Gott ist soooo groß und soooo klein - Predigt zu 1.Kön 8,22-24.26-28 von Jutta Beldermann
8,22-24.26-28

Liebe Gemeinde!

In einem Familiengottesdienst saßen die Kinder vorne auf den Altarstufen. Wir sprachen über Gott. Da stand ein kleiner Junge auf, dreht sich zur Gemeinde, breitete seine Arme ganz weit aus und sagte: „Gott ist soooo groß“ – und nach einem kurzen Moment das Nachdenkens brachte er seinen Daumen und Zeigefinger vor seinen Augen ganz nah zusammen – „und soooo klein“.

Ein großer König und Tempel 

Auch Salomo, der König, ist sehr groß, mächtig und reich. Er hat ein riesiges Reich von seinem Vater David übernommen. Er wollte für Gott einen Tempel bauen. Alle anderen Völker hatten Tempel: die Ägypter, die Babylonier, die Assyrer. Nun sollte auch Israel seinen Tempel haben. Der Tempel sollte genauso groß und prächtig werden wie Salomo und sein Reich. 
Der Tempel wurde feierlich eingeweiht. Viele, viele Menschen waren dabei. In einem großen Zug kamen sie in den Tempelbereich. Und der König Salomo selbst segnete den Tempel und betete. Er war stolz auf das schöne Gebäude. Er war stolz darauf, dass dieser Tempel nun Gottes Wohnung werden sollte. 

Gott ist soooo groß wie der Himmel 

Nur ein paar hundert Jahre später wurde der Tempel zerstört und ausgeraubt. Salomo war längst gestorben. Ein anderer König regierte. Er und das ganze Volk Israel wurde in einem Krieg besiegt und viele wurden nach Babylon verschleppt. 
Die verschleppten Menschen fragten sich, ob Gott es nicht wert fand, seinen schönen Tempel zu retten. Sie machten sich Sorgen, dass Gott vielleicht auch sein Volk Israel nicht mehr liebte. Oder, was noch schlimmer war: Könnte es sein, dass Gott nicht stark genug war, um seinen Tempel und sein Volk zu retten? Dass er besiegt war, zurückgelassen in den Ruinen seines zerstörten Tempels.
Da erinnerten sich die Menschen aus Israel an alles, was sie bisher mit Gott erlebt hatten: Gott hatte Abraham ein neues Zuhause gegeben, er hatte Jakob zum Stammvater Israels gemacht, Gott hatte sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten geführt. Und dann hatte er König David, den Vater des Salomo, ausgewählt als König für Israel. Und so gab es noch viel mehr Beispiele. Gott hatte seine Versprechen gehalten, er war seinem Volk treu geblieben. Und wenn das früher so war, dann war das auch in Babylon so. Das glaubten sie ganz fest.
Auch wenn die Babylonier jetzt einmal stärker gewesen waren, als das Volk Israel, Gott hatte sie nicht verlassen. Jetzt verstanden sie: Gott war nicht nur in Israel und in seinem Tempel. Er war nicht angewiesen auf bestimmte Orte. Er war auch in Babylon bei ihnen. Gott ist überall, seine Gegenwart ist universal, an jedem Ort dieser Welt. Denn Gott ist der Schöpfer der Welt. Er hat jedes Volk geschaffen und jeden Menschen. Sein eigentlicher Thron ist an keinem bestimmten Ort auf der Erde. Der Gott Israels lebt im Himmel. Und selbst dieser Himmel kann Gott nicht ganz fassen. 

Größer als Tempel und Kirchen 

Also braucht Gott eigentlich gar keine Gebäude zum Wohnen. Keinen Tempel und keine Kirchen. Heute können wir den Himmel sehen beim Gottesdienst. Heute erleben wir, dass wir draußen Gott genauso gut und vielleicht sogar viel besser loben können als drinnen.
Wir als Gemeinde (oder: viele Gemeinden) müssen im Moment überlegen, ob wir eine unserer Kirchen schließen und verkaufen. Sie kostet zu viel Geld, das wir nicht mehr haben. Das ist sehr schwer und traurig. Aber unsere Aufgabe ist es ja, Gott zu loben und von ihm zu erzählen. Und das, das können wir überall. Eine Gemeinde, die ich kenne, feiert oft draußen Gottesdienst. Und für die anderen Sonntage hat sie ein Ladenlokal in der Fußgängerzone gemietet. Viele Menschen kommen gerne dahin, denn Gott zu loben, das geht überall.  
Als die Erzählung von der Einweihung des Temples durch Salomo aufgeschrieben wurde, da war es den Schreibern ganz wichtig, diese Erkenntnis hineinzunehmen in ihre Geschichte. Schon Salomo, so erzählten sie, hat daran gezweifelt, dass der Tempel Gottes Größe fassen könnte. Wir haben es in der Lesung gehört. Er sagte: „Sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Selbst die unendliche Weite des Himmels kann dich, Gott, nicht fassen! Wie könnte das der Tempel, den ich gebaut habe?“

Größer als unsere Bilder

Der Tempel kann Gott nicht fassen, auch keine Kirche. Und auch unsere Vorstellungen können Gott nicht wirklich fassen. Dass Gott im Himmel wohnt, ist nur ein Bild. Die Menschen aus dem Volk Israel, die es aufgeschrieben haben, haben es benutzt, weil wir Menschen uns sonst die Größe Gottes gar nicht vorstellen können. Gott ist darum aber nicht der Mann mit Bart auf einem Thron im Himmel. So wenig, wie der Tempel oder eine noch so schöne Kirche ausreichen, um Gottes Größe zu erfassen, so wenig können es auch alle unsere menschlichen Bilder. Der Junge im Familiengottesdienst hat es eigentlich viel besser ausgedrückt: „Gott ist soooo groß!“

Himmelfahrtsgottesdienst draußen

Darum feiern wir so gerne draußen Gottesdienst. Wir können den blauen Himmel sehen und ahnen, wie groß Gott ist. Wir sehen die schöne Erde, wie sie grün ist und blüht und sehen, was für „Herrlichkeiten unser Gott da ausgestreut“ hat. Dann können wir die Größe Gottes feiern, der größer ist als der Himmel und in jedem Fall größer als die Erde. 

Größer als die Erde 

Gott ist soooo groß, weil er der Schöpfer ist. Die Erde und die Menschen sind seine Geschöpfe. Wir dürfen nicht endgültig über die Erde verfügen; wir sollen sie bewahren. Obwohl wir Menschen so viel können und sehr mächtig sind, die Erde und die Schöpfung müssen wir respektieren und schützen, gerade weil wir so viel können. Aus Respekt vor der Schöpfung, vor den Menschen nach uns und vor Gott, dem Schöpfer. 

Größer als die Menschen

Alles, auch die mächtigsten Menschen, sind Gottes Geschöpfe. Zwar haben wir Menschen eine besondere Rolle in der Welt, aber auch wir sind nur geschaffen. Auch wir leben hier für eine Zeit und werden sterben und vergehen, wie alle anderen Lebewesen. 
Viele Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus aufgewachsen sind, kannten das Lied „Freuet euch der schönen Erde“. Vor der Predigt haben wir es gesungen. In dieser Zeit war es sozusagen ein Protestlied gegen den Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten wollten nämlich, dass arische und besonders deutsche Männer und Frauen eine besondere Stellung in der Welt haben. Sie sahen auch in Adolf Hitler eine göttliche Offenbarung. Sie verehrten ihn wie Gott. 
Das Lied macht deutlich: Mit dem Glauben an Gottes Schöpfermacht reduziert sich auch die Macht aller weltlichen Mächte. Das galt für David und Salomo, das galt für Hitler und Goebbels, heute gilt es für Trump und Putin oder für alle, die selbstherrlich Menschen einteilen in wertvoll und nicht so wertvoll. Dann sollen wieder Deutsche wertvoller sein als Menschen aus anderen Ländern. 
„Und doch sind sie nur Geschöpfe von des großen Gottes Macht“, haben wir gesungen. Auch für uns kann das Lied noch ein Protestlied sein. Wir müssen nicht akzeptieren, wenn Menschen gemobbt werden. Wir können laut sagen, dass wir weiter in einer Demokratie leben wollen, in der alle Menschen gleiche Rechte haben. 

Gott ist „soooo groß“ und doch ganz nah 

Gott ist soooo groß. Und trotzdem ist er auch soooo klein, damit er ganz nah bei uns sein kann. Weil das Volk Israel das glaubte, fühlten sie sich in Babylon gar nicht immer allein. Der große Gott war ihnen ganz nah. Er tröstete sie, wenn sie traurig waren, und gab ihnen Hoffnung, dass sie irgendwann wieder zurückkehren würden nach Israel.
In unserem Lied heißt es: „Ach, was muss an seinem Herzen erst für Freud und Wonne sein.“ Das jüdische Volk glaubt und wir mit ihm, dass der große Gott ein Herz hat. Und dass er die Menschen in sein Herz geschlossen hat und sich soooo klein macht, um für seine Menschen da zu sein. 

Jesus ist soooo klein und soooo groß

Darum ist auch Gott in Jesus Christus auf die Erde gekommen. Auch er wurde ganz klein. So konnte er leben wie die Menschen und ihnen ganz nah sein. So konnten Menschen ihn kennenlernen und von ihm erzählen. Gott schenkte uns durch Jesus sein Leben. Und Gott hat ihn vom Tod auferweckt und schenkt uns mit Jesus auch noch das ewige Leben. Das haben wir an Ostern gefeiert. Darum feiern wir Himmelfahrt und meinen damit: Wie Gott ist auch Jesus soooo klein und soooo groß. 

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Jutta Beldermann

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
In vielen Gemeinden finden Gottesdienste an Himmelfahrt draußen unter freiem Himmel statt. Diese Situation habe ich aufgegriffen. Bei solchen Gottesdiensten sind häufig Familien mit Kindern präsent. Die Predigt ist daher in etwas einfacher(er) Sprache verfasst. Die Lesung des Textes aus der Basisbibel. 

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Erlebnis mit dem Jungen im Familiengottesdienst ist mir sehr spontan in den Kopf gekommen. Es scheint mir für Hörerinnen und Hörer anregender zu sein als die Frage „Wo wohnt Gott?“ Beim Schreiben kam mir dann (wieder) Lied EG 510 in den Kopf (s.u.). Sein subversiver Gebrauch in den Gemeinden der Bekennenden Kirche beflügelt mich immer wieder. Es könnte gut vor der Predigt gesungen werden.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass die exilische Erkenntnis von der universalen Größe Gottes in die nachexilischen Texte bzw. ihre Bearbeitung eingeflossen ist, bewegt mich schon immer. Davon lebt auch die Geschichte von der Tempelweihe bzw. das Gebet Salomos. Und es hat Auswirkung auf unsere Betrachtung der Welt und unser gesellschaftliches Engagement. 

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Eine Kollegin, die meine Predigt kommentiert hat, fand die Sprache gar nicht so einfach. Ich habe entsprechend an manchen Stellen nachgearbeitet. Sie wies mich auch darauf hin, dass die Entstehung der exilischen Theologie, die den Text beeinflusst, erzählt werden muss, damit sie verstanden wird. Das habe ich nun in einem extra Abschnitt getan.  

Perikope
29.05.2025
8,22-24.26-28