Die hell glänzende Raumkapsel landet inmitten eines Sees auf der Erde. Schief landet sie in dem Wasserspiegel, der sich schon wieder glatt beruhigt hat. Unmerklich und doch unaufhaltsam droht sie immer tiefer in den See zu sinken, während sich die Tür wie in Zeitlupe öffnet und eine Raumfahrerin sich langsam, mühsam aus der Kapsel hievt.
Nach der langen Schwerelosigkeit im All ist die Frau völlig überwältigt vom Gefühl der eigenen Schwere. Die Erdanziehungskraft scheint sie bleischwer nach unten zu ziehen. Doch mühevoll, hartnäckig rettet sie sich aus der versinkenden Kapsel, landet in dem flachen Gewässer des Sees auf allen Vieren. Menschwerdung: mit einer gewaltigen Kraftanstrengung richtet sie sich langsam, langsam auf, vom Kriechen über das Knien zum Stehen und Gehen und geht schließlich aufgerichtet langsam ans Land.
Die Geschichte der Raumfahrerin Dr. Ryan Stone wurde im Jahr 2013 verfilmt. „Gravity“, Schwerkraft, hieß der Film, in dem Sandra Bullock die Hauptrolle der Astronautin spielte. Als sie nach ihrer glücklichen Landung der Raumkapsel im See landet, hat sie bereits mehr als eine lebensbedrohliche Situation im All in und um die Raumstation erlebt. Und sie hat ihren Kollegen und Partner in dieser herausfordernden Mission verloren: Für den erfahrenen Astronauten Matt Kowalski, der von George Clooney gespielt wurde, sollte es der letzte Einsatz im All sein – eigentlich nur vor seinem Ruhestand. Aber er blieb im All zurück.
Die Mission der beiden lautete: das Weltraumteleskop Hubble zu reparieren. Für die Biomedizinerin Stone ihr erster Flug im Space Shuttle und ihr erster Außeneinsatz im All. Tragische Unfälle mit Trümmerfeldern begleiten die beiden bei ihren Reparaturarbeiten. Sie versuchen zu retten, was zu retten ist. Dr. Stone wird vom Kollegen kurz vor dem Abdriften ins All wieder eingefangen. Er rettet ihr das Leben. Später hat sie wiederum keine Chance, ihn zu halten. Selbstlos koppelt er sich in einer aussichtslosen Situation ab, durchtrennt quasi die Verbindungsleine zwischen ihnen beiden, damit sie gerettet werden kann. Wieder in der Raumstation wird jedoch auch für sie die Situation lebensgefährlich. Kurz bevor sie sich voll Resignation in ihr Schicksal, den Tod ergeben will, erscheint ihr der Astronaut Kowalski und ermutigt sie noch einmal, die Bremsdüsen zu nutzen. Sehr knapp entrinnt sie so dem Tod und landet schließlich mit ihrer Raumkapsel in einem See auf der Erde.
Die Geschichte der Raumfahrerin mit der glücklichen Landung in einem See ist für mich bis heute eine sehr berührende Erzählung von Rettung, Taufe, Wiedergeburt und Neugeburt, neuem Leben.
Quasimodogeniti – „wie die neugeborenen Kinder“, so lautet der Name dieses Sonntags in der nachösterlichen Freudenzeit. Es ist die Zeit, sich an die Bewahrung des eigenen Lebens zu erinnern. An Hoffnung und Neubeginn. An unvergängliches Leben. Es ist die Zeit, sich an die eigene Taufe zu erinnern, Zeit der Reinigung, des Neubeginns, des „Neugeborenseins“ durch das Bad im Wasser, einer neuen Zeit in Jesus Christus.
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch“, heißt es in unserem Predigttext für heute im 1. Petrusbrief.
Die Frau, die sich mühsam aus Angst, Verzweiflung, Schock und Todesnähe selbst aus dem See klaubt, ist für mich ein starkes Bild für die Botschaft des Petrusbriefs. Wie in der Taufe wurde ihr im Bad des Sees neues Leben verliehen. Das Entsetzliche, die Todesnähe liegt hinter ihr. Wie bei einer Geburt begleiten auch hier Wasserströme das neue Leben. Mühsam fängt sie auf der Erde quasi wieder bei Null an, lernt auf Mutter Erde sich fortzubewegen, von dem Herauskriechen aus der Raumkapsel, dem Kriechen im Wasser, lernt sie nach und nach wieder sich aufzurichten, hievt sich schließlich mit immer stärker werdendem Lebenswillen aus dem Wasser, bis sie schließlich – kaum zu glauben – mit aufrecht erhobenen Haupt an festes Land tritt.
Gerettet, vorm Tode bewahrt, auf Erden neugeboren, wiedergeboren.
„Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, auf dass euer Glaube bewährt und viel kostbarer befunden werde als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre“, heißt es im 1. Petrusbrief.
Wenn wir heute in der Kirche Babies, kleine Kinder, Jugendliche und Erwachsene taufen, dann taufen wir sie hinein in den Hoffnungsraum Gottes, in den Lebensraum Gottes mit Wasser, das Jesus Christus symbolisiert, Jesus Christus, das Wasser des Lebens für uns Christinnen und Christen. So unser Glaube. Getauft werden heißt dabei für mich: ich bin wichtig, ich bin wertvoll, ich bin für mich wichtig und wertvoll. Ich erhalte einen Namen, ich bin geborgen in meiner Familie und gleichzeitig für mich als mich selbst wert und kostbar bewiesen, weil ich auf den Namen Jesu Christi getauft bin. Ich bin gesegnet von Gott, der Heilige Geist ist fest in mir versiegelt. Die Taufe ist unverbrüchlich und unvergänglich und verweist auf das unvergängliche, unbefleckte und unverwelkliche Erbe im Himmel, wie es der 1. Petrusbrief beschreibt. Sie verweist mich selbst in schlimmen Situationen, in schrecklichen Situationen, in denen ich gefährdet, abgewertet, bedroht oder beschämt werde, auf eine Wirklichkeit, die mehr ist als diese eine konkrete Wirklichkeit, die ich als die meine wahrnehme. Durch die Taufe sind mir die Augen geöffnet für eine andere, unvergängliche Wirklichkeit hinter dieser offensichtlichen Situation. Eine Wirklichkeit hinter der Wirklichkeit, die eine ganz andere ist. Unvergänglich und unverwelklich, an der ich durch meine Taufe jetzt schon Anteil habe.
Gott bewahrt nicht vor dem Leiden, sondern Gott bewahrt im Leiden. Das heißt, dass ich als Getaufte/r weiterhin Leiden und Anfechtungen, wie es der Petrusbrief nennt, erleiden werde, aber ich kann in all dem auf eine tiefere und stärkere Wirklichkeit setzen, die dahintersteht, die sich letztendlich durchsetzen wird, auch wenn ich sie nicht sehe – durch meinen Glauben. Nach der am Schluss Hoffnung und Leben, Wiedergeburt und Neugeburt steht, eine Wirklichkeit, die stärker ist als der Tod durch das Erbe im Himmel, das uns Jesus Christus erworben habt.
„Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht“, sagt uns der 1. Petrusbrief. „Ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.“
In mittelalterlichen Darstellungen auf Altären gibt es manchmal so etwas wie einen Jungbrunnen zu sehen: als gebrechlicher Greis hineinsteigen und als kleines Kind wieder jung heraustreten. „Quasimodogeniti“ – wie die neugeborenen Kinder sein. Das spiegelt die uralte Sehnsucht der Menschheit wieder bis heute, neu geboren zu werden, wieder jung zu sein. Keine Gebrechen, keine Schmerzen, keine Falten, keine Niedergeschlagenheit mehr, sondern jung sein, Kraft haben, sich mühelos bewegen, springen und tanzen zu können mit jungen hellen Augen zuversichtlich durchs Leben gehen zu können.
„Wenn jemand nicht vom neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Sagt Jesus zu Nikodemus in der Bibel. „Wie kann ein Mensch, der schon alt ist, geboren werden? Er kann doch nicht in den Schoß seiner Mutter zurückkehren und ein zweites Mal geboren werden.“ Lautete daraufhin die Frage des Nikodemus im Johannesevangelium. Jesus antwortet daraufhin: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Jesus hat damit die Taufe gemeint bzw. spätere Generationen haben es so gedeutet. Neugeburt, Wiedergeburt für einen alten Menschen hiesse dann, den Blick öffnen zu können für eine andere Wirklichkeit, dem Reich Gottes, die hinter dem Offensichtlichen liegt hier auf Erden. Der Soziologe Hartmut Rosa schreibt: „… daraus gewinnt auch die Religion per se ihre große Kraft, daraus nämlich, dass (…) sie sagt: Am Ende meiner Existenz liegt nicht das schweigende, kalte, feindliche oder gleichgültige Universum, sondern eine Antwortbeziehung. (…) Für mich ist die Grundidee dort, dass am Grund meiner Existenz nicht das schweigende Universum, ein kalter Mechanismus, der nackte Zufall oder gar ein feindliches Gegenüber liegen, sondern dass dort eine Antwortbeziehung steht. `Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.` Wenn das kein Resonanzappell ist! Etwas hat mich angerufen und mich gemeint.“ So Hartmut Rosa in seinem Vortrag „Demokratie braucht Religion“ aus dem Jahr 2022 (Seite 71f). Darin bestärkt uns die Taufe: Das ich Anteil habe an einer Wirklichkeit, die mehr ist als meine eigene körperliche Gebrechlichkeit, in der der einzelne Mensch Gott wert ist und bleibt. Und in der ich mit Gott in eine Beziehung trete, von Gott bei meinem Namen gerufen werde, Resonanz für mich erhalte und in jeder Minute meines Lebens auf Erden eine heilvolle Zukunft vor mir habe. Das ist die Hoffnung, die wir als Christ*innen den Menschen vermitteln können.
Wasser, Fluss, See – ein Wasser durchschreiten, ein Wasser durchschwimmen, ein Wasser durchfahren steht dabei seit Angedenken der Menschheit für so etwas wie Verwandlung. Die Verwandlung zum Tod und auch die Verwandlung zum Leben. Der Fluss Lethe ist nach der antiken Sage der Übergang zum Tod. Christ*innen glauben, dass noch durch den Tod hindurch neues Leben entsteht. Das symbolhafte Untertauchen in Wasser in der Taufe, in das Wasser, das zerstörerische und gleichzeitig rettende Kraft haben kann, steht dafür. Ich werde gerettet im umfassenden Sinne. Meine Seele wird gerettet. Der Tod hat seine Macht verloren.
„Die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit“, so der 1. Petrusbrief.
Was genau macht den Menschen aus? Ein kleines Büchlein hat mich immer wieder beschäftigt, es trägt den Titel „Das Rätsel der Menschwerdung“ und es beschreibt die Menschwerdung biologisch-medizinisch. Wie konnte sich der Mensch aus gemeinsamen tierischen Vorfahren von Affen herausgebildet haben? Wie konnte er sich aufrichten? Und was genau macht einen Menschen eigentlich aus?
Das Rätsel der Menschwerdung. Was macht den Menschen aus? Wie lerne ich laufen? Wie, wenn ich immer wieder der starken Erdanziehungskraft unterworfen sein werde? Wie richte ich mich dann immer wieder auf? Was macht dabei mich, den Christenmenschen, aus?
Wie war das bei der Astronautin? Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung richtete sie sich langsam auf, vom Kriechen über das Knien zum Stehen und Gehen und geht schließlich aufgerichtet langsam ans Land.
Für mich löst sich das Rätsel so: Die Menschwerdung ist für mich mit einer lebensbejahenden, selbstbejahenden und menschenfreundlichen Haltung verbunden, die sich auch bei großen Rückschlägen nicht entmutigen lässt. Die dem, was vor Augen ist, widersteht, gerade im Blick auf eine tiefere Wirklichkeit. Hoffnung und ein freundlicher Blick auf den anderen, Mitmenschlichkeit machen dabei für mich den Menschen aus. Wasser ist dabei für mich als Christ*in so etwas wie das Medium des Neugeborenwerdens. Taufe und Neubeginn bringen den Christen, die Christin dabei in immer weiterführenden Zyklen und bringen sie spiralförmig immer wieder weiter. Eröffnet ihm und ihr neue Hoffnungsräume. Gnadenzuspruch und der Neuanfang in jedem Gottesdienst immer wieder neu. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Für mich ist die mitreißende Freude der nachösterlichen Freudenzeit besonders prägend für diesen Sonntag. Ein klassischer Predigtgottesdienst mit Tauferinnerung wäre ein guter Rahmen für diese Predigt, vielleicht verbunden mit einem Symbol, einer Aktion zur Tauferinnerung, auf jeden Fall mit Liedern, die die Erneuerung und Freude wie bei einem Neubeginn unterstreichen.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Lebenswille der gestrandeten Astronautin aus dem Film „Gravity“, wie sie sich in der letzten Szene voller Lebenswillen mühsam aus dem Wasser hervorhebt und nicht locker lässt, bis sie aus dem See ans Ufer geht.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass es bei allem, was mich umgibt, sei es Bedrohliches, Erschreckendes, Überraschendes, eine andere, stärkere Wirklichkeit dahinter gibt, die Heilvolles und Leben für die Zukunft für mich bereithält.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Ich habe mich auf die spannendsten Gedanken rund um Taufe und Tauferinnerung konzentriert und weitere Gedanken für eine andere Gelegenheit beiseite gelegt. Das Zitat von Hartmut Rosa kam durch den Austausch hinzu.