Blaubeermuffins und Apfelkuchen - Predigt zu Mt 9,36-10,10 von Uwe Habenicht
(Predigttext wird im Zuge der Predigt gelesen.)
Wie viele von den Menschen, die in meiner Strasse wohnen, kenne ich eigentlich?
Diese Frage, liebe Gemeinde, stelle ich mir immer, wenn ich die Kolumne, "meine Straße“ in meiner Lieblingsstraßenzeitung lese. In dieser Kolumne schreiben Menschen über Ihre Straße und wie es sich dort lebt.
Wie viele Menschen aus meiner Straße kenne ich und welche Geschichten könnte ich von meiner Straße erzählen? Und welche Geschichte würde ich gerne von meiner Straße erzählen können?
Vielleicht so eine:
Sie sprach nicht viel. Einige wenige Sätze, das Notwendige eben, sagte sie schon. Und dennoch oder vielleicht gerade deswegen wurden sie von allen in der Strasse so gemocht. Auf die Worte kam es gar nicht an. Es war mehr ihr Blick und ihre Aufmerksamkeit. Sie sah, was den anderen entging. Sie sah, wenn jemand etwas Schweres auf dem Herzen mit sich herum trug. Sie sah, wenn eine junge Frau schwanger war, noch bevor der Bauch sich wölbte. Sie sah es einfach, weil sie genau hinsah. Sie blickte den Menschen ins Gesicht und ins Herz. Sie bemerkte das Schwere und Leichte, das die Nachbarn mit sich trugen. Und dann setzte sie sich in ihrer Küche an den Küchentisch und überlegte sich: Was kann ich der jungen Frau, dem alten Mann, dem Jugendlichen Gutes tun? Sie wälzte ihre Koch- und Backbücher, sie blätterte in ihrer Erinnerung und dann fand sie immer genau das Richtige: Apfelkuchen mit Zimt oder Speckkuchen oder einen Blaubeermuffin. Sie kochte und buk und dann stand sie plötzlich vor der Tür und klingelte. Ich hab dir etwas gebacken, sagte sie dann und alle wussten, dass sie wieder etwas bemerkt hatte. Die Nachbarn setzten sich mit ihr in die Küche oder auf den Balkon. Sie musste gar nicht viel sagen, setzte sich einfach und hörte zu. Hatte Zeit, die ganze Geschichte zu hören, Geduld sich das Gewirr der Gefühle anzusehen. Irgenwann stand sie einfach auf und sagte: Na, dann, alles Gute. Wer die Tür hinter ihr schloss, war erleichtert und wie verwandelt. Dass Blaubeermuffins heilende Kraft haben, daran glaubte man dann irgendwie schon, weil man es eben erfahren hatte. Als sie neu in die Straße gezogen war, fanden die Nachbarn sie merkwürdig, weil sie so schweigsam und nur mit ganz wenigen Dingen eingezogen war. Bei ihren ersten Besuchen blieben manche Türen zu. Und der Apfelkuchen stand mit einem Zettel vor der Tür. „Wollte nur kurz sehen, wie es dir geht“ – stand darauf. Aber schon nach wenigen Monaten öffneten sich die Türen und die Nachbarn erzählten einander von diesen wunderbaren Besuchen, die immer gerade zur rechten Zeit kamen. Wie macht sie das nur, fragte der alte mürrische Mann aus dem Erdgeschoss in Haus Nr. 5. Und die hübsche Frau aus Haus Nr. 15 sagte: Ich glaube, sie nimmt sich Zeit, uns zuzuschauen. Sie ist die einzige, die sich auf die Bank unter der Eiche vor dem Haus setzt und nichts tut außer zuzuschauen, was in der Straße geschieht. Als wäre sie nur für uns da …
Liebe Gemeinde,
würden Sie auch gern in so einer Straße leben, einer Straße, in der plötzlich jemand mit etwas Selbstgebackenem vor der Tür steht und Zeit für einen hat? Die Strasse, in der ich lebe, ist leider ganz anders. Einmal hat es Monate gedauert bis ich bemerkt habe, dass ein Nachbar seit Monaten nicht zu sehen ist, weil er im Krankenhaus liegt. Das hat mich erschreckt. Dass man so nah beieinander wohnen kann und es nicht auffällt, wenn jemand fehlt.
Sehen wir eigentlich , was um uns herum geschieht? Sehen wir die Menschen in unserem Quartier, in unserer Straße? Oder übersehen wir das Meiste, das uns umgibt, weil wir mit den Gedanken und vor allem mit den Augen anderswo sind – uns in die Ferne träumen oder uns zu Tode über Dinge informieren, die wir nicht brauchen, oder uns einfach nur ablenken lassen wollen?
Es gibt eine kurze Beschreibung von Jesus, die davon erzählt, wie er auf den Straßen und in den Dörfern und Orten Galiläas unterwegs war. Vielleicht fällt euch auch diese besondere Art und Weise auf, mit der Jesus auf die Menschen blickt, die ihn umgeben:
Ich lese aus Matthäus 9, 35 -38:
35 Und Jesus zog umher in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen. 36 Und als er das Volk sah, befiehl ihn Erbarmen; denn sie waren geängstet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben. 37 Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. 38 Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.
In nur drei Versen gelingt es Matthäus hier, das Besondere, das Außerordentliche, das diesen jüdischen Rabbi aus Nazareth ausmacht, zusammenzufügen. Wenn also jemand fragen würde, wer war dieser Jesus von Nazereth, dann könnte man diese drei Verse vorlesen und es wäre fast alles gesagt. Jesus zieht umher. Er wartet nicht darauf, dass die Menschen zu ihm kommen, er geht zu ihnen, sucht sie an den Orten auf, an denen sich ihr Leben abspielt: Auf den Straßen und Plätzen, an den Gemeinschaftsorten, wie der Synagoge, in der man zusammen kam und diskutierte und Alltagsfragen klärte. Jesus sitzt nicht irgendwo und wartet darauf, gefunden zu werden, sondern zieht umher. Er erzählt davon, wie sich das Leben verändert, wenn wir darauf vertrauen, dass Gott auf uns zukommt. Reich Gottes nennt Jesus dieses Auf-Uns-Zu-Kommen Gottes, das jetzt schon den Alltag in ein neues Licht taucht. Und dann nimmt sich Jesus der Gekrümmten und Besessenen, der Blinden und Lahmen an. Kurz: all derer, die nicht klarkommen, die an den Rand geraten sind, die das Gleichgewicht verloren haben. Wir könnten auch sagen: Er nimmt sich unserer blinden Flecken, unserer Schwermut, unserer Hilflosigkeit, unserer Müdigkeit an. Und das Schönste an allem: Jesus sieht die Menschen, die ihm begegnen, und lässt sich von ihrem Schicksal bewegen. Wörtlich übersetzt könnte es heißen: Es überfällt ihn Erbarmen oder er fühlte mit ihnen mit, weil sie orientierungslos oder isoliert waren.
Jenny Odell, eine amerikanische junge Schriftstellerin, hat in einem eindrucksvollen Buch beschrieben, wie sie vor einigen Jahren begann, in einem Rosengarten, der in ihrer Straße liegt, Zeit zu verbringen und aufmerksam hinzuschauen, was alles um sie herum geschieht. Was geschieht, wenn wir nicht wie üblich versuchen, möglichst schnell und ungesehen in unsere Wohnungen und Häuser zu kommen, sondern an dem Ort, an dem wir leben, aufmerksam zu sein für die Menschen und Dinge um uns herum? Jenny Odell beschreibt, wie sie anfängt, die Menschen vor Ort kennen zu lernen und sich ihnen trotz aller Verschiedenheit verbunden fühlt. Für mich sind das die beiden wichtigsten Beschreibungen Jesu: Er ist aufmerksam für die Menschen um sich herum und das, was er sieht, löst Mitgefühl und Erbarmen aus.
Ich sehe dich. Und ich frage mich, was macht dich schwer? Was beschwingt dich?
Ich sehe dich. Und ich frage mich, was fehlt dir? Welche Freude können wir teilen?
Ich sehe dich. Und ich suche nach dem, was wir gemeinsam mit Freude tun könnten?
Oder brauchst du ein offenes Ohr? Ein aufmunterndes Wort? Ein kurzes Gespräch zwischendurch?
Einen Blaubeermuffin? Oder einen Apfelkuchen, den wir gemeinsam essen können?
Liebe Gemeinde,
der Evangelist Matthäus bleibt nicht bei der Beschreibung Jesu und der Art und Weise wie er unterwegs war, stehen. Matthäus ist nicht nur ein Schriftsteller, sondern auch ein Filmregisseur, der mit harten Schnitten und Kameraschwenks arbeitet. Schnitt.
Auf einmal steht nämlich nicht mehr Jesus im Fokus, sondern wir. Hört bzw. seht selbst:
1 Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. 2 Die Namen aber der zwölf Apostel sind diese: zuerst Simon, genannt Petrus, und Andreas, sein Bruder; Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder; 3 Philippus und Bartholomäus; Thomas und Matthäus, der Zöllner; Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Thaddäus; 4 Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn verriet.
5 Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht nicht in eine Stadt der Samariter, 6 sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel. 7 Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. 8 Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch. 9 Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, 10 auch keine Tasche für den Weg, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert.
Und? Habt Ihr bemerkt, wie sich die Kamera auf euch gerichtet hat?
Die Namen der 12 Jünger könnten wir durch 12 Namen aus unserer Mitte ersetzen. Dann klingt es etwa so:
Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen. 2 Die Namen aber der zwölf sind diese: … (spontan werden 12 Menschen aus der Gemeinde mit Namen benannt: Hilde und Heinz, Klaus, Herr Meyer usw.)
Ich glaube, jetzt habt Ihr gespürt, wie es ist, wenn eine Filmkamera auf einen gerichtet ist. Damals waren es die Zwölf, die mit Jesus mitzogen und in seinem Namen taten, was er tat. Und heute seid Ihr es. Ihr Zwölf, die ich genannt habe, und natürlich wir anderen mit euch zusammen. Damals beschränkte Jesus den Wirkkreis derer, die ihm nachfolgten: geht nicht zu den Heiden, also geht nicht zu denen, die keine Juden sind, und auch nicht zu den Samaritern, sondern beschränkt Euch auf alle, die zu Israel gehören. Später dann nach seiner Auferstehung wird Jesus seine Jüngerinnen und Jünger in alle Welt schicken: Gehet hin zu allen Völkern…
Jetzt aber, ist es für diese universale Mission noch zu früh. Darum schickt Jesus seine Jünger nur zu den Angehörigen Israels. Vielleicht ist das heute manchmal eine unserer Schwachstellen, dass wir allzu schnell eine globale Perspektive einnehmen und dabei die vergessen, die direkt um uns herum leben. Darum gefällt es mir, unsere Namen für die Namen der Jünger einzusetzen und unseren Wirkungskreis bewusst auf unsere direkte Umgebung zu beschränken. Wie anders sähe es aus, wenn wir sehr konkret auf die Menschen schauen würde, die direkt mit uns und um uns herum leben. Längst umgibt uns die Welt in unserem direkten Umfeld. Von unseren Nachbarn, die aus so vielen verschiedenen Ländern und Regionen kommen, könnten wir hören, wie es dort ist und was es vielleicht heißt, von dort geflüchtet zu sein oder mit Verwandten, die dort immer noch leben, in Kontakt zu sein. Wenn ich beim Deutschunterricht mit anderen ins Gespräch komme und sie mir davon erzählen, dann kommt mir die große Welt sehr schnell durch das Gesicht meiner Gesprächspartnerin zu mir. Darum können wir gleich vor unserer Haustür mit unserer Aufmerksamkeit beginnen:
Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.
Das klingt, wenn man es so hört, unmöglich, oder? Wie. Sollten wir Kranke gesund machen, Tote aufwecken, oder Dämonen austreiben? Und dabei wissen wir doch, wie viele krank werden, weil sie einsam sind, wie viele sich wie tot fühlen, weil sie den Kontakt zu anderen verloren haben, wie viele wie Aussätzige gemieden werden, weil sie anders denken oder anders leben.
Ich glaube, dass wir als Gemeinschaft die Kraft und die Möglichkeiten haben, zu vollbringen, was Jesus uns aufgetragen hat. Vielleicht weniger spektakulär, weniger Aufsehen erregend, aber doch so, dass Menschen es spüren und wir etwas beitragen können zu Gesundung, zum Wohlbefinden und zum Wohlsein von anderen. Gerade erst haben wissenschaftliche Studien nachgewiesen, dass gerade alltägliche Kontakte, das Leben von Menschen deutlich verbessern. Und jetzt stellt euch vor, wie sehr Blaubeermuffins verbunden mit einem Besuch zum Wohlbefinden beitragen könnten.
Das Himmelreich ist nahe herbei gekommen, verkündete Jesus damals. Gott kommt freundlich und warmherzig auf uns zu. Aus dieser Gewissheit können wir noch immer leben – und handeln. Im Großen und vor allem direkt vor unserer Haustür. Und wenn Ihr lieber Apfelkuchen backt statt Blaubeermuffins ist das ganz sicher auch mehr als in Ordnung…
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Sommer wird die Kirchenbänke lichten. Die im Juli in den Gottesdienst kommen, sind die Hochverbundenen. Sie zu würdigen und aufzuzeigen, welche Wirkung sie in ihrem Umfeld haben können, ist Ziel der Predigt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Jenny Odell: Nichts tun
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie gelingt es uns, die Lebensgeschichten der Mitfeiernden in die biblischen Geschichten hineinzutragen und umgekehrt? Das ist die Frage, die sich in dieser Predigt mit dem Eintragen der Namen beantworten lässt. Wäre gespannt, ob es darauf Reaktionen nach der Predigt gab und wie es auch sonst gelingen könnte.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Anfangsgeschichte hat durch das Coaching eine neue Rahmung bekommen, die der Geschichte und ihrem Charakter ganz sicher gut tut, weil der Abstand zum Alltagserleben so besser zur Geltung kommt.
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20.07.2025 - 5. Sonntag nach Trinitatis
Von einer Himmelskirche auf Erden - Predigt zu Mt 16,13-19 von Romina Englert
(1) Zukunftsfragen überall
Liebe Schwestern und Brüder,
wie sieht die Zukunft der Kirche aus? Diese Frage beschäftigt uns gerade auf allen Ebenen…
Viele sagen: Wir müssen das, was aktuell gut funktioniert, einfach so lange es geht festhalten. Denn in der Verlässlichkeit liegt die Zukunft. Andere dagegen meinen: Wenn alles nur wieder so werden würde wie früher, als die Kirche und ihre Werte noch was gezählt haben, dann hätte Kirche Zukunftsperspektive.
Und dann gibt's auch diejenigen, die davon überzeugt sind, die Zukunft der Kirche liegt in der Veränderung. Denn es wird ohnehin alles anders werden. Wenn es weniger Pfarrpersonen gibt, die Kirchenaustrittszahlen weitersteigen, aber gleichzeitig die Anzahl der kircheneigenen Gebäude sinkt... Da muss man jetzt schon alles anders denken und irgendwie neu machen, bevor einen die Realität einholt. Wieder Andere sagen: Die Frage nach der Zukunft der Kirche kannst du dir schenken, denn Kirche hat keine Zukunft mehr.
Was denken Sie? Wer hat recht? Keiner? Oder irgendwie auch alle?
(2) Auf diesem Fels will ich meine Gemeinde bauen
Werfen wir einen Blick in das Predigtwort für den heutigen Gottesdienst. Vielleicht zeigt er uns zu den Zukunftsfragen unserer Kirche neue Aspekte auf. Ich lese aus dem Matthäusevangelium im 16. Kapitel:
Da kam Jesus in die Gegend von Cäsarea Philippi und fragte seine Jünger und sprach: Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei? Sie sprachen: Einige sagen, du seist Johannes der Täufer, andere, du seist Elia, wieder andere, du seist Jeremia oder einer der Propheten. Er sprach zu ihnen: Wer sagt denn ihr, dass ich sei? Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist der Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; denn Fleisch und Blut haben dir das nicht offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.
(3) Die Zukunft der Kirche baut auf Menschen wie Petrus auf
"Du bist der Fels, auf den ich meine Gemeinde bauen will.", sagt Jesus zu Petrus.
Und macht damit deutlich: Die Zukunft der Kirche hängt nicht an Strukturfragen, Gottesdienstzeiten oder Gebäuden. Die Zukunft der Kirche baut auf Menschen auf. Auf Menschen wie Petrus. Der im wahrsten Sinne der Wortes begeistert einfach so aus dem Herzen heraus den Leuten erzählt hat, was ihm an Jesus und Gott so fasziniert. Und das sogar noch auf jeder erdenklichen Sprache der Welt, so wird es uns in der Pfingstgeschichte berichtet.
Die Zukunft der Kirche baut auf Menschen wie Petrus auf, der oft aber auch vorschnell nach vorne prescht, weil er unbedingt alles richtig machen möchte. Immer wieder musste ihn Jesus einbremsen. Wie zum Beispiel als er einmal mit Jesus und zwei Anderen einen Ausflug ins Grüne gemacht hat (so wie wir heute). Da hatten sie ein Erlebnis, bei denen ihnen Mose und Elia erschienen ist. Das war für Petrus so besonders, dass er es für immer festhalten wollte. Er ließ sich von Jesus nur mit Mühe davon abhalten, mitten im Grünen für sie alle Hütten zu bauen, damit es einfach für immer so bleiben kann. Ja auch so ist Petrus.
Aber die Zukunft der Kirche baut auf Menschen wie Petrus auf. Auf den Petrus, dem dann und wann die Kraft auch mal ausging. Wie damals als er im Garten Gethsemane von Jesus gebeten wurde: „Bleib wach und bete mit mir!“ Immer wieder sind ihm vor Erschöpfung die Augen zugefallen und er ist eingeschlafen.
Gott baut die Zukunft der Kirche auf Menschen wie Petrus auf, die Stärken und Schwächen haben wie Du und ich, die sich begeistern lassen, vielleicht auch mal über das Ziel hinausschießen und denen manchmal vielleicht auch die Puste ausgeht. Und doch baut er auf uns seine Kirche auf, vor allem aber dann, wenn wir bei der entscheidenden Frage nicht zögern – wie Petrus.
(4) Die Zukunft der Kirche ist eine Glaubensfrage
"Was sagt denn ihr, wer ich sei?", fragt Jesus. Und Petrus antwortet: "Du bist der Christus, der lebendige Sohn Gottes!" Und mir kommt der Gedanke, dass das die erste und eigentliche Frage ist, die wir uns stellen sollten, wenn wir Kirche der Zukunft bauen wollen: "Was sagst du, wer Jesus für dich ist?" Die Kirche braucht für ihre Zukunft Menschen wie Petrus, die zu solchen Glaubensfragen auskunftsfähig sind. Wer ist Jesus für dich? Dazu Menschen etwas sagen zu können, mit ihnen über ihre Glaubensfragen ins Gespräch zu kommen, das ist meiner Meinung nach die Grundlage – das Fundament, auf der wir mit Gott die Zukunft seiner Kirche aufbauen müssten – ganz im Sinne von dem, was Jesus Petrus sagt: "Was sagst du, wer Jesus für dich ist?"
(5) Mit Petrus und den Konfis Zukunftskirche bauen
Petrus hatte seine Antwort gefunden: "Du bist der Christus, der lebendige Sohn Gottes!" Dieses Herzensbekenntnis zu Jesus war es letztendlich dann, das ihn in den Augen von Jesus ausgezeichnet hat, der Fels zu werden, auf dem Kirche gebaut wurde. Deshalb sagt er zu ihm: „Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein.“ Jesus gibt Petrus die Schlüssel dafür, dass in seiner Kirche ein Stück Himmel auf Erden erlebbar wird. Aber wie sehen diese Schlüssel aus, mit denen wir in Gottes Sinn „Himmelskirche“ der Zukunft hier auf Erden bauen können?
Wir haben dazu unsere aktuellen Konfis befragt. Sie haben ihre „Himmelskirche“ der Zukunft bauen dürfen. Dazu mussten sie, wie im echten Leben „Ressourcen“ sammeln. Allerdings waren die bei uns so was wie „Zeit“, „Glaube“, „Liebe“ oder „Kreativität“. Alles hat wie beim „Siedler von Catan“ – Spiel etwas gekostet und insofern musste man sich entscheiden, in was man investieren wollte. Das war ein großer Spaß und es war viel geboten:
Da lagen Spielplätze neben Friedhöfen. – Denn Kirche ist für Alle da!
Einige haben freiwillig auf die Option eines Jugendraums verzichtet. – Denn im Gemeindehaus sind wir doch auch willkommen!
Tatsächlich war so gut wie bei jeder Kirchengemeinde relativ in der Mitte eine Kirche – Denn dort finden Menschen Gott.
Aber nicht in jeder Kirchengemeinde gab es Hauptamtliche. Manchmal reichten die Ressourcen nicht, dann musste man überlegen: Brauchen wir eine Pfarrperson oder eine Sekretärin? Und wie ist es mit der Jugendreferentin und dem Hausmeister? Auf Nachfrage, weshalb auf das Eine oder das Andere verzichtet wurde, antworten die Jugendlichen: Schön, wäre es schon. Aber dann hätten wir auf was anderes verzichten müssen, was uns wichtiger ist. Deswegen muss in unserer Gemeinde eben jeder mit anpacken, dann schaffen wir das schon. – Denn Kirche lebt von Menschen.
In der Andacht am Nachmittag war dann die Schlussfrage: Und wie fühlt sich Gemeinde für Dich an? Diese letzte Runde war mein persönliches Highlight des Konfi-Tages. Denn egal wie unterschiedlich die „Himmelskirchen“ auf Erden am Vormittag gebaut wurden, hier bestand große Einigkeit: Gemeinde fühlt sich an wie Familie. Man ist sich nicht immer einig. Aber man kann dort sein, wie man ist. Und wenn es drauf ankommt, halten alle zusammen und helfen mit!
(6) Wir sind die Zukunft der Kirche
Liebe Mitbauende an der Zukunft der Kirche, was denken Sie? Wie sieht nun die Zukunft unserer Kirche aus? Ich denke, wir sind sie; wir alle zusammen – so wie wir hier sitzen. Wir sind die Zukunft der Kirche. Ob dann in jeder Gemeinde perspektivisch ein Hauptamtlicher arbeitet? Alle Gebäude erhalten werden können? Die Angebote alle immer direkt am Ort stattfinden werden?
Das wird von Gemeinde zu Gemeinde sicher kreativ und hoffentlich auch so engagiert gelöst werden, wie von unseren Konfis beim Spiel „Die Gemeinde von Catan“. Da wird ganz sicher auch vieles eine Frage der Abwägung.
Deswegen bin ich ehrlich: Ich weiß momentan nicht wirklich, wie die Kirche der Zukunft in den Strukturen konkret aussehen wird. Das macht Angst und ist anstrengend. Das wird uns alle zusammen noch viel Kraft kosten.
Aber! Und da bin ich mehr als sicher, wenn ich mich heute hier so umsehe. Unsere Kirche hat Zukunft – und zwar Dank uns allen eine gute, in der uns Gott immer wieder Schlüsselmomente schenkt, in denen sich Himmel und Erde berühren.
AMEN.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Wir feiern einen Gottesdienst im Grünen. Im Anschluss gibt es etwas zu Essen und zu Trinken. Es werden von Kindern Ehrenamtlicher bis hin zur Leitung des Seniorenkreises viele engagierte Menschen dabei sein. Es ist zu erwarten, dass vor allem Menschen den Weg in den Gottesdienst finden, denen die Zukunft von Kirche am Herzen liegt und für die solche Themen nicht neu sind. Außerdem werden die Konfis „ihre“ gebauten Gemeinden im Anschluss als Projekt vorstellen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Den Gedanken, dass Jesus seine Kirche explizit auf Menschen aufbaut, finde ich inspirierend – gerade im Zuge der vielen Strukturdiskussionen. Sie hat meinen Bick auf diese Prozesse bereichert. Außerdem ging mir der erste Teil der Predigtwortes nahe. Zuerst bekannte Petrus seinen Glauben, bevor er zum Fels der Gemeinde wurde. Zukunftsfähig Kirche Bauen geht nur aus gelebten Glauben heraus!
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Freude unserer Konfis daran, ihre Gemeinde zu bauen, wird mich weiterbegleiten. Genauso wie ihre guten Gedanken zu einzelnen strukturellen Aspekten.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Diese Predigt wurde leider nicht gecoacht. Insofern konnte keine abschließende Bearbeitung stattfinden.
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Flucht nach vorne! Als Jesus nach Ägypten zog - Predigt zu Mt 2,12-15 von Fabian Vogt
Die Mitglieder der koptischen Kirche, also die Christinnen und Christen in Ägypten, lieben es zu feiern: Zum Beispiel, dass sie eine der ältesten Kirchen der Welt sind … dass sie vom Evangelisten Markus persönlich gegründet wurden … dass sie bis heute einen eigenen Papst haben … vor allem aber: Dass Jesus bei ihnen leibhaftig zu Besuch war. Was ja nicht viele Länder von sich sagen können. Ja, Jesus war in Ägypten. Seine einzige Fernreise. Und das wird in Ägypten groß gefeiert.
Tatsächlich sind die Feste im Zusammenhang mit den „Reisen der Heiligen Familie“ – die am Nil übrigens mit den Muslimen zusammen gefeiert werden – so prägend für dieses Land und diese Kirche, dass sie 2022 von der UNESCO in die "Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit" aufgenommen wurden: "Die Feste zu den Reisen der Heiligen Familie". Verrückt, oder?
Dabei wissen wir: Die Reise Jesu nach Ägypten war weder ein Wochenendtrip noch eine Pauschalreise zum Schnorcheln in Hurghada. Das war eine Flucht. Maria und Josef fliehen mit ihrem Kind nach Ägypten, weil Jesus in seiner Heimat der Tod droht. Hören wir uns dazu noch mal den Text der biblischen Erzählung an:
Als die Weisen aus dem Morgenland wieder gegangen waren, erschien Josef im Traum ein Engel, der ihm sagte: „Steh auf! Nimm das Kind und seine Mutter und flieh mit ihnen nach Ägypten. Bleib‘ dort, bis ich dir etwas anderes sage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten.“
Da stand Josef mitten in der Nacht auf und floh mit dem Kind und seiner Mutter nach Ägypten. Dort blieb er, bis Herodes gestorben war. Weil sich das erfüllen sollte, was Gott durch seinen Propheten verheißen hatte: „Ich habe meinen Sohn aus Ägypten gerufen.“ (Mt 2, 13-15)
Das Erstaunliche ist: Diese drei Bibelverse enthalten alle Elemente, die nach Artikel 16a des Grundgesetzes nötig sind, damit ein Mensch Asyl erhält: „Asylberechtigt und politisch verfolgt ist eine Person, die im Fall der Rückkehr in ihr Herkunftsland einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung ausgesetzt sein wird, ohne eine Fluchtalternative innerhalb ihres Herkunftslandes zu haben.“
Passt: Josef erfährt mitten in der Nacht, dass seinem Kind aus religiös-politischen Gründen die Ermordung droht, er bricht mit seiner Familie fluchtartig auf – und bleibt im Exil, bis die Gefahr in seinem Herkunftsland vorüber ist. Wobei klar ist: In Israel wäre Jesus vor den Soldaten des Königs Herodes nirgendwo sicher gewesen.
Interessant ist, wie diejenigen, die diese Geschichte später aufgeschrieben haben, sie deuten und in größere theologische Zusammenhänge einordnen. Ich zeige einfach mal drei Deutungsperspektiven, die uns helfen, tiefer in die Bedeutung dieser Ereignisse einzusteigen.
Die Flucht nach Ägypten ist ... eine Sternstunde der Geschichte
Klar. Ägypten ist ja nicht irgendein Land. Ägypten ist das Land des Exodus. Das Land, aus dem die Israeliten aus der Sklaverei geflohen sind. Sie erinnern sich: Mose zieht mit den versklavten Stämmen vom Nil durchs Rote Meer bis zum Sinai und später ins „Gelobte Land“, also nach Kanaan. Für jede Israelitin und jeden Israeliten ist Ägypten deshalb bis heute ein Symbol, ein Sinnbild für den Beginn eines Weges in die Freiheit. Das Beste, was dem Volk Israel je widerfahren ist: die Befreiung, die jedes Jahr im Pessach-Fest gefeiert wird. Das heißt: Jesus zieht genau den gleichen Weg später wieder. Mit ihm beginnt eine neue Freiheit. Deshalb gilt auch:
Die Flucht nach Ägypten ist ... eine Verheißung des Propheten
Wir haben das im Predigttext gehört: „Gott hat durch seinen Propheten verheißen: „Ich habe meinen Sohn aus Ägypten gerufen.“ Das ist ein Vers von Hosea, in dem es heißt: “Als Israel jung war, gewann ich es lieb, und aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“ (Hos 11,1) Mit dem „Sohn Gottes“ ist also gar nicht Jesus gemeint, sondern das Volk Israel, dass für Gott wie ein Kind ist. Jetzt könnte man diese Übertragung auf Jesus eine kulturelle Aneignung nennen, für den Autor ist aber vor allem wichtig: Diese Reise ist kein Zufall, sie wurde vor Jahrhunderten angekündigt und zeigt, dass in Jesus die Geschichte Gottes mit seinem Volk weitergeht. Dann kommt:
Die Flucht nach Ägypten ist ... eine Heiligung des Geflüchteten
Das steht nicht direkt in den Versen unseres Textes, aber es gibt viele apokryphe Texte – Texte, die nicht in die Sammlung der biblischen Schriften aufgenommen wurden –, die davon erzählen. Nach dem „Pseudo-Matthäus-Evangelium“ hat Jesus in Ägypten schon als Kleinkind Wunder vollbracht, Drachen sind vor ihm niedergefallen und eine Dattelpalme hat sich vor Maria verneigt. Nach dem „Arabischen Kindheitsevangelium“ wankte nicht nur die Erde, als Jesus kam, es stürzten auch ägyptische Götterbilder ein. Und vieles mehr. Liest sich sehr unterhaltsam. Gemeint ist aber: Schon auf dieser Reise zeigt sich, dass Jesus Gottes Sohn ist und Heil bringt.
Stellen wir uns doch mal einen Moment vor, Jesus hätte heute gelebt. Auch dann hätte gegolten, was „united4rescue“, das Bündnis für zivile Seenotrettung, sagt: Es „ist ein Gebot christlicher Nächstenliebe, Menschen, die aus ihren Heimatländern vor Krieg und Elend fliehen, zu helfen und Menschenleben zu retten.“ Das ist es.
Und jetzt stellen wir uns vor, an der ägyptischen Grenze oder bei der Bootsfahrt entlang der Mittelmeerküste wäre das passiert, was heute vielen Geflüchteten passiert … und nach dem Willen vieler migrationsfeindlicher Parteien bald Standard sein soll: Jesus wäre an der Grenze abgewiesen worden. Die Soldaten von Herodes wären per Handy über den Flüchtling informiert worden – sie hätten den Säugling erwischt und exekutiert. Ja, das ist ein Gedankenspiel. Aber eines mit Folgen.
Wäre das passiert, dann hätte es womöglich nie ein Christentum gegeben. Diese historische Spekulation klingt vielleicht übertrieben, aber mit jeder und jedem Geflüchteten, die oder der zurück in den sicheren Tod geschickt wird, endet eine Geschichte, ein Leben, eine Zukunft. Und das gilt auch für diejenigen, die beim Versuch, über das Mittelmeer zu kommen, ertrinken. Es klingt immer so anonym, wenn es wieder heißt: „Es sind 120 Menschen ertrunken.“ Aber das ist keine anonyme Masse, das sind von Gott geliebte Individuen, und für sie – wie auch für uns – gilt genau das, was die Erzähler der Jesusgeschichte in dieser Flucht nach Ägypten gesehen haben: Auch wir sind eine Sternstunde der Geschichte, eine Verheißung des Propheten, eine Heilung des Geflüchteten. Was meine ich damit?
Wir können uns darüber echauffieren, dass der Autor die Fluchtgeschichte Jesu theologisch überhöht hat – wir können aber auch sagen: Darin stecken geistliche Kerngedanken, die das Wesen des christlichen Glaubens auf faszinierende Weise auf den Punkt bringen. Schauen wir uns das mal genauer an.
Jede und jeder ist ... eine Sternstunde der Geschichte
Im ersten Petrusbrief steht der schöne Satz: „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk des Eigentums, damit ihr die Tugenden dessen verkündet, der euch aus der Finsternis berufen hat zu seinem wunderbaren Licht.“ (1. Petr 2,9) Nicht nur das Leben Jesu ist eine Sternstunde. Für Gott ist das Leben jeder und jedes einzelnen eine Sternstunde. Darum hören wir von ihm immer wieder: „Ich bin mit dir, weil du in meinen Augen unschätzbar und wertvoll bist.“ (Jes 43,4) Und wenn die Flucht Jesu mit dem Weg der Israeliten in die Freiheit in Verbindung gebracht wird, dann gilt für uns die Zusage: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ (Gal 5,1) Wir alle befinden uns auf dem Weg in die Freiheit und erleben den Exodus in unserem Alltag immer wieder neu. Hoffentlich!
Jede und jeder ist ... eine Verheißung des Propheten
Dem Autor der Fluchtgeschichte Jesu ist es ganz wichtig, darauf hinzuweisen, dass schon die Propheten diesen Weg vorhergesehen haben. Aber wenn die Prophezeiung ursprünglich dem Gottes Volk gilt, dann gilt sie doch für uns genauso. Und nicht nur das: Jesus sagt sehr deutlich: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, auf dass, worum ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.“ (Jo 15,16) Sprich: Für uns alle gibt es eine Verheißung. Gott schreibt Geschichte mit jeder und jedem von uns. Und jede und jeder ist berufen, ein Leben zu führen, dass aus Unfreiheiten Freiheiten und aus Wüsten Gärten macht.
Jede und jeder ist ... eine Heiligung des Geflüchteten
Wir haben gesehen, wie wichtig es den apokryphen Evangelien ist, von den Wundertaten Jesu in Ägypten zu erzählen, also davon, dass die Anwesenheit Jesu heilsame Konsequenzen für die Menschen um ihn herum hat. Selbst als er noch ein kleines Kind ist. Die Botschaft dahinter lautet: Da, wo der Geist Gottes wirkt, passiert Heilung. Heilsames! Und auch das ist ein Gedanke, der durch Jesus später auf alle Menschen ausgeweitet wird. Wir alle sind eingeladen und aufgefordert, dieses heilbringende Tun fortzusetzen. Deshalb sagt Jesus ja: „Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es auch.“ (Mt 10,8)
Wenn es aber stimmt, dass wir in der Fluchtgeschichte Jesu derart grundlegende Ideale des Glaubens finden – und zugleich deutlich wird, dass die erwähnten Verheißungen ausnahmslos jedem Menschen gelten, dann können wir gar nicht anders, als in jedem Geflüchteten einen Menschen zu sehen, auf dem Gottes Verheißung ruht. Oder aber, wie es der Bibeltext nahelegt: in jedem Menschen Jesus zu sehen. Und das heißt: in jedem Menschen Gott zu sehen. Wir sollten Gott nicht ertrinken lassen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
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Man muss der Sache nachgehen - Predigt zu Mt 2,1-12 von Henning Kiene
I. Der Sache muss man nachgehen
„Der Sache muss man nachgehen“, denkt er. Er sieht einen namenlosen Stern, extrem hell und bisher von niemandem beschrieben. Ach, hätten er oder diese Leute, Kolleginnen und Kollegen, diesen Stern doch schon erkundet, er könnte gemütlich im Morgenland bleiben, seinen Cappuccino trinken, in der Küche für alle kochen, in Ruhe würde er die Ergebnisse der Bundesliga studieren und – zum Spaß – das Horoskop in der Zeitung lesen. So hatte er den Januar immer begonnen, lässig in das neue Jahr hineingleiten, er hatte sich mit anderen Leuten getroffen, den Weihnachtsbaum angesehen und die Krippenfiguren Tag für Tag dichter an die Krippe herangeschoben. Überhaupt nicht vergessen, heute müssten die drei Könige am Stall ankommen.
Dass die Weisen aus dem Morgenland aufbrechen, bleibt bis heute bemerkenswert. Es wäre einfacher nicht aufzubrechen. Wie jetzt. Aber: Jetzt ist Wahlkampf, man muss sich in Bewegung setzen, die Demokratie vor Verdruss und Stillstand schützen. Der Sache, den Menschen nachgehen, auf den Marktplätzen, an den Haustüren, rund um die Küchentische braucht es weise Menschen, die der Sache auf den Grund gehen wollen.
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von den Menschen, denen sie begegnet sind, von Herodes, dem Hofstaat des Herrschers, von den Leuten auf dem Marktplatz, von diesem geheimnisvollen Haus in Bethlehem, Maria und Joseph. Sie folgen dem Stern und auf der Erde öffnet sich ihnen ein neuer Kosmos.
II. Sternenhimmel
Es gibt glasklare Winternächte, in denen kein Licht stört und der Himmel sich weit ausspannt, die Sterne rauben einem den Atem, glitzern, blinken unendlich fern und sind zum Greifen nah. Die Finger Gottes lassen sich ahnen, sie rücken am Himmel alles sorgfältig zu fast ewiger Ordnung zurecht. Denn Gott setzt die Lichter „an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis.“ (1. Mose 1,17) „Der Sache muss man nachgehen“, denkt der weise Mensch, lässt den Cappuccino stehen und die Zeitung liegen, geht vor die Tür, folgt dem Stern auf dessen fremder Bahn. Dass da andere auch aufbrechen? Es wundert ihn nicht. Weisheit sucht Gesellschaft. In so einer glasklaren Nacht beginnt das neue Jahr. Da ist ein Plan, die Weisen wollen ihn lesen, alle anderen möchten staunen, sagen und schwärmen: „Oh! Wie schön.“
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von dem Stern, dessen fernes Licht dem Kind in der Krippe gilt? In ihm sahen sie den ganzen Kosmos und erkannten hier die Spur eines Sinnes, den alles im Leben in sich trägt. Dass der Stern aus dem fernen Kosmos auf dieses Haus weist, Maria, Joseph, das Kind in der Krippe meint, werden sie immer wieder erzählen und sagen, dass das Ferne und das Unbekannte sich enthüllt, im Naheliegenden entfaltet. Man erforscht die Ewigkeit und landet bei Jesus und dessen Leben.
„Der Sache muss man nachgehen“, die Weisen aus dem Morgenland sind keine Couchpotatos, im Gegenteil, sie fragen sich über den Marktplatz zum Königspalast durch. Weil sie nicht sitzen bleiben, werden die Weisen berühmt, weil sie das Haupttor finden, an dem die Kamera der Sprechanlage sie anstarrt, der Türöffner summt, treten sie ein. Hände suchen sie ab nach Waffen, ein Hund schnüffelt herum. Hartnäckigkeit ist ein anderes Wort für die Weisheit.
König Herodes empfängt sie und in Herodes' königlichem Glanz wirken sie nun so, als wären auch sie selbst Könige. Weisheit verleiht einem Menschen königliche Würde.
III. Unter verhängtem Himmel
Jeder Schritt hallt hart durch die langen Palastfluren. Stiefel dröhnen, der Sand unter ihren Sandalen knirscht. Hohe Wände werfen das Echo hin und her. Höflinge eilen, Frauen mit wichtigen Minen, Männer tragen Tabletts mit Tee und Feigen. Er holt tief Luft, sieht nach oben, vor ihm der König, hoch auf einem Thron, er fragt leise: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen.“ Seine Kolleginnen und Kollegen nicken zur Unterstützung. Weisheit ist ein anderes Wort für Mut. Die Worte hallen, das Echo hängt in allen Ecken, die Minen des Königs versteinert, die Lippen presst er fahl zusammen. Er flüstert laut: „Geht der Sache bitte gründlich nach und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.“ Und die Wände wispern weiter: „Anbete, anbete, anbete“. Bevor das letzte Wort verklungen ist, führt man sie wieder durch lange Flure, Bürotüren klappen, eiliges Treiben von Schreibtisch zu Schreibtisch. Am Ausgang sagt einer der Männer: „Ihr habt ihn doch richtig verstanden, den König? Er will anbeten.“ Seine Stimme zischelt und dann fällt die Tür hinter ihnen ins Schloss, verriegelt sich selbst mit leisem Summen.
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Von diesem Saal, den Frauen und Männern, von all den Menschen, deren Rücken krumm ist vom Dienen, deren Stimmen heiser geworden sind von all dem Flüstern. Ohne den Himmel vertrocknet die Weisheit, wird zur Zimmerlinde. Eigentlich haben sie Mitleid mit Herodes, aber dann doch nicht.
„Cringe“, sagt einer der weisen Menschen. Das ist der Kontrast: Er, die anderen weisen Frauen und Männer, gehen der Sache nach, wollen dem Ganzen auf den Grund gehen, nur der König macht es sich bequem, rührt in seinem Cappuccino, liest das erste Horoskop des Jahres. Sie forschen und er, der König, lässt forschen. Wie so häufig: Wer sitzen bleibt, sich an der Tageszeitung, seinen Posten, den alten Positionen, am Gestern festhält, verpasst den Stern, der ihm aufgeht. „Er will anbeten“, ahmen die Weisen die Stimme des Höflings nach, sie lachen, wispern wie das Echo: „Anbeten, anbeten, anbeten. Das könnte dem so passen!“ Sie sind Weise und für weise Menschen wird es zum Glücksfall, dem Stern folgen zu können. Der König sitzt in seinem Palast, die Weisen haben keinen Palast, nur den offenen Himmel: „Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her.“
IV. Ankunft
„Der Sache muss man nachgehen“, das beginnt heute, wenn Dreikönigstag ist und die Weisen aus dem Morgenland dem Stern folgen. Vielleicht sollte man häufiger unter dem Nachthimmel einer Sache nachgehen.
Diese Weisen sind Prototypen für den Januar 2025. In dieses Jahr kann man sich nicht gemütlich einschleichen. Das Jahr 2025 hat heftig begonnen. Es wäre bequemer, wenn man den Cappuccino gemütlich zu Ende trinken würde und die Krippenfiguren an der Krippe endlich zum letzten, vollkommenen Bild, zusammenstellt: Hirten, Könige, Schafe um Krippe, Maria und Joseph herum gruppiert, die sind nun endlich vereint und man kann sich freuen, dass die Kerzen leuchten. All diese vertraut schönen Tage ließen sich noch eine Weile festhalten. Stattdessen geht es los mit den Wahlen und alle Sorgen um Frieden und den Zusammenhalt brauchen Menschen, die ihrer Sache nachgehen.
Was die Weisen später wohl erzählen werden? Vom Hall der hohen Flure, dem Flüstern der Höflinge, von dieser Angst, die in diesem Palast wohnt und dem Zischeln der menschlichen Stimmen. Der Sache wollen sie nachgehen, nur der Palast war ein Irrweg. Sie landen im Wahlkampf auf dem Marktplatz, sehen all die Menschen, die für die Freiheit kämpfen, sie ahnen im Trubel auf der Straße ihr Ziel.
Der Stern hält seine Bahn. Sie erreichen das Haus, müssen – damit sie sich die Köpfe nicht stoßen – sich in der Tür bücken. Da sehen sie das Kindlein mit Maria, seiner Mutter. Kein Licht stört den klaren Blick, atemlos staunen sie über den Himmel, der auf der Erde aufreißt. „Dem muss man auf den Grund gehen“, sagt der Weise und weiß den Grund: Der Stern dreht den Himmel auf die Erde um. Das ist der Grund, aus dem man diesem Stern folgt, er weist auf den Himmel hin, der hier in einem Haus geboren ist. Weisheit führt in die Nähe.
„Man muss der Sache nachgehen“, als der heimkommt, legt er die Figuren der Krippe sorgsam in den Karton, der Cappuccino duftet nach dunklem Kaffee, er hat sie vor Augen, die ungezählten weisen Männer und Frauen, die mit ihm unterwegs sind, den König, der selbst Kinderkrankenhäuser beschießen lässt und dieses Haus in Bethlehem, diesen neu geborenen König, schutzlos der Zukunft ausgesetzt. Die Tür stand offen, hinter ihnen blieb sie einen Spalt weit offen und als er sich noch einmal umdrehte, sah er einen Streifen Licht, das den Abend zerschnitt, und konnte das Licht des Sternes von dem Lichtstreifen, der aus der Krippe fiel, nicht mehr unterscheiden.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Weihnachtsgemeinde trifft sich zum letzten Mal und erwartet die „andere“ Weihnachtsgeschichte aus dem Matthäusevangelium. In einer vom Tourismus geprägten Region herrscht jetzt Aufbruchsstimmung. Letzter Ferien-/Urlaubstag und mit dem Gottesdienst auch der Start in den Alltag. Für die einheimische Gemeinde beginnen die Vorbereitungen auf den Alltag im Winter. Es sind Perspektiven gefragt für lange, dunkle Wochen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Gedanke, dass die Weisen eigentlich Abenteurer:innen sind und Weisheit ein Wagnis ist.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
In den letzten Tagen gab es unglaublich schöne Wintersternenhimmel. Dass man so tief in einen der Schöpfungstage hineinsehen kann, macht mir Respekt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Leider hatte sich niemand als Coach:in gefunden. Das ist bedauerlich, weil genau das Coaching den Reiz der Mitarbeit ausmacht.
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Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit - Predigt zu Mt 2,13-18(19-23) von Anne-Kathrin Kruse
Ein Kind auf der Flucht
Wenn ein Kind auf die Welt kommt,
ist nichts, wie es vorher einmal war.
Alles dreht sich um dieses zarte und verletzliche Wesen,
dem die Herzen zufliegen.
Zugleich fordert es völlige Aufmerksamkeit,
Tag und Nacht, besonders von der Mutter.
Wenn es noch nicht richtig trinkt,
wenn es schreit und nicht in den Schlaf findet.
Mit einem Kind kommt eine bis dahin nicht gekannte Sorge
auf die Welt, die das eigene Leben für immer verändert.
Das Kind, das Kostbarste, was du hast, nimmst du überall mit hin.
So wird es Maria gegangen sein.
In diesem Stall – oder wahrscheinlich eher einer Höhle –,
wo das Vieh bei schlechtem Wetter Schutz sucht,
mit dem Futtertrog, in dem ihr Baby sicher ist.
Aber schon am Morgen nach der Geburt,
als sich die Engel längst wieder in den Himmel verzogen haben
und es mit dem Stillen noch nicht klappt
und die notdürftigen Windeln mittlerweile nass und schmutzig sind,
da mischt sich Sorge in die Freude über das Kind.
Was wird mit ihm?
Milch braucht es und ein warmes Lager.
Und Sicherheit.
Hier können wir nicht bleiben!
Aber wo sollen wir hin?
Wer nimmt uns auf?
Der alte König und das Kind
Manchmal wiederholen sich die Geschichten und die Geschichte.
Und leider vor allem die schrecklichen.
Einst war es der selbstherrliche Pharao von Ägypten,
ein Potentat, wie wir sie heute auch kennen:
geschichtsvergessen klammert er sich an seine Macht,
kappt gute Beziehungen und führt sein Land in die Isolation.
Zugleich stachelt er seine Bevölkerung auf:
„Die Hebräer bekommen mehr Kinder als wir Ägypter,
wir müssen was dagegen tun.“
Kommt Ihnen das alles bekannt vor?
So zwingen die Ägypter die Israeliten zu harter Sklavenarbeit
und machen ihnen das Leben zur Qual.
Die haben nur eine Chance: die Flucht.
Im Schutze der Nacht machen sie sich auf den Weg
und fliehen aus Ägypten in die Wüste.
Noch panischer muss König Herodes zurzeit Jesu
um seinen Machterhalt bangen.
Ein alt gewordener Autokrat,
für seine Grausamkeit gefürchtet und verhasst.
Alles hofft auf sein Ende.
Und dann klopft ihm auch noch das Leben auf die Schulter und fragt:
Ach übrigens, wo ist der neugeborene König,
dem die Herzen schon jetzt zufliegen?
Da, ganz tief unten, beim Kleinvieh, ohne Obdach,
verletzlich und schutzlos,
aber eben ein echter Nachkomme Davids,
ein gerechter Friedefürst,
geschützt nicht mit Waffengewalt, sondern von Gott.
Wo ein machtgieriger Herrscher Angst bekommt
vor seinem eigenen Volk,
da beginnt er, unmenschlich zu handeln.
Einst der Pharao, König Herodes zurzeit Jesu.
Alle neugeborenen jüdischen Jungen sollten ermordet werden,
um sicher zu gehen,
dass niemand ihm die Herrschaft streitig machen konnte.
Auch wenn der „Kindermord von Bethlehem“
eine Legende sein sollte:
es ist unsere Welt, es sind unsere Erfahrungen,
die hier erschreckend aktuell erzählt werden.
Nimm das Kind mit
Manchmal wiederholen sich die Geschichten und die Geschichte.
So wie Josef, der von seinen Brüdern nach Ägypten verschleppt wurde,
ein Träumer war,
so träumt Josef, der Adoptivvater Jesu, allein in unserer Geschichte dreimal.
Und er träumt nicht nur, er nimmt seine Träume ernst.
Jedesmal steht er auf, kehrt um, geht einen neuen, ungewohnten Weg,
den Gott ihm gewiesen hat.
Angesichts des Grauens im Nahen Osten droht es,
uns abhanden zu kommen: das Vertrauen in Gott.
Hier in unserer Geschichte ist er nah, sorgt sich,
kümmert sich, fühlt mit, tröstet, lässt aufatmen.
Josef und Maria nehmen ihr Kind und bringen es
auf ihrer überstürzten Flucht nach Ägypten – ausgerechnet.
Dahin, wo die Geschichte Gottes mit seinen Menschen ihren Anfang nahm,
die Geschichte von der Rettung
und dem Überleben des jüdischen Volkes.
Aus diesem Volk kommt das Kind, das sie dabeihaben:
Jesus, ein kleiner jüdischer Junge.
Kinder Gottes werden
Ich glaube, deshalb ist das Wort Gottes
in einem jüdischen Jungen erneut zur Welt gekommen:
Gott hat sich damals ganz bewusst diesen jüdischen Jungen ausgesucht,
um uns zu befreien aus aller Gleichgültigkeit und Hartherzigkeit.
Aus dem „Selber-Schuld“ und „Geht mich doch nichts an“,
dem „bringt ja sowieso nichts“,
aus dem Abschieben aller Verantwortung auf „die da oben“.
Einfache Antworten auf vielschichtige Probleme sind immer falsch.
Ein Kind weckt Hoffnung auf Zukunft.
Öffnet geschlossene Türen.
Belebt die Sehnsucht, so zu werden,
wie Gott mich ursprünglich gemeint hat.
Du bist mein liebes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe.
Damit wir wie Kinder werden,
denen das Weinen in der Welt in der Seele weh tut.
Träume ernstnehmen. Aufstehen,
das Kind und seine Mutter mitnehmen – so wie Josef.
Uns verletzlich machen, uns anrühren lassen von dem Elend
und mittrauern um die Opfer auf beiden Seiten.
Denen widerstehen, die an Gewalt glauben,
an das „Alles gehört uns“,
und jeweils anderen damit das Lebensrecht absprechen.
Runter vom Sofa und eintreten für die,
die bei uns wieder bedroht werden, weil sie Juden sind.
Ob wir nun eine Mutter oder ein Vater sind oder auch nicht.
Einer der bekanntesten Sätze im jüdischen Talmud lautet:
„Wer nur einen einzigen Menschen sterben lässt, der lässt eine ganze Welt sterben.“
Was bedeutet das?
Jeder Mensch ist von Gott geschaffen
und damit so unendlich wertvoll wie die ganze Welt.
Stirbt er, so sterben mit ihm alle Kinder und Kindeskinder,
die durch seinen Tod nicht mehr das Licht der Welt erblicken konnten.
Umgekehrt: „Wer nur einen einzigen Menschen rettet, der rettet die ganze Welt.“
Das bedeutet: All seine Kinder und Kindeskinder sind mit ihm gerettet,
weil sie durch sein Leben ins Leben kamen.
Deshalb sind wir Menschen Gott so unendlich wertvoll, so unersetzlich –
jede und jeder Einzelne von uns.
Anspruchsvoll ist diese Vorstellung.
Das Kind in der Krippe ist klein,
aber herausfordernd und anspruchsvoll, wie Kinder eben sind.
Dem jüdischen Kind Jesus haben wir es zu verdanken,
dass auch wir uns Gottes Kinder nennen dürfen –
erwachsene Kinder, die zu Gott gehören,
und ohne die Gott nicht sein will.
Das ist die große Verheißung zum Christfest.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist der letzte Gottesdienst, den ich im Rahmen einer dreimonatigen Gottesdienstvertretung für eine Kollegin im Studienurlaub in einer Innenstadtgemeinde Berlins halten werde. Die Gemeinde hat einen starken Akademiker-Anteil. Vermutlich wird sich eine kleine ältere Gottesdienstgemeinde an diesem Sonntag zwischen den Feiertagen zusammenfinden ohne familiäre Anbindung bzw. Verpflichtungen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt hat mich die frische Erfahrung, einen lang ersehnten Enkel zu bekommen mit all der Freude, aber auch der Sorge, in welche Welt er hineinwachsen wird. Spannend war für mich erneut das tiefe Eintauchen in die reichen alttestamentlichen Bezüge zu den Josefsgeschichten (vgl. J. Ebach, Josef und Josef. Literarische und hermeneutische Reflexionen zu Verbindungen zwischen Gen 37-50 und Mt 1-2)
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Eine Herausforderung ist eine Predigt vom Kind jenseits der Gefahr, die Botschaft des biblischen Textes zu verharmlosen oder zu infantilisieren bzw. getriggerte Gefühle für Kinder als Predigtzweck zu missbrauchen. Und das alles angesichts der Schreckensbilder vom Vernichtungsschlag der Hamas am 7. Oktober und dem darauffolgenden Gaza-Krieg. Wichtig ist mir: Mt 2 zeigt nicht das Überleben Jesu auf Kosten anderer Kinder, vielmehr wie bedroht sein Leben als Teil des jüdischen Volkes von Anfang an war. Was bedeutet heute Mitgefühl, Fürsorge, „Compassion“ (J.Ebach, in: Lesen und Verstehen, 2022) angesichts unserer Dickfelligkeit gegenüber dem Leiden?
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mit seiner präzisen Wahrnehmung hat mich mein Coach punktgenau auf Unebenheiten in den verschiedenen Zeitbezügen und auch auf mögliche Projektionen aufmerksam gemacht. Er hat mich ermutigt, auf ein allzu flottes Abhandeln der Theodizeefrage zu verzichten, dafür aber eigene Positionen nicht selbst zu relativieren. Herzlichen Dank dafür! Wertvolle Anregungen verdanke ich auch Kathrin Oxen. Auch dafür vielen Dank!
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29.12.2024 - Erster Sonntag nach dem Christfest
Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft - Predigt zu Mt 21,1-11 von Barbara Bockentin
Kurz vor Jerusalem kamen Jesus und seine Jünger nach Betfage am Ölberg. Da schickte Jesus zwei seiner Jünger voraus und sagte zu ihnen: »Geht in das Dorf, das vor euch liegt. Dort findet ihr gleich eine Eselin angebunden, zusammen mit ihrem Jungen. Bindet sie los und bringt sie mir. Und wenn euch jemand fragt: ›Was soll das?‹, dann sagt: ›Der Herr braucht sie.‹ Dann wird er sie euch sofort geben.«
So ging in Erfüllung, was Gott durch den Propheten gesagt hat: »Sagt zu der Tochter Zion:
›Sieh doch: Dein König kommt zu dir! Er ist freundlich und reitet auf einem Esel, einem jungen Esel – geboren von einer Eselin.‹«
Die Jünger gingen los und machten alles genau so, wie Jesus es ihnen aufgetragen hatte.
Sie brachten die Eselin und ihr Junges herbei und legten ihre Mäntel über sie. Jesus setzte sich darauf. Die große Volksmenge breitete ihre Mäntel auf der Straße aus. Andere schnitten Palmzweige von den Bäumen ab und legten sie ebenfalls auf die Straße.
Die Volksmenge, die vor Jesus herging und ihm folgte, rief unablässig: »Hosianna dem Sohn Davids! Gesegnet sei, wer im Namen des Herrn kommt! Hosianna in himmlischer Höhe!«
So zog Jesus in Jerusalem ein. Die ganze Stadt geriet in Aufregung. Die Leute fragten sich: »Wer ist er nur?« Die Volksmenge sagte: »Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.« (als Evangeliumstext lesen)
Vergangenheit – Gegenwart - Zukunft
Alles gleichzeitig
Ganz schwindelig konnte einem werden, dachte sie. Alles trifft in einem einzigen Moment aufeinander: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Mit voller Wucht. Ob andere das auch so spürten wie sie? Unauffällig sah sie sich um. Um sich herum aufgerissene Münder. Gedränge. Hände, die hin und her schwangen. Manche rissen sich ihre Kleider vom Leib und warfen sie über die Menge hinweg. Solch eine Ekstase. Sie konnte gar nicht anders, sie musste einfach mitmachen.
Zurücklassen
Ruhig schaute er sich um. Sie standen am Kai. Viele hielten krampfhaft ihre Habseligkeiten fest. Schließlich waren sie eindringlich vor Halunken gewarnt worden. So behielt er fest im Blick, was ihm gehörte. Viel war es nicht. Neben seinen wenigen Kleidungsstücken hatte er nur ein, zwei andere Dinge eingepackt. Für andere sicherlich wertlos. Doch sein Herz hing daran. Sie sollten ihn daran erinnern, woher er kam. Was auf ihn wartete, davon hatte er nur ungenaue Vorstellungen. Ihn trieb die blanke Not von hier fort. Dort wollte er neu anfangen. Vielleicht schaffte er es sogar und konnte den Eltern Geld schicken. Sie vielleicht sogar nachholen. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, damals Anfang des 20. Jahrhunderts auf einem Kai in Bremerhaven, dem größten Auswanderungshafen Europas.
Erwartungen
Die anderen rissen sie mit. Trieben sie voran. Schließlich stimmte auch sie in den Ruf ein. Skandierte immer wieder dieselben Worte: »Hosianna dem Sohn Davids! Gesegnet sei, wer im Namen des Herrn kommt! Hosianna in himmlischer Höhe!«
Der, dem diese Worte galten, schien sie gar nicht zu hören. Worte, die ihm galten und einen weiten Bogen spannten. Zurück in die Vergangenheit. Glorreich. Selbstbestimmt. So war es einst in diesem Land. Sich weit nach vorn in die Zukunft streckend. So könnte es wieder werden – mit ihm. Hilf doch! Rette uns! Daneben andere Worte, nicht ganz so enthusiastisch: »Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.« Fast nüchtern klingend. Auch sie knüpfen an alte Erfahrungen und Sehnsuchtsbilder an. Wünsche, Erwartungen, dass die Zukunft anders, besser werden würde – sind in diesem einen Moment hörbar, sichtbar, zum Greifen nah.
Zukunft?
Er, der mitten in dem Geschehen war, kennt sich aus. Mit den heiligen Schriften. Mit den Erwartungen, die er durch sein Tun, durch sein Reden, durch sein Leben, weckt. Vor allem aber mit Gottes Willen. Damit, dass Gottes Reich schon jetzt angefangen hat. Das es nicht erst Zukunft ist, sondern Gegenwart. Er weiß darum, dass das auf bestehende Sehnsucht trifft. Bei anderen Widerstand hervorruft. Zumindest ahnt er, dass seine Zukunft eine andere sein wird, als die, die die skandierende Menge erwartet. Er wird alles dafür geben, dass Gottes Wille geschehen wird. So nachher im Tempel, als er voller Zorn die Tische umreißt. So, als er sich festnehmen, foltern und töten lässt.
Ankunft
Als er nach mehrwöchiger Schifffahrt endlich in Ellis Island ankommt, ist er noch lange nicht am Ziel. Hier wartet niemand auf ihn. Im Gegenteil. Viele haben Angst, dass die Neuankömmlinge ihnen streitig machen, was sie sich selbst mühsam erwirtschaftet haben. Er schafft es. Richtet sich ein in das neue Leben. Die Erinnerungen an das alte sind stets präsent. Er verknüpft sie miteinander. Lässt daraus neue Zukunftsträume wachsen.
Advent heute
Wir feiern Advent. Jedes Jahr aufs Neue stimmen wir uns darauf ein, dass Gott für uns als Mensch greifbar wird. Wir erinnern uns an Erzählungen über diesen Gott, der da kommt. Wir erinnern uns an die Erfahrungen, die Menschen bereits mit ihm gemacht haben. An solche vor langer Zeit und an aktuelle. Jedes Jahr wieder räumen wir uns aufs Neue die Möglichkeit ein, dass Gott seine Geschichte in unser Herz schreibt. Wir freuen uns auf das, was da kommen wird. Wir hoffen darauf, dass es uns verändern wird. Wir träumen, dass die Zukunft mit seiner Hilfe licht wird.
Jeder Advent ist ein Aufbruch. Skeptisch begleitet von den einen. Sehnsüchtig erwartet von den anderen. Dabei nehmen wir mit, wovon wir gelesen, gehört und gebetet haben. Sehen die Welt, wie sie jetzt ist. Und hoffen, dass die Veränderung mit und in uns beginnt.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich denke an diejenigen, für die die Adventszeit mehr ist als Glühwein und Weihnachtsmärkte.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich glaube, Karl Rahner hat gesagt, dass Advent nicht nur Ankunft, sondern auch Zukunft ist. Ich habe versucht, dem nachzuspüren, was das bedeuten mag. Denn die Zukunft endet ja nicht an Heilig Abend.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wie sich in diesem Predigttext drei Zeitebenen treffen, auf die jede:r im Leben stößt und vielleicht als unwichtig abtut.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Unterstützung, die ich bei meiner Kollegin durch ihre positive Resonanz fand, hat es mir leicht gemacht, zu verstehen, wo eine Überarbeitung für mein Anliegen hilfreich ist. So konnte ich zu einem Schluss kommen und deutlich machen, worum es mir geht.
Dafür bin ich sehr dankbar.