetzt ist Wahlkampf, man muss sich in Bewegung setzen, die Demokratie vor Verdruss und Stillstand schützen. Der Sache, den Menschen nachgehen, auf den Marktplätzen, an den Haustüren, rund um die Küchentische braucht es weise Menschen, die der Sache auf den Grund gehen wollen.
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von den Menschen, denen sie begegnet sind, von Herodes, dem Hofstaat des Herrschers, von den Leuten auf dem Marktplatz, von diesem geheimnisvollen Haus in Bethlehem, Maria und Joseph. Sie folgen dem Stern und auf der Erde öffnet sich ihnen ein neuer Kosmos.
II. Sternenhimmel
Es gibt glasklare Winternächte, in denen kein Licht stört und der Himmel sich weit ausspannt, die Sterne rauben einem den Atem, glitzern, blinken unendlich fern und sind zum Greifen nah. Die Finger Gottes lassen sich ahnen, sie rücken am Himmel alles sorgfältig zu fast ewiger Ordnung zurecht. Denn Gott setzt die Lichter „an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis.“ (1. Mose 1,17) „Der Sache muss man nachgehen“, denkt der weise Mensch, lässt den Cappuccino stehen und die Zeitung liegen, geht vor die Tür, folgt dem Stern auf dessen fremder Bahn. Dass da andere auch aufbrechen? Es wundert ihn nicht. Weisheit sucht Gesellschaft. In so einer glasklaren Nacht beginnt das neue Jahr. Da ist ein Plan, die Weisen wollen ihn lesen, alle anderen möchten staunen, sagen und schwärmen: „Oh! Wie schön.“
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von dem Stern, dessen fernes Licht dem Kind in der Krippe gilt? In ihm sahen sie den ganzen Kosmos und erkannten hier die Spur eines Sinnes, den alles im Leben in sich trägt. Dass der Stern aus dem fernen Kosmos auf dieses Haus weist, Maria, Joseph, das Kind in der Krippe meint, werden sie immer wieder erzählen und sagen, dass das Ferne und das Unbekannte sich enthüllt, im Naheliegenden entfaltet. Man erforscht die Ewigkeit und landet bei Jesus und dessen Leben.
„Der Sache muss man nachgehen“, die Weisen aus dem Morgenland sind keine Couchpotatos, im Gegenteil, sie fragen sich über den Marktplatz zum Königspalast durch. Weil sie nicht sitzen bleiben, werden die Weisen berühmt, weil sie das Haupttor finden, an dem die Kamera der Sprechanlage sie anstarrt, der Türöffner summt, treten sie ein. Hände suchen sie ab nach Waffen, ein Hund schnüffelt herum. Hartnäckigkeit ist ein anderes Wort für die Weisheit.
König Herodes empfängt sie und in Herodes' königlichem Glanz wirken sie nun so, als wären auch sie selbst Könige. Weisheit verleiht einem Menschen königliche Würde.
III. Unter verhängtem Himmel
Jeder Schritt hallt hart durch die langen Palastfluren. Stiefel dröhnen, der Sand unter ihren Sandalen knirscht. Hohe Wände werfen das Echo hin und her. Höflinge eilen, Frauen mit wichtigen Minen, Männer tragen Tabletts mit Tee und Feigen. Er holt tief Luft, sieht nach oben, vor ihm der König, hoch auf einem Thron, er fragt leise: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen.“ Seine Kolleginnen und Kollegen nicken zur Unterstützung. Weisheit ist ein anderes Wort für Mut. Die Worte hallen, das Echo hängt in allen Ecken, die Minen des Königs versteinert, die Lippen presst er fahl zusammen. Er flüstert laut: „Geht der Sache bitte gründlich nach und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.“ Und die Wände wispern weiter: „Anbete, anbete, anbete“. Bevor das letzte Wort verklungen ist, führt man sie wieder durch lange Flure, Bürotüren klappen, eiliges Treiben von Schreibtisch zu Schreibtisch. Am Ausgang sagt einer der Männer: „Ihr habt ihn doch richtig verstanden, den König? Er will anbeten.“ Seine Stimme zischelt und dann fällt die Tür hinter ihnen ins Schloss, verriegelt sich selbst mit leisem Summen.
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von diesem Saal, den Frauen und Männern, von all den Menschen, deren Rücken krumm ist vom Dienen, deren Stimmen heiser geworden sind von all dem Flüstern. Ohne den Himmel vertrocknet die Weisheit, wird zur Zimmerlinde. Eigentlich haben sie Mitleid mit Herodes, aber dann doch nicht.
„Cringe“, sagt einer der weisen Menschen. Das ist der Kontrast: Er, die anderen weisen Frauen und Männer, gehen der Sache nach, wollen dem Ganzen auf den Grund gehen, nur der König macht es sich bequem, rührt in seinem Cappuccino, liest das erste Horoskop des Jahres. Sie forschen und er, der König, lässt forschen. Wie so häufig: Wer sitzen bleibt, sich an der Tageszeitung, seinen Posten, den alten Positionen, am Gestern festhält, verpasst den Stern, der ihm aufgeht. „Er will anbeten“, ahmen die Weisen die Stimme des Höflings nach, sie lachen, wispern wie das Echo: „Anbeten, anbeten, anbeten. Das könnte dem so passen!“ Sie sind Weise und für weise Menschen wird es zum Glücksfall, dem Stern folgen zu können. Der König sitzt in seinem Palast, die Weisen haben keinen Palast, nur den offenen Himmel: „Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her.“
IV. Ankunft
„Der Sache muss man nachgehen“, das beginnt heute, wenn Dreikönigstag ist und die Weisen aus dem Morgenland dem Stern folgen. Vielleicht sollte man häufiger unter dem Nachthimmel einer Sache nachgehen.
Diese Weisen sind Prototypen für den Januar 2025. In dieses Jahr kann man sich nicht gemütlich einschleichen. Das Jahr 2025 hat heftig begonnen. Es wäre bequemer, wenn man den Cappuccino gemütlich zu Ende trinken würde und die Krippenfiguren an der Krippe endlich zum letzten, vollkommenen Bild, zusammenstellt: Hirten, Könige, Schafe um Krippe, Maria und Joseph herum gruppiert, die sind nun endlich vereint und man kann sich freuen, dass die Kerzen leuchten. All diese vertraut schönen Tage ließen sich noch eine Weile festhalten. Stattdessen geht es los mit den Wahlen und alle Sorgen um Frieden und den Zusammenhalt brauchen Menschen, die ihrer Sache nachgehen.
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Vom Hall der hohen Flure, dem Flüstern der Höflinge, von dieser Angst, die in diesem Palast wohnt und dem Zischeln der menschlichen Stimmen. Der Sache wollen sie nachgehen, nur der Palast war ein Irrweg. Sie landen im Wahlkampf auf dem Marktplatz, sehen all die Menschen, die für die Freiheit kämpfen, sie ahnen im Trubel auf der Straße ihr Ziel.
Der Stern hält seine Bahn. Sie erreichen das Haus, müssen – damit sie sich die Köpfe nicht stoßen – sich in der Tür bücken. Da sehen sie das Kindlein mit Maria, seiner Mutter. Kein Licht stört den klaren Blick, atemlos staunen sie über den Himmel, der auf der Erde aufreißt. „Dem muss man auf den Grund gehen“, sagt der Weise und weiß den Grund: Der Stern dreht den Himmel auf die Erde um. Das ist der Grund, aus dem man diesem Stern folgt, er weist auf den Himmel hin, der hier in einem Haus geboren ist. Weisheit führt in die Nähe.
„Man muss der Sache nachgehen“, als der heimkommt, legt er die Figuren der Krippe sorgsam in den Karton, der Cappuccino duftet nach dunklem Kaffee, er hat sie vor Augen, die ungezählten weisen Männer und Frauen, die mit ihm unterwegs sind, den König, der selbst Kinderkrankenhäuser beschießen lässt und dieses Haus in Bethlehem, diesen neu geborenen König, schutzlos der Zukunft ausgesetzt. Die Tür stand offen, hinter ihnen blieb sie einen Spalt weit offen und als er sich noch einmal umdrehte, sah er einen Streifen Licht, das den Abend zerschnitt, und konnte das Licht des Sternes von dem Lichtstreifen, der aus der Krippe fiel, nicht mehr unterscheiden.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Weihnachtsgemeinde trifft sich zum letzten Mal und erwartet die „andere“ Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium. In einer vom Tourismus geprägten Region herrscht jetzt Aufbruchsstimmung. Letzter Ferien-/Urlaubstag und mit dem Gottesdienst auch der Start in den Alltag. Für die einheimische Gemeinde beginnen die Vorbereitungen auf den Alltag im Winter. Es sind Perspektiven gefragt für lange, dunkle Wochen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Gedanke, dass die Weisen eigentlich Abenteurer:innen sind und Weisheit ein Wagnis ist.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
In den letzten Tagen gab es unglaublich schöne Wintersternenhimmel. Dass man so tief in einen der Schöpfungstage hineinsehen kann, macht mir Respekt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Leider hatte sich niemand als Coach:in gefunden. Das ist bedauerlich, weil genau das Coaching den Reiz der Mitarbeit ausmacht.
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Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit - Predigt zu Mt 2,13-18(19-23) von Anne-Kathrin Kruse
Ein Kind auf der Flucht
Wenn ein Kind auf die Welt kommt,
ist nichts, wie es vorher einmal war.
Alles dreht sich um dieses zarte und verletzliche Wesen,
dem die Herzen zufliegen.
Zugleich fordert es völlige Aufmerksamkeit,
Tag und Nacht, besonders von der Mutter.
Wenn es noch nicht richtig trinkt,
wenn es schreit und nicht in den Schlaf findet.
Mit einem Kind kommt eine bis dahin nicht gekannte Sorge
auf die Welt, die das eigene Leben für immer verändert.
Das Kind, das Kostbarste, was du hast, nimmst du überall mit hin.
So wird es Maria gegangen sein.
In diesem Stall – oder wahrscheinlich eher einer Höhle –,
wo das Vieh bei schlechtem Wetter Schutz sucht,
mit dem Futtertrog, in dem ihr Baby sicher ist.
Aber schon am Morgen nach der Geburt,
als sich die Engel längst wieder in den Himmel verzogen haben
und es mit dem Stillen noch nicht klappt
und die notdürftigen Windeln mittlerweile nass und schmutzig sind,
da mischt sich Sorge in die Freude über das Kind.
Was wird mit ihm?
Milch braucht es und ein warmes Lager.
Und Sicherheit.
Hier können wir nicht bleiben!
Aber wo sollen wir hin?
Wer nimmt uns auf?
Der alte König und das Kind
Manchmal wiederholen sich die Geschichten und die Geschichte.
Und leider vor allem die schrecklichen.
Einst war es der selbstherrliche Pharao von Ägypten,
ein Potentat, wie wir sie heute auch kennen:
geschichtsvergessen klammert er sich an seine Macht,
kappt gute Beziehungen und führt sein Land in die Isolation.
Zugleich stachelt er seine Bevölkerung auf:
„Die Hebräer bekommen mehr Kinder als wir Ägypter,
wir müssen was dagegen tun.“
Kommt Ihnen das alles bekannt vor?
So zwingen die Ägypter die Israeliten zu harter Sklavenarbeit
und machen ihnen das Leben zur Qual.
Die haben nur eine Chance: die Flucht.
Im Schutze der Nacht machen sie sich auf den Weg
und fliehen aus Ägypten in die Wüste.
Noch panischer muss König Herodes zurzeit Jesu
um seinen Machterhalt bangen.
Ein alt gewordener Autokrat,
für seine Grausamkeit gefürchtet und verhasst.
Alles hofft auf sein Ende.
Und dann klopft ihm auch noch das Leben auf die Schulter und fragt:
Ach übrigens, wo ist der neugeborene König,
dem die Herzen schon jetzt zufliegen?
Da, ganz tief unten, beim Kleinvieh, ohne Obdach,
verletzlich und schutzlos,
aber eben ein echter Nachkomme Davids,
ein gerechter Friedefürst,
geschützt nicht mit Waffengewalt, sondern von Gott.
Wo ein machtgieriger Herrscher Angst bekommt
vor seinem eigenen Volk,
da beginnt er, unmenschlich zu handeln.
Einst der Pharao, König Herodes zurzeit Jesu.
Alle neugeborenen jüdischen Jungen sollten ermordet werden,
um sicher zu gehen,
dass niemand ihm die Herrschaft streitig machen konnte.
Auch wenn der „Kindermord von Bethlehem“
eine Legende sein sollte:
es ist unsere Welt, es sind unsere Erfahrungen,
die hier erschreckend aktuell erzählt werden.
Nimm das Kind mit
Manchmal wiederholen sich die Geschichten und die Geschichte.
So wie Josef, der von seinen Brüdern nach Ägypten verschleppt wurde,
ein Träumer war,
so träumt Josef, der Adoptivvater Jesu, allein in unserer Geschichte dreimal.
Und er träumt nicht nur, er nimmt seine Träume ernst.
Jedesmal steht er auf, kehrt um, geht einen neuen, ungewohnten Weg,
den Gott ihm gewiesen hat.
Angesichts des Grauens im Nahen Osten droht es,
uns abhanden zu kommen: das Vertrauen in Gott.
Hier in unserer Geschichte ist er nah, sorgt sich,
kümmert sich, fühlt mit, tröstet, lässt aufatmen.
Josef und Maria nehmen ihr Kind und bringen es
auf ihrer überstürzten Flucht nach Ägypten – ausgerechnet.
Dahin, wo die Geschichte Gottes mit seinen Menschen ihren Anfang nahm,
die Geschichte von der Rettung
und dem Überleben des jüdischen Volkes.
Aus diesem Volk kommt das Kind, das sie dabeihaben:
Jesus, ein kleiner jüdischer Junge.
Kinder Gottes werden
Ich glaube, deshalb ist das Wort Gottes
in einem jüdischen Jungen erneut zur Welt gekommen:
Gott hat sich damals ganz bewusst diesen jüdischen Jungen ausgesucht,
um uns zu befreien aus aller Gleichgültigkeit und Hartherzigkeit.
Aus dem „Selber-Schuld“ und „Geht mich doch nichts an“,
dem „bringt ja sowieso nichts“,
aus dem Abschieben aller Verantwortung auf „die da oben“.
Einfache Antworten auf vielschichtige Probleme sind immer falsch.
Ein Kind weckt Hoffnung auf Zukunft.
Öffnet geschlossene Türen.
Belebt die Sehnsucht, so zu werden,
wie Gott mich ursprünglich gemeint hat.
Du bist mein liebes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe.
Damit wir wie Kinder werden,
denen das Weinen in der Welt in der Seele weh tut.
Träume ernstnehmen. Aufstehen,
das Kind und seine Mutter mitnehmen – so wie Josef.
Uns verletzlich machen, uns anrühren lassen von dem Elend
und mittrauern um die Opfer auf beiden Seiten.
Denen widerstehen, die an Gewalt glauben,
an das „Alles gehört uns“,
und jeweils anderen damit das Lebensrecht absprechen.
Runter vom Sofa und eintreten für die,
die bei uns wieder bedroht werden, weil sie Juden sind.
Ob wir nun eine Mutter oder ein Vater sind oder auch nicht.
Einer der bekanntesten Sätze im jüdischen Talmud lautet:
„Wer nur einen einzigen Menschen sterben lässt, der lässt eine ganze Welt sterben.“
Was bedeutet das?
Jeder Mensch ist von Gott geschaffen
und damit so unendlich wertvoll wie die ganze Welt.
Stirbt er, so sterben mit ihm alle Kinder und Kindeskinder,
die durch seinen Tod nicht mehr das Licht der Welt erblicken konnten.
Umgekehrt: „Wer nur einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“
Das bedeutet: All seine Kinder und Kindeskinder sind mit ihm gerettet,
weil sie durch sein Leben ins Leben kamen.
Deshalb sind wir Menschen Gott so unendlich wertvoll, so unersetzlich –
jede und jeder Einzelne von uns.
Anspruchsvoll ist diese Vorstellung.
Das Kind in der Krippe ist klein,
aber herausfordernd und anspruchsvoll, wie Kinder eben sind.
Dem jüdischen Kind Jesus haben wir es zu verdanken,
dass auch wir uns Gottes Kinder nennen dürfen –
erwachsene Kinder, die zu Gott gehören,
und ohne die Gott nicht sein will.
Das ist die große Verheißung zum Christfest.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist der letzte Gottesdienst, den ich im Rahmen einer dreimonatigen Gottesdienstvertretung für eine Kollegin im Studienurlaub in einer Innenstadtgemeinde Berlins halten werde. Die Gemeinde hat einen starken Akademiker-Anteil. Vermutlich wird sich eine kleine ältere Gottesdienstgemeinde an diesem Sonntag zwischen den Feiertagen zusammenfinden ohne familiäre Anbindung bzw. Verpflichtungen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt hat mich die frische Erfahrung, einen lang ersehnten Enkel zu bekommen mit all der Freude, aber auch der Sorge, in welche Welt er hineinwachsen wird. Spannend war für mich erneut das tiefe Eintauchen in die reichen alttestamentlichen Bezüge zu den Josefsgeschichten (vgl. J. Ebach, Josef und Josef. Literarische und hermeneutische Reflexionen zu Verbindungen zwischen Gen 37-50 und Mt 1-2)
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Eine Herausforderung ist eine Predigt vom Kind jenseits der Gefahr, die Botschaft des biblischen Textes zu verharmlosen oder zu infantilisieren bzw. getriggerte Gefühle für Kinder als Predigtzweck zu missbrauchen. Und das alles angesichts der Schreckensbilder vom Vernichtungsschlag der Hamas am 7. Oktober und dem darauffolgenden Gaza-Krieg. Wichtig ist mir: Mt 2 zeigt nicht das Überleben Jesu auf Kosten anderer Kinder, vielmehr wie bedroht sein Leben als Teil des jüdischen Volkes von Anfang an war. Was bedeutet heute Mitgefühl, Fürsorge, „Compassion“ (J.Ebach, in: Lesen und Verstehen, 2022) angesichts unserer Dickfelligkeit gegenüber dem Leiden?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mit seiner präzisen Wahrnehmung hat mich mein Coach punktgenau auf Unebenheiten in den verschiedenen Zeitbezügen und auch auf mögliche Projektionen aufmerksam gemacht. Er hat mich ermutigt, auf ein allzu flottes Abhandeln der Theodizeefrage zu verzichten, dafür aber eigene Positionen nicht selbst zu relativieren. Herzlichen Dank dafür! Wertvolle Anregungen verdanke ich auch Kathrin Oxen. Auch dafür vielen Dank!
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29.12.2024 - Erster Sonntag nach dem Christfest
Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft - Predigt zu Mt 21,1-11 von Barbara Bockentin
Kurz vor Jerusalem kamen Jesus und seine Jünger nach Betfage am Ölberg. Da schickte Jesus zwei seiner Jünger voraus und sagte zu ihnen: »Geht in das Dorf, das vor euch liegt. Dort findet ihr gleich eine Eselin angebunden, zusammen mit ihrem Jungen. Bindet sie los und bringt sie mir. Und wenn euch jemand fragt: ›Was soll das?‹, dann sagt: ›Der Herr braucht sie.‹ Dann wird er sie euch sofort geben.«
So ging in Erfüllung, was Gott durch den Propheten gesagt hat: »Sagt zu der Tochter Zion:
›Sieh doch: Dein König kommt zu dir! Er ist freundlich und reitet auf einem Esel, einem jungen Esel – geboren von einer Eselin.‹«
Die Jünger gingen los und machten alles genau so, wie Jesus es ihnen aufgetragen hatte.
Sie brachten die Eselin und ihr Junges herbei und legten ihre Mäntel über sie. Jesus setzte sich darauf. Die große Volksmenge breitete ihre Mäntel auf der Straße aus. Andere schnitten Palmzweige von den Bäumen ab und legten sie ebenfalls auf die Straße.
Die Volksmenge, die vor Jesus herging und ihm folgte, rief unablässig: »Hosianna dem Sohn Davids! Gesegnet sei, wer im Namen des Herrn kommt! Hosianna in himmlischer Höhe!«
So zog Jesus in Jerusalem ein. Die ganze Stadt geriet in Aufregung. Die Leute fragten sich: »Wer ist er nur?« Die Volksmenge sagte: »Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.« (als Evangeliumstext lesen)
Vergangenheit – Gegenwart - Zukunft
Alles gleichzeitig
Ganz schwindelig konnte einem werden, dachte sie. Alles trifft in einem einzigen Moment aufeinander: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Mit voller Wucht. Ob andere das auch so spürten wie sie? Unauffällig sah sie sich um. Um sich herum aufgerissene Münder. Gedränge. Hände, die hin und her schwangen. Manche rissen sich ihre Kleider vom Leib und warfen sie über die Menge hinweg. Solch eine Ekstase. Sie konnte gar nicht anders, sie musste einfach mitmachen.
Zurücklassen
Ruhig schaute er sich um. Sie standen am Kai. Viele hielten krampfhaft ihre Habseligkeiten fest. Schließlich waren sie eindringlich vor Halunken gewarnt worden. So behielt er fest im Blick, was ihm gehörte. Viel war es nicht. Neben seinen wenigen Kleidungsstücken hatte er nur ein, zwei andere Dinge eingepackt. Für andere sicherlich wertlos. Doch sein Herz hing daran. Sie sollten ihn daran erinnern, woher er kam. Was auf ihn wartete, davon hatte er nur ungenaue Vorstellungen. Ihn trieb die blanke Not von hier fort. Dort wollte er neu anfangen. Vielleicht schaffte er es sogar und konnte den Eltern Geld schicken. Sie vielleicht sogar nachholen. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, damals Anfang des 20. Jahrhunderts auf einem Kai in Bremerhaven, dem größten Auswanderungshafen Europas.
Erwartungen
Die anderen rissen sie mit. Trieben sie voran. Schließlich stimmte auch sie in den Ruf ein. Skandierte immer wieder dieselben Worte: »Hosianna dem Sohn Davids! Gesegnet sei, wer im Namen des Herrn kommt! Hosianna in himmlischer Höhe!«
Der, dem diese Worte galten, schien sie gar nicht zu hören. Worte, die ihm galten und einen weiten Bogen spannten. Zurück in die Vergangenheit. Glorreich. Selbstbestimmt. So war es einst in diesem Land. Sich weit nach vorn in die Zukunft streckend. So könnte es wieder werden – mit ihm. Hilf doch! Rette uns! Daneben andere Worte, nicht ganz so enthusiastisch: »Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.« Fast nüchtern klingend. Auch sie knüpfen an alte Erfahrungen und Sehnsuchtsbilder an. Wünsche, Erwartungen, dass die Zukunft anders, besser werden würde – sind in diesem einen Moment hörbar, sichtbar, zum Greifen nah.
Zukunft?
Er, der mitten in dem Geschehen war, kennt sich aus. Mit den heiligen Schriften. Mit den Erwartungen, die er durch sein Tun, durch sein Reden, durch sein Leben, weckt. Vor allem aber mit Gottes Willen. Damit, dass Gottes Reich schon jetzt angefangen hat. Das es nicht erst Zukunft ist, sondern Gegenwart. Er weiß darum, dass das auf bestehende Sehnsucht trifft. Bei anderen Widerstand hervorruft. Zumindest ahnt er, dass seine Zukunft eine andere sein wird, als die, die die skandierende Menge erwartet. Er wird alles dafür geben, dass Gottes Wille geschehen wird. So nachher im Tempel, als er voller Zorn die Tische umreißt. So, als er sich festnehmen, foltern und töten lässt.
Ankunft
Als er nach mehrwöchiger Schifffahrt endlich in Ellis Island ankommt, ist er noch lange nicht am Ziel. Hier wartet niemand auf ihn. Im Gegenteil. Viele haben Angst, dass die Neuankömmlinge ihnen streitig machen, was sie sich selbst mühsam erwirtschaftet haben. Er schafft es. Richtet sich ein in das neue Leben. Die Erinnerungen an das alte sind stets präsent. Er verknüpft sie miteinander. Lässt daraus neue Zukunftsträume wachsen.
Advent heute
Wir feiern Advent. Jedes Jahr aufs Neue stimmen wir uns darauf ein, dass Gott für uns als Mensch greifbar wird. Wir erinnern uns an Erzählungen über diesen Gott, der da kommt. Wir erinnern uns an die Erfahrungen, die Menschen bereits mit ihm gemacht haben. An solche vor langer Zeit und an aktuelle. Jedes Jahr wieder räumen wir uns aufs Neue die Möglichkeit ein, dass Gott seine Geschichte in unser Herz schreibt. Wir freuen uns auf das, was da kommen wird. Wir hoffen darauf, dass es uns verändern wird. Wir träumen, dass die Zukunft mit seiner Hilfe licht wird.
Jeder Advent ist ein Aufbruch. Skeptisch begleitet von den einen. Sehnsüchtig erwartet von den anderen. Dabei nehmen wir mit, wovon wir gelesen, gehört und gebetet haben. Sehen die Welt, wie sie jetzt ist. Und hoffen, dass die Veränderung mit und in uns beginnt.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich denke an diejenigen, für die die Adventszeit mehr ist als Glühwein und Weihnachtsmärkte.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich glaube, Karl Rahner hat gesagt, dass Advent nicht nur Ankunft, sondern auch Zukunft ist. Ich habe versucht, dem nachzuspüren, was das bedeuten mag. Denn die Zukunft endet ja nicht an Heilig Abend.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie sich in diesem Predigttext drei Zeitebenen treffen, auf die jede:r im Leben stößt und vielleicht als unwichtig abtut.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Unterstützung, die ich bei meiner Kollegin durch ihre positive Resonanz fand, hat es mir leicht gemacht, zu verstehen, wo eine Überarbeitung für mein Anliegen hilfreich ist. So konnte ich zu einem Schluss kommen und deutlich machen, worum es mir geht.
Dafür bin ich sehr dankbar.
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Weil Gott so anders ist, verändert er auch mich - Predigt zu Mt 5,38-48 von Andreas Schwarz
Gott ist anders. Wer an ihn glaubt, der wird diese Erfahrung sein Leben lang machen. Gott ist anders als wir Menschen; er ist auch anders, als wir Menschen denken.
Jesus Christus ist auf die Erde gekommen, um von Gott zu erzählen, um uns Gott nahezubringen. Vielleicht sogar, ihn uns zu erklären, damit wir besser verstehen, wie Gott mit uns umgeht und was er von uns will.
An ihn zu glauben, bedeutet ja auch, ihn wichtig, ihn ernst zu nehmen, auf ihn zu hören und seine Worte beherzigen zu wollen. Das ist nur oft genug leichter gesagt als getan. Manchmal verstehen wir seine Worte falsch oder einfach unterschiedlich. Und ein anderes Mal möchten wir gerne nach seinen Worten handeln, schaffen es aber nicht. Es fällt uns schwer, es ist gegen unsere Natur, es überfordert uns.
Jesus erzählt von Verhaltensweisen mitten aus dem normalen und alltäglichen Leben. Es klingt sehr einfach und für viele auch einleuchtend. Aber kann ich das wirklich?
Wie gehen wir Menschen miteinander um? Gibt es Verhaltensweisen, die für Christen anders sind als für Menschen, die nicht an Christus glauben? Jesus redet zu Menschen aus dem Volk Israel, die mit den Geboten Gottes und ihren Erläuterungen aufgewachsen sind. Das kannten sie und das war ihnen wichtig.
Auge um Auge, Zahn um Zahn heißt es da. Und gemeint ist das Unrecht, das ich erlitten habe und wie ich vergelten darf oder soll. In der öffentlichen Wahrnehmung wird gerade dieser Satz immer gern gegen das Alte, das 1. Testament verwendet, es sei hart und gewaltbereit, als wäre dieser Satz eine Einladung für körperliche Auseinandersetzung. Dabei ist sehr deutlich eine Begrenzung der Vergeltung gemeint. Du sollst niemandem mehr antun, als er/sie dir angetan hat. Wenn Du eine Wunde erhalten hast, füge nicht mehr als eine zu, eine Beule gegen eine Beule – und eben ein Auge und einen Zahn.
Ein klares Wort gegen die Eskalation, in der sich die Gewalt immer weiter hochschaukelt. Als läge das in unserer menschlichen Natur, schon Kinder neigen dazu, erlittenes Leid mehrfach zurückzuzahlen. Einmal geschubst haben, dann fünf Fausthiebe zur Folge. Wenn sie älter geworden sind, kommen vielleicht Waffen dazu oder man holt seine Brüder und Cousins und schon entsteht aus geringem Anlass eine große Sache voller Gewalt.
Wie hilfreich wäre schon in der Hinsicht des göttlichen Gebots die klare Begrenzung der Vergeltung. Es ginge auf dieser Erde besser zu, als es ist. Ohne die politische Problematik zu lösen, aber nach dem terroristischen Attentat der Hamas auf israelische Bürger, bei dem mehr als 1000 Menschen ihr Leben verloren, war die Rache zahlenmäßig unverhältnismäßig, inzwischen müssten es weit mehr als 30.000 getötete PalästinenserInnen sein. Da greift das göttliche Gebot ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘ offenbar nicht.
Jesus lenkt den Blick in eine ganz neue Richtung, die menschlichen Rachegefühlen völlig widerspricht. Er ermutigt, ganz auf Rache zu verzichten. Auf das erlittene Böse nicht mit Gewalt zu antworten, im Gegenteil, auf den ersten Schlag ins Gesicht auch den zweiten hinnehmen.
Gott ist anders. Anders als wir Menschen sind und empfinden und handeln. Er lässt auch dem Bösen seinen Raum. Das kann ganz schön fremd klingen und sich auch so anfühlen. Wir Menschen neigen dazu, einander in Gute und Böse einzuteilen. In ‚wir‘ und ‚die da‘ oder ‚die anderen‘. Das kann zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten sehr verschieden sein. Für die Menschen des Volkes Israel waren es besonders die Römer als feindliche Besatzungsmacht. Mit denen wollte man nichts zu tun haben, denen gönnte und tat man dann auch nichts Gutes. Sie waren ja die Bösen, die Fremden, die Besatzer, die die Macht hatten und Gewalt ausübten. Heute sind es Terroristen, Islamisten, aber weil es so schwer ist, zu unterscheiden, sind halt alle Fremden, alle Muslime, alle Migranten grundsätzlich böse, jedenfalls potentiell. Darum sollte unser Land ihren Zuzug begrenzen, sie von hier ausweisen, sie zurückführen.
Gott ist anders. Er nimmt die, die wir Böse nennen, ebenso unter seinen Schutz und seine Zuwendung. Er gönnt ihnen das Leben, auch über ihnen scheint die Sonne und es regnet, damit sie Nahrung und Kleidung haben. Und wenn es ihnen an etwas fehlt und wir sehen es und können helfen, dann ermutigt Jesus uns dazu. Wer friert, soll gekleidet werden, wir haben doch genug. Und wenn der römische Soldat, ein armer Mensch, wie immer Soldaten, irgendwo hingeschickt, wo sie gar nicht hinwollen, etwas zu tun, wozu sie gar keine Lust haben. Und dann müssen sie alle ihre schwere Ausrüstung selbst tragen. Nimmst du mir das bitte einmal für eine Meile ab? Gefühlt wäre die Reaktion: Niemals. Ich will ja gar nicht, dass du hier bist, trag dein Zeug alleine. Jesu Empfehlung: Geh zwei Meilen mit ihm und trag ihm seine Sachen. Frag nicht, ob er es wert ist, ob er deine Hilfe verdient. Tu es, weil es ihm hilft und weil du es kannst.
Nicht die Berechnung ist gefragt, die Einteilung der Menschen in gut und böse, in wertvoll und wertlos. Sondern die Weite des Herzens. In der Beziehung zu Gott und im Glauben an ihm erleben wir sein weites Herz für uns. Wir leben davon, dass er anders ist, als es unter uns Menschen üblich ist. Dass er uns aus lauter Liebe und Barmherzigkeit das Leben gönnt und ausstattet mit allem, was wir brauchen.
Was, wenn nicht wir die Menschen in gut und böse einteilen und natürlich selbst immer zu den Guten gehören, sondern wir böse sind? Vielleicht bin ich ja böse, vielleicht verletze ich Menschen, ohne es zu wissen, vielleicht tue ich Menschen weh, weil ich finde, sie haben es verdient. Es kann gut sein, dass Menschen unter mir zu leiden haben, unter dem, was ich tue oder dem, was ich sage. Wie furchtbar, wenn ich dann bekäme, was ich verdiene.
Das ist doch gerade mein christlicher Glaube, dass Gott anders ist. Dass er mir die Verfehlungen an seinen Geboten vergibt und sich mir zuwendet, dass ich viel mehr bekomme, als ich verdiene. Gott sei Dank – aus meiner ganz persönlichen Sicht – ist Gott anders. Er hat ein weites Herz. Zum Beispiel für mich. Aber auch für all die andern. Und ich bin gar nicht dazu berufen, Menschen in die Kategorien gut und böse einzuteilen.
Ich bin dankbar dafür, wie Gott mit mir umgeht und möchte das im Umgang mit anderen Menschen leben. Also keine Gewalt anwenden, gegen niemanden — und jeden Menschen als ein Geschöpf Gottes betrachten, das leben möchte.
Dass das so einfach nicht ist in der praktischen Umsetzung im Leben, wird jeder kennen und erleben. Und es gibt Situationen im Leben, die eine einfache Ermahnung nicht umsetzen lassen.
In der großen Politik ist das deutlich zu erleben. Aus dem Raum der Kirche, also von christlich motivierten Menschen, kam in den 80er Jahren die Empfehlung: Frieden schaffen ohne Waffen. Also kein Angriff und auch keine Drohung. Heute machen politische Parteien Werbung mit der Frage: Krieg oder Frieden? Und gemeint ist, es dient dem Frieden, die Ukraine nicht weiter mit Waffen zu versorgen. Aber wer wollte wirklich den Rat geben, sich nicht weiter zu verteidigen, also das eigene Land kampflos dem Angreifer zu überlassen und dann womöglich besetzt zu werden? Ist es nicht auch angemessen, seine Bürger und sein Land zu verteidigen? Es findet große Zustimmung, vom Land Israel ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen im Gaza zu verlangen. Aber ist es nicht auch geboten, sein Land zu verteidigen und auch künftig für Sicherheit vor terroristischen Attacken zu sorgen?
Entscheidungen im praktischen Leben sind schwierig und aus verschiedenen Positionen heraus kommt es zu sehr verschiedenen Sichtweisen. Das gilt auch für das kleine persönliche Leben. Ich muss mich selbst und mein Leben nicht in Gefahr bringen, ich möchte die Menschen, für die ich Verantwortung trage, meine Familie, vor Gefahren und Gewalt schützen und auch für genügend Kleidung und Nahrung sorgen.
Die einfachen Antworten auf schwierige Fragen sind oft nicht die angemessenen. Aber wir müssen in Freiheit entscheiden, immer und immer wieder. Und machen dabei auch Fehler. Wir werden es nicht vermeiden, Gebote zu übertreten, andere zu übersehen oder zu verletzen. Wir sind nicht vollkommen. Wir sind nicht Gott. Er ist anders. Seine Liebe ist grenzenlos. Sie schließt niemanden aus. Am Ende hat Jesus Christus diese Liebe und Zuwendung für die Menschen mit seinem Leben bezahlt. Er hat nicht zurückgeschlagen, als er geschlagen wurde. Er hat für die gebetet, die ihn ans Kreuz genagelt haben, er hat dem Menschen, der um seine Verlorenheit wusste, seine Sünde verziehen und das ewige Leben zugesagt.
Eine solche Vollkommenheit kann ich nicht leisten. Muss ich auch gar nicht. Ich muss mich nicht aufopfern. Aber es ist diese Liebe Gottes in seinem Sohn Jesus Christus, die auch mich meint und trifft und mitnimmt und verändert.
Gott ist anders. Wie gut. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist eine sehr treue und interessierte Predigtgemeinde, es ist jeweils erkennbar, wie aufmerksam zugehört und erwartet wird. Dabei sind die Frömmigkeiten sehr unterschiedlich; als Russlanddeutsche oder auch Alteingesessene zT sehr traditionell geprägt. Andererseits politisch Interessierte und Engagierte für Umweltbelange und Demokratie, gegen Rechts und Klimaleugnung. Ein spannendes Feld gerade für dieses Jesuswort.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der begrenzende Gedanke dessen, was Jesus aus dem 1. Testament zitiert. Auf diesem Hintergrund die Beobachtung, wie schnell Menschen bereit sind, Gewalt eskalieren zu lassen. Dieser Spannungsbogen hat mich sehr berührt und angespornt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Manchmal gewöhne ich mich an Verhaltensweisen und denke, sie müssten so sein. Dass es anders sein soll nach der Bergpredigt und anders sein kann, weil Gott andere Wege geht und zeigt – im Umgang miteinander, mit Fremden,... das finde ich sehr inspirierend, auch zum Weiterdenken und Weiterleben.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Manche Dinge wiederholen sich – dankenswerter Weise auch mit dieser Coach. Es hat mir so gut getan und so wertgeschätzt nahm ich die wenigen Hinweise gerne auf. Die Predigt ist etwas kürzer geworden, weil Wiederholungen und Bekräftigungen am Ende rausgestrichen wurden. Wie gut. So lässt es dem Hörer, der Leserin mehr eigenen Raum.
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20.10.2024 - 21. Sonntag nach Trinitatis
Kinder, das wird reichen - Predigt zu Mt 6,25-34 von Henning Kiene
1. Die Tür bleibt leicht geöffnet
Jetzt steht fest, wie weit man sich in den Ferien von dem alltäglichen Leben entfernen kann. Die langen Ferienwochen öffneten ein Tor, das führte zu einer Art Paradies auf Zeit. Die ursprüngliche, lateinische Bedeutung des Wortes Ferien sagt: Ferien, das sind die Ruhetage, die den Menschen ausreichend Zeit gewähren, ihre Festtage zu begehen. Ferien eröffnen die Gelegenheit, sich seiner eigentlichen Bestimmung zu besinnen. Sommerferien, am Anfang klingt das noch endlos und die Kinder tummeln sich sorglos im Freibad zwischen Sprungbrett und Rutsche. Jetzt kehrt der Alltag schlagartig zurück und das Attentat in Solingen entzieht dem Sommer seine Leichtigkeit.
„Sorget nicht“, sagt Jesus. Das klingt wie ein Appell, der heute die Sommerzeit und Ferienstimmung noch bewahren soll. Und Jesus führt seine Jüngerinnen und Jünger zum Spiel der Vögel, macht mit uns noch einmal Ferien an den Rändern der reifen Felder, bei den blühenden Lilien. Es wirkt, als wollte er die Bilder des Alltags vertreiben, einen ursprünglichen, sorglosen Zustand zeigen, der sich unwillkürlich einprägt; ich sehe Spatzen, Störche und Schmetterlinge, die sich auf den Lilien niederlassen. Ein fetter Tautropfen glitzert, prachtvolle Blüten übertrumpfen selbst die feinen Gewänder, die vor den Festspielbühnen dieses Sommers in der ersten Reihe sitzen. Jesus öffnet mit dem Evangelium einen Zugang zum Garten Eden, gibt Einblick in echtes Menschsein. Mit dem Evangelium halte ich heute inne, mit Respekt vor der Trauer, in der Angehörige um geliebte Menschen weinen und wir alle nach einer Orientierung suchen. Wir brauchen Zeit und keine vorschnellen Antworten.
Jesus sagt: „Sorget nicht für euer Leben!“ Das klingt, als würde Jesus eine trotzige Parole ausgeben, die durch krisenhafte Zeiten hindurchhelfen soll. Dann fordert er: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Ich aber denke an die Opfer des Attentats und will mitten in all der Trauer und Empörung sagen: Das Paradies hat heute geschlossen. Aber Jesus hält die Tür mit dem Evangelium offen, zeigt heute sogar uns, den sorgenvollen Menschen, Vögel, Blumen und Sommerpracht, erinnert an Gott und dessen Gerechtigkeit.
2. Strategien der Bergpredigt – gegen das Sorgen
2.1. Oma zeigt, wie es geht
Wenn ich „Sorget nicht für euer Leben“ höre, tritt mir – gerade jetzt im September – meine Oma vor Augen. Das ist merkwürdig, denn der Rücken unserer Großmutter war – so sagte es unsere Mutter – unter den vielen Sorgen, die sie tragen musste, gebeugt. Oma sprach selten darüber, wir wussten nur: Als kleines Kind hatte sie im Winter gehungert und als sie selbst Mutter war, zerrten ihre hungrigen Kinder frierend an ihrer Schürze. Oma wusste, welche Schäden Krieg, Angst, Sterben, Hunger und tägliche Sorgen in einem Menschen anrichten. Ausgerechnet dann, wenn Jesus sagt: „Sorget nicht!“, tritt mir diese Frau vor Augen. Sie beugte sich nicht, sondern zeigte uns Kindern eine Strategie, mit der man Sorgen bewältigen kann. Ich sehe, wenn ich an sie denke, durch einen kleinen Spalt durch die Tür ins Paradies. Da steht sie vor ihrem altmodischen Herd, der Dampf des Wassers steigt über ihrem Kopftuch auf, sie kocht schon seit Wochen Tag für Tag die Früchte des Sommers ein, um dann die Gläser in Reih und Glied aufzustellen. Motto: Keine Endlossorgenschleifen drehen, nicht klagen, sondern Vorsorge treffen. Oma ließ ihre sorgenvollen Gedanken einfach schrumpfen.
2.2. Ferienatmosphäre bleibt…
In all diesem Erschrecken und der Trauer über den Terror in Solingen spricht Jesus eindringlich weiter: „Seht die Vögel unter dem Himmel an: Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?“ Während viele die Not fest im Blick behalten und fragen: „Wie geht es weiter?“ oder Parolen ausgeben, die niemandem helfen, führt Jesus seinen Gedanken Wort für Wort zum Ziel: „Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.“ Es ist, als sollte dieser Sonntag die Gedanken umlenken, wegführen von der Diskussion um Messerklingen, Abschiebung und geschlossene Grenzen. Nach Gottes Reich zu trachten heißt, sich den Sorgenszenarien nicht schutzlos hinzugeben, sondern – wie meine Oma es tat – eine Strategie zu finden, mit der man die Sorgen und den Aufruhr, den sie in der Seele anzetteln, begrenzt. Sorgen machten Oma nicht passiv, Oma war stolz auf all die guten Früchte, die sie in den Keller trug. Und dann unternimmt Jesus mit uns so eine Art Ferien und bringt eine leichte, fast unbedarfte Stimmung in den Blick: „Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?“
2.3. …mit dem Duft der Äpfel
Wir Kinder freuten uns auf Oma. Wenn wir aus den Ferien zurückkamen, stand sie schon in der Küche vor dem Herd und streckte ihren rund gewordenen Rücken gerade. Wir Kinder zerschnitten mit ihr das Obst und sie kochte aus den harten Quitten mit dem herben Aroma süßes Gelee. Der Duft von Äpfeln und Birnen mischte sich unter und zog durch die ganze Wohnung. In kochendem Wasser standen die Gläser, deren Deckel sie sorgfältig verklammert hatte. Oben aus dem großen Topfdeckel ragte ein langes Thermometer, das sie nicht aus den Augen ließ. So ist es, wenn Jesus blühende Lilien zeigt und den Flug der Vögel unter dem blauen Himmel.
3. Vorsorge überwältigt Sorgen
„Kinder, das wird reichen!“, sagte Oma irgendwann im Herbst, ihre Stimme war voller Optimismus und was dann kam, war wieder ein Ferientag. Sie öffnete ihren Verschlag im Keller und führte uns feierlich an den Regalen entlang, zeigte uns die Gläser und wir lasen die Aufschriften: Bohnen, Karotten, Eintopf, Marmelade. Zwiebeln hingen an der Wand, erste Kartoffeln lagen in der Kiste und manchmal hing ein geräucherter Schinken von der Decke. Wir atmeten die erdige Luft des Kellers, staunten und waren beruhigt. „Sorget nicht“, war – ohne dass sie etwas sagte – die Botschaft, die wir mitnahmen.
Heute weiß ich: Wenn unsere Oma immer nur auf ihre Sorgen gestarrt und über ihr schweres Leben geseufzt hätte, wäre niemandem geholfen gewesen. Sich auf dem hohen Stapel alles Widrigen, das sich vor einem auftut, auszuruhen, ist keine Option. Als ich erwachsener wurde, fragte ich sie direkt nach ihrem Leben früher, da sagte sie, ihre Sorgen seien nie „der Rede wert“ gewesen. Aber ihre Vorsorge, die fand ich der Rede wert. Jetzt erinnere ich diese Vorratswirtschaft und denke: Das gilt für vieles im Leben: Wenn der Zusammenhalt bröselt, der Konsens zwischen uns schwach wird, braucht es einen Gang zu den Vorräten, die uns einen. Und ich habe die Demonstrationen im Januar vor Augen. Wir sind für Toleranz auf die Straße gegangen, ich habe die bunten Fahnen vor Augen und den Ruf nach Toleranz in einer offenen Gesellschaft im Ohr. Das tat vielen Menschen gut. Und mir steht heute eine Frau vor Augen, die einen Geldschein in den Klingelbeutel legt: „Für die Flüchtlinge im Mittelmeer“, denn „jemand muss doch helfen.“ Und: „Die können ja nichts dafür.“
4. Mit offenen Augen und Ohren aus dem Vollen schöpfen
Wer Sorglosigkeit einfach nur verordnen will, scheitert. Darum zeigt Jesus uns Bilder, volle Regale, eine gute Ernte, duftende Rosen und dunkelblaue Lilien, die Nester der Vögel und Sicherheit und Ruhe, Menschen, die mit bunten Fahnen und einer Idee von Toleranz nach Zusammenhalt suchen, er macht Miniferien und die Gedanken lösen sich von den Sorgenszenarien des Herbstes.
Die Tür zu den Ferien schließt sich jetzt, hoffentlich langsam, denn die Bilder bleiben. All die Zeichen, die jetzt auf einen heißen Herbst deuten, auch die Wahlergebnisse der letzten Woche verlangen einen langen Atem. Jesus zeigt noch immer auf die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Feld, ich sehe meine Oma und ihre aufrechte Haltung am Herd. Jesus sorgt für einen Optimismus, der die sorgenschweren und kreisenden Gedanken durchbricht und all die mühevollen Entscheidungen, die jetzt getroffen werden müssen, entspannt. Trotz allem: Die Sorgen sind auf dem absteigenden Ast.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine klassische Gemeinde an dem Urlaubsort, in dem ich lebe, und Hallig Hooge, auf der ich die Predigt halten werde. Jetzt sind die älteren Gäste angekommen und die jungen Eltern mit den ganz kleinen Kindern, die – heute jungen – Großeltern. Und: Die Einheimischen kommen zurück und in wenigen Tagen beginnt der Alltag.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Wahlen in drei Bundesländern, in deren Wahlkämpfen mit den Sorgen der Menschen billiger Wahlkampf gemacht wird. Und das Attentat von Solingen. Das Szenario, das Jesus mit dem Wort „Sorge“ aufruft, zielt auf Jesus, der gegen diese Art der Sorge Vorsorge trifft.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Vorstellung, dass Jesus die Ist-Situation, nicht nur durch das gesprochene Wort, neu qualifiziert und sein Wort mit Bildern anreichert, macht die Predigtvorbereitung etwas leichter, denn es ist der Sprechakt, in dem ich erkenne, wie er das Wort ins Bild umsetzt. Und: Das Wort Sorge wird häufig mit dem Gefühl der Ohnmacht verbunden. Das ist gemütlich für die, die mit ihren und fremden Sorgen Politik machen. Im Evangelium aber geht es nicht um ohnmächtige Hingabe, sondern um Jesu leidenschaftliche Zuwendung.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mit großer Sorgfalt hat mein Coach der Predigt eine Gliederung verpasst, die mich unterstützt, die eigene Gliederung sichtbar zu machen. Der Coach fokussierte die Vorbereitungen und lenkte von Nebenthemen ab. Und ein wichtiger Hinweis des Coachs: Hier spreche ich von meiner Großmutter. Geschichten von Omas und aus der Familie aber bergen ein Risiko: Omas, Kinder, Enkel dürfen nicht häufig eingesetzt werden, dann schalten die Leute gelangweilt ab und denken: „Ach wieder diese Oma“. Es ist m.E. legitim, die Oma auf eine andere Person umzuschreiben. Oma, das kann eine Nachbarin sein, ein beherzter Mann, der die Früchte nicht vergammeln lassen will, oder – ältere Kolleg:innen erinnern sich – es gab da mal ein Gemeindeglied, an das sich viele noch erinnern, die stand in ihrer Küche. Reizvoll wäre es auch, hier einen der vielen jungen Menschen einzuführen, der sich sorgfältig um Lebensmittelreste kümmert und aus den Containern rettet, was schon verloren gegeben ist, die Früchte, die auf Obstwiesen liegen bleiben, sammelt und heute wieder unverdrossen vor dem „Wecktopf“ steht.