Tiefer sehen - Predigt zu Joh 20,11-18 von Barbara Bockentin
20,11-18

(Der Predigttext geht als Evangeliumslesung der Predigt voraus.)
 

Ein anderer Blick
Die letzten Wochen gucke ich sehr regelmäßig die Serie „Madam Secretary“. In ihr geht es um eine amerikanische Außenministerin. Der rein politische Blick auf die Weltlage ist ihr fremd. Bevor sie in ihr Amt kam, war sie beim CIA – auch in Auslandseinsätzen, zum Beispiel im Irak. Im Grunde ist das Muster in jeder Folge sehr ähnlich. Wer auf Spannung und Action setzt, wird wahrscheinlich rasch gelangweilt sein.
Ich schalte immer wieder wegen der weiblichen Hauptfigur, Elisabeth McCord ein. Sie gibt nicht auf. Gönnt sich einen zweiten Blick. Auch dann, wenn die Zeit drängt. Sie will Hintergründe verstehen. Diskutiert mit ihrem Mitarbeiterstab. Setzt den einfachen Lösungsversuchen – selbst des Präsidenten – ihre Beharrlichkeit, ihr Vertrauen, dass es auch anders geht, entgegen. Dabei ist sie keine Heldin. Hat ihre dunklen Seiten. Versagt. Trotz allem hakt sie nach. Ist auch zu unkonventionellen Lösungen bereit.

Ein zweiter Blick mit der Hoffnung auf Antwort
Da steht Mariam. Sie weiß, dass ein zweiter Blick nötig ist. Deshalb gibt sie sich nicht mit dem ersten zufrieden. Sie geht dabei ins volle Risiko. Rechnet sogar mit einer Enttäuschung. Anders als die zwei Männer, die rasch umkehren, widersteht sie diesem Impuls.
Beim ersten Mal ist sie auch rasch umgekehrt. Hat den anderen von ihrer Entdeckung erzählt. Zwei von ihnen kommen mit ihr. Sie laufen, rennen zum Grab. Die Männer wenden sich um, als sie sehen, dass das Grab leer ist.
Mariam bleibt. Sie streckt den Kopf in die Grabeshöhle. Wird eins mit dem Dunkel. Tränen verschleiern ihren Blick. Kaum auszuhalten, was sie befürchtet, nun mit eigenen Augen zu sehen. Wenn der Leichnam nicht mehr da ist, kann sie ihn nicht ein letztes Mal berühren.
Dann ein zweiter Blick – mit ihm sieht sie mehr. Hört sogar. Zwei schemenhafte Wesen nimmt sie wahr. Lässt sich für einen kurzen Moment ein. Gibt sich ihrer Verzweiflung, ihrer Trauer hin. Erst als sie ausgesprochen hat, was sie befürchtet, dreht sie sich um. Lässt das Dunkel der Grabeshöhle hinter sich.

Doch die Frage bleibt: »Sie haben meinen Herrn weggenommen. Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!«  Bewegt sie weiter. Die Hoffnung auf eine Antwort ist nicht geschwunden. Sie bleibt groß. Eine unverhoffte Begegnung. Eine andere als eben noch in der Grabeshöhle. Wieder fragt sie: »Herr, wenn du ihn weggebracht hast, dann sage mir, wo du ihn hingelegt hast. Ich will ihn zurückholen!« Sie bleibt hartnäckig. Will sich nicht abspeisen lassen.
“Mariam“ – Der Klang seiner Stimme. Die sie so oft gehört hat. Die sich an viele andere wandte. Die sie meinte. Die Stimme, die Geschichten erzählte von Gott, von Liebe, von einer neuen Welt, von anderen Möglichkeiten. Die Stimme, die sanft sein konnte oder sehr energisch. Die Stimme, die ihr eine ganze Welt geöffnet hatte.
Sie erkennt ihn. „Rabbuni“ Wiedererkennen, Zärtlichkeit, Trauer, Unglauben, Freude – all das schwingt zwischen ihnen. Die Hartnäckigkeit Mariam, ihr Nicht-aufgeben-können – ist an ein Ziel gekommen. Sie ist belohnt worden.
Nur ein kurzer Moment, der jäh endet. Sie kann diesen Moment des Wiedererkennens, des Wiedersehens nicht auskosten. Merkt, dass sich etwas geändert hat. Sie findet eine andere Ausdrucksweise für die Freude, die sie festhalten will. Sie singt, hüpft. Redet vor sich hin. Um sich selbst immer wieder zu vergewissern. Um die Worte zu üben, die sie gleich den anderen sagen wird. Immer wieder dieselben Sätze, dieselbe Melodie.
Weil sie nicht aufgegeben hat. Weil sie einen zweiten, tieferen Blick riskiert hat, hat sie sehen und hören können, was den anderen verborgen geblieben ist. Ihre Trauer hat sich so in Freude verwandelt.

Ein zweiter Blick. Offen, bereit für Unerwartetes.
Deshalb schaue ich weiter „Madam Secretary“, weil ich hoffe, dass die weibliche Hauptfigur Elisabeth McCord daran festhält, Hintergründe verstehen zu wollen. Deshalb feiere ich Ostern, weil es ohne die Hartnäckigkeit für Mariam ganz anders geworden wäre. Mich ermutigt es.
Meine Aufgabe für die Osterzeit: Gib dich nicht mit dem ersten Blick zufrieden. Geh noch einmal zurück. Schaue genauer. Schaue tiefer. 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Barbara Bockentin

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich bemerke, dass viele Menschen dem Glauben schenken, was sie lesen, hören oder auf verschiedenen Kanälen sehen, ohne unbedingt zu recherchieren, ob denn alles stimmt, was da an Informationen mitgeliefert wird. Ich denke, dass es sich fast immer lohnt, tiefer zu bohren, am Ball zu bleiben.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Mich hat der Mut von Mariam (Maria von Magdala) beeindruckt. Ihrem Impuls, nicht aufzugeben, dem wollte ich nachgehen.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Es lohnt sich, genauer hinzusehen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die Unterstützung, die ich bei meiner Coach durch ihre positive Resonanz fand, hat es mir leicht gemacht, zu verstehen, wo eine Überarbeitung für mein Anliegen hilfreich ist. Dafür bin ich sehr dankbar.

Perikope
20.04.2025
20,11-18