Wider die Poesiealbumssprüche! - Predigt zu Jer 9,22-23 von Anika Mélix
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus. Amen.
Predigttext: 22 So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. 23 Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR. (Jeremia 9,22+23 (Luther 2017))
I. Aufrüttelnde Selbstverständlichkeiten
„So spricht der HERR:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums…“
Liebe Gemeinde,
man möchte diesen Teil des heutigen Predigttextes fast überspringen. Zu sehr klingt er nach Allerweltsweisheit. Nach Poesiealbumsspruch. Nach „Eigenlob stinkt“. Ein „so spricht der HERR“ vor diesen Sätzen scheint verzichtbar.
Beim Versuch, sie wahr- und ernst zu nehmen, ist mein erster Impuls sie weit von mir zu schleudern. Ist das nicht der Moment, an dem man von „denen da oben“ zu sprechen beginnt?
II. Ruhmesgedicht
„So spricht der HERR:
Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums;
sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne…“
Es ist wie ein kleines Gedicht. Es hat Rhythmus, was dort steht. Selbst in unserer deutschen Übersetzung ist es noch zu spüren. Fünf Mal in einem Satz: „sich rühmen“. Ein Ruhmesgedicht. Besser: eine Kritik des Selbstruhmes.
Ein Schöner rühme sich nicht seiner Schönheit,
eine Erfolgreiche rühme sich nicht ihres Erfolgs,
ein Woker rühme sich nicht seiner Wokeness,
eine Geimpfte rühme sich nicht ihres Impfstatus,
ein Coronaskeptiker rühme sich nicht seiner Skepsis?
III. Unterschätzte Klugheit
„Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne…“
Liebe Gemeinde,
Haben Sie sich schon einmal gerühmt klug zu sein und Gott zu kennen? Es Ihrem Partner mit leuchtenden Augen am Abendessenstisch erzählt? Es in die Welt hinaus getwittert? Was assoziieren Sie damit „Gott zu kennen“? Klugheit? Einsicht? Ruhm? Bei mir ist es häufig eher: Privatheit. Unsicherheit. Scham. Kein: Ich rufe es mit Stolz in die Welt hinaus. Sondern ein: Wenn es jemand unbedingt wissen will, kann ich es ihr schon leise zuflüstern.
Aber dann stocke ich noch einmal und frage mich: Ist dieser Vers nicht eine weitere, subtilere Form der Kritik des Selbstruhmes? Denn wer kann das ungebrochen von sich behaupten: „Ich bin klug und kenne Gott!“? Im 1. Johannesbrief im zweiten Kapitel heißt es: „Wer da sagt: ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner und in solchem ist keine Wahrheit.“ Auch hier ist das Kennen Gottes erstrebenswert, mit Wahrheit assoziiert und doch unerreichbar…
IV. Kontrastprogramm
„Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.“
Des HERRN sollen wir uns rühmen, im Korintherbrief klingt es wider. Nicht um unserer und nicht einmal um seiner Weisheit, Stärke und Macht willen. Weisheit, Stärke und Macht sind ja doch nur Ressourcen, die man sowohl zum Guten als auch zum Bösen gebrauchen kann. Aber wir sollen uns seiner rühmen, weil er der ist, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt. Nicht weil er es könnte, sondern weil er es tut!
Und dann kommt es: „dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden.
Nicht: „dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit, geübt hat – immer mal wieder.
Nicht: „dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit, üben wird – am Ende der Zeit.
Nicht einmal: „dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt – im Herzen mancher.
Sondern: „dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt – auf Erden.
Ob man da lachen oder weinen soll? Ich zumindest kann das unter den aktuellen Bedingungen kaum hören:
Meine Großtante erzählt mir von einem 90-Jährigen Freund, der wegen eines Sturzes ins Krankenhaus kam, sich dort mit Covid infizierte und aufgrund des Besuchsverbotes alleine starb.
Ein Freund, dessen Frau im vergangenen Jahr eine Fehlgeburt erlitt, durfte bei den gynäkologischen Vorsorgeterminen aufgrund der pandemischen Lage nicht dabei sein und hatte so nie die Möglichkeit, den Herzschlag seines Kindes zu hören.
Das sind nur die nahen und nächsten Beispiele, die mich schlucken lassen bei diesem Satz.
„Der HERR […], der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden“ – Wer kann so sprechen?
Jeremia, wie kannst Du so sprechen?
V. Wie, Jeremia, wie?
Lieber Jeremia,
Du sprichst im Auftrag Gottes. Du beginnst Sätze mit „So spricht der HERR“ und beendest sie damit. Du bist kein Dichter seichter Kalendersprüche. Du bist Prophet des Höchsten.
„So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.“
Du sprichst diese Sätze im unmöglichsten aller Momente:
Da erwählt sich Gott ein Volk. Liebt es durch Wüsten und Meere hindurch. Schenkt ihm einen Ort, an dem es leben kann. Setzt eine heilige Stadt und einen heiligen Tempel zum Zeichen, dass er bei ihm ist.
Und dann? Lässt Gott – durch Deinen Mund, Jeremia, – dem Volk ausrichten, dass es sich abgewendet hat. Dass es sein Vertrauen auf die Falschen gesetzt hat. Gott sagt: Ihr werdet verfolgt, verschleppt, zerstreut, getötet! Das Land, das ich euch geschenkt habe, wird verheert. Der Tempel, auf dem all meine Verheißungen liegen, wird zerstört. Alles, woran ihr glaubtet und worauf ihr hofftet, wird euch genommen.
(Pause)
Aber heute ist das nicht einmal der Punkt, der mich am meisten schockiert. Was mich nicht mehr loslässt, ist dieser eine Satz mittendrin in diesem ganzen gewaltvollen Wortschwall vom Untergang: „Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir“.
Hast Du gelacht, Jeremia? Als Gott so zu Dir sprach? Hast Du geschrien: SOLL DAS EIN WITZ SEIN? Hast Du dich geweigert, das weiterzugeben? Oder wenigstens gezögert?
(Pause)
Wie auch immer: Du hast die Worte gesprochen. Hast Sie damit zu Deinem Vermächtnis, zu Deinem Bekenntnis gemacht. Ich weiß nur Bruchstückhaftes über Dich und Dein Leben. Was ich weiß, lässt mich ahnen, dass Du mehr Leid und Unrecht kennengelernt hast, als ich es je von mir sagen kann. Dass Du Gott trotzdem als den bekennst, der „Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden“, nimmt den Worten die Plattitude.
(Pause)
Etwas verändert sich. Meine Wut wandelt sich. Wird zu Neid. Nein: Sehnsucht! Wie gerne würde ich mit Dir bekennen, Jeremia! Was wusstest Du von Gott, dass es Dir möglich war, beides weiterzugeben? Die Unheilsandrohung UND das Barmherzigkeitsversprechen? Was wussten jene Jüdinnen und Juden von Gott, dass sie diese Worte weitergetragen haben durch die Zeit? Was wissen jene, die trotz Exil, Krieg, Vertreibung, Verfolgung und Vergasung an einen Gott glauben, der „Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden“?
Lieber Jeremia, ich hoffe eines Tages kann ich mit Dir, mit Euch bekennen, dass es der HERR ist, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden.
VI. Sprachformen des Zweifels
Liebe Gemeinde,
den Selbstruhm will ich mir versagen. Klug zu sein und Gott zu kennen, ist mein unerreichbares Ziel. Und wenn ich ihn kennte, wüsste ich vielleicht, dass er Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden übt, ihm das gefällt. Eines Tages will ich das mit Jeremia bekennen - doch bis dahin?
Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist die Bibel voll von ganz unterschiedlichen Arten mit und von Gott zu sprechen. Da wird gerungen und gelobt, erfleht und angebetet, gedankt und gestöhnt. Vielleicht liegt hier eine Chance.
Ein Versuch?
Im Angesicht einer Welt voll Härte, Unrecht und Ungerechtigkeit will ich Gott auf Knien bitten. Konkret und ernsthaft, seine Barmherzigkeit, sein Recht, seine Gerechtigkeit erflehen.
Im Angesicht einer Welt voller Härte, Unrecht und Ungerechtigkeit will ich zu Gott klagen. Ihm mein Leid entgegen schreien. Will ihm, der doch eigentlich Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit auf Erden übt, die tatsächliche Welt vorhalten und ihm sagen: „NICHTS IST IN ORDNUNG!“. Manchmal ist das die einzige Möglichkeit, nicht von ihm zu lassen.
Im Angesicht einer Welt voller Härte, Unrecht und Ungerechtigkeit will ich Gott loben. Nicht freudig, ergriffen, mit warmem Gefühl. Sondern trotzig, fast wild. Ihn loben für seine Barmherzigkeit, sein Recht, seine Gerechtigkeit, die er übt auf Erden. Damit die Gegenwart nicht das letzte Wort hat, sondern die Wirklichkeit, für die ich lebe, auf die ich vertraue.
„So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.“
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Leipziger Stadtkirche. Tendenziell gebildet, bürgerlich, Alter vornehmlich 50+ sowie junge Familien. Wichtiger: Aus meinem Umfeld nehme ich die Empfindung wahr, dass die Pandemie sich weiterhin wie ein dunkler Schleier über den Alltag legt. Es gibt einerseits ein großes Bedürfnis, über das damit verbundene Leid und die täglichen Ambivalenzen zu sprechen, andererseits eine große Ermüdung, das Gefühl: „Dazu ist doch nun wirklich alles gesagt!“. Zwischen diesem Sprechen, nicht-Sprechen und anders-Sprechen bahnt sich die Predigt ihren Weg.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die freundliche, ausführliche, motivierende und hilfreiche Rückmeldung durch meine Predigtmentorin.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Ich kam lange nicht heran an diesen Text. Ich musste ihn kauen und schmecken und verdauen, ihn wieder und wieder lesen. Es war zeitaufwändig und anstrengend. Es ist eine Weile her, dass ich einem Text so intensiv, so Wort für Wort verfallen bin. Zuletzt kam nicht ich an den Text heran, sondern der Text an mich. Das will ich wieder erleben!
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der vorletzte „Move“ kannte mehrere Varianten und fand seine jetzige Form erst in einem der letzten Überarbeitungsschritte. Von „die Gemeinde über Jeremia informieren“ über „Jeremia in seiner Zeit inszenieren“ kam ich schließlich zu „mein eigenes Ringen mit Jeremia verbalisieren“.
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Welche Farbe hat Gerechtigkeit? - Predigt zu Jer 23,5-8 von Anne-Kathrin Kruse
VIOLETT – DIE FARBE DER MORGENDÄMMERUNG
„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen, dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Ein Adventslied, voller Sehnsucht in der Nacht,
1938 gedichtet von Jochen Klepper,
als es finster war in Deutschland.
Und doch mit einer unglaublichen Hoffnung:
der Tag ist nicht mehr fern!
In Violett sind heute Altar und Kanzel gehalten.
Violett – die Farbe der Morgendämmerung, des Übergangs,
unwägbar, zweideutig, geheimnisvoll.
Nicht mehr ganz finster, aber auch noch nicht hell.
Wach liegen und spüren, was wir Morgen-grauen nennen.
Dunkle Träume machen sich davon.
Nicht mehr lang bis zum Blinzeln in die aufscheinende Sonne im Gesicht.
Vor einer Woche haben wir unserer Toten gedacht.
Die Zeiten verschwimmen
zwischen dem Jetzt und „weißt du noch?“ und „was wird jemals sein?“.
Neuer Himmel – neue Erde?
Und heute das große „Siehe“.
Siehe, es kommt die Zeit.
Vorsichtig tastend betreten wir neues, unbekanntes Land aus schwarzer Erde,
darüber ein tiefes Himmelblau und das Blutrot der aufgehenden Sonne.
Zartgelber Schimmer am Horizont.
ZEIT FÜR MEHR GERECHTIGKEIT
Wo stehen wir?
Krisenzeit.
Was darf man noch, was nicht?
Alles wird zu viel und ist doch zu wenig.
Und irgendwie reicht es jetzt auch!
Wer unterdrückt hier eigentlich wen?
Angesichts der Spannung zwischen denen, die sich für Andere aufopfern,
und denen, die auf ihre persönlichen Freiheitsrechte pochen.
Angesichts von unbezahlbaren Mieten und Minijobs, von denen niemand leben kann.
Diese Spannungen sind fast nicht zu aushalten.
Was ist gerecht?
Siehe, es kommt die Zeit,
hören wir heute von dem Propheten Jeremia.
Siehe es kommt die Zeit von Recht und Gerechtigkeit!
Nicht eine strafende Gerechtigkeit ist gemeint.
Gott setzt sich ein für die Armen, die Schwachen, die Verlierer,
die ein Recht auf ein würdiges Leben haben und deren Lebensrechte bedroht sind.
Es kommt die Zeit einer verantwortungsvollen Regierung,
die Verheißung, dass Israel endlich sicher wohnen kann.
VERBRANNTE ERDE
Während er diese kräftigen Worte spricht,
steht er inmitten des rauchenden Trümmerfeldes Jerusalem.
Jerusalem, der Sehnsuchtsort war zerstört.
Schwarze verbrannte Erde.
Die Menschen ermordet, versklavt, vertrieben.
Zerstört der Traum vom herrlichen Reich Davids.
Der hoffnungsvolle Spross am Stamm Davids: verkohlt.
Und der Tempel: in Rauch aufgegangen.
Schwarze Rauchsäulen im Violett des Morgengrauens.
Der siebenarmige Leuchter, die Schriftrollen, die Bundeslade geplündert.
Und Gott: längst fort ist er.
Der Glaube der Menschen –
verstummt angesichts der Grausamkeit der Siegermächte.
Die Könige haben in Israel fast immer versagt.
Stürzten das Land und die Menschen in den Ruin.
Sie bestimmten, was gerecht ist, nämlich das, was ihnen selber nützte.
Meine Gerechtigkeit, so hieß der letzte König Zedekia.
Jeremias Antwort: Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.
Gott – und niemand sonst.
Er war es, der uns aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat.
Er wird uns auch aus der Fremde zurückbringen,
wo wir sicher wohnen können.
Und Gott mitten unter uns.
VOM KÖNIG UM DIE ECKE
Und wir Christen?
Allzu eilig sehen wir in dem erhofften Spross Davids Jesus.
Wir nennen ihn Christus, Gesalbter, Messias.
Aber König?
Er selbst tut alles dafür, dieses Bild nicht aufkommen zu lassen.
Auf einem kleinen tippelnden Eselchen kommt er angeritten.
Kein Macher,
der alle komplexen Probleme dieser Welt mit einem Handstreich vom Tisch wischt.
Eigentlich ist Violett ja gar keine richtige Farbe.
Es setzt sich zusammen aus dem Blau des Himmels, des Göttlichen,
und dem Rot des Blutes, des Menschlichen.
Himmel und Erde,
Göttliches und Menschliches – in Christus verbunden.
Auch er hat die Verheißung Jeremias nicht erfüllt.
Noch immer gibt es ungerechte Machthaber,
leben Menschen unter unwürdigen Bedingungen,
sind Millionen weltweit auf der Flucht.
Und doch öffnet die Verheißung des Propheten ganz leise die Tür zum Advent.
Fangen seine Worte an zu leuchten –
so voller Trost und Hoffnung, dass einem Augen und Herz aufgehen.
Erinnern an den kleinen König aus einfachen Verhältnissen.
David, der Hirtenjunge, und Jesus, der Zimmermannsohn – beide kommen von ganz unten.
Wohnen quasi um die Ecke, wo man sie regelmäßig treffen kann.
Halten die Verheißung des Propheten offen, machen sie stark.
Lehren mich auf immer neue Weise staunen,
dass Gott seine Verheißungen immer wieder erfüllt.
Mitten in der Welt, mitten unter uns –
sieh hin, wo der König in den Menschen Spuren hinterlässt!
Die Menschen, die in der Krise genau wissen, wo ihr Platz ist,
nämlich ganz nah bei denen, die immer zu kurz kommen.
Die Schwestern, Pfleger und Ärzte,
die mit großer Professionalität den Kranken beistehen.
All die, die nicht auf die Politik warten, wo es um wertvollen Wohnraum geht,
die neue Miet- und Genossenschaftsmodelle entwickeln,
damit auch Arme sicher wohnen können, weil sie ein Recht darauf haben.
Die sich jetzt um die Geflüchteten kümmern,
die an der EU-Grenze zwischen die Fronten geraten sind –
sie alle machen mir Mut.
Lassen mich in die aufscheinende Sonne blinzeln.
Setzen die lahmen Glieder in Bewegung.
Machen mich lebendig und ich bekomme Lust aufzustehen und mitzumachen.
LEBEN IM VIOLETT
Ganz klein im Verborgenen erblickt Gottes Gerechtigkeit das Licht der Welt.
Leuchtet zartgelb am Horizont, gewinnt an Kraft - unaufhaltsam.
Braucht uns und traut uns das zu, Hoffnungsträger zu sein.
Ihr seid das Salz der Erde – ihr seid das Licht der Welt.
Also leuchtet.
Tragt das Licht der Gerechtigkeit in die Welt und leuchtet damit in jede dunkle Kammer.
Leben im Advent, im Violett.
Wenn Violett eine eigene Farbe sein sollte,
dann ist es die Farbe der Sehnsucht, der brennenden Erwartung.
Alle sollen sie sicher wohnen in ihrem Lande.
Gott steht zu seinem Wort.
Da kommt noch was.
Siehe, es kommt die Zeit…
Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ort des Gottesdienstes ist die Kirche St. Michael in Schwäbisch Hall, die aufgrund ihrer besonderen Architektur und ihrer herausragenden Kirchenmusik überregional von Bedeutung ist, als Innenstadtgemeinde aber über eine überschaubare Kerngemeinde verfügt. Gerade am 1. Advent ist deshalb eine sehr heterogene Gottesdienstgemeinde an Tagestouristen, Eventbesuchern (Weihnachtsmarkt, Theatervorstellung etc. am Vorabend), in diesem Falle auch zwei Tauffamilien sowie die Kerngemeinde zu erwarten.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Spektralfarbe Violett fasziniert mich. Sie hilft mir, den Weg vom Toten- und Ewigkeitssonntag bewusst zu vollziehen. Was den Kirchenjahresanfang mit dem –ende verbindet, ist eine starke Sehnsucht, dass durch das Dunkel der Nacht ein Licht aufscheint mit der berechtigten Hoffnung, dass es gut wird. Violett wertet so den Advent, der häufig zur „(Vor-)weihnachtszeit“ degradiert wird, als eigenständige Kirchenjahreszeit auf.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Obwohl das Königtum Israels durch die Geschichte hindurch mehr oder weniger versagt hat und Jeremia ihr Versagen auch schonungslos anprangert, hält er an der Hoffnung auf den kommenden König fest. Das irritiert mich. In der Predigt möchte ich vermeiden, bei der Lösung aller (politischen) Probleme auf einen starken Mann zu setzen, der alles „richten“ wird. Zugleich möchte ich eine tiefe Sehnsucht, die sich mit dem Königsbegriff verbindet, ernstnehmen.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Dem umsichtigen, wertschätzenden und ermutigenden Coaching durch Nico Szameitat verdanke ich die Predigt, so wie sie jetzt steht. Vielen Dank!
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28.11.2021 - 1. Sonntag im Advent
„Welchen Mund hast du mir zugemutet …“ - Predigt zu Jeremia 1,4-10 von Manfred Wussow
Wer fürchtet sich vor dem schwarzen Mann?
Darf ich fragen, ob Sie Herrn Ebed-Melech kennen? Leider - er ist vergessen! Aber ab heute sollten Sie sich seinen Namen schon merken! Ausländer, dunkelhäutig, ein Kuschiter. Die Vorfahren aus Afrika. Beim König Zedekia hat er einen hohen Posten im Finanzministerium.
Seine Geschichte zu erzählen, heißt auch, eine andere zu entdecken. Die Geschichte Jeremias. Jeremia ist Prophet. Oder soll ich sagen: Prediger? Er redet im Namen Gottes – und sich um Kopf und Kragen. Gefährliche Situationen häufen sich. Jeremia prangert das Gefälle von Reich und Arm an, die Ungerechtigkeit im Lande, die Machtspiele – und dass sich die Menschen ihre Götter machen und ihnen nachlaufen. Dabei wollen sich viele, wenn schon, mit Gott schmücken und in seinem Namen gar große Politik machen. Wenn da nicht dieser Jeremia wäre…
Sogar mit königlicher Billigung wird Jeremia in eine Zisterne geworfen, der Störenfried, Defätist und Besserwisser in ein unterirdisches Wasserloch. Durch eine kleine Öffnung notdürftig abgeseilt, fällt er in den Schlamm. Er kann sich kaum bewegen. Das Atmen fällt schwer. Ein entsetzlicher Gestank. Hier soll Jeremia vermodern. Der König hat dem Drängen des Mob – übrigens alles ehrenwerte Leute mit Rang und Namen - einfach nachgegeben. Lakonisch heißt es nur: „Er ist in euren Händen; denn der König vermag nichts gegen euch.“
Aber Ebed-Melech, Zeuge dieser Untat, stürzt zum König. Ob willkommen oder nicht: Jetzt redet er!
Langsam: Heben wir uns diese Geschichte für den Schluss auf!
Hoffnungsgeschichte
Diese übel riechende Episode hat ihren Platz im Jeremia-Buch gefunden. Wenn Sie sie nachlesen möchten: im 38. Kapitel. Viele Kapitel gehen voraus. Reden, Konflikte, Hoffnungen! 38 Kapitel!
Wie alles angefangen hat? Jeremia erzählt:
Und des HERRN Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung. Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.
(Jeremia 1, 4-10)
Ein Bewerbungsgespräch sieht anders aus! „Sein Wort geschah zu mir!“ sagt Jeremia. „Sein Wort“! Die Ebenen verwischen. Immer wieder tauchen die Worte „ich“ auf oder „mir“. Doch immer auch: ER. Es ist von einer Begegnung die Rede, die Jeremia nicht gesucht hat. Und auch nicht einfach gefunden hat. Gott spricht Jeremia einfach an. Nicht nur einmal.
Generationen von Menschen haben sich diese Geschichte angeeignet und zu ihrer eigenen gemacht. Generationen von Menschen haben sie auch gelesen und sich in ihr gefunden. In Synagogen, Klöstern und Kirchen, zu Hause, im Gefängnis, im KZ.
Geboren werden, seine Nische im Leben finden, Schmied seines Glückes zu sein, gehört zu unseren vertrauten Erfahrungen. Doch so weit schon vor der Geburt von Gott ausgesucht und zum Propheten bestellt zu sein, gar für Völker und Königreiche, wie es dem Jeremia geschieht – unheimlich. Darf Jeremia denn kein eigenes Leben haben? Keine eigenen Träume? Es ist, als ob Gott selbst seine eigene Weite, gar seine Ewigkeit in dieses Leben legt – und sich seinem Propheten Jeremia so anvertraut, wie ER ist. Wie ER!
Du kommst aus meinem Herzen. Ich liebe dich. Du warst noch nicht geboren. Ich aber sah schon deinen Weg. Du wusstest noch nicht, wie du heißt. Ich hörte schon, was du sagst.
Mich wühlt diese Geschichte auf. Jetzt soll ich sogar über sie predigen. Für wen soll ich denn jetzt sprechen – für Jeremia? Für Gott? Für mich? In welches Spiel bin ich nur geraten? Ob ich da noch einmal heraus komme?
Dass Gott tatsächlich die Traute hat, Jeremia an seinem Weg zu beteiligen, fällt sofort auf. Es ist eine Liebeserklärung für viele Menschen, die unbekannt, vergessenen oder verstoßen sind. Es ist auch eine Liebeserklärung für die Menschen, die sich verfahren haben, die scheitern, die nicht verstehen, wie sich die Dinge gegen sie verschwören. Mit den Mächtigen wird Jeremia sich anlegen müssen – den Schwachen wird er eine Stimme geben. So übermächtig die Völker und Königreiche die Atlanten auch ausfüllen - bei Tageslicht besehen passen sie auf eine Seite. Mit jedem Menschen, der – Hunger hat!
Wie alles anfängt
Verzeihen Sie, ich habe Ihnen den Vorspann der Geschichte Jeremias vorenthalten. Darf ich Ihnen die Geschichte ein wenig anders erzählen als in der Bibel überliefert? Mit Überraschungselementen und einer gehörigen Portion Mut? Sie werden schnell merken, in welche Richtung es geht – und gehen kann. Dies sind meine Worte! Zu mir geschah das Wort des HERRN im 15. Jahr der Kanzlerschaft Angela Merkels, im 4. Jahr der Präsidentschaft Donald Trumps und im 6. Jahr des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm,
zur Zeit, als ein neuartiges Virus, Corona, die ganze Welt überzog, viele Nationen Unternehmen und Menschen in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerieten, die Kirchensteuereinnahmen in Deutschland zurückgingen und weltweit über Rassismus diskutiert wurde
Und des HERRN Wort geschah zu mir …
Immer zu jung
Nicht zu taugen, ist eine mutige Auskunft. Jeremia unterbricht den Redefluss Gottes? Ob die Nummer zu groß ist oder vielleicht auch einfach nur zu früh kommt? Ich würde es gerne wissen, gerne auch erzählen. Aber alles ist nur angedeutet, hingehaucht. Doch! Ein Augenblick wird festgehalten: „Ich bin zu jung“.
So einfach sich das anhört – es ist eine zauberhafte Formulierung. Zu jung heißt eigentlich: zu klein, zu unbedeutend, zu unwichtig. Aber die Übersetzung „zu jung“ ist andererseits zu genial, um sie zu klein zu reden. Denn „jung sein“ bedeutet, wachsen zu können, nicht fertig zu sein, noch neu anzufangen. „Jung sein“ drückt Weite aus, aber auch Wagnis, Offenheit, aber auch Unbekümmertheit. Jeremia sagt nicht nur, er sei „zu jung“ – er muss jung sein (und jung bleiben), um sich von Gott anstecken zu lassen und: um ihn überhaupt aushalten zu können!
Später wird Jeremia klagen, Gott habe ihn verführt. Bezirzt wie ein junges Ding. Einfach hereingelegt.
Rainer Maria Rilke schrieb 1907 ein Jeremia-Gedicht:
Welchen Mund hast du mir zugemutet, damals, da ich fast ein Knabe war: eine Wunde wurde er: nun blutet aus ihm Unglücksjahr um Unglücksjahr. http://rainer-maria-rilke.de/090013jeremia.html
Das Bild ist eindrücklich: Mund – wund. Blutig geredet.
Allerdings: Den leisen Schrei, die verhaltene Bitte hören wir auch: Hilf mir! Lass mich nicht allein! Da rührt Gott Jeremias Mund an. Die Hand ist leer und offen. In der Hand liegen keine Worte. Keine fertigen Formulierungen. Keine ausgereiften Argumente. Einfach leer! Aber die Berührung ist zärtlich.
Wie er die Berührung empfindet und was sie mit ihm macht, erzählt Jeremia nicht. Doch gar nicht so lange danach, als er sich in das Getümmel wirft, es mit Autoritäten und Institutionen aufnimmt, weiß er sich getragen. Ihm wachsen die Worte zu. Er findet sie, er formt sie, er steht für sie ein. Es sind seine Worte. Dass er dann alles, was er sagt, sagen kann als Gottes Wort, überrascht ihn, überrascht andere, überrascht uns bis heute.
Gelernt hat es Jeremia nicht. Dabei muss er jedes Wort bewähren und für jedes Wort geradestehen. „So spricht der Herr“ - wollen Sie einmal zählen, wie oft Jeremia das sagt? Einige Menschen in seiner Umgebung sind dabei richtig glücklich – andere sehen darin nur eine Kampfansage und blecken mit den Zähnen.
Dass Jeremia auch die Einsamkeit, gelegentlich sogar die Verlorenheit Gottes mittragen muss, konnten nur die wenigsten ahnen. Gott kann mit jedem Wort verlieren, das in seinem Namen gesagt und gewagt wird. Unbeteiligt ist Jeremia dabei auch nicht.
Obwohl doch „zu jung“, sieht Jeremia oft alt aus. Er beobachtet alles – und eckt an. Er muss sich rechtfertigen – und findet kein Gehör. Er muss mahnen – und wird totgeschwiegen. Er setzt sich für Recht und Gerechtigkeit ein – und wird als Feind diffamiert. Er weiß um das Unheil in der Welt – und die Fachleute und Berater reden alles schön.
Auserwählt und ausgesondert
In unseren Straßenbildern, Nachrichtensendungen und Arbeitswelten taucht die große Welt tatsächlich täglich auf. Mit vielen Sprachen, Gesichtern und Traditionen. Manchmal ist die Welt so klein, dass sie in meine Tasche passt – und manchmal so groß, dass ich mich in ihr verliere. Dass wir uns nach Hoffnungsgeschichten sehnen, ahnen wir nicht nur.
Gott hat sein Volk von Anfang an und für alle Zeit auserwählt! Stellvertretend übernimmt es Jeremia, die Liebeserklärung Gottes wachzuhalten und einen neuen Bund anzukündigen. Die alte Geschichte ist verkorkst. Ob das die Hassliebe erklärt, die Jeremia entgegenschlägt? Jeremia hat doch nur gesagt, was alle wissen… schon lange wissen!
Propheten wird nachgesagt, sie würden etwas voraussagen können– also mehr wissen als die Zeitgenossen. Sie hätten geheimnisvolle, aber zuverlässige Quellen, die nicht jedermann zugänglich seien. Hat Jeremia auch etwas vorausgesagt? Ja! Das Unheil – das Unheil, das Hass, Größenwahnsinn und Ungerechtigkeit die Welt zerstören. Aber Jeremia hat auch Heil verkündet – eine neue Zuwendung Gottes. Doch da lagen schon überall die Scherben herum. Zerstörte Hoffnungen. Gebrochene Biografien.
Jeremia konnte einer der vier großen Propheten werden! Viele Menschen haben an seinem Buch – wohl auch an seinem Lebenslauf - mitgeschrieben und ihre Erfahrungen und Hoffnungen eingetragen. Mal zwischen den Zeilen, mal an den Rändern. Jeremia hatte immer Menschen um sich, die ihn stützten, gelegentlich eine Mauer um ihn bauten und ihn sogar vor sich selber schützten. Die Hand, von der in der Berufungsgeschichte erzählt wird, taucht immer wieder auf. Jeremia wird getragen. Festgehalten. Über Abgründe geleitet. Gottes Hände sehen sehr menschlich aus.
Gottes Rettung in Lumpenresten
Jetzt muss ich aber die Geschichte von Ebed-Melech weiter erzählen! Wir haben sie uns für den Schluss aufgehoben. Sie erinnern sich? Jeremia ist in eine Zisterne geworfen. Schlamm. Willkür. Machtmissbrauch. - Ebed-Melech stürzt zum König. Ob willkommen oder nicht: Jetzt redet er! Es gilt, Jeremia zu retten. Sofort! Sein Hauptargument wird tatsächlich in den Annalen überliefert: „Dort muss er vor Hunger sterben“. Dort – da drüben! Mit noch drei anderen zieht Ebed-Melech Jeremia aus der Zisterne hoch. Liebevoll wird sogar erzählt, dass er Lumpenreste und alte Kleidungsstücke herunterlässt, damit die Seile nicht so einschneiden, wenn das stinkende Häufchen Elend herausgezogen wird. Wie lange Jeremia da unten in der Hölle war? Die Akten sind verschollen, die Spuren aber nicht verwischt.
Wenn doch alle den Mut hätten, Menschen zu retten – einfach weil sie Hunger haben! Der eine kleine Satz schließt die Welt neu auf. Und eigentlich alles, was Jeremia gesagt hat. „So spricht der Herr!“ – Dass Ebed-Melech auch Gott rettet, hätte er sich nicht träumen lassen. Würde Jeremia umkommen – Gott hätte verloren. Wieder einmal mehr. Schon wieder! Und das Recht bliebe auf der Strecke wie die Wahrheit, die sich in Lüge verkehrt, wie die Gerechtigkeit, die in Ohnmacht verwandelt wird.
Aus den Augenwinkeln schiele ich nach Ebed-Melech. Er lächelt – sagen muss er nichts mehr.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist ein normaler Gemeindegottesdienst in der Ferienzeit, unter Coronabedingungen zudem in Kurzform. Die Predigt möchte vielseitige und unterschiedliche Identifikati-onsangebote machen. Es gibt auch Berufungsgeschichten in der Gemeinde, die „freige-legt“ werden könnten. – Ich werde die Predigt frei halten und im Augenkontakt mit den Menschen dialogischer. Die ausformulierte und veröffentlichte Predigt ist auch eine Gesprächsgrundlage.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Mensch Jeremia als Zeitgenosse! Er wird „erwischt“ und „angerührt“, er findet das eigene Wort und kann es als Gottes Wort sagen. Dann aber auch die Figur Ebed-Melechs, der von hinten in die Geschichte tritt, um die Berufung Je-remias zu retten
Beflügelt und gereizt hat mich auch, die Predigt vorab lesen und kommentieren zu lassen. Eine gute Idee!
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
… dass man alt aussehen darf, wenn man „jung“ bleibt.
… dass eine fremde Geschichte die eigene aufschließt
… dass das Geheimnis Gottes pränatal ist
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Predigt ist konziser und klarer geworden, die Linienführung straffer. Einerseits dadurch, dass die „Erstleserin“ ins Spiel kommt, andererseits aber auch durch die längere, aber unterbrochene Vorbereitung. Die Gefahr, Gedanken immer weiter zu ziselieren und den ursprünglichen Schwung einzuhegen, ließ sich aber auch erblicken.
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Wer vertraut, der wartet. - Predigt zu Jeremia 31, 31-34 von Andreas Schwarz
Ausgangsbeschränkung für die Jünger.
Selbstgewählt und alternativlos. Da sitzen sie im Obergemach des Hauses, wo sie immer wieder zusammen gewesen sind. Die elf Jünger. Und Frauen sind auch dabei, Maria Magdalena und Johanna und Maria, die Mutter Jesu, und seine Brüder. Sie sitzen zusammen. So erzählt der Evangelist Lukas. Und beten. Vielleicht mit den Worten aus Psalm 27. Den man im Volk Israel betet. Schon immer gebetet hat. Wenn sie unsicher waren, wenn sie sich Sorgen machten, wenn sie Gott gern gehört hätten oder gespürt. Wenn sie ihn angefleht haben, sich zu zeigen, zu helfen, die Not zu lindern, die gerade auf ihnen lastet. „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und antworte mir!“ Sie sitzen zusammen, beten und gehen nicht raus. Können nicht. Wollen nicht. Wie auch? Jesus ist weg. Jedenfalls hat er sich von ihnen verabschiedet. Sie sehen ihn nicht mehr. Sie warten darauf, dass sich erfüllt, was er versprochen hat:
„Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein.“ Der ist aber noch nicht gekommen. Also warten sie. Und hoffen. Und vertrauen. Und beten.
Schöne Erfahrungen im Rücken. Große Verheißung im Ohr. Und im Herzen. „Siehe, es kommt die Zeit.“
Glauben heißt: warten.
Wir lernen das seit vielen Wochen. Wir warten. Es fällt uns schwer. Je länger, je mehr. Wir wollen eine Perspektive, am besten ein Datum. Wann ist es – endlich – vorbei? Wann ist es wieder gut, also wie vorher? Manche wollen das komplette Ende vom ‚lockdown‘. Je schneller, desto besser. Sie werden ungeduldig. Gehen auf die Straßen und Plätze. Fordern. Kritisieren. Wir wollen nicht mehr warten. Wir wollen alles. Jetzt. Sofort. Das ist unser Recht. Wir sind das Volk. Ungeduld wird laut. Lässt sich nicht zügeln und verhindern. Bricht aus und wird hörbar.
„Siehe, es kommt die Zeit.“ Können wir warten? Warten, weil wir glauben. Warten, weil wir vertrauen. Anstatt zu denken, wir müssen nicht mehr warten. Wir haben alles. Jetzt schon. Also los. Manchmal drängt sich dieser Eindruck auf. Wenn ich Verheißungsworte an das Volk Israel höre, von den Propheten verkündigt, in schwieriger Zeit, dann befürchte ich, dass Christen denken und glauben: Ja, die mussten damals warten. Die Menschen aus dem Volk Israel. 600 Jahre vor Christus. Eine grausame politische Niederlage mussten sie hinnehmen. Die Stadt Jerusalem war verwüstet. Der Tempel zerstört. Leben findet in der Fremde statt oder in Trümmern. Es gibt keine konkrete Aussicht. Wenig Hoffnung. Vielleicht die Ahnung: wir sind selber Schuld, wir haben unserem Gott nicht vertraut, obwohl wir uns immer und immer wieder daran erinnern, wie er geholfen hat. In aussichtsloser Lage. Wie er uns gerettet und befreit hat. Vor einem übermächtigen Feind. Aus Sklaverei und Unterdrückung. Auf einem langen und mühsamen Weg hat er uns durch die Wüste geführt. Er war da und er hat uns begleitet. Aber wir haben uns abgewendet. Darum ist er zornig. Was wir erleben, ist seine Strafe. So das Volk Israel.
Wenn der Prophet nun wieder Hoffnung macht und als Wort des Herrn sagt: „Siehe, es kommt die Zeit.“ Dann warten sie. Das ist ihre Geschichte. Das ist ihr Glaube.
Für uns Christen heute ist alles erfüllt. Christus ist längst gekommen. Er ist da. Und wir müssen nicht mehr warten. Ich befürchte, dass Christen so denken und glauben.
Ob, wer so denkt, spürt, wie er seinen eigenen Glauben belastet? Wenn er meint, es sei alles gut. Und dann ist es nicht gut. Das Leben ist eingeschränkt. Es ist bedroht. Fragen tauchen auf und bedrängen den Glauben. Wo ist Gott? Warum hilft er nicht, jetzt? Sofort?
Können wir zulassen, dass wir nicht über dem Volk Israel stehen, sondern neben ihm? Dass wir keinen Haken hinter Gottes Verheißung machen: Erfüllt! Sondern warten – wie das Volk Israel? „Siehe, es kommt die Zeit.“ Es kommt etwas, das jetzt noch nicht da ist. Es ist keineswegs alles gut. Die großen Verheißungen Gottes stehen aus. Auch für uns. Auch für mich. Die ungewohnte Situation, in der wir uns seit vielen Wochen befinden und die sicher auch noch lange so bleiben wird, zeigt: Wir stehen neben dem Volk Israel. Sie lässt mich beten mit den Worten Israels: „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und antworte mir!“
Dann sitzen wir im Obergemach, wo wir häufig sitzen. Und doch anders, in kleiner Zahl und weit auseinander. Mit Mundschutz, dürfen nicht singen und musizieren, wie früher. Dürfen uns nicht begrüßen und verabschieden, wie wir es gerne täten, dürfen nicht beim Kirchenkaffee zusammen sein. Sondern warten. Warten, dass kommt, was Gott versprochen hat.
Ich möchte dankbar dafür sein, wie gut es mir geht. Dass ich habe, was ich zum Leben brauche. Dass ich gesund bin und ganz eng mit vielen lieben Menschen verbunden bin. Aber ich vermisse die offene Gemeinschaft. Die volle Kirche. Den gemeinschaftlichen Gesang. Das Singen im Chor. Das Musizieren in der Bläsergruppe. Die Kinder, die fröhlich zum Kindergottesdienst gehen. Den guten Austausch beim Kirchenkaffee, beim gemeinsamen Mittagessen, beim langen Erzählen nach dem Gottesdienst draußen vor der Tür. Das alles geht jetzt nicht. Es gibt kein: Jetzt. Sofort. Wir warten. Ich warten. Das gehört zu dieser Lage dazu. Es gehört zu meinem Glauben dazu. Zu warten. Dass Gottes Verheißung sich erfüllt. Und das Leben bestimmt.
„Siehe, es kommt die Zeit.“ Und dann glauben wir nicht nur. Dann sprechen und bekennen wir nicht nur. Dann erleben wir. Dann ist Gottes Nähe nicht bloß in Büchern. Nicht bloß im Kopf und auf den Lippen. Sondern im Herzen. Und darum im ganzen Menschen. Was in meinem Herzen wohnt, bestimmt mein Leben. Was ich denke. Was ich glaube. Was ich hoffe, Worauf ich mich freue. Wenn ich liebe. Was ich liebe. Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben Wie gut, dass du, Herr, diese Verheißung wahrmachst. Ich vertraue dir. Dass du es gut mit mir meinst. Dass du eine Zukunft für mich hast, auch wenn ich sie jetzt nicht sehe. Dass du mir meine Zweifel vergibst, meine Ungeduld, meine Forderungen, meine Enttäuschungen. Dass du mich auf deine Zukunft mit uns hoffen lässt; dass du mich lieben lässt, die, mit denen ich lebe, die, die leiden. Dass du mich warten lehrst. Auf die Erfüllung deiner Verheißung. Siehe, es kommt die Zeit. Mit deiner Hilfe warte ich darauf geduldig. Und bis dahin bete ich mit vielen anderen, die zu dir und deinem Volk gehören:
„HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und antworte mir!“ Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es ist die ungewöhnlichste Zeit zum Predigen. Seit vielen Wochen entstehen Predigten ohne eine Gemeinde sichtbar als Gegenüber zu haben, nur als schriftliches Dokument und als Audiodatei. Seit 10. Mai nun für Gottesdienste in eingeschränkter Lage, mit Ab-stand, Mundschutz und ohne Singen. Aber (endlich) wieder Menschen, die gerne kom-men und gerne hören wollen und die schwierige Lage annehmen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Zunächst zu wissen, dass viele Menschen sich über gute und verlässliche Worte freu-en, dass sie offen sind für Verheißungen da, wo sie vertrauen.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Bearbeitung von prophetischen Texten sind immer bereichernd. Für diesmal hat mich eine Bemerkung aus den GPM angeregt und darum auch die Predigt stark beein-flusst, dass wir als Christen Wartende sind. In dieser hoffnungsvollen Lage stehen wir neben Israel (nicht darüber!). Das macht biblische Prophetie aus dem AT für mich noch einmal ein Stück lebensnaher und wertvoller.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die überaus wertschätzende Begleitung durch meine Predigtcoachin. Alle kritisichen Bemerkungen waren für mich einsichtig und erhellend, haben mir so gut getan, dass ich den Eindruck habe, die Predigt hat sprachlich und an Deutlichkeit gewonnen. Ich bin vor allem dankbar dafür.
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Einfach heil aus zwei Kränkungen und drei Überraschungen - Predigt zu Jeremia 14, 1-9 von Markus Kreis
Liebe Gemeinde,
Sommer 2018. Hitzewelle. Viel zu wenig Wasser im Sommer. Eigentlich soll der eher sintflutartige Regengüsse bringen. Trockenheit. Dürre. Klimaerwärmung. Eisbären, Singvögel, Insekten: Sind laut Experten am Aussterben. Die Menschheit auch? Eine Arche scheint jedenfalls nicht in Aussicht. Oder besser: ein schön klimatisiertes Raumschiff.
Jeremia schildert eine Wetterkatastrophe. Die Natur leidet samt ihren Geschöpfen unter fehlendem Wasser. Alle seine Quellen in Himmel und Erde sind versiegt. Bleiben trocken. Warum? Jeremia stellt diese Frage gar nicht. Trotzdem beantwortet er sie. Das ergibt sich aus seiner Rede:
Ach, HERR, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben.
Wassermangel und trockene Quellen, sowohl auf Erden als auch im Himmel – das soll ein Zweites bebildern: Die Menschen sind abgeschnitten von Gott als Quelle. Oder gehen zu falschen Quellen, die dem Leben feind sind. Die Wassernot bebildert schlicht und einfach die Sünde. Die Tatsache, dass die Menschen von Gott getrennt sind. Dass sie Gott weder hören noch ansprechen.
Jeremia tut eines nicht bei seiner Rede von Sünde. Er benennt keine einzelnen sündigen Taten. Punktum: Mensch und Gott sind voneinander getrennt, das muss genügen. Die Karre ist insgesamt verfahren. Es geht nicht nur ums Lenken oder Ziehen oder Schieben oder Bremsen. Es geht um das Ganze, nicht um das ein oder andere Bewegen oder Stehen.
Die Menschen sind von Gott getrennt. Das scheint damals der Fall gewesen zu sein. Sündenbekenntnis, das heißt zur guten Quelle zu gehen. Da die Hitzewelle extrem lang andauerte, ist wohl kein Mensch auf diese Idee gekommen. Außer dem einen: Jeremia. Er wendet sich der guten Quelle zu: Gott.
Jeremia fühlt sich von seinen Sünden verklagt, wie seine Landsleute. Wohl gemerkt: Nicht von Gott sieht er sich angeklagt. Ein anderes bringt ihn vor den Richter. Seine Sünden verklagen ihn. Also etwas, das Teil seines Lebens ist. Sprich durch sein eigenes altes Leben. So alt, dass es ihm fast fremd vorkommt. Nicht mehr wie sein eigenes. Seine Vergangenheit zerrt seine Gegenwart vor Gericht. Und Jeremia nimmt an, dass es vielen anderen genauso geht.
Jeremia spricht es nicht offen aus. Er erlebt einige Leute seiner Zeit anders. So nach dem Motto: Sünde? Gibt’s doch gar nicht! Oder wenn, dann sind es immer nur die anderen. Was natürlich umso mehr empört. Falls Sie eine Übereinstimmung mit der Gegenwart sehen, ist das rein zufällig und liegt keinesfalls in der Absicht des Autors.
Sich im Streit mit dem Leben hinter sich zu sehen.Ich weiß nicht, wie Sie das sehen. Ich vermute, Sie kennen das. Haben es bei anderen bemerkt. Oder selbst mal erlebt.Was mich angeht, ich kenne das: Die Vergangenheit bedrängt die Gegenwart.
Sowie bei Eltern, die ahnen, etwas falsch gemacht zu haben, wenn sie sehen, was ihre Kinder als Erwachsene so treiben. Böse Überraschung. Oder wie ein Schüler vor der Abschlussprüfung. Bisher glaubt er, mit der Methode Vier gewinnt alles im Griff zu haben. Doch jetzt muss er sich fragen: Hab ich mein Können richtig eingeschätzt? Böse Überraschung. Bilanz ziehen – und bemerken, dass sie längst nicht so gut ausfällt, wie wir meinten.
Jeremias Annahme kränkt. Mit ihr konfrontiert, drängt es einen zu entgegnen: Ich bin doch mündig. Weiß, mich vor bösen Überraschungen zu schützen. Bin dagegen gefeit. Bisher hat die Bilanz immer gestimmt. Ich bin doch nicht blöd. Weiß, mit so was umzugehen. Bösen Überraschungen aus dem Weg zu gehen.
Jeremias Annahme kränkt. Wie dann mit dieser Kränkung umgehen? Gegenangriff? Gehorsam? So tun, als wär nix? Das alles hält die Natur für den Fall eines Angriffs bereit. Und Jeremias Sätze greifen an. Böse Überraschung.
Was bleibt übrig? Die einzig echte und gute Überraschung ist dann: Ich überrasche mich selbst. Mit einem echten Sündenbekenntnis. Und spreche gehorsam, gekränkt oder nicht: 7 Ach, HERR, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben.
Wie bitte? Gehorsam? Wieder mal zu allem Ja und Amen sagen? Auch zur Gottesvergiftung? Dazu ein Beispiel aus der Bibel.
Jesus verlässt Israel und geht in den heutigen Libanon. Da kommt eine Libanesin zu ihm und fordert lautstark Jesus auf, ihre kranke Tochter zu heilen. Jesus wehrt sie ab mit den Worten: Ich bin nur für die Israeliten da. Die Frau lässt sich nicht abspeisen, worauf Jesus sagt: Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und vor die Hunde werfe. Die Frau erwidert: Ja Herr, aber doch essen die Hunde von den Krümeln, die von ihrer Herren Tische fallen. Und Jesus antwortete und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.
Die Frau reagiert auf Jesu Kränkung mit Gehorsam: Sie nimmt das Etikett Hündin an. Obwohl es sie kränkt. Obwohl Jesu Anwurf sie vom Heil weg rückt. Und gewinnt gerade so das Heil, das sie sich wünscht. Und verliert das Etikett.
Falls es einem so ergeht: Jeremia wirbt für genau diesen Gehorsam. Sieh Deinen Ungehorsam ein, Dein Ungenügen. Steh´ zu Deiner insgeheimen Kränkung. Wende Dich Gott zu. Erbitte und erhoffe seine Zuwendung. Die mit Macht und unwiderstehlich Kränkung überwindet. Dich glauben macht, dass Dir selbst in der Kränkung nur Gutes von Gott widerfahren wird. Mach ´es wie Jeremia.
Und das bedeutet gute Überraschung Nummer zwei. Lass Deinem Frust freien Lauf. Wenn es Dir, anders als der Libanesin, an Wortwitz fehlt – mach´ es noch mal wie Jeremia: Kränke als Gekränkter Gott. Gehe wie Jeremia Gott hart an, wenn er zu lange braucht. Wettere mit Gott und beschimpfe ihn. Wenn die Wendung zum Guten die Geduld überstrapaziert. 8 Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? 9 Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?
Was Jeremia hier formuliert, das klingt ein bisschen nach politischer Wutrede. Gott lebt im Untergrund. Wie ein Gesetzloser. Gott verdrückt sich heimlich, wenn es drauf ankommt. Ein Versager, der nicht zu seinem Wort steht. Ein hilfloser Helfer. Der sozusagen David ohne Schleuder antreten lässt. Und Noah ohne Arche. Jeremia geht Gott hart an nach dem Motto: Du forderst nur, ohne das dazu Notwendige zu geben.
Jeremia kränkt Gott mit seinen Sprüchen. Er weiß, was er tut. Denn Gott geht mit Kränkung anders um als Menschen. Die fühlen sich angegriffen, sind oft beleidigt, ziehen sich zurück. Oder schlagen zurück. Gott spielt nicht die beleidigte Leberwurst.
Gott lässt die Kränkung nicht auf sich sitzen. Gott hat Humor und Wortwitz wie die Libanesin. Er münzt wie sie die Kränkung um. Jesus kränkt die Frau, indem er sie als Hündin bezeichnet. Sie weist das nicht zurück. Die Frau unterwirft sich diesem Etikett. Und nutzt es zu ihren Gunsten. Ja, ich bin eine Hündin. Und wie die bekomme ich jetzt grad mal was Gutes von Dir ab. Und so geschieht es.
Den Anwurf: Du forderst und beschämst nur! Ohne mir das dazu notwendige zu geben! Das lässt Gott nicht auf sich sitzen. Er hört auf dieses Etikett, nimmt es an. Zugleich will er so nicht gesehen werden. Er will seinem Gegenüber nichts schuldig bleiben. Und das heißt: Er tut das Notwendige. Er gibt Gutes. Damit Schluss ist mit den Anwürfen. Damit er Gutes zurückbekommt.
Jeremia kränkt Gott mit seinen Sprüchen. Das Beschimpfen packt Gott bei seiner Ehre. Und zeigt an, was Gott tun könnte. Und zwar angesichts dessen, was Gott schon Gutes getan hat. Das heißt vor allem: Gott, erneuere Du Deinen Bund mit mir. Denn ich schaffe es ja nicht. Tu du das Deine, wenn ich das Meine nicht fertig kriege. Und bloß noch blind und fahrig im Leben herumeiere.
Einfach Heil aus zwei Kränkungen und drei Überraschungen. Wenn es denn mal geschieht: Fühle Dich ruhig gekränkt. Überrasche Dich dabei selbst mit einem Sündenbekenntnis. Kränke Gott. Überraschung Nummer zwei. Denn der lässt die Kränkung nicht auf sich sitzen. Überraschung die dritte. Er bleibt einem nichts schuldig. Gott gibt das, was an Gutem fehlt. Er tut alles, um Anwürfe zu entkräften. Um sie in Lob und Dank zu verwandeln. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Hier kann ich – nur? – auf meinen inneren Hörer verweisen. Da ich an einer Berufsschule für Energie- und Informationstechnik unterrichte, hat mein Bild der SchülerInnen sehr wahrscheinlich unbewusst mitgewirkt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Idee, dass der biblische Autor ‚gesampelt‘, also seinen Hitzewelletext auf Basis des Sintfluttextes formuliert hat. In der Folge: die eindrückliche Schilderung der Sintflut sowie die Erweiterung auf all das, was Gottes Bundestätigkeit einschließt.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wenn Gott von Menschen gekränkt wird, dann zeigt er ihnen sein wahres Gesicht, das „absolut“ menschenfreundlich ist.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe abstrahierende durch narrative Formulierungen ersetzt sowie Textelemente mit Irritationspotential für die Leser-/Hörerschaft gestrichen oder umformuliert. Außerdem habe ich der semantischen Spur der biblischen Textvorgabe den Vorrang eingeräumt, Anspielungen reduziert und auf die adressatengerechte Verwendung von Personalpronomina geachtet.