Besteht der Schlangenkult noch? - Predigt zu Joh 3,14-21 von Timotheus Arndt
3,14-21

Vorbemerkung
Ich treffe eine sprachliche und eine gesellschaftliche Entscheidung: Ich weite die männliche/maskuline Einengung des Textes etwas aus, indem ich den Ausdruck Kind statt Sohn wähle (So reden wir gewöhnlich in der Weihnachstszeit). Ich verschränke Jesu Weg ans Kreuz, gewöhnlich Passionsgeschichte genannt, mit dem Weg Israels aus Ägypten, gewöhnlich Exodus genannt. Letzteres regt Jesus selbst durch seine Bildwahl an. (Außerdem gebrauche ich synonym zur Bezeichnung GOTT die Bezeichnung HIMMEL. Hier lasse ich die männliche Einseitigkeit der Bezeichnung bislang stehen.)
Nun die daraus resultierende Predigt. 

Evangelienlesung Jh 3,14–21 und Predigt am Sonntag Reminiscere
Gegen Ende eines Gespräches mit einem jüdischen Lehrer 
(der trägt den griechischen Namen Nikodemos) 
hält Jesus folgende Rede:

Wie Mose die Schlange in der Wüste aufrichtete, so muß das Menschenkind aufgerichtet werden, damit jeder Mensch, der darauf vertraut, ewiges Leben habe. 
Der GOTT gewann die Welt nämlich so lieb, dass Er Sein besonderes Kind gab, damit jeder Mensch, der darauf vertraut, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben habe. 
Der GOTT schickte das Kind nämlich nicht in die Welt, damit Er dadurch die Welt richte, sondern damit Er dadurch die Welt rette. 
Wer darauf vertraut, wird nicht gerichtet. Und wer nicht vertraut, ist schon gerichtet, weil er nicht auf den Namen des besonderen Kindes des GOTTES vertraute. 
Das ist das Gericht, dass das Licht in die Welt kam und die Menschen das Dunkel mehr als das Licht liebten. Ihre Taten waren nämlich böse. 
Jeder Mensch, nämlich, der Schlechtes tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten keinen Tadel erführen. Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit seine Taten sichtbar werden, weil sie in GOTT getan sind.

Zwei Bilder fallen gleich am Anfang auf: 
1. Die Schlange in der Wüste 
2. Das besondere Kind 

Die Schlange in der Wüste hat ein wechselvolles Geschick
Nach einer Erzählung im Vierten Buches Mose, Kapitel 21 
schickte DER HIMMEL Schlangen, um die Leute zu beißen. (Vers 6) 
Dann soll Mose das Kupfermodell einer Schlange auf eine Stange setzten, 
damit dessen Anblick heile. (Verse 8f)

»Wenn die Schlange einen Menschen gebissen hat, und der blickt zu der kupfernen Schlange, dann lebt er.« (Nm 21,9b)

Schlangen stehen für Gegensätzliches, sind ambivalent. 
Das findet sich in unterschiedlichen Kulturen: 
Sie sind doppelzüngig und klug. 
Sie sind gefährlich und hilfreich. 
Sie sind giftig und heilsam. 
Dem biblischen Bild ähnelt der Aeskulapstab aus griechischem Mythos, 
ein Zeichen für Apotheken und medizinisches Personal.

Lange nach Mose lesen wir: 
König Hiskia – eine Lichtgestalt unter den davidischen Königen Judas – (Anm.: bSan 98b–99a als möglicher Messias erwähnt, König 735 bis 696 vor Beginn der christlichen Zeitrechnung)

»zerschlug die kupferne Schlange, die Mose gemacht hatte. Denn bis zu jenen Tagen pflegten ihr die Israeliten zu räuchern.« 2Kg 18,4b

Jesus hatte gewiss die ganze Geschichte im Blick. 
Wenn er sagt, dass das Menschenkind aufgehängt werden wird, 
sagt er auch, dass dessen kultische Verehrung
zum Götzendienst werden kann, der aufzuheben ist.
 
Wir bemerken und fragen: 
Menschenkinder verletzen gefährlich. 
Menschenkinder werden aufgehängt. 
Kann der Anblick eines aufgehängten Menschenkindes heilen, lebendig machen? 
Wie kann er das? 
Märtyrerkult ist problematisch, auch der um ein aufgehängtes Menschenkind.

Das besondere Kind (Anm.: Die Ausdrücke besonderes, geliebtes Kind, erstgeborener Sohn beziehen sich jeweils auf die selbe Elternschaft. S. a. https: //www.die-bibel.de/ressourcen/efp/reihe1/reminiszere-johannes-3 unter 1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung zu V. 16. Auch Formulierungen zu Gn 22,2 gehören in diesen Komplex.)

Der erstgeborene Sohn. (Anm.: Hier rufe ich – für diese Predigt ausnahmsweise – die traditionelle männliche Einseitigkeit auf, in der auch der Kult von der Auslösung des erstgeborenen Sohnes funktioniert.)

Mose soll Pharao sagen – so steht es im Zweiten Buche Mose im 4. Kapitel (Vers 22b): 
»Mein erstgeborener Sohn ist Israel.« 

Im Evangelium hören wir die Stimme aus dem HIMMEL: 
Dieser ist mein Kind/ (Mt 3,17) 
Du bist mein Kind, (Mk 1,11 = Lk 3,22) 
das geliebte, das Mir gefällt/ (Mt 3,17 = Mk 1,11 = Lk 3,22) 
Dieser ist das Kind des GOTTES. (Jh 1,34) 
So bei der Taufe Jesu. 
Und das wiederholt sich bei der Verklärung Jesu.

Wir fragen uns: Mose und Jesus und Israel – wie gehören die drei zusammen?

Mose tritt an die Stelle Israels. 
Mose vertritt Israel. (vgl. Ex 20,19) 
Mose tritt für Israel ein. (z. B. Ex 32,9–14)

Jesus tritt an die Stelle Moses. 
Jesus vertritt Israel.

Wir wissen, als Geschöpfe sind wir alle Kinder des HIMMELS.

Mose soll Pharao sagen: 
»Mein erstgeborener Sohn ist Israel.« Ex 4,22b 
»Entlasse Meinen Sohn … 
Weigerst du dich, 
ihn zu entlassen, 
dann töte Ich deinen erstgeborenen Sohn.« Ex 4,23 

Wer Israel antastet, tastet den HIMMEL und sich selbst an.

Das klingt bedrohlich, einschüchternd. 
Doch die Absicht ist eine Rettungsaktion. 
Zunächst will der HIMMEL Israel aus Ägypten retten.

Später will der HIMMEL die ganze Welt vor dem Tode retten.

»Der GOTT schickte das Kind nämlich nicht in die Welt, 
damit Er dadurch die Welt richte, 
sondern 
damit Er dadurch die Welt rette.« Jh 3,17
 
»Wer auf ihn vertraut, wird nicht gerichtet. 
Und wer nicht vertraut, ist schon gerichtet, 
weil er nicht auf den Namen des besonderen Kindes des GOTTES vertraute.« Jh 3,18

Tod und Leben 
Warum gehen Menschen verloren? 
Warum gehen Menschen zugrunde? 
Warum sterben Menschen den materiellen und den geistigen/spirituellen Tod?
Warum war der Pharao darauf versessen, Israel zu vernichten?
Warum war der Pharao darauf versessen, sich selbst zu vernichten?

Jesus antwortet auf diese Frage: 
Das geschieht alles von selbst, unausweichlich, logisch: 
Entweder setzen wir uns der himmlischen Rettung aus, 
oder wir entziehen uns der himmlischen Rettung. 

Entweder Menschen nutzen die Energie des Lichtes, 
oder sie ziehen sich in das Dunkel zurück. 
(Es ist wie mit der Sonnen- und Windenergie, die wir nutzen oder verschmähen. Die Alternativen sind gefährlich.)

Menschenkind und Himmelskind 
Im vorliegenden Ausschnitt seiner Rede an Nikodemos 
redet Jesus von einem Menschenkind und einem Himmelskind. 
Christliche Vorstellung sieht beides in Jesus. 
Biblisch sehen wir das Menschenkind Mose und das Himmelskind Israel.

Mose soll im himmlischen Auftrag zum Pharao sagen:

»Israel ist Mein eingeborener Sohn.« Ex 4,22b 
Weil Pharao diesen Sohn antastete, 
mußten die Erstgeborenen Ägyptens sterben. (Ex 4,23b; 11,5 u. ö.)

Mose richtete die Schlange in der Wüste auf, 
damit Sterbende leben.

Wo das Menschenkind zum Himmelkind wird, 
wo wir das Menschenkind als Himmelskind begreifen, 
lernen wir von ihm, ebenfalls Himmelskinder zu sein, 
zeigt es uns den Weg zum Leben.

Wenn wir statt dessen dem Himmelskind räuchern, vernebeln wir den Weg,
schaffen wir einen Abstand zwischen dem Himmelskind und uns,
versperren wir uns den Weg,
Himmelskinder zu werden.

Jesus ist Himmelskind und Menschenkind. (Theologie hat immer neu darüber gestritten, wie beides zusammengehört.)

Jesu Volk – in der doppelten Bedeutung Israel und Kirche (und nicht etwa in der Fehldeutung der Kirche als neues Israel, als brauchte es zu Israel eine Alternative) – sind Himmelskinder und Menschenkinder. 
Der HIMMEL hat Menschen als Seine Kinder geschaffen. 
Der Himmel macht uns zu Kinder-Menschen.

Jesus soll uns nicht opaque/verdeckend sein. 
Jesus hilft uns zum HIMMEL und zum Leben, 
solange er uns transparent/durchsichtig für den HIMMEL ist. 
Unser Blick liegt sicher oft irgendwo zwischen transparent und opaque, zwischen Durchblick und verdeckt. (Paul formuliert das 1Kr 13,12.)

Nachbemerkung 
Jesus rechnet damit: An der römischen Hinrichtungsstange hängen auch Unschuldige, auch Himmelskinder. 
Das ist immer noch so. 
Daran erinnert uns der Blick auf Jesu Kreuz, an beides: 
an unschuldig Leidende und an deren und unsere Himmelskindschaft.

Jesus verbreitet keinen Optimismus von menschlicher Selbstheilung, von demokratischer Resilienz. 
Biblische Texte vermitteln eine düstere Realität, einen traurigen Realismus: 
Menschen gleiten ab ins Dunkel der Selbstvernichtung. 
Wir wissen das aus Deutschland vor einem Menschenalter. 
Menschen sind in der Lage, ihre Irrwege zu wiederholen. 

Wie die Profeten Israels weiß auch Jesus: 
In der Regel haften die Menschen, die Völker am Dunkel, 
statt das Licht der Wahrheit leuchten zu lassen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Timotheus Arndt

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Predigten im Paulinum – der Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig – hören neben Universitätsangehörigen viele mit der Universität verbundene Menschen aus Leipzig, auch solche, die Leipzig besuchen und diese besondere Kirche erleben wollen. Viele kommen auch wegen der Musik.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Diese johanneische Jesusrede ist mit Hörgewohnheiten beladen, denen ich nachspüre und die ich zugleich auflösen oder aufbrechen will.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten? 
Immer wieder finde ich und so auch hier: 
Jesus predigt aus den biblischen Texten Israels, die wir fälschlich Altes Testament nennen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Gliederung und einige getilgte Tippfehler.

Perikope
16.03.2025
3,14-21