Liebe Gemeinde!
Ich bin um 650 v. Chr. geboren und stamme aus einer Priesterfamilie aus Anatot. Anatot ist eine Tagesreise nordöstlich von Jerusalem entfernt. In Anatot haben wir ein Heiligtum, nicht so groß und prächtig wie in Jerusalem. Viele Leute opfern Anat und Baal, nehmen gleichzeitig an den heiligen Ritualen in Jerusalem teil, verehren JAHWE nach dem Motto: So mache ich nichts verkehrt und bin auf der sicheren Seite. Für meine Eltern kommt das nicht infrage, sie opfern ausschließlich JAHWE.
Sie haben mir den Namen Jeremia gegeben. Jeremia, d. h. Jahwe ist erhaben. Mit dem Namen bringen sie ein Bekenntnis zum Ausdruck, wem sie dienen. Das wünschen sie sich von mir auch, wenn ich groß bin. Mein Vater vollzieht die heiligen Rituale in Jerusalem. Jeden Tag macht er sich auf den Weg. Ich darf ihn begleiten seit meinem sechsten Lebensjahr. Ich liebe es, meinem Vater bei der Arbeit zuzusehen. Er erlaubt mir kleine Handlangerdienste. Mein Vater genießt Achtung und Respekt. Die Priesterschaft ist eine hohe anerkannte Kaste in der Bevölkerung. Wir sind privilegiert in der Gesellschaft, das ist mir bald bewusst. Wenn ich die nötige Reife habe, werde ich Priester wie mein Vater.
Ich wachse in behüteten Verhältnissen auf, mein Lebensweg ist vorprogrammiert. Jeremias: „Jahwe ist erhaben“, ein schöner Name, ich trage ihn mit Freuden und Ehrfurcht, bis ….. bis zu meiner Berufung. Gott hat mich berufen. Es ist Gott gewesen, da bin ich mir sicher. Ich liege im Bett, noch wach, kurz vor dem Einschlafen. Ich hörte eine Stimme: „Ich kannte dich, ehe ich dich bereitete im Mutterleib und wählte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest. Ich bestelle dich zum Propheten für die Völker.“
Ich bin am nächsten Tag aufgewacht. Ich sollte Prophet werden, kein Priester! Propheten haben kein leichtes Leben, je nachdem, was sie verkündigen: Heil oder Unheil. Nein, ich wollte kein Prophet sein, außerdem bin ich zu jung. Bald nach der Berufung standen mir Bilder vor Augen: Ich sah einen siedenden Kessel vor dem Überkochen von Norden her, später einen erwachenden mächtigen Zweig als Zeichen dafür, dass Gott seine Gerichtsandrohung wahr machen wird.
Da hat sich die Beziehung zu meinem Namen verändert, von nun an würde er mit Leiden verbunden sein, Leiden für JAHWE. Ich wehrte mich ein Prophet zu werden, erst recht kein Unheilsprophet. Es hat mir nichts genützt, Gott hat mich in die Zange genommen. Mein Leben veränderte sich. Vorbei die gesicherten Verhältnisse zu Hause im Schutz der Priesterschaft, vorbei das tägliche Treiben und Einerlei eines Jugendlichen oder jungen Erwachsenen.
Ich sollte Gottes mahnende Worte verkünden, dem König Unheil androhen, wenn er dem blasphemischen Treiben nicht Einhalt gebieten würde. Ich wollte diesen Auftrag nicht haben, ich fühlte mich ihm nicht gewachsen, Gott ließ nicht locker. Es ist mir unmöglich gewesen, mich dem Auftrag zu entziehen. Ich ließ mich überreden.
Ich ging zum König, überlegte mir verschiedene Strategien, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Ich appellierte an sein Gewissen, versuchte es mit Argumenten, umschmeichelte ihn, sprach Drohungen: Er, seine Freunde und das ganze Volk würden als Gefangene nach Babylon verschleppt werden. Der König ließ sich von einem jungen Mann wie mir nichts sagen. Er hat mich verspottet, mich mit Häme davongejagt. Die Leute taten es ihm nach, nahmen mich nichts ernst, lachten über mich.
Sie werden mir nichts tun, dachte ich in meiner jugendlichen Einfalt. Ich komme aus der Priesterschaft. Meine Gegner wurden dreister, verhöhnten mich, spuckten vor mir auf die Erde. Ich begann mich zu verstecken, litt an meinem Auftrag. Jetzt ist Schluss, dachte ich, ich weigere mich, Unheil anzusagen. Ich versuchte Gott zu vergessen, lenkte mich ab, beschäftige mich mit Studien der Tora. Ich musste irgendetwas machen, um nicht an Gott zu denken. Es gelang mir nicht. Ein Feuer brannte, es verzehrte mich und fraß mich von innen auf. Ich musste Gottes drohendes Unheil verkündigen. Die Menschen mussten gewarnt werden.
Die Feindseligkeiten brachen unverhohlen zu Tage. Sie schmiedeten Pläne, wie sie mich klein kriegen. Sie wollten mich vor Gericht zerren, mich verklagen, suchten nach etwas, was sie gegen mich verwenden konnten. Meine Fürsprecher trugen es mir zu, warnten mich, ich müsse um mein Leben fürchten. Bald bekamen selbst meine Freunde Zweifel, kippten einer nach dem anderen um, gesellten sich zu meinen Gegnern.
Die Oberen trafen sich heimlich, berieten sich, wie sie mich zu Fall bringen können. Die politische Lage ist angespannt, Gefahr droht vom Norden her, das ist deutlich spürbar. Das spürten auch meine Gegner, sie erklärten mich zum Sündenbock. Ich versuchte es ein letztes Mal, kaufte einen steinernen Krug, ging zum König und seinen Beratern, warf ihnen den Krug vor die Füße. Er zerbrach in tausend Stücke. „So wie der Krug zerbricht, so werdet auch ihr zerbrechen, wenn ihr fremden Göttern nachlauft und Hilfe bei ihnen sucht."
Ich erhielt Redeverbot. Ich durfte nicht mehr öffentlich auftreten. Ich suchte nach einem anderen Weg, beauftragte einen Schreiber, fand den Schreiber Baruch. Wenn ich nicht reden darf, soll es ein anderer für mich tun. Baruch schrieb alles auf, was ich ihm diktierte und trug es in der Öffentlichkeit vor. Der König wurde wütend, als er davon erfuhr. Voller Wut ereiferte er sich und verbrannte die Buchrolle, die sein Vorgänger Josia gefunden hatte und ließ mich in den Block werfen. Als ob Gottes Wort durch Bücherverbrennung vernichtet werden könnte? Der Block war ein düsterer Ort, eine ausgediente Zisterne, in der das Wasser vermoderte und sich die Ratten tummelten. Ich weiß nicht, wie lange ich hier ausgehalten habe. Ich dachte, ich würde hier sterben. Das war nicht mein Ende, ich kam wieder raus. Zwei vermummte Männer zogen mich heimlich heraus. Ich schleppte mich nach Hause, mein Körper war voller Dreck und Wunden. Ich weiß nicht, was schlimmer war, die körperlichen oder seelischen Verletzungen, meine Sache war gescheitert, ich litt Höllenqualen. Was ist aus der Achtung und dem Respekt, den die Leute dem Sohn eines Priesters entgegengebracht hatten, geworden? Ich wollte nicht mehr leben.
In den schwersten Tagen, als ich mutterseelenallein in der Grube saß, habe ich mein Leben Gott anbefohlen. Worauf sollte ich bauen, wenn nicht auf Gott! Auf Menschen, die mir zu Gegnern wurden!? Auf Freunde, die sich abwandten und sich auf die Seite der Gegner schlugen? Auf Menschen war kein Verlass. Gott ist der Einzige gewesen, der blieb, ich betete zu ihm meiner Verzweiflung. Ich habe gelitten, war voller Selbstzweifel. War die Unheilsankündigung Gottes Auftrag? Habe ich mir das eingebildet? War ich zu Anfang sicher, so wusste ich jetzt nichts mehr. Gott ist bei mir gewesen, er ist mir zum Held geworden.
Die Menschen lebten, als wäre nichts geschehen. Sie opferten Anat und Baal, erhoffen sich von ihnen Hilfe. Ich bin darüber alt geworden. Gott hat seine Unheilsankündigungen wahrgemacht. Ich habe es mir nicht gewünscht. Die Bilder vom überkochenden Kessel, vom wachsenden mächtigen Zweig und zerbrochenen Krug wurden Wirklichkeit, die Babylonier sind gekommen und nahmen Jerusalem ein. Der König, die Oberen und viele einfache Leute aus dem Volk sind nach Babylon verschleppt worden. Jerusalem lag in Schutt und Asche. Die Schande des Königs und seiner Oberen ist groß, sie ist nicht vergessen worden.
Was tat ich? Ich habe Gott gerühmt und ihm gedankt. Er hat mich gerettet, als ich in der Zisterne saß, er hat mich bewahrt, als sie mich verspotteten, schlugen und verhöhnten.
Liebe Gemeinde, die Geschichte des Jeremia ist schwer zu ertragen. Sie erinnert mich an Jesu Leidensweg. Wir sind nicht Jeremia, erst recht nicht Jesus. Kennen Sie Lebensphasen, in der sie sich verlassen und allein fühlen? Kennen Sie das, Ihnen wird der Boden entzogen, sie haben keine Grundlage für Ihr Leben? Nichts gilt mehr, was bisher Gültigkeit gehabt hat. Eine Frau erzählte mir als sie die Diagnose Krebs bekommen hat, dass die Wände auf sie zukamen. Die Erde tat sich auf. Da waren kein Grund, kein Festhalten, kein Einhalt des auf sie unweigerlich zukommenden Erdrückens. - Auf was bauen Sie, wenn es darauf ankommt? Auf wen bauen Sie? Wem vertrauen Sie?
Heute ist der dritte Sonntag in der Passionszeit. Er trägt den Namen Okuli. Okuli bedeutet: meine Augen. Damit sind Gottes Augen gemeint. Ein Vers aus dem 34. Psalm, der für den heutigen Sonntag als Psalmlesung vorgesehen ist, hat ihm den Namen gegeben: es ist der Vers 16: Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Schreien.
Möge Gott uns beschützen und bewahren, wenn wir unglücklich sind, wenn wir zweifeln und nicht mehr wissen, was gilt.
Mögen Gottes Augen über uns wachen, wenn wir verloren gehen und jegliche Hoffnung aufgegeben haben.
Möge Gott bei uns sein und uns ein starker Held werden, der für Gerechtigkeit sorgt und unser Schreien hört.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich habe meine Gemeinde vor Augen, in der ich jetzt wohne. Der Predigtbesuch ist mäßig, die Kirche wohltuend, sie stammt aus dem 12. Jahrhundert. Die Besucher hören aufmerksam zu.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Biografie des Jeremia. Ich habe versucht, mich in Jeremia hineinzufühlen. Das geht am besten, indem ich erzähle.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die ernsthafte Frage, auf was oder wen ich baue, wenn mir das Leben entgleitet.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Hilfreiche Hinweise, die die Konzentration auf das Thema fokussieren z. B. durch Weglassen eines Abschnittes.