Ob Gott hört?
Drei Wochen vor seinem Tod erschien das letzte Album
des Dichters und Musikers Leonard Cohen
mit dem Titel „You want it darker“.
Es schien, als hätte er sein Kaddisch, sein Totengebet, selbst geschrieben.
Tiefer, ernster, dunkler ist dieses Album als alle bisherigen.
Cohen versteht die Welt nicht mehr.
Eine Welt, „in der eine Million Kerzen brennen, für Hilfe, die niemals kam“.
Er, der sich immer als Jude bekannt hat, ringt mit Gott.
Ob Gott ihn hört?
Ob er all unser Bitten, unser Flehen hört?
Sind unsere Gebete mehr als spirituelle Beruhigungsmittel,
wenn wir uns nicht mehr anders zu helfen wissen?
Letztlich geht es um die Hoffnung – gegen den Augenschein
und gegen die Angst, weil in der Welt gerade etliche Brandstifter am Werke sind…
Ob Gott hört?
Die Geschichte vom brennenden Dornbusch handelt von dieser Frage.
Sie erzählt von großer persönlicher Nähe,
wo Gott Mose mit einer geradezu übermenschlichen Aufgabe betraut.
Es ist die Ursprungsgeschichte von Sklaven in Zwangsarbeit in Ägypten,
die Gott durch Mose in die Freiheit führt
und zu einem Volk, seinem jüdischen Volk macht.
Und es ist die Geschichte, in der Gott Mose seinen Eigennamen offenbart –
Gott ist eben keine anonyme – namenlose – Macht.
Er ist namhaft, wir können ihn ansprechen, rufen,
nach ihm schreien in der Not.
Geheiligt werde Dein Name!
Mein Name.
Wenn mich jemand mit meinem Namen ruft, bin ich hellwach.
Umgekehrt, wenn mein Name falsch ausgesprochen oder geschrieben,
gar durch irgendwelche Spitznamen ins Lächerliche gezogen wird,
kann ich das überhaupt nicht leiden.
Niemand hat das Recht dazu.
In einem seiner späten Lieder „Born in Chains“ bekennt Leonard Cohen:
Ich wurde in Ketten geboren, aber ich wurde aus Ägypten herausgeführt,
ich war an eine Last gebunden, aber die Last wurde mir abgenommen.
Oh Herr, ich kann dieses Geheimnis nicht länger für mich behalten.
Gesegnet ist der NAME, der NAME sei gepriesen.
Der „Name“ sei gepriesen?
Leonard Cohen gebraucht dieses Wort für GOTT,
um seinen Namen zu schützen.
so wie Jüdinnen und Juden Gott auch mit „Adonaj“, mein Herr,
„Lebendige“, „Ewige“ oder „Heiliger“ im Gebet ansprechen
und dabei gleichsam für einen Augenblick zum Himmel aufschauen.
Vier Buchstaben stehen für den Eigennamen Gottes in der Hebräischen Bibel: JHWH.
Wie JHWH ausgesprochen wird, ist unbekannt,
denn die hebräische Schriftsprache kam ohne Vokale aus.
Leider gibt es in der christlichen Theologie noch immer
unerwünschte Spitznamen für Gott.
Einen Namen kann ich schnell missbrauchen,
lächerlich machen,
Macht über ihn ausüben.
Gott zum Götzen machen.
Wie ernsthaft bete ich das „Geheiligt werde Dein Name“?
Das Geheimnis des Gottesnamens steht für das Wunder einer Begegnung mit Gott.
Gott schenkt uns seine Nähe – oder auch nicht.
Und wenn, dann nur für einen Augenblick, nie auf Dauer.
Gottes unverfügbare Freiheit
So wie die Begegnung mit Mose am brennenden Dornbusch:
Mit seinen Ziegen unterwegs und vom Wege abgewichen,
entdeckt er den brennenden Dornbusch in der Wüste.
Neugierig nähert er sich, um genauer sehen zu können.
Stattdessen bekommt er etwas zu hören,
das sein weiteres Leben gehörig verändern wird.
Die Stimme aus dem Dornbusch hält ihn auf Hörweite: „Komm nicht näher!“
Mose zieht es die Schuhe aus und er verhüllt sein Gesicht.
Schutzlos, barfuß, ohne sicheren Stand im heißen Wüstensand
und ohne den klaren Blick auf die Welt, das Leben, auf Gott.
Jede echte Begegnung braucht Vorsicht, Respekt,
ja Ehrfurcht vor dem ganz Anderen.
Unserer oft selbstverständlichen Rede von der Nähe Gottes
droht dieses Gespür für die Heiligkeit Gottes
und die Geste der Ehrfurcht abhanden zu kommen.
Gott ist nicht zu fassen, unverfügbar und von erhabener Freiheit.
Sonst wäre er kein Gott.
Ob Gott hört?
Ich habe es nicht in der Hand.
Barfuß stehe ich vor dem Dornbusch.
Gottes brennendes Mitleiden im Dornbusch
Und doch: Selbst im Schweigen ist Gott da.
Gott hört.
Die Hoffnung auf ihn gibt sich nicht geschlagen –
selbst gegen die eigene Erfahrung nicht.
Dass er uns hört, selbst wenn er schweigt.
Denn es brennt in der Welt.
Die himmelschreiende Not seines Volkes damals in ägyptischer Zwangsarbeit
lässt Gott nicht kalt.
So wie er mit seinem Volk in der Sklaverei gelitten hat,
so hört er jetzt das Schreien derer,
die in den Krankenhäusern, auf den Schlachtfeldern
und an den Gräbern weinen.
Wo Menschen und andere Geschöpfe gequält werden,
da hält es Gott nicht länger im Himmel.
In all dem Elend wird eine Stimme aus dem Dornbusch hörbar:
Ich in den Dornen leide mit euch.
Aber es kann anders werden, es wird anders werden.
Der Dornbusch brennt, ohne zu verbrennen.
Gott brennt im Mitleiden mit den Elenden,
aber er wird nicht selbst ein Raub der Flammen.
Der Gott Israels lässt sich von der Not nicht auffressen –
sonst hätte er nichts mehr auszurichten an den Brandherden dieser Welt.
Name? „Gott ist treu“
Schließlich enthüllt Gott seinen Namen: „Ich werde für dich da sein“.
Nicht nur früher einmal, jetzt hier und heute.
„Jetzt bin ich da – für dich - und werde es auch in Zukunft sein.“
Gott verspricht Mose seine Treue:
So wie ich schon in der Vergangenheit für deine Vorfahren gebrannt habe,
so will ich auch jetzt und in Zukunft denen Feuer und Flamme sein,
die aus unerträglichen Lebensverhältnissen aufbrechen.
Hineni – hier hast Du mich!
Dem Namen Gottes entspricht
das „Hineni! Hier bin ich – hier hast Du mich!“.
Ohne zu wissen, was kommt.
Hoffen, dass Gott hört.
Für mich ist das Gnade.
Wenn mir das Leben das Hoffen nicht nehmen kann.
Die Narben des Lebens an sich tragen,
aber nicht mehr gefangen sein im eigenen Unvermögen - frei sein.
Feuer fangen für die, die mich brauchen.
In dem Vertrauen, dass Gott schon für mich sorgen wird.
Und so hört sich bei Leonard Cohen
der vielleicht tröstendste Blick auf das Ende an –
demütig, ehrfürchtig, gelassen und bereit,
wenn er auf Hebräisch mit reibeiserner Stimme singt
„Hineni, hineni, I’m ready my Lord!“
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Vor Augen habe ich eine Berliner Innenstadtgemeinde, die von Akademikerinnen bis von Armut bedrohten Menschen geprägt ist und in der ich regelmäßig Vertretungsdienste habe. Ich predige gerne dort, weil ich diese Kirche liebe und dort auch Gemeindemitglied bin.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Zunächst hat mich selten ein Text ob seiner Fülle an theologischen Anknüpfungspunkten, die mit den Jahren nicht weniger geworden sind, so gelähmt. Entschieden habe ich mich gegen eine Homilie und für die Ehrfurcht vor Gottes heiligem Namen, die m.E. uns Christen oft fehlt. Was heißt „Geheiligt werde dein Name?“ für uns? Wertvolle Anregungen verdanke ich M.L. Frettlöh, Namhafte Nähe und gehörige Distanz (Ex 3,1-10(11-14)in: GPM 65/1 (2010/11) 128-134 und T. Latzel, Hineni oder der stotternde Mose, in: ders, Risse, Theologische Impulse 2, Norderstedt 2020
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Daran anschließend beschäftigt mich die Frage, inwieweit wir Christen Jesus Christus, den Gott mit seinem Namen verbindet, selbst zum Gott/Götzen machen, der den Gott Israels und der Welt zu ersetzen droht.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Leider hat sich kein Coach gefunden.