Wir bleiben in Verbindung - Predigt zu Joh 6,47-51 von Christoph Kock
6,47-51

I. Abgebrochen

„Wir bleiben in Verbindung“,
sagen sich Menschen zum Abschied.
Manchmal gelingt das.
Manchmal nicht.

Beim Umzug fällt ihm ein Fotoalbum in die Hand.
Ach ja. So hat man das früher gemacht.
Abzüge in ein Buch eingeklebt und beschriftet.
Neugierig blättert er im Album.
Seine Abiturfeier. 1987.
Die Frisuren. Was damals so modern war.
Und die Riesenbrillen.
Da sag einer,
früher sei immer alles besser gewesen.
Er blättert weiter.
Zwei junge Herren im Anzug, die in die Kamera grinsen.
Er und Markus Borgwardt.
Sie waren dicke Freunde.
Ist das lange her.
Die 10. Klasse hat Markus gerade so geschafft.
Mit einer vier in Mathe.
Ihm fällt der Spickzettel ein,
den er für Markus in der letzten Arbeit geschrieben hat.
Das war ganz schön knapp.
Nach der Schule gingen ihre Wege auseinander.
Markus studierte in der Nähe und wohnte Zuhause.
Während er nach Stuttgart zog.
Nach dem Studium fand er dort Arbeit.
Und sein Glück.
Zu seiner Hochzeit war Markus noch gekommen.
Dann verloren sie sich aus den Augen.
Woran das wohl gelegen hat?

Er schaut auf das Bild und überlegt einen Moment.
Weil Markus irgendwann keine Lust mehr hatte darüber zu sprechen:
Warum er sich hat scheiden lassen.
Warum er seine Kinder nicht mehr sehen kann.
Warum er sein Studium nicht abgeschlossen hat.
Ihre Wege waren zu verschieden,
als dass die Verbindung hätte halten können.
Zum letzten Mal hat er vor vier Monaten von Markus gehört.
Seiner Mutter war die Todesanzeige aufgefallen.
Er hat die Anzeige gegoogelt.
Markus Borgwardt starb 10 Tage nach seinem 50. Geburtstag.
Ihre Freundschaft starb schon viele Jahre früher.

II. Sich Jesus einverleiben

„Wir bleiben in Verbindung“,
sagt Jesus zu seinen Jüngern.
„So wahr ich in eurer Mitte bin.“

Im Johannesevangelium heißt es im 6. Kapitel:
Amen, amen, das sage ich euch:
Wer glaubt, hat das ewige Leben.
Ich bin das Brot des Lebens.
Eure Vorfahren haben in der Wüste das Manna gegessen
und sind dann doch gestorben
Aber dies ist das wahre Brot,
das vom Himmel herabkommt.
Wer davon isst, wird nicht sterben.
Ich bin das Lebensbrot,
das vom Himmel herabgekommen ist.
Wenn jemand von diesem Brot isst,
wird er das ewige Leben haben.
Das Brot, das ich geben werde, ist mein Leib.
Ich gebe ihn hin, um dieser Welt das Leben zu schenken.«
Wer mit mir in Verbindung bleibt, wird leben.

Die Frage ist nur, wie das gehen kann.
Wenn doch die Wege auseinander gehen.
Wenn das Weizenkorn in die Erde sinkt
und die Jünger mit leeren Händen dastehen.
Wenn Jesus erhöht wird
und die Jünger mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben.
Weiter auseinander können Wege nicht gehen.
Wie werden wir hier unten
mit dem dort oben in Verbindung bleiben können?

Das Johannesevangelium sagt:
Indem ihr euch Jesus einverleibt.
Auf seinen Worten kaut,
sie in euch aufnehmt.
Seine Lehre verschlingt
wie ein Buch,
das ihr nicht aus der Hand legen könnt.
Das Lebensbrot kann, muss, will gegessen werden.
Damit es wirkt, stärkt, tröstet.
Vom Anschauen wird keiner satt.
Das Lebensbrot kann, muss, will gegessen werden.
Dann steht die Verbindung.
Sie reicht für ein ganzes Leben und darüber hinaus.
Jesus selbst sorgt dafür:
„Wenn jemand von diesem Brot isst,
wird er das ewige Leben haben.
Das Brot, das ich geben werde, ist mein Leib.“

III. Das Himmelsbrot trennt …

Ein Gottesgeschenk.
Wie das Himmelsbrot.
Die Menschen, die Jesus zuhören, erinnern sich.
Das Volk Israel auf dem Weg in die Freiheit.
Durch die Wüste. Mangel als ständiger Begleiter.
Dann das Manna.
Im kühlen Morgen sammelten sie es ein.
Sie wurden satt, unter Gottes Führung.
Bewahrt in unwirtlichem Gelände.
Nicht erkämpft, nicht erarbeitet.
Geschenkt. Jeden Morgen neu.
Was ist das, fragten sie.
Manhu? Manna ist Himmelsbrot.

Jesus stört diese Erinnerung:
„Eure Vorfahren haben in der Wüste das Manna gegessen
und sind dann doch gestorben
Aber dies ist das wahre Brot,
das vom Himmel herabkommt.
Wer davon isst, wird nicht sterben.“

Eine Trennung deutet sich an:
Die Verbindung zu Jesus bleibt.
Aber die Verbindung zur Synagoge löst sich.
Jesus verkörpert einen besonderen Weg zum Gott Israels.
Längst nicht alle gehen ihn mit.
Das Brot der Ewigkeit verlangt eine Entscheidung.

Das ist bitter,
vor allem für Christinnen und Christen jüdischer Herkunft.
Sie sind in der Synagoge groß geworden.
Jetzt verlieren sie ihre religiöse Heimat –
durch ihre Verbindung zu Jesus.
Die Wege gehen auseinander.
In dieser Situation erinnert das Johannesevangelium an Jesus.
Was die ersten christlichen Gemeinden erleben und erleiden
– das vierte Evangelium erzählt es so,
als ob Jesus es selbst erlebt und erlitten hat.
So eng ist ihre Verbindung.

IV. … und es verbindet

So wird erzählt, wie Wege auseinander gehen.
Und zugleich, wie Menschen zueinander finden.
Das erste Mahl feiert Jesus mit 5000.
So viele Menschen sind zu ihm gekommen,
ihm gefolgt in unwirtliches Gelände.
Sie sind hungrig.
Ihnen knurrt die Seele
und schließlich auch der Magen.
Jesus kümmert sich um beides.
Die Menschen sind seine Gäste.
An unterschiedlichen Orten zuhause.
Aus verschiedenen Richtungen gekommen,
allein, zu weit, zu dritt, als Gruppe.
Jetzt sind sie vereint an seinem Tisch.
Ein Kind hat fünf Brote dabei und zwei Fische.
Jesus nimmt das Brot,
dankt Gott dafür
und gibt es den Menschen.
Und der Hunger ist gestillt
und Gemeinschaft erfahrbar geworden.

„Wir bleiben in Verbindung“, sagt Jesus.
Ein Bissen Brot. Ein Schluck aus dem Kelch.
Verleibt euch seine Worte ein.
Wie beim Essen und Trinken.
Jesu Worte trösten, ermutigen, stärken, bewahren.
Nehmt sie in euch auf,
lasst euch ansprechen, anrühren, anregen.
Das ist ein Grund zum Feiern.
Erstaunlich, was diese Verbindung aushält,
wie sie wirkt, wie weit sie reicht.

Es ist eine überschaubare Gemeinde,
die an diesem Sonntagmorgen Abendmahl feiert.
Eine Frau trägt ein Kopftuch.
Ihre Hände sind von Rheuma gekrümmt.
Es fällt ihr schwer, den Kelch zu halten.
Sie ist in Kasachstan geboren,
als Spätaussiedlerin nach Deutschland kommen.
Vieles hier war fremd.
Vieles ist fremd geblieben.
Eine Frau am Altar.
Auch dass neben ihr ein Vater mit seinem dreijährigen Sohn steht.
Und der Junge Brot und Kelch bekommt wie sie.
Vorsichtig reicht er ihr die Hand.
Er hat gesehen, wie schlecht sie ihre Hände bewegen kann.
„Gehet hin in Frieden“, sagt die Pfarrerin.
Die Frau schaut sich um.
Hier ist sie zuhause.

Ein Bissen Brot, ein Schluck aus dem Kelch.
Was verbindet,
ist stärker als das, was trennt.
Essen und Trinken – und Jesus ist da.
Abendmahl – die Verbindung trägt.
Himmel und Erde berühren sich.
Der Erhöhte in die Mitte derer,
die an seinen Tisch kommen.
Ein Moment der Ewigkeit mitten in der Zeit.
Ein Geschenk, weder planbar noch machbar.
Eine Kraft, die Grenzen überschreitet.

V. Am Grab

„Wir bleiben in Verbindung.“
Uns ist das nicht gelungen, denkt er,
als er das Grab von Markus Borgwardt gefunden hat.
Zur Beerdigung hat er es damals nicht geschafft,
aber jetzt steht er hier.
Schweigend.
Mit vielen Erinnerungen.
Traurig über einen Freund,
den er früh verloren hat.

Und dann, wie er nur darauf gekommen ist,
muss er an Markus‘ Konfirmationsspruch denken.
Wie ging der noch?
Nichts mit Frieden und Schwertern zu Pflugscharen.
Wie es damals gerade in war.
Nein, der war anders.
Etwas mit verlieren.
Er zieht sein Smartphone aus der Tasche.
Es dauert etwas, bis er beim Googlen fündig wird:

„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16)

Unwillkürlich muss er lächeln.
Jetzt fällt es ihm wieder ein:
Markus hat auf seine ostpreußische Oma gehört
und sie damit großzügig gestimmt.
Wer glaubt, geht nicht verloren.
Der Gedanke gefällt ihm.
Weil Jesus das hinkriegt:
In Verbindung zu bleiben.
Es wird Zeit,
dass er vom Friedhof verschwindet.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Christoph Kock

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen? 
Menschen unterschiedlicher Herkunft. Im Alltag haben sie wenig Berührungspunkte, außer dass sie im selben Stadtteil leben. Was verbindet sie am Sonntag in der Kirche, wenn sie sich um die aufgeschlagene Bibel versammeln? Mit Verbindungen haben sie ihre Erfahrungen gemacht. Viele haben sich bewährt, etliche sind abgebrochen. Manchmal im engsten Kreis. Als Pfarrer habe ich viele Abbruchgeschichten kennengelernt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt? 
Das Johannesevangelium macht sich für eine Verbindung stark, die Jesus verkörpert. Spannend ist für mich die Deutung von Jan Heilmann zu Johannes 6: Brot und Wein stünden nicht für den Leib und das Blut Christi, sondern für seine Worte. Es gehe also darum, sich diese Worte einzuverleiben.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Sie steht nicht im Predigttext, sondern erst ein paar Verse weiter: Jesu Überbietung des Manna führt zu einer Trennung von vielen, die ihm nachgefolgt sind. Es bleiben 12, abzüglich desjenigen, der ihn verrät. Eine Gemeindesituation (Ausschluss aus der Synagoge) spiegelt sich darin, wie ein Evangelium von Jesus erzählt.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung? 
Die Geschichte von der abgebrochenen Freundschaft endet zunächst mit einer Todesanzeige. Darauf musste ich am Schluss zurückkommen. Schließlich geht es um ewiges Leben. Ob es den Besuch am Grab gegeben hat, weiß ich nicht. Aber ich finde, er passt.

Perikope
30.03.2025
6,47-51