Liebe Gemeinde,
der heutige Text aus 5. Mose 15, 7–11 ist ein eindringlicher Aufruf zu Mitgefühl, Großzügigkeit und Verantwortung. Er fordert uns heraus!
Er fordert uns heraus, unsere Haltung gegenüber Not und Armut zu reflektieren. Hören wir die Worte aus der Basisbibel:
7 Und wenn es doch einen Armen gibt, in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt? Lebt dein armer Bruder bei dir in irgendeiner Stadt, dann mach dein Herz nicht hart! Verschließ deine Hand nicht vor deinem armen Bruder! 8 Öffne deine Hand für ihn! Leih ihm großzügig, so viel er braucht! 9 Pass auf, dass dein Herz nicht kühl berechnend denkt: »Das siebte Jahr ist nah, dann muss ich ihm seine Schuld erlassen!« Dabei schaust du deinen armen Bruder verächtlich an und gibst ihm nichts. Dann wird er sich deinetwegen beim HERRN beklagen und du wirst Schuld auf dich laden. 10 Gib ihm gern und mach kein saures Gesicht! Denn dafür wird der HERR, dein Gott, dich segnen – bei allem, was du tust und vorhast. 11 Es wird immer Arme im Land geben. Deshalb befehle ich dir: »Mach deine Hand auf für deinen Bruder, der bedrängt und arm in deinem Land lebt!«
Dieser Text spricht mit klaren Worten auch in unsere Zeit. Er ruft uns dazu auf, unser Handeln an Gottes Maßstäben auszurichten. Ich möchte Gottes Botschaft in sieben zentralen Punkten betrachten.
1. „Mach dein Herz nicht hart!“ – Mitgefühl ist angesagt, keine Gleichgültigkeit
„Mach dein Herz nicht hart!“ Diese Aufforderung trifft den Kern des Problems: Die größte Gefahr im Umgang mit Armut ist nicht der Mangel an Ressourcen, sondern der Mangel an Mitgefühl. Warum dieser Arme arm ist, wird nicht erklärt/thematisiert. Das ist zunächst gar nicht wichtig. Die Reaktion darauf ist wichtig: Ein hartes Herz verschließt sich vor der Not anderer. Das ist eine Versuchung, die wir alle kennen. Und leichte Antworten kommen uns zu Hauf entgegen: Abschottung! Wir zuerst! Ich zuerst! Die anderen sind selbst schuld, die anderen sollen, müssten, könnten …. ! Viele von uns denken vielleicht so … aus Bequemlichkeit, aus Angst, aus Überforderung. Denn Armutsprobleme sind oft sehr komplexe Probleme! Meistens nicht einfach zu lösen.
Doch der Text erinnert uns daran, ja er mahnt uns: Der Arme ist dein Bruder, deine Schwester. Der Mensch in Not ist kein Fremder, er ist Teil unsere Weltgemeinschaft!
Unser Lebensstandard hier in Deutschland ist so hoch, und wir leben immer noch auf Kosten der anderen – jener anderen, die Dinge und Waren möglichst billig produzieren, Rohstoffe, die unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werden, Produkte, die unter schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen für uns und zu uns transportiert werden. Weil wir alle es billig wollen! Diese Beziehung zu unseren Weltbrüdern und Weltschwestern verpflichtet uns, hinzusehen und zu handeln. Aus Gleichgültigkeit wird persönliche Verantwortung!
2. „Öffne deine Hand!“ – Großzügigkeit als Lebenshaltung
„Öffne deine Hand für ihn!“ Diese Worte rufen uns zu einem Leben der Großzügigkeit auf. Es geht darum, nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch zu helfen. Großzügigkeit ist mehr als eine Tat – sie ist eine Haltung, die Gottes Liebe widerspiegelt. Großzügigkeit ist ein Spiegel unserer Beziehung zu Gott, denn Gott ist großzügig mit uns. Er gibt uns nicht nur das Nötigste, sondern segnet uns über die Maßen. Diese Großzügigkeit sollen wir weitergeben. Wer seine Hand öffnet, zeigt Vertrauen in Gottes Versorgung.
3. „Pass auf, dass dein Herz nicht kühl berechnend denkt!“ – Egoismus ist doof
Ein besonders herausfordernder Teil des Textes ist die Warnung: „Pass auf, dass dein Herz nicht kühl berechnend denkt: ‚Das siebte Jahr ist nah, dann muss ich ihm seine Schuld erlassen!‘“ Diese Worte entlarven eine Haltung, die auch uns vertraut sein könnte. Es ist die Versuchung, Hilfe an Bedingungen zu knüpfen, sie strategisch oder egoistisch zu betrachten.
Das siebte Jahr, das hier erwähnt wird, war das sogenannte Erlassjahr, in dem alle Schulden erlassen wurden. Für viele Menschen damals mag es verlockend gewesen sein, kurz vor diesem Jahr nichts mehr zu leihen, um keinen Verlust zu erleiden. Doch der Text macht klar: Eine solche Haltung ist nicht nur lieblos, sondern auch sündhaft. Sie widerspricht dem Geist Gottes, der uns zu bedingungsloser Liebe und Großzügigkeit aufruft.
4. „Gib ihm gern und mach kein saures Gesicht!“ – Geben macht Freude
Gott fordert nicht nur, dass wir geben. Er fordert sogar, wie wir geben: „Gib ihm gern und mach kein saures Gesicht!“ Unsere Haltung beim Geben ist entscheidend. Ein widerwilliges Herz macht das Geben zu einer Pflicht. Doch ein freudiges Herz spiegelt Gottes Großzügigkeit wider und schenkt Segen – für den Geber und den Empfänger.
Geben soll aus Freude geschehen, aus einem Herzen, das von Gottes Liebe erfüllt ist. Diese Freude ist ansteckend: Sie berührt nicht nur den, der empfängt, sondern auch den, der gibt. Und sie macht sichtbar, dass Gottes Liebe in der Welt wirkt. Ich hoffe, dass wir alle schon einmal diese Erfahrung gemacht haben, die freudige Resonanz beim Beschenkten wahrzunehmen – und unser Gefühl dabei: Unser Herz hüpft vor Freude. Spürbar!
5. „Es wird immer Arme im Land geben.“ – Realismus und Verantwortung
„Es wird immer Arme im Land geben.“ Das ist ein realistischer Blick auf die Welt. Diese Aussage ist kein Grund zur Resignation, sondern ein Aufruf zur Wachsamkeit. Armut wird immer Teil dieser Welt sein. Doch gerade deshalb sind wir in der Verantwortung, nicht nachzulassen. Es geht nicht darum, die Welt allein zu verändern, sondern dort zu handeln, wo Gott uns hingestellt hat.
Dieser Realismus ist tröstlich und herausfordernd zugleich. Er nimmt uns den Druck, alle Probleme lösen zu müssen, und ermutigt uns, im Kleinen zu handeln – dort, wo wir die Möglichkeit haben, einen Unterschied zu machen. Und diesen Unterschied haben wir bei jedem Einkauf, jeder Bestellung in der Hand.
6. Die Verheißung des Segens
„Denn dafür wird der HERR, dein Gott, dich segnen – bei allem, was du tust und vorhast.“ Gottes Segen ist keine Belohnung, sondern eine Zusage, ein Geschenk Gottes an uns. Wenn wir mit offenen Herzen und Händen leben, erfahren wir Gottes Nähe und seine Güte. Dieser Segen zeigt sich in Frieden, Freude und gelingenden Beziehungen – ein Segen, der weit über materielle Dinge hinausgeht.
Dieser Segen zeichnet sich auch dadurch aus, dass er uns ermutigt: Aufzustehen gegen Parolen und Hetze, Aufzustehen gegen Rassismus und Vorurteile, Aufzustehen für ein menschenwürdiges Leben aller Menschen auf dieser Welt.
7. Was bedeutet das für uns heute?
Wie können wir diese Botschaft in unserem Leben umsetzen? Armut zeigt sich heute in vielen Formen: materieller Mangel, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, ungerechter Verteilung auf dieser Welt, mangelnden Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung. Unsere Aufgabe ist es, aufmerksam zu sein und praktisch zu handeln:
Hinhören und Hinsehen: Wer in unserer Umgebung braucht Unterstützung? Wo können wir helfen? Wie beeinflussen und berühren meine Bedürfnisse die Lebens- und Arbeitsbedingungen der anderen Menschen auf dieser Welt?
Großzügig geben: Ob Zeit, Geld oder Zuwendung – alles, was wir teilen, kann ein Segen sein.
Für Gerechtigkeit eintreten: Armut hat oft strukturelle Ursachen. Armut entsteht oft dadurch, dass Macht missbraucht wird. Wir sind aufgerufen, auch politisch und gesellschaftlich aktiv zu werden.
Ein Leben der Großzügigkeit
Liebe Gemeinde, dieser Text aus 5. Mose 15 zeigt uns, wie Gottes Liebe in der Welt sichtbar wird: durch unsere Herzen, die nicht hart werden, und durch unsere Hände, die sich öffnen. Möge Gott uns die Kraft geben, mit Freude zu geben, mit Mut zu handeln und mit Vertrauen zu leben. Denn wo wir Großzügigkeit leben, wird Gottes Reich sichtbar – hier und jetzt.
Denn wo wir geben, da wird Gottes Liebe sichtbar. Und wo Gottes Liebe sichtbar wird, da geschieht Heilung – für uns, für die Menschen um uns und für die Welt.
Gegen die scheinbare so deprimierende Wirklichkeit dieser Welt – da wirkt Gottes Wort – und wir sollen seine Hände sein.
Amen.
6 Ansagen von Gott - Predigt zu Dtn 15,7-11 von Henry Schwier
15,7-11