„Lange haben wir das Lauschen verlernt!“ (Nelly Sachs) - Predigt über Dtn 6, 4-9 von Anne-Kathrin Kruse
„Lange haben wir das Lauschen verlernt!“ (Nelly Sachs)
Höre, Israel! Adonaj ist unser Gott, einzig und allein Adonaj ist Gott.
So liebe denn Adonaj, Gott für dich, mit Herz und Verstand,
mit jedem Atemzug, mit aller Kraft.
Die Worte, die ich dir heute gebiete, sollen dir am Herzen liegen.
So lehre sie deinen Kindern und sprich davon,
ob du nun zu Hause oder unterwegs bist,
wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst.
Du sollst sie dir zum Zeichen auf deine Hand binden,
und sie sollen dir ein Schmuckstück zwischen deinen Augen sein.
Schreibe sie auf die Türpfosten deines Hauses und auf deine Tore.
Lange haben wir das Lauschen verlernt!
Eine lange Schlange hat sich vor dem Signiertisch von Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen gebildet. Alle wollen eine Widmung in das eben erstandene Buch „Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ haben. "Was soll ich denn schreiben?“ fragt er eine ältere Dame. „Für Ruth oder Melanie, für Ihre beste Freundin?“ „Für meinen Mann, damit er mir endlich zuhört!“ ist ihre Antwort. Was für eine Lebensgeschichte mag sich hinter diesem verzweifelten Wunsch verbergen …ohne das Zuhören gibt es keine Begegnung und keinen Austausch, keine konstruktive Auseinandersetzung,
keine Liebe.
Hören – wirklich Zu-hören ist eine Kunst.
Nicht umsonst hat uns Gott einen Mund, aber zwei Ohren eingepflanzt.
Offenbar ist ihm das Hören wichtiger als das Reden.
Den Mund kann ich schließen,
die Ohren nicht.
Sie werden im Alter nicht kleiner,
im Gegenteil, sie wachsen noch!
Dennoch können wir das Lauschen verlernen,
werden die „Ohren des Herzens“ taub,
die leisen Zwischentöne bleiben ungehört.
Ich höre weg.
Stopfe mir die Ohren zu
und führe Selbstgespräche.
Zuhören, Lauschen,
sich mit Herz und Verstand für den Anderen öffnen -
dazu braucht vor allem eines:
den eigenen inneren Redeschwall stoppen und still werden.
Höre, Israel
„Höre!“ so beginnt der heutige Predigttext.
שּׁמע ישּׂראָל יי׳ אַלּוֹהּ׳נּוּ יי׳ אָחד
Höre, Israel! Adonaj ist unser Gott, einzig und allein Adonaj ist Gott.
Diese Worte sind nicht irgendwelche Worte.
Sie sind das Herzstück des Judentums:
Auch Juden und Jüdinnen,
die sich nicht für besonders religiös halten,
kennen diese Worte, das Sch’ma Jisrael, auswendig,
by heart, im Herzen.
Als tägliches Morgengebet und Abendgebet wird es gesprochen,
konzentriert und mit geschlossenen Augen.
Kinder lernen mit dem Höre, Israel
ihr erstes hebräisches Gebet.
Es ist das letzte Gebet der Sterbenden.
Am Grab ruft man es ihnen nach.
Mit dem Höre Israel! auf den Lippen
sind jüdische Märtyrer für ihren Glauben gestorben.
In den Gaskammern ist es erklungen.
Verkaufen dürfen wir nicht unser Ohr
Das Herzstück des jüdischen Glaubens am Herzenstag der Reformation!
Schon ihr Name sagt es:
die Kirchen der Reformation haben den Anspruch,
sich ständig zu erneuern.
Umzukehren zu ihrem Ursprung.
Eine der anspruchsvollsten und radikalsten Reformen ist immer noch,
dass wir evangelische Christen unsere jüdischen Wurzeln neu entdecken.
So wie es mein theologischer Lehrer zuspitzte:
„Wenn die Kirche mit ihrem Latein am Ende ist,
muss sie endlich Hebräisch lernen.“
(Frank Crüsemann, Vortrag bei der KLAK-Delegiertenversammlung, Berlin-Schwanenwerder 21.1.2012. in: Reformatorische Impulse aus der Hebräischen Bibel - AG jüdisch und christlich .aufgerufen am 03.10.2025)
Denn die judenfeindlichen Züge der reformatorischen Lehre haben ihre Wirkung bis in die heutigen Tage kaum eingebüßt. Der christliche Glaube wurde gegen das vermeintlich selbstgerechte Tun im Judentum ausgespielt,
Das Judentum musste als finstere Folie herhalten, gegenüber der das Christentum umso strahlender erscheinen konnte. Christliche Predigten riefen zu Diskriminierung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden auf. Auf Luthers Forderung in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“, man solle die Juden vertreiben und ihre Synagogen niederbrennen, haben sich Christen in der Nazizeit nur allzu gern berufen. Vielen gilt das Alte Testament bis heute
als Schrift eines gewalttätigen, rachsüchtigen Gottes, obwohl es vom sich erbarmenden Gott erzählt, der stets auf der Seite der Schwachen steht. Selbst der Mythos, die Juden hätten Jesus ans Kreuz gebracht, geistert noch umher. Bilder von heuchlerischen, geldgierigen, einfach unsympathischen Juden schwirren in den Köpfen und haben sich seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 noch vermehrt.
In Wahrheit haben Christen ihre Ohren verkauft.
Nicht dem zugehört,
was Juden zu sagen haben,
was der Jude Jesus zu sagen hat.
Sie haben sich selbst reden gehört.
Statt nur das zu hören, was meine Erwartungen bestätigt –
will ich lernen zuzuhören.
Statt zu belehren, will ich mich öffnen.
Auf die Fremdheit und Schönheit,
vielleicht auch das Irritierende der jüdischen Glaubenswelt einlassen.
Ohne zu bewerten und in Schubladen zu packen.
Und dabei das Risiko eingehen,
dass meine eigenen Glaubensüberzeugungen infrage gestellt werden.
Presst, o presst an der Zerstörung Tag
An die Erde das lauschende Ohr
Was höre ich, wenn ich am Reformationstag zuhöre?
Ich höre Worte, die nicht mir gelten.
Hier schlägt das Herz Israels – auch das Herz Gottes.
Als wenn man einem Liebespaar zuhört,
wie es miteinander spricht, vielmehr flüstert.
Und das unbestimmte Gefühl kommt auf,
dass es ungehörig ist, diesen intimen Augenblick zu stören.
Höre Israel, Adonai ist der Einziggeliebte!
Schlüsselworte zum Glauben- und Leben lernen.
Mit „Adonaj“ wird der unaussprechliche Gottesname umschrieben.
Denn „geheiligt werde sein Name“.
Die ganze Welt umfasst er mit seiner Gegenwart –
Und zugleich ist er immer in Hör-Weite zu Israel.
Durchlässig für sein Wort.
Nichts kann sie trennen.
Nicht im Leben und nicht im Sterben,
nicht im Ein- und nicht im Ausatmen.
Ihr und unser Ein und Alles!
So liebe denn Adonaj, mit Herz und Verstand,
mit jedem Atemzug, mit aller Kraft.
Gott will nicht ohne seine Geschöpfe, die Menschen sein.
Weil er sie liebt .
Bedingungslos und vollkommen.
Weil er dieses kleine und unbedeutende Volk liebt,
wie seinen Augapfel.
Eben weil es so klein ist.
Weil er eine Schwäche für die Schwachen hat.
So hofft er wieder geliebt zu werden.
Wie können Jüdinnen und Juden,
wie können wir Gottes Liebe erwidern?
Liebe entsteht im Staunen.
Wenn ich sehe und höre und darüber staunen kann,
was Gott schon alles für mich getan hat –
da entsteht Liebe.
Eine gute Übung, morgens und abends und zwischendurch,
auch und gerade, wenn es nicht gut läuft.
Liebe ist, sich an Gottes Willen halten.
Liebe ist immer ganz –mit Haut und Haar,
mit Leib und Seele und aller Kraft.
Liebe deinen, deine Nächste.
Habe die Fremden lieb, denn du warst selbst einmal fremd.
Das Gebot, das am häufigsten in der Bibel vorkommt
und auch für uns Christen gilt.
Im Original der Hebräischen Bibel
sind zwei Buchstaben besonders hervorgehoben.
Zusammengelesen, bedeuten sie Zeuge sein.
Das jüdische Volk soll Zeuge für den Einen Gott und seine Liebe sein.
In diesen Tagen werden Jüdinnen und Juden
immer mehr zu Fremden und Ausgestoßenen gemacht.
Sind in Geschäften und Restaurants „unerwünscht“.
Werden auf der Straße beschimpft, beleidigt und angegriffen.
Künstler und Wissenschaftler werden ausgeladen –
einfach, weil sie jüdisch sind.
Es ist an uns, hier für unsere Nächsten als Zeugen Gottes einzustehen.
Dies schließt Kritik an der gegenwärtigen israelischen Regierung nicht aus –
im Gegenteil.
Die Worte, die ich dir heute gebiete, sollen dir am Herzen liegen.
Was am Herzen liegt, geht an die Kinder weiter.
Gottes Wort wird ins Leben eingeschrieben, jetzt und für alle Zukunft.
Heute, auch heute am Reformationstag, sind diese Worte nicht überholt.
Zu-Hören - jeden Tag neu.
Du sollst sie dir zum Zeichen auf deine Hand binden,
und sie sollen dir ein Schmuckstück zwischen deinen Augen sein.
Schreibe sie auf die Türpfosten deines Hauses und auf deine Tore.
Liebe braucht Zeichen.
Was Juden am Herzen liegt, das Höre Israel,
binden sie zum Gebet um das linke Handgelenk
gegenüber dem Herzen - so, dass es den Gottesnamen ergibt.
Und in einem Kästchen auf die Stirn.
Herz und Kopf und Hand sind miteinander verbunden.
Glaube und Liebe und Tat sind unzertrennlich.
Worte Gottes – auf den Leib geschrieben.
An die Türrahmen befestigt, erinnern bei jedem Eintreten
zwei Finger mit einem Kuss vom Mund zum Kästchen
an diese wichtigsten Worte des Lebens,
dass sie Raum finden in diesem Haus und im täglichen Leben.
Werdet ihr hören wie im Tode das Leben beginnt
„Wer zu schnell und zu direkt neutestamentlich sein und empfinden will,
ist m. E. kein Christ“ schreibt Dietrich Bonhoeffer 1943 im Gefängnis in Berlin-Tegel. Kann es heute am Reformationstag sein, dass die Erinnerung an unsere eigene Geschichte als evangelische Christen über die Erinnerung des jüdischen Volkes geht? Das ist schwer erträglich – und zugleich eine große Chance!
Das Großartige,
was das Höre Israel auch uns Christen sagt,
ist das Gebot der Liebe.
Die Liebe hört zu,
öffnet sich dem Gegenüber,
weil aus ihm die Stimme Gottes spricht
und lebendig macht –
auch dich und mich.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Den Kerntext des Judentums ausgerechnet am Reformationstag zu predigen – eine echte Herausforderung. Um Identität(en) geht es - und diese stehen jeweils auf dem Spiel. Es gilt, jenseits von Negierung und Vereinnahmung das Sch’ma Jisrael am Reformationstag als heiligen Text mitzuhören und sich von ihm erinnern zu lassen an unseren christlichen Auftrag, unsere Wurzeln zu entdecken und sich aus ihnen zu erneuern. Und dass alles vor dem Hintergrund der Folgen des Hamas-Terrors, des blindwütigen Tötens im Gazakrieg und der grassierenden Diskriminierung von Jüdinnen und Juden bei uns.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt hat mich ein Vortrag von Bernhard Pörksen, der auf sein Buch „Zuhören: Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ zurückgeht. Titel und Zwischenüberschriften der Predigt stammen aus dem Gedicht von Nelly Sachs. Vgl. Nelly Sachs, Lange haben wir das Lauschen verlernt!, in: Aris Fioretos (Hg.), Nelly Sachs Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden, Bd. 1 Gedichte 1940-1950 Berlin 2010, 17f.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
M.E. unterschätzen wir als Christen und als Kirche unseren Auftrag und unsere Möglichkeiten in der Zivilgesellschaft, gegen Hass und Hetze das Wort zu suchen in gewaltlosen Formen des Widerstandes und im Eintreten für Diffamierte und Verfolgte. Es beginnt damit, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Ihnen das Wort zu geben.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Herzlichen Dank an meine Coach, die sich kurzfristig meiner Predigt angenommen hat, für ihren fremden Blick und wertvolle Hinweise!
Link zur Online-Bibel
(2) Sechs Ansagen von Gott - Predigt zu Dtn 15,7-11 von Henry Schwier
Liebe Gemeinde,
der heutige Text aus 5. Mose 15, 7–11 ist ein eindringlicher Aufruf zu Mitgefühl, Großzügigkeit und Verantwortung. Er fordert uns heraus!
Er fordert uns heraus, unsere Haltung gegenüber Not und Armut zu reflektieren. Hören wir die Worte aus der Basisbibel:
7 Und wenn es doch einen Armen gibt, in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir gibt? Lebt dein armer Bruder bei dir in irgendeiner Stadt, dann mach dein Herz nicht hart! Verschließ deine Hand nicht vor deinem armen Bruder! 8 Öffne deine Hand für ihn! Leih ihm großzügig, so viel er braucht! 9 Pass auf, dass dein Herz nicht kühl berechnend denkt: »Das siebte Jahr ist nah, dann muss ich ihm seine Schuld erlassen!« Dabei schaust du deinen armen Bruder verächtlich an und gibst ihm nichts. Dann wird er sich deinetwegen beim HERRN beklagen und du wirst Schuld auf dich laden. 10 Gib ihm gern und mach kein saures Gesicht! Denn dafür wird der HERR, dein Gott, dich segnen – bei allem, was du tust und vorhast. 11 Es wird immer Arme im Land geben. Deshalb befehle ich dir: »Mach deine Hand auf für deinen Bruder, der bedrängt und arm in deinem Land lebt!«
Dieser Text spricht mit klaren Worten auch in unsere Zeit. Er ruft uns dazu auf, unser Handeln an Gottes Maßstäben auszurichten. Ich möchte Gottes Botschaft in sieben zentralen Punkten betrachten.
1. „Mach dein Herz nicht hart!“ – Mitgefühl ist angesagt, keine Gleichgültigkeit
„Mach dein Herz nicht hart!“ Diese Aufforderung trifft den Kern des Problems: Die größte Gefahr im Umgang mit Armut ist nicht der Mangel an Ressourcen, sondern der Mangel an Mitgefühl. Warum dieser Arme arm ist, wird nicht erklärt/thematisiert. Das ist zunächst gar nicht wichtig. Die Reaktion darauf ist wichtig: Ein hartes Herz verschließt sich vor der Not anderer. Das ist eine Versuchung, die wir alle kennen. Und leichte Antworten kommen uns zu Hauf entgegen: Abschottung! Wir zuerst! Ich zuerst! Die anderen sind selbst schuld, die anderen sollen, müssten, könnten …. ! Viele von uns denken vielleicht so … aus Bequemlichkeit, aus Angst, aus Überforderung. Denn Armutsprobleme sind oft sehr komplexe Probleme! Meistens nicht einfach zu lösen.
Doch der Text erinnert uns daran, ja er mahnt uns: Der Arme ist dein Bruder, deine Schwester. Der Mensch in Not ist kein Fremder, er ist Teil unsere Weltgemeinschaft!
Unser Lebensstandard hier in Deutschland ist so hoch, und wir leben immer noch auf Kosten der anderen – jener anderen, die Dinge und Waren möglichst billig produzieren, Rohstoffe, die unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werden, Produkte, die unter schwierigen Lebens- und Arbeitsbedingungen für uns und zu uns transportiert werden. Weil wir alle es billig wollen! Diese Beziehung zu unseren Weltbrüdern und Weltschwestern verpflichtet uns, hinzusehen und zu handeln. Aus Gleichgültigkeit wird persönliche Verantwortung!
2. „Öffne deine Hand!“ – Großzügigkeit als Lebenshaltung
„Öffne deine Hand für ihn!“ Diese Worte rufen uns zu einem Leben der Großzügigkeit auf. Es geht darum, nicht nur symbolisch, sondern ganz praktisch zu helfen. Großzügigkeit ist mehr als eine Tat – sie ist eine Haltung, die Gottes Liebe widerspiegelt. Großzügigkeit ist ein Spiegel unserer Beziehung zu Gott, denn Gott ist großzügig mit uns. Er gibt uns nicht nur das Nötigste, sondern segnet uns über die Maßen. Diese Großzügigkeit sollen wir weitergeben. Wer seine Hand öffnet, zeigt Vertrauen in Gottes Versorgung.
3. „Pass auf, dass dein Herz nicht kühl berechnend denkt!“ – Egoismus ist doof
Ein besonders herausfordernder Teil des Textes ist die Warnung: „Pass auf, dass dein Herz nicht kühl berechnend denkt: ‚Das siebte Jahr ist nah, dann muss ich ihm seine Schuld erlassen!‘“ Diese Worte entlarven eine Haltung, die auch uns vertraut sein könnte. Es ist die Versuchung, Hilfe an Bedingungen zu knüpfen, sie strategisch oder egoistisch zu betrachten.
Das siebte Jahr, das hier erwähnt wird, war das sogenannte Erlassjahr, in dem alle Schulden erlassen wurden. Für viele Menschen damals mag es verlockend gewesen sein, kurz vor diesem Jahr nichts mehr zu leihen, um keinen Verlust zu erleiden. Doch der Text macht klar: Eine solche Haltung ist nicht nur lieblos, sondern auch sündhaft. Sie widerspricht dem Geist Gottes, der uns zu bedingungsloser Liebe und Großzügigkeit aufruft.
4. „Gib ihm gern und mach kein saures Gesicht!“ – Geben macht Freude
Gott fordert nicht nur, dass wir geben. Er fordert sogar, wie wir geben: „Gib ihm gern und mach kein saures Gesicht!“ Unsere Haltung beim Geben ist entscheidend. Ein widerwilliges Herz macht das Geben zu einer Pflicht. Doch ein freudiges Herz spiegelt Gottes Großzügigkeit wider und schenkt Segen – für den Geber und den Empfänger.
Geben soll aus Freude geschehen, aus einem Herzen, das von Gottes Liebe erfüllt ist. Diese Freude ist ansteckend: Sie berührt nicht nur den, der empfängt, sondern auch den, der gibt. Und sie macht sichtbar, dass Gottes Liebe in der Welt wirkt. Ich hoffe, dass wir alle schon einmal diese Erfahrung gemacht haben, die freudige Resonanz beim Beschenkten wahrzunehmen – und unser Gefühl dabei: Unser Herz hüpft vor Freude. Spürbar!
5. „Es wird immer Arme im Land geben.“ – Realismus und Verantwortung
„Es wird immer Arme im Land geben.“ Das ist ein realistischer Blick auf die Welt. Diese Aussage ist kein Grund zur Resignation, sondern ein Aufruf zur Wachsamkeit. Armut wird immer Teil dieser Welt sein. Doch gerade deshalb sind wir in der Verantwortung, nicht nachzulassen. Es geht nicht darum, die Welt allein zu verändern, sondern dort zu handeln, wo Gott uns hingestellt hat.
Dieser Realismus ist tröstlich und herausfordernd zugleich. Er nimmt uns den Druck, alle Probleme lösen zu müssen, und ermutigt uns, im Kleinen zu handeln – dort, wo wir die Möglichkeit haben, einen Unterschied zu machen. Und diesen Unterschied haben wir bei jedem Einkauf, jeder Bestellung in der Hand.
6. Die Verheißung des Segens
„Denn dafür wird der HERR, dein Gott, dich segnen – bei allem, was du tust und vorhast.“ Gottes Segen ist keine Belohnung, sondern eine Zusage, ein Geschenk Gottes an uns. Wenn wir mit offenen Herzen und Händen leben, erfahren wir Gottes Nähe und seine Güte. Dieser Segen zeigt sich in Frieden, Freude und gelingenden Beziehungen – ein Segen, der weit über materielle Dinge hinausgeht.
Dieser Segen zeichnet sich auch dadurch aus, dass er uns ermutigt: Aufzustehen gegen Parolen und Hetze, Aufzustehen gegen Rassismus und Vorurteile, Aufzustehen für ein menschenwürdiges Leben aller Menschen auf dieser Welt.
7. Was bedeutet das für uns heute?
Wie können wir diese Botschaft in unserem Leben umsetzen? Armut zeigt sich heute in vielen Formen: materieller Mangel, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, ungerechter Verteilung auf dieser Welt, mangelnden Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung. Unsere Aufgabe ist es, aufmerksam zu sein und praktisch zu handeln:
Hinhören und Hinsehen: Wer in unserer Umgebung braucht Unterstützung? Wo können wir helfen? Wie beeinflussen und berühren meine Bedürfnisse die Lebens- und Arbeitsbedingungen der anderen Menschen auf dieser Welt?
Großzügig geben: Ob Zeit, Geld oder Zuwendung – alles, was wir teilen, kann ein Segen sein.
Für Gerechtigkeit eintreten: Armut hat oft strukturelle Ursachen. Armut entsteht oft dadurch, dass Macht missbraucht wird. Wir sind aufgerufen, auch politisch und gesellschaftlich aktiv zu werden.
Ein Leben der Großzügigkeit
Liebe Gemeinde, dieser Text aus 5. Mose 15 zeigt uns, wie Gottes Liebe in der Welt sichtbar wird: durch unsere Herzen, die nicht hart werden, und durch unsere Hände, die sich öffnen. Möge Gott uns die Kraft geben, mit Freude zu geben, mit Mut zu handeln und mit Vertrauen zu leben. Denn wo wir Großzügigkeit leben, wird Gottes Reich sichtbar – hier und jetzt.
Denn wo wir geben, da wird Gottes Liebe sichtbar. Und wo Gottes Liebe sichtbar wird, da geschieht Heilung – für uns, für die Menschen um uns und für die Welt.
Gegen die scheinbare so deprimierende Wirklichkeit dieser Welt – da wirkt Gottes Wort – und wir sollen seine Hände sein.
Amen.
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Reine Provokation (?) - Predigt zu Dtn 8,7-18 von Felix Stütz
Ukrainisches Getreide und leere Mägen
Seit Ende Juli können sie wieder ausfahren. Aus drei Hafenanlagen in Odessa, Tschornomorsk und Juschnyj am Schwarzen Meer. Es sind Schiffe mit Getreide, Mais und anderen Produkten an Bord. Ihre Fracht sind Grundnahrungsmittel und Basisprodukte, die mittlerweile zu Schätzen geworden sind. Ob und wann die großen Tanker losfahren können, war lange unklar und bleibt weiterhin eine unsichere Angelegenheit.
Und ja, ich habe mich sehr gefreut, als ich davon in den Nachrichten gehört habe. Ich bin erleichtert, dass die Ernte des letzten Jahres endlich ausgefahren wird und Platz für die Ernte dieses Jahres geschaffen wird. Aber besonders an einem Tag wie diesem bedrückt es mich, all die Meldungen vom Hunger in dieser Welt zu hören. Es ist so frustrierend, dass noch immer Menschen hungern müssen. Und angesichts der teils katastrophalen Zustände wirken die rund 20 Millionen Tonnen Getreide in den ukrainischen Häfen letztlich doch nur wie ein paar Körnchen in einer Welt voller leerer Mägen. Und dass gerade der Hunger durch all die Jahrhunderte Bestand hat, ist mehr als eine politische Tragödie.
Reine Provokation?
Und dann diese Worte: „Denn der HERR, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land, darin Bäche und Quellen sind und Wasser in der Tiefe, die aus den Bergen und in den Auen fließen, ein Land, darin Weizen, Gerste, Weinstöcke, Feigenbäume und Granatäpfel wachsen, ein Land, darin es Ölbäume und Honig gibt, ein Land, wo du Brot genug zu essen hast, wo dir nichts mangelt, ein Land, in dessen Steinen Eisen ist, wo du Kupfererz aus den Bergen haust. Und wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den HERRN, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat.“
Das wirkt doch wie eine Provokation. Die Umstände für Israel waren ja durchaus alles andere als paradiesisch. Mit schwitzenden Händen haben sie in brühender Hitze ihre Dörfer gebaut. Sie haben Brunnen gegraben, die ihre Feinde wieder zugeschüttet haben. Sie haben in mühevoller Arbeit die Felder bestellt, die nicht selten einfach vertrocknet sind. Von einem Leben im Überfluss kann da keinesfalls die Rede sein.
Ihre Welt war nicht dieses Land.
Die Doppelseitigkeit des biblischen Textes
Und dennoch haben die Menschen an diesem Text und seiner Verheißung festgehalten.
Das hatte seinen guten Grund, wie uns der Text verrät: „So hüte dich nun davor, den Herrn, deinen Gott, zu vergessen.“ (11) Die biblische Geschichte von den vierzig Jahren in der Wüste erzählt von einer Zeit, die für das Volk Israel durchaus beschwerlich war. Nicht nur einmal haben sie überlegt, umzudrehen und nach Ägypten zurückzukehren. Immer wieder mussten die Zelte auf- und abgebaut werden, die Hitze am Mittag war drückend und der Boden war trocken und karg. Es gab wenig zu essen und jeder Tag brachte eigene Herausforderungen mit sich. Aber das ist nur die eine Seite der biblischen Geschichte.
Die andere Seite erzählt Folgendes: Eine große weißgraue Wolkensäule begleitete Israel am Tag und in der Nacht war da eine Feuersaule, die so kräftig loderte, dass man sie von weit her sehen konnte. Als Israel zu Gott schrie, versorgte Gott sie. Es regnete Manna – Brot vom Himmel. Und dazu Wachteln. Sie konnten ihren eigenen Augen kaum glauben, aber jeden Tag war da wieder genügend zu essen. Auch wenn die vierzig Jahre in der Wüste mühevoll und schwierig waren, so war es keine gott-lose Zeit. Vielmehr wird davon berichtet, dass es vierzig Jahre voller Gottes Begleitung und Versorgung waren. Und wegen des gemeinsamen Weges, der eben nicht gott-los war, erfolgt das Gebot an Israel, Gott nicht zu vergessen. Gott ist auch weiterhin dabei und daran soll Israel denken und Gott loben und singen.
Ein Weg mit einem Ziel
Unsere Welt ist nicht dieses Land. Das Land, in dem sprichwörtlich Milch und Honig fließt, ist das Ziel eines Weges. Unsere Welt macht eher den Anschein der Wüstenwanderung. Und dabei fühlt es sich nicht so an, als ob nach vierzig Jahren alles besser wird. Mitten in dieser Wüstenzeit ist kein Ende in Sicht. Da ist nur Einöde, Hitze, Trockenheit und Staub. Und trotzdem Erntedank. Für mich wirkt Erntedank da wie ein Zwischenstopp. Über die Wüstenzeit lässt sich nicht wegwischen. Schwamm drüber, das wird schon wieder. Keineswegs! Vierzig Jahre Wüstenzeit, das ist eine verdammt lange Zeit. Es gibt persönliche Schicksalsschläge, da hilft kein ‚Wird schon wieder‘. Es gibt Kriege, die nicht mit einem einfachen ‚Entschuldigung‘ wieder befriedet werden. Es gibt Dürre und Hitzewellen, die nicht einfach mit einer Gießkanne oder einer Klimaanlage gemildert werden. Es gibt soziale Ungleichheit, die nicht einfach mit ein paar Nachhilfestunden eingeholt wird. Es gibt Unheil. Und da ist der Dank das Letzte, nach dem mir ist. Da erscheint Erntedank als eine Provokation, eingebaut ins Kirchenjahr. Es ist provokant, sich angesichts der so harten Seite des Lebens Gottes Mit-Sein bewusst zu bleiben. Und vielleicht brauchen wir diese Provokation, dieses Aufrütteln. Denn trotz aller Widrigkeiten: Dieser Weg hat ein Ziel.
Der Blick in meine Welt
Unsere Welt ist nicht dieses Land. Und dennoch stehen hier vorne gesammelte Gaben [Nennung der gemeindetypischen Dinge] und wir feiern Erntedank. Wir legen nicht nur einen Teil der diesjährigen Ernte hier vor den Altar, sondern erinnern uns auch des vergangenen Weges. Und da wirkt Erntedank vielleicht auch etwas trotzig, aber es gibt eben nicht nur die eine Seite des Lebens. Vielmehr lässt sich dem Leben auch etwas Gutes abtrotzen. Da hilft so ein Fest wie Erntedank, um den Blick auch auf das Gute zu richten. Ein Fest wie Erntedank, das zum Innehalten einlädt und uns trotz der harten und schwierigen Seite des Lebens zum Gedenken einlädt: Es gibt auch die andere Seite des Lebens.
Nicht nur meine Füße haben mich getragen, nicht nur meine Hände haben etwas erreicht, da waren vielmehr auch die Worte der anderen, die mich ermutigt haben. Da war das gemeinsame Lachen, das mir Leichtigkeit verschafft hat. Da waren Gebete, die mich getragen haben. Da waren Menschen, die für mich gekocht haben und da war der ein oder andere heitere Abend bei einem Getränk. Da sind Samen des Lebens, die andere Menschen mir für meinen Weg mitgegeben haben; beim Innehalten merke ich, dass diese zu Früchten geworden sind. Beim Blick auf den Weg meines Lebens erblicke ich in den dunklen Tälern, den Bergkämmen, die ich erklommen habe, und den trockenen Steppen, die ich durchqueren musste, dass mein Weg auch von Gutem begleitet ist. Es grünt und blüht immer wieder. Und das, was ich von anderen noch klein als Saat empfangen habe, das wächst und gedeiht. Es findet seinen Weg zur Sonne. Mein Weg, so wird mir deutlich, ist einer, aber er hat zwei Seiten. Und in all dem war Gott dabei. Ich erinnere mich und ich danke dir. Danke, Gott.
Noch Nicht (!)
Unsere Welt ist nicht dieses Land. Aber noch sind wir auch nicht am Ziel. Es mag sein, nein, es ist leider so, dass der Lauf der Geschichte alles andere als paradiesisch ist. Es ist leider so, dass es die beschwerliche Seite gibt und diese Welt teils grausam und brutal ist. Es ist leider so, dass Feigen- und Ölbäume mittlerweile eher in großer Zahl brennen als wachsen. Es ist leider so, dass viele noch immer nicht satt werden. Es ist leider so, dass Kriege noch immer zur Realität im 21. Jahrhundert gehören. Gott sei’s geklagt. Es ist aber auch so, dass dieser Weg kein gott-loser Weg ist. Es gibt ein verheißenes Land. Deshalb kann es auch anders sein, als es jetzt ist. Ein lapidares ‚Es ist halt so und war schon immer so‘ wird der Realität Gottes nicht gerecht.
In der Wolkensäule bei Tag und der Feuersäule bei Nacht – da war Gott. Gott war dabei, als sie ihre Dörfer und Städte gebaut haben. Gott war dabei, als die Kinder gemeinsam getobt und gespielt haben. Gott war dabei, als die Alten abends zusammensaßen. Gott war dabei, als Israel die Felder bestellte. Es gibt so zahlreiche Begleit-Erscheinungen Gottes, die Israel in seiner Erinnerung in Psalmen und Lieder gegossen hat. Gott war dabei, als die Feinde über sie herfielen und die Pest durch die Dörfer zog. Gott ist dabei, in guten und in schlechten Zeiten. Und um sich daran zu erinnern, haben sie Loblieder und Bittgebete, Jubel und Klagelieder verfasst.
Gott ist dabei. Deshalb können wir loben, bitten, rufen, klagen, schreien, beten, jubeln und danken. Erntedank provoziert uns dazu.
„Denn der Herr, dein Gott, führt dich in ein gutes Land, ein Land...“
Unsere Welt ist nicht dieses Land. Doch was nicht ist, kann noch werden.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Im Hintergrund der Predigt ist die Vorstellung einer Gemeinde, die Erntedank als ein Fest feiert. Erntedank stellt hier ein gemeinschaftliches Erlebnis dar, in dem man nochmal gemeinsam des vergangenen Sommers gedenkt und womöglich nach dem Gottesdienst zusammenkommt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Beflügelt wäre das falsche Wort, aber es entstand eine produktive Spannung zu wissen, dass Erntedank auch letztes Jahr und vorletztes Jahr und all die Jahre zuvor gefeiert wurde. Der Blick in die Zeitung einerseits und in den biblischen Text andererseits war dann eine spannende Herausforderung, den Text wieder neu zu verstehen und im Wechselspiel der beiden Realitäten hoffnungsvolle Klänge zu hören.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich brauche die Provokation des biblischen Textes immer wieder neu, um einer Monotonie zu entgehen und neue Möglichkeitshorizonte zu entdecken.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Diese Predigt verdankt dem Gespräch mit der Predigtmentorin sehr viel. Durch das hilfreiche Feedback wurde die Predigt klarer und stringenter. Und vorallem verhalf mir die Rückmeldung zu Mut, mehr erzählende Textpassagen aufzunehmen.
Link zur Online-Bibel
13.08.23 - 10. So. n. Trinitatis
Wort und Pinienkern – Vom Geschmack Gottes - Predigt zu 5. Mose 30, 11-14 von Nico Szameitat
Da stehe ich als Kind an der Grenze zu einem wahren Wunderland. In Leuchtbuchstaben steht es groß über der Straße: „Kramermarkt“. Das erste Mal auf diesem Riesenfest in Oldenburg. Die Kirmesorgel gleich vornean begrüßt uns mit lautem Tschingderassabumm. Blinkende Glühbirnen in allen Farben an den Fahrgeschäften, der Duft von Bratwurst und gebrannten Mandeln. Und dann stehe ich kleiner Knirps auf einmal vor dem Riesenrad: So hoch, so groß! Boah! Und der Unterkiefer klappt runter.
„Mund zu. Herz wird kalt.“, sagt mein Vater. Das ist so einer seiner Sprüche. Und der erschloss sich mir als Kind sofort: Wenn durch den offenen Mund die kalte Luft durch den Hals in die Brust kommt, dann wird das Herz ja auch kalt. Und wer will schon ein kaltes Herz haben? Also schnell den Mund zu und weiterstaunen.
Da stehen sie an der Grenze zu einem wahren Wunderland. In den Wolken steht es über ihnen geschrieben: „Das gelobte Land“. Was für ein Moment! Die Herzen klopfen bis zum Hals. Vierzig Jahre lang waren die Israeliten in der Wüste unterwegs und sind nun fast da. Wie wird das neue Land sein? Wie wird es schmecken? Hoffentlich nicht nach Manna und Wachteln, das haben sie über.
Vor dem Volk steht Mose, schon sehr alt, der sie den ganzen Weg geführt hat. Und Mose weiß, dass er nicht mehr hineinkommt in das Land. Für ihn heißt es langsam Abschied nehmen. Und so hält er eine große Rede. Er schaut zurück auf den ganzen Weg, und er gibt dem Volk noch einmal die zehn Gebote mit. Und auch sonstige Gebote, Regeln, Vorschriften, Verordnungen. Er redet und redet und redet und das Volk vor ihm ertrinkt in Worten.
Wie um Gottes Willen soll man all diese Regeln im Kopf behalten? Und wer um Gottes Willen kann all diese Regeln und Gebote überhaupt erfüllen? So stehen sie da, an der Schwelle, fassungslos und mit offenem Mund.
Denn für die meisten ist das alles viel zu hoch. Und viel zu weit weg von ihrem Leben. Zu hoch und zu weit. Und die Zweifel kommen und nisten sich im Herzen ein. Und das Herz wird kalt.
Ich stelle mir vor, wie Mose auf einmal die offenen Münder sieht und erschrickt. Das wollte er doch nicht, sein Volk überfordern. Und darum tröstet er es nun:
„Dieses Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren, und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.“ (Deuteronomium 30,11-14)
Ich mag diesen Text. Mich berühren diese Bilder, vor allem der Himmel und das Meer. Die Sehnsucht nach unendlicher Weite. Hoch über mir der strahlendblaue Himmel, fern hinterm Meer noch unbekannte Urlaubsziele. Herrlich! Und dann fühl ich mich ertappt. Genau sollen Gottes Worte ja nicht sein. Hoch und fern.
Aber genauso erlebe ich sie immer wieder. Auch ich als Theologe. Manchmal scheinen mir Gott und sein Wort unendlich weit weg.
Viel zu hoch ist mir das, was ich manchmal bei Paulus lese, mit seinem Kopf da oben in den Wolken: Der macht es oft aber auch kompliziert!
Und viel zu weit weg, noch hinter dem Horizont, ist es, was ich an unzähligen Regeln und Vorschriften aus der Tora lese: So uralt und weit weg von meinem Leben heute.
So hoch und so fern, da habe ich selber schon keine Lust mehr mich auf den Weg zu machen. Da schicke ich doch lieber jemanden los, der mir den Paulus aus den Wolken und den Levitikus von jenseits des Meeres holt, und mir das erst einmal übersetzt und ins Heute überträgt. Gibt ja genug kluge Menschen, die genug kluge Bücher geschrieben haben. Das kann ich mir dann ja anhören, mit dann ein Urteil bilden und überlegen, was ich damit mache.
Aber da steht der alte Mose vor mir und schüttelt den Kopf.
Nein, sagt er leise. Du brauchst niemand losschicken. Du brauchst keinen Ballonfahrer und keinen Hochseekapitän, du brauchst keinen Wortholer und keine Übersetzerin, keine Theologin, keinen Uni-Professor, keinen Papst und keine Pastorin.
Denn es ist das Wort ganz nah bei dir. Wie nah? Ganz nah. Wie nah? Wie der Geschmack in deinem Mund. Also: Mund zu. Und schmecken.
Zutaten:
100 g Korinthen
4 Stangen Staudensellerie
30 g Pinienkerne
40 g Kapern, plus 2 EL Lake aus dem Glas
40 g entsteinte große grüne Oliven
Und dann hör ich schon auf zu lesen. Lauter Zutaten, die ich nicht mag. - Wer hatte mir nochmal dieses komische Kochbuch von Ottolenghi empfohlen? - Ok, die Pinienkerne gehen ja noch. Aber der Rest? Grässlich! Viel zu viel, viel zu intensiv. Salzig, sauer, süß, herb. Wer soll das alles schmecken können? Die totale Überforderung im Kopf. Und doch fasziniert es mich, dieses Rezept einer Pinienkernsalsa zu gebratenem Lachs. Und ich kaufe mir diese ganzen komischen Zutaten und ich probiere es aus.
Und siehe: Was mein Kopf nicht zusammenbekommt, das schafft mein Mund. Der ganze Mund ist voll Geschmack, herrlich, unbeschreiblich, nicht in Worte zu fassen. Und mein Herz wird warm und ich lächle.
Ein jüdischer Theologe sagte einmal, dass Juden und Jüdinnen nicht zuerst nach dem Sinn der Gebote fragen, sondern nach dem ta’am, dem Geschmack, dem Aroma. (Deeg/Schüle: Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte, Leipzig 2018, S. 419 mit Verweis auf Abraham Joshua Heschel)
Die Worte in der Bibel sind für uns Menschen oft viel zu viel, viel zu intensiv, die totale Überforderung im Kopf. Aber Gottes Wort muss man nicht so sehr denken, als vielmehr schmecken, es sich auf der Zunge zergehen lassen. In Psalm 1 heißt es: Wohl dem, der über Gottes Wort nachsinnt Tag und Nacht, wörtlich: der über seine Weisung murmelt tags und nachts. Der Gottes Wort immer wieder in seinem Mund bewegt, der es wiederkäut und schmeckt, wie Schwarzbrot, das nach langem Kauen süß wird.
Und aus dem Geschmack wächst die Tat: „Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.“ Herz und Mund und Tat und Leben.
Liebe F.,
Fast zwei Jahre bist du mit vielen anderen durch die Konfirmandenzeit gewandert und stehst heute an einer Schwelle. „Erwachsenenleben“ steht in Leuchtbuchstaben über deinen zukünftigen Weg. Und die Orgel spielt heute dazu ein Tschingderassabumm.
Wir haben Euch in der Konfirmandenzeit gezeigt, wofür unser Herz schlägt. Und ihr habt einen kleinen Einblick in das Leben als Christen bekommen. Die Konfirmandenzeit war dabei nur eine Art Vorspeisenvariation, ein Appetitmacher. Das Leben als Christenmensch hält noch viel mehr bereit.
Für den heutigen Tag deiner Konfirmation hast Du Dir einen Satz, nur einen einzigen Satz aus diesem dicken Buch ausgesucht. Und das reicht als Anfang. Durchkaue diesen Satz, schmeck ihm nach. Und irgendwann wird er süß. Und er wird dein Herz wärmen. Und du willst ihn nicht mehr missen.
Das Leben, was vor dir liegt, ist nicht immer Kramermarkt. Aber es ist auch nicht immer Wüste.
Mit dem Segen, den ich dir heute zuspreche, verspricht dir Gott:
Ich bin bei dir, komme, was kommt.
Ich bin nicht droben im Himmel und nicht hinter dem Meer,
Ich bin ganz nah bei dir.
Wie nah?
So nah wie mein Wort.
So nah wie der Geschmack in deinem Mund.
Dass du lebst und schmeckst:
Alles, Wort und Pinienkern.
Dass du schmeckst und so lebst:
Gottes Kind in dieser Welt.
Aus vollem Herzen.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Langsam kommt die vertraute Gemeinde wieder zurück in die Kirche und seit drei Wochen dürfen wir auch wieder singen. Die Gemeinde ist gar nicht so bildungsbürgerlich wie es scheint. Viele ha-ben Interesse an den biblischen Texten, aber vielen ist manches auch zu hoch und zu weit weg. In dem Gottesdienst wird F. konfirmiert. Sie hat sich als einzige für diesen Termin entschieden und freut sich auf diesen Tag.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Text ist so schön (als Norddeutscher liebe ich Himmel und Meer), dass ich am liebsten ihn einfach so stehen gelassen hätte. Und dann kam das kulinarische: Wenn Gottes Wort in meinem Mund ist, wie schmeckt es dann?
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Meine Einsicht ist wieder: Weniger ist mehr. Zwei Teile (u.a. zur Corona-Demonstration) sind während der Überarbeitung noch herausgeflogen. Und das Zitat meines Vaters ist durch die Erzählung zu Anfang noch konkreter geworden.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich bin der Predigtcoach dankbar für den Hinweis auf den zunächst indifferenten An-fang und dass ich am Ende konkreter werden könnte. Die Anrede an die Konfirmandin ist ein Versuch dessen.
Link zur Online-Bibel
Erwählung, verändert. - Predigt zu 5. Mose 7, 6-12 von Peter Meyer
Predigttext Dtn 7,6-12 zuvor als Lesung
„Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ Habt ihr das gehört? Ich habe die Ohren gespitzt, um das mitzubekommen. Wie über einen Zaun hinweg. So halb betroffen und doch ganz darauf aus, zu hören, was Mose sagt. Zu seinem Volk, zum Volk, das Gott erwählt hat. Zu Israel.
Wie im Sportunterricht. Wie ich damals lauschte. Ich hier, auf der glatten Bank aus hellem Holz, nur so halb betroffen. Da drüben die beiden Mannschaftsführer, die vor dem Spiel ihre Auswahl treffen:
Tobias wird erwählt. Spielt im Verein und ist mit allen Wassern gewaschen.
Susanne wird erwählt. Eine Ballkünstlerin und das Hirn jeder Mannschaft.
Linda wird erwählt. Die Sprinterin.
Eine nach dem anderen. Ich nicht. Ich lausche, schaue nur zu. Ich werde ja nicht erwählt. Sondern am Schluss ‚genommen‘: „Ei ja, kommst du halt noch zu uns.“ Weil am Schluss alle irgendwo unterkommen müssen. Auch die, bei denen es, Hand aufs Herz, nicht darauf ankommt, in welcher Mannschaft sie landen. Weil sich an ihnen nichts entscheidet. Denen diese Erwählung vielleicht sogar predigt: Du bist uns eine Last!
An solche Erfahrungen gewöhnt das Leben: Du lauschst oder siehst, wie über den Zaun hinweg. Dahin, wo die Wahl auf andere fällt, mit Pomp und Gloria. Wo sich Auserwählte in ihrem Glück sonnen.
Jeder hier, jedem wird es schon einmal so gegangen sein, mehr oder weniger dramatisch. Dass es gar nicht anders geht, als die Ohren zu spitzen.
Wenn Kollegin Maria vom jährlichen Familientreffen schwärmt. Wie sie es gar nicht erwarten können, sich von allen Enden der Republik zu den Eltern aufzumachen. Sich im uralten, hübsch renovierten Vier-Seiten-Hof wiederzusehen, großes Hallo. Maria sprudeln die Details direkt aus dem Herzen. Am Ende weißt du nicht mehr, was mehr Wärme spendet: Der Kamin, den die Enkel mit ihrem Opa zusammen anheizen, Ruß an den Händen und große Augen. Oder die Harmonie, die wie eine Wolldecke über allem liegt.
Du hörst, wie über den Zaun. Freust dich mit. Und zuckst doch tief drinnen zusammen. Weil dir ausgerechnet jetzt euer Familienstreit von neulich in den Sinn kommt. Wie ein schneidender Luftzug.
Vor allen anderen erwählt!
Es gibt gut trainierte Gedanken. Sie helfen, die gemischten Gefühle beim Blick über den Zaun in Zaum zu halten: Das Gras auf der anderen Seite ist immer grüner. Wenn man das ganze Bild kennt, relativiert sich fast alles. Bin ich auch nicht erwählt: Am Ende komme ich schon unter.
Aber wer steht schon völlig drüber. Dass ihm mühelos zu gelingen scheint, wofür du wieder und wieder kämpfst. Erfolglos, wie gegen Windmühlen. Dass sie sonnengebräunt durchs Leben tänzelt. Aber du hockst da wie im Wartezimmer.
Wir hocken hier. Und Mose sagt dem Volk Israel, irgendwo östlich des Jordans:
„Du bist ein heiliges Volk dem HERRN, deinem Gott. Dich hat der HERR, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind.“ Keine Belohnung für besondere Größe, nein: „Weil er euch geliebt hat.“ Gott, der „den Bund und die Barmherzigkeit bis ins tausendste Glied hält denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, und vergilt ins Angesicht denen, die ihn hassen, und bringt sie um und säumt nicht, zu vergelten ins Angesicht denen, die ihn hassen.“
Es geht gar nicht anders, als die Ohren zu spitzen: „Vom Herrn, deinem Gott erwählt.“ Bis ins tausendste Glied.
Für Gott sind wir ja hier. Gott, von dem ich erwarte: Der ist immer drauf und dran, Grenzen zu sprengen.
Nun, in dieser Sache ist es anders. In dieser Sache bin ich nur halb betroffen und ihr vermutlich auch. Lauschen wir wie über einen Zaun hinweg. Mose redet zum Volk Israel. Redet von Gottes Beziehung zu seinem Volk. Wie von der Liebe, die du zweien ansiehst. In der flüchtigen Berührung ihrer Hände. Im vertraut vielsagenden Blick, den sie wechseln. Du siehst es genau und weißt davon doch nur: Das ist ganz zwischen denen.
So redet Mose.
Schnell flammt Neid auf. Schleicht sich Eifersucht ein. Anspruchsdenken. Flüstert: Warum die? Warum dieses Volk, östlich des Jordans?
Ich bin doch auch da! Es ist doch auch mein Recht, innig vertraut mit Gott zu sein. Jesus hat uns doch berufen. Hier, in diese glänzenden Mauern hinein. Also müsste doch…!
Hüte dich davor. Vor den Flüstererklärungen. Vor dem Neid. Sie nähren Hass. Im schlimmsten Fall so tief, wie bei unseren Glaubensvätern. So entsetzlich, wie sie ihn in die Mauer dieser Kirche hineingegraben haben. Draußen, knapp unter dem Dachgesims, in Form des Wittenberger „Judensau“-Reliefs. Als Bild des Hasses gegen das Volk Israel, gegen Jüdinnen und Juden.
Heute ein Sinnbild für alle, die es nicht aushielten, zuzuhören, wie über den Zaun hinweg. Die ihr vermeintlich eigenes Volk, „ihre Nation“ hochjubeln. Bis zum Mord.
Ein Sinnbild am Ende auch für mich, wenn ich über den Zaun hinweghöre. Und dabei nur höre, was doch mir zustehen soll, mir!
Wenn ich so lausche, habe ich ja keine Ahnung.
Keine Ahnung davon, wie das ist, mit der Liebe Gottes. Und: Mit den Narben, die sie auf den Rücken haben, zu denen Mose spricht. Narben von den Peitschen ägyptischer Aufseher, abenteuerlich entkommen. Sie nennt Mose: ein heiliges Volk.
Ich habe ja keine Ahnung davon, wie das ist, mit Gottes Bund. Den er mit denen schloss, deren Haut sonnengegerbt ist. Wie Leder über Knochen, von den Jahren, die sie durch die Wüste zogen, mit nichts als nacktem Leben. Denen ruft Mose das zu: „erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern.“ Denen gegenüber nennt Mose Gott so: treu. Fordert, Gesetz und Gebot zu halten. Denen gegenüber, die ihre Toten in der Wüste ließen.
Und sie hören, mit ganzem Herzen.
Besser also, ich hüte mich, vor kleiner Missgunst. Vor grässlichem Neid.
Besser, ich vergesse meine Illusionen. Wie ich mir das ausmale, diese Erwählung.
Wer weiß, vielleicht höre ich dann zum ersten Mal wirklich davon. Ein Echo. Ein Funke davon, wovon das handelt: erwählt sein.
Ich war in diesem Moment davon überzeugt, es schlecht getroffen zu haben. Mich leichtsinnig auf ein Auslandsstipendium beworben zu haben. Jetzt hatte ich den Salat: Ich stand verloren da. Im auf 17 Grad heruntergekühlten Gemeinschaftsraum der Universität, in Atlanta, im Süden der USA. Sie sind ja alle auf 17 Grad heruntergekühlt, solche öffentlichen Räume in den USA. Jemand drückte mir eine Cola in die Hand. In einem Styroporbecher. „Typisch!“, rumorte mein Missmut. Ich vermisste jetzt schon alles zu Hause. Zehnmal besser wäre es gewesen, da zu bleiben. Wo das Leben seinen vertrauten Gang geht, unter Freunden.
Mit meinem Englisch ließen sich zwar Bücher lesen, aber beim Small-Talk bestand es aus Lücken, Ecken und Kanten.
Deshalb brach mir, 17 Grad hin oder her, der Schweiß aus. Mit schwingendem Bass sprach mich einer von der Seite an. Ein Professor. Schlimmer noch, wie sich herausstellte, der Professor für Predigt, Tom Long. Nervös haspelte ich herunter: Ich komme aus Good old Germany. Bin der diesjährige Austauschstudent aus Deutschland.
Darauf er, sonorer Ton, strahlender Blick: „So they have chosen you! Good for you! Your faculty must love you!“
Sie haben dich also ausgewählt. Gut gemacht! Die Profs müssen dich lieben!“
Ich spüre jetzt noch, wonach sich das anfühlt: Alles ändert sich. Obwohl sich rein gar nichts verändert. Ein bestenfalls tausendfach verdünntes Echo von so einer, von der Erwählung, von der Mose spricht. Aber: Sie rüttelt auf. Geht ans Eingemachte.
Wo du bist: Das ist eine Gabe. Die fremden Gesichter um dich herum, besonders die. Die halten was parat für dich.
Deine Möglichkeiten sind eine Tat der Liebe an dir.
Sich nur mühsam ausdrücken zu können: Auch dafür bin ich jetzt da, im unterkühlten Gemeinschaftsraum, auf der anderen Seite der Welt.
Neid auf Erwählte verstellt den Blick. Rechnet vor, was alles auch noch sein könnte, sein müsste. Neid vermutet nur rosarote Gefühle jenseits des Zauns. Erhebt laut schreiend Ansprüche auf wärmliches Licht und ewiges Wachstum. Für mich, für mich!
Ein Echo göttlicher Erwählung, sei’s auch tausendfach gedämpft, befreit davon.
Du lauschst. Du siehst, was du hast. Empfingst. Spürst rohe Gefühle, die den Geschmack des Lebens auf die Zunge geben. Und wie von dir aus Licht in die Welt scheint.
Ein Echo genügt.
Deshalb beginnen wir, wann immer wir hier zusammen feiern, mit einem Echo:
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Ein Echo vom Gott, der Israel erwählte, lange vor uns und ewig treu.
Das Echo davon für uns:
[zum Taufstein gehen, dreimal Wasser durch die Hand rinnen lassen.]
Von dreimal Wasser, in der Taufe: im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Ein Echo der Liebe, mit der sich der Vater im Himmel zu seinem Sohn beugte. Unter uns beugt.
Ein Echo, das rein gar nichts verändert.
Und doch: Alles ändert sich.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich gast-predige in der Stadtkirche in Wittenberg, erwarte eine Feriengemeinde an his-torisch bedeutsamem Ort. Corona-bedingt wird eine Kurzversion der Predigt erklingen. Der Sonntag steht im Zeichen der Taufe. Der Predigttext redet von der Erwählung Isra-els. Jüngst ist der Streit um den Verbleib des Schmähreliefs einer „Judensau“ an der Mauer der Kirche neu entbrannt. In all dem: Spannung zum Zerreißen. Sie wird drum unausweichlich zentral für die Predigt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Weg zum Predigtschreiben war für mich frei, als Eindrücke von der ‚Erwählung anderer‘ (eine menschliche Grunderfahrung) mit der hermeneutischen Überzeugung von der vorgängigen, bleibenden Erwähnung Israels zu verschmelzen begannen. Da-von ausgehend sammelte ich zunächst: Wie ist das, anderen zuzusehen, auf die die Wahl fällt? Welche Varianten gibt es, damit umzugehen? Steckt in Haltungen dazu auch Evangelium? So entstanden Kerntexte der Predigt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich denke, der Blick auf die Taufe wird mich begleiten. Obwohl die Predigt das nur zum Schluss, in Form der Umkehr aus einer denkerischen (und historischen) Sackgasse thematisiert. Taufgnade korrespondiert mit der Aufgabe von eigenen Ansprüchen. Das gilt auch für kirchliches Handeln und die schon sprachlich ambivalente Erwartung, dieses Sakrament ‚verwalten‘ zu können.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das umsichtige Predigtcoaching erschloss mir eine zweite ‚Hörart‘ meiner Predigt. Auf diese Weise versetzte es mich in die Lage, Abstand von Lieblingsgedanken zu gewin-nen, meinen Text als Text wahrzunehmen. Die Folgen: Kürzungen. Lieber eine Idee konsequent ausgemalt als zwei flimmernde Anspielungen. Spracharbeit gegen das mögliche Missverständnis, Gott erwähle Israel um seines Leidens willen.