Gott ist soooo groß und soooo klein - Predigt zu 1.Kön 8,22-24.26-28 von Jutta Beldermann

Gott ist soooo groß und soooo klein - Predigt zu 1.Kön 8,22-24.26-28 von Jutta Beldermann
8,22-24.26-28

Liebe Gemeinde!

In einem Familiengottesdienst saßen die Kinder vorne auf den Altarstufen. Wir sprachen über Gott. Da stand ein kleiner Junge auf, dreht sich zur Gemeinde, breitete seine Arme ganz weit aus und sagte: „Gott ist soooo groß“ – und nach einem kurzen Moment das Nachdenkens brachte er seinen Daumen und Zeigefinger vor seinen Augen ganz nah zusammen – „und soooo klein“.

Ein großer König und Tempel 

Auch Salomo, der König, ist sehr groß, mächtig und reich. Er hat ein riesiges Reich von seinem Vater David übernommen. Er wollte für Gott einen Tempel bauen. Alle anderen Völker hatten Tempel: die Ägypter, die Babylonier, die Assyrer. Nun sollte auch Israel seinen Tempel haben. Der Tempel sollte genauso groß und prächtig werden wie Salomo und sein Reich. 
Der Tempel wurde feierlich eingeweiht. Viele, viele Menschen waren dabei. In einem großen Zug kamen sie in den Tempelbereich. Und der König Salomo selbst segnete den Tempel und betete. Er war stolz auf das schöne Gebäude. Er war stolz darauf, dass dieser Tempel nun Gottes Wohnung werden sollte. 

Gott ist soooo groß wie der Himmel 

Nur ein paar hundert Jahre später wurde der Tempel zerstört und ausgeraubt. Salomo war längst gestorben. Ein anderer König regierte. Er und das ganze Volk Israel wurde in einem Krieg besiegt und viele wurden nach Babylon verschleppt. 
Die verschleppten Menschen fragten sich, ob Gott es nicht wert fand, seinen schönen Tempel zu retten. Sie machten sich Sorgen, dass Gott vielleicht auch sein Volk Israel nicht mehr liebte. Oder, was noch schlimmer war: Könnte es sein, dass Gott nicht stark genug war, um seinen Tempel und sein Volk zu retten? Dass er besiegt war, zurückgelassen in den Ruinen seines zerstörten Tempels.
Da erinnerten sich die Menschen aus Israel an alles, was sie bisher mit Gott erlebt hatten: Gott hatte Abraham ein neues Zuhause gegeben, er hatte Jakob zum Stammvater Israels gemacht, Gott hatte sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten geführt. Und dann hatte er König David, den Vater des Salomo, ausgewählt als König für Israel. Und so gab es noch viel mehr Beispiele. Gott hatte seine Versprechen gehalten, er war seinem Volk treu geblieben. Und wenn das früher so war, dann war das auch in Babylon so. Das glaubten sie ganz fest.
Auch wenn die Babylonier jetzt einmal stärker gewesen waren, als das Volk Israel, Gott hatte sie nicht verlassen. Jetzt verstanden sie: Gott war nicht nur in Israel und in seinem Tempel. Er war nicht angewiesen auf bestimmte Orte. Er war auch in Babylon bei ihnen. Gott ist überall, seine Gegenwart ist universal, an jedem Ort dieser Welt. Denn Gott ist der Schöpfer der Welt. Er hat jedes Volk geschaffen und jeden Menschen. Sein eigentlicher Thron ist an keinem bestimmten Ort auf der Erde. Der Gott Israels lebt im Himmel. Und selbst dieser Himmel kann Gott nicht ganz fassen. 

Größer als Tempel und Kirchen 

Also braucht Gott eigentlich gar keine Gebäude zum Wohnen. Keinen Tempel und keine Kirchen. Heute können wir den Himmel sehen beim Gottesdienst. Heute erleben wir, dass wir draußen Gott genauso gut und vielleicht sogar viel besser loben können als drinnen.
Wir als Gemeinde (oder: viele Gemeinden) müssen im Moment überlegen, ob wir eine unserer Kirchen schließen und verkaufen. Sie kostet zu viel Geld, das wir nicht mehr haben. Das ist sehr schwer und traurig. Aber unsere Aufgabe ist es ja, Gott zu loben und von ihm zu erzählen. Und das, das können wir überall. Eine Gemeinde, die ich kenne, feiert oft draußen Gottesdienst. Und für die anderen Sonntage hat sie ein Ladenlokal in der Fußgängerzone gemietet. Viele Menschen kommen gerne dahin, denn Gott zu loben, das geht überall.  
Als die Erzählung von der Einweihung des Temples durch Salomo aufgeschrieben wurde, da war es den Schreibern ganz wichtig, diese Erkenntnis hineinzunehmen in ihre Geschichte. Schon Salomo, so erzählten sie, hat daran gezweifelt, dass der Tempel Gottes Größe fassen könnte. Wir haben es in der Lesung gehört. Er sagte: „Sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Selbst die unendliche Weite des Himmels kann dich, Gott, nicht fassen! Wie könnte das der Tempel, den ich gebaut habe?“

Größer als unsere Bilder

Der Tempel kann Gott nicht fassen, auch keine Kirche. Und auch unsere Vorstellungen können Gott nicht wirklich fassen. Dass Gott im Himmel wohnt, ist nur ein Bild. Die Menschen aus dem Volk Israel, die es aufgeschrieben haben, haben es benutzt, weil wir Menschen uns sonst die Größe Gottes gar nicht vorstellen können. Gott ist darum aber nicht der Mann mit Bart auf einem Thron im Himmel. So wenig, wie der Tempel oder eine noch so schöne Kirche ausreichen, um Gottes Größe zu erfassen, so wenig können es auch alle unsere menschlichen Bilder. Der Junge im Familiengottesdienst hat es eigentlich viel besser ausgedrückt: „Gott ist soooo groß!“

Himmelfahrtsgottesdienst draußen

Darum feiern wir so gerne draußen Gottesdienst. Wir können den blauen Himmel sehen und ahnen, wie groß Gott ist. Wir sehen die schöne Erde, wie sie grün ist und blüht und sehen, was für „Herrlichkeiten unser Gott da ausgestreut“ hat. Dann können wir die Größe Gottes feiern, der größer ist als der Himmel und in jedem Fall größer als die Erde. 

Größer als die Erde 

Gott ist soooo groß, weil er der Schöpfer ist. Die Erde und die Menschen sind seine Geschöpfe. Wir dürfen nicht endgültig über die Erde verfügen; wir sollen sie bewahren. Obwohl wir Menschen so viel können und sehr mächtig sind, die Erde und die Schöpfung müssen wir respektieren und schützen, gerade weil wir so viel können. Aus Respekt vor der Schöpfung, vor den Menschen nach uns und vor Gott, dem Schöpfer. 

Größer als die Menschen

Alles, auch die mächtigsten Menschen, sind Gottes Geschöpfe. Zwar haben wir Menschen eine besondere Rolle in der Welt, aber auch wir sind nur geschaffen. Auch wir leben hier für eine Zeit und werden sterben und vergehen, wie alle anderen Lebewesen. 
Viele Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus aufgewachsen sind, kannten das Lied „Freuet euch der schönen Erde“. Vor der Predigt haben wir es gesungen. In dieser Zeit war es sozusagen ein Protestlied gegen den Nationalsozialismus. Die Nationalsozialisten wollten nämlich, dass arische und besonders deutsche Männer und Frauen eine besondere Stellung in der Welt haben. Sie sahen auch in Adolf Hitler eine göttliche Offenbarung. Sie verehrten ihn wie Gott. 
Das Lied macht deutlich: Mit dem Glauben an Gottes Schöpfermacht reduziert sich auch die Macht aller weltlichen Mächte. Das galt für David und Salomo, das galt für Hitler und Goebbels, heute gilt es für Trump und Putin oder für alle, die selbstherrlich Menschen einteilen in wertvoll und nicht so wertvoll. Dann sollen wieder Deutsche wertvoller sein als Menschen aus anderen Ländern. 
„Und doch sind sie nur Geschöpfe von des großen Gottes Macht“, haben wir gesungen. Auch für uns kann das Lied noch ein Protestlied sein. Wir müssen nicht akzeptieren, wenn Menschen gemobbt werden. Wir können laut sagen, dass wir weiter in einer Demokratie leben wollen, in der alle Menschen gleiche Rechte haben. 

Gott ist „soooo groß“ und doch ganz nah 

Gott ist soooo groß. Und trotzdem ist er auch soooo klein, damit er ganz nah bei uns sein kann. Weil das Volk Israel das glaubte, fühlten sie sich in Babylon gar nicht immer allein. Der große Gott war ihnen ganz nah. Er tröstete sie, wenn sie traurig waren, und gab ihnen Hoffnung, dass sie irgendwann wieder zurückkehren würden nach Israel.
In unserem Lied heißt es: „Ach, was muss an seinem Herzen erst für Freud und Wonne sein.“ Das jüdische Volk glaubt und wir mit ihm, dass der große Gott ein Herz hat. Und dass er die Menschen in sein Herz geschlossen hat und sich soooo klein macht, um für seine Menschen da zu sein. 

Jesus ist soooo klein und soooo groß

Darum ist auch Gott in Jesus Christus auf die Erde gekommen. Auch er wurde ganz klein. So konnte er leben wie die Menschen und ihnen ganz nah sein. So konnten Menschen ihn kennenlernen und von ihm erzählen. Gott schenkte uns durch Jesus sein Leben. Und Gott hat ihn vom Tod auferweckt und schenkt uns mit Jesus auch noch das ewige Leben. Das haben wir an Ostern gefeiert. Darum feiern wir Himmelfahrt und meinen damit: Wie Gott ist auch Jesus soooo klein und soooo groß. 

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Jutta Beldermann

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
In vielen Gemeinden finden Gottesdienste an Himmelfahrt draußen unter freiem Himmel statt. Diese Situation habe ich aufgegriffen. Bei solchen Gottesdiensten sind häufig Familien mit Kindern präsent. Die Predigt ist daher in etwas einfacher(er) Sprache verfasst. Die Lesung des Textes aus der Basisbibel. 

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Das Erlebnis mit dem Jungen im Familiengottesdienst ist mir sehr spontan in den Kopf gekommen. Es scheint mir für Hörerinnen und Hörer anregender zu sein als die Frage „Wo wohnt Gott?“ Beim Schreiben kam mir dann (wieder) Lied EG 510 in den Kopf (s.u.). Sein subversiver Gebrauch in den Gemeinden der Bekennenden Kirche beflügelt mich immer wieder. Es könnte gut vor der Predigt gesungen werden.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass die exilische Erkenntnis von der universalen Größe Gottes in die nachexilischen Texte bzw. ihre Bearbeitung eingeflossen ist, bewegt mich schon immer. Davon lebt auch die Geschichte von der Tempelweihe bzw. das Gebet Salomos. Und es hat Auswirkung auf unsere Betrachtung der Welt und unser gesellschaftliches Engagement. 

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Eine Kollegin, die meine Predigt kommentiert hat, fand die Sprache gar nicht so einfach. Ich habe entsprechend an manchen Stellen nachgearbeitet. Sie wies mich auch darauf hin, dass die Entstehung der exilischen Theologie, die den Text beeinflusst, erzählt werden muss, damit sie verstanden wird. Das habe ich nun in einem extra Abschnitt getan.  

Perikope
29.05.2025
8,22-24.26-28

Iss, du hast einen weiten Weg vor dir - Predigt zu 1Kön 19,1-13a von Manfred Wussow

Iss, du hast einen weiten Weg vor dir - Predigt zu 1Kön 19,1-13a von Manfred Wussow
19,1-13a

1Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. 2Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast! 3Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort. 4Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
5Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! 6Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. 7Und der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. 8Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
9Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm: Was machst du hier, Elia? 10Er sprach: Ich habe geeifert für den Herrn, den Gott Zebaoth; denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.
11Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den Herrn! Und siehe, der Herr ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her; der Herr aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. 12Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. 13Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.

Ginster

Ich suche einen Ginster. Den weißen Ginster in der Wüste. Wenn er nur nicht weiter ist als eine Tagereise! Eine kleine Oase. Für einen müden, verzweifelten und enttäuschten Menschen. Am Tag hält der Ginster die Hitze aus, in der Nacht die Kälte. Der weiße Ginster wächst nicht überall. Er liebt den kargen Boden, in der Wüste blüht er auf.

Elia ist auf der Flucht. Die Königin fahndet nach ihm. Morgen, sagt sie, morgen bist du dran! Die Entscheidung fällt ganz oben. Erst ist Elia gerannt, jetzt kann er nur noch gehen. Eine Tagereise weit. Viele Stunden. Viele Kilometer.  Endlich! Er lässt sich unter einen Ginster fallen. „Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.“ Hingehaucht. Mit trockenem Mund. Ein Stoßseufzer, ein Gebet ist es auch. Dann schläft Elia ein. Ganz allein auf der Welt.

Während Elia einen Platz gefunden hat, sich fallenlassen kann, sind viele Menschen auf der Flucht. Weltweit und in Europa. Am 24. Februar wurde die Ukraine überfallen. Erst kamen die Lügen, dann der Tod. Ein Land wird verwüstet, Städte in Schutt und Asche gelegt, Menschen vertrieben, Familien auseinandergerissen. An anderen Orten ist es gefährlich geworden, die russische Sprache zu sprechen. Kinder in der Grundschule sagen, dass sie Russen hassen. Kollegen können nicht mehr unbefangen miteinander umgehen. Verschwörungstheorien wabern durch die Netze. Feindbilder wachsen.

Elias Gesicht wird uns nicht gezeigt. Ich sehe aber viele verzweifelte und verzagte Gesichter – und viele trotzige und mutige. Ich sehe freundliche und liebevoller Gesichter – und verhärtete und eiskalte. Ein Präsident, der die Sprache Dostojewskis und Tolstois spricht, redet sich in den Wahn - und um Kopf und Kragen. Er erzählt Geschichten voller Hass. Sie finden Abnehmer und Vollstrecker.

Es ist genug…

Ich suche einen Ginster. Den weißen Ginster in der Wüste. Wenn er nur nicht soviel weiter wäre als eine Tagereise. Für müde, verzweifelte und enttäuschte Menschen.

Übrigens: In Kiew ist die älteste Kirche nach Elia benannt. Die Hoffnung, in seiner Geschichte ein Gegenstück zu den Bildern zu finden, die uns ständig durch den Kopf gehen, die uns Angst einjagen, die unser Vertrauen untergraben, ist groß. Es ist, als sei von langer Hand vorbereitet, dass wir heute Elias Geschichte aus dem Ersten Buch der Könige lesen.

Die Geschichte beginnt in der Wüste.

Ein Engel

Elia hat es geschafft. Er schläft. Die Leute, die hinter ihm her sind, haben ihn aus den Augen verloren. Ob Elia die Berührung jetzt spürt? Die leise Stimme hört? Steh auf, iss! Zweimal. Ein Engel stellt ihm frisches, duftendes Brot hin. Einen Krug mit kaltem Wasser dazu. So riecht Leben, so schmeckt Leben.

Der Engel scheint ihn zu kennen, auch zu wissen, wo er ihn finden kann. Ob er ihm gefolgt ist? Womöglich nie von ihm gewichen ist? Gerne hätte ich mit ihm geredet, über Elia, über alles, was ich sehe – der Engel hat sich zurückgezogen. Ich werde wohl den Weg zurückgehen müssen, den Elia gegangen ist, um seine Spuren zu  finden. Eine Tagreise weit. Bis zu der Stelle, an der wieder Menschen wohnen, Vieh weidet, Geschichten erzählt werden. Wer ist Elia überhaupt? Warum muss er fliehen? Warum in die Wüste gehen?

Auf der Suche nach Elia treffen wir Menschen, die irgendetwas von ihm wissen.
Elia, erzählen die Leute, werde gesucht, weil er sich mit der Königin angelegt habe.
Andere, weil er ein Massaker angerichtet haben soll.
Wieder andere, dass er den Verstand verloren habe.
Es ist schwer, eine Geschichte zu rekonstruieren, die viele Seiten hat.

Isebel und Elia

Elia hat sich tatsächlich mit der Königin angelegt. Isebel, von Hause aus eine Königstochter aus Phönizien, hat Ahab geheiratet, den König von Israel. Sie hat die Gebräuche, auch die Götter ihrer Heimat mit in die Ehe gebracht und in ihr neues Land. Israel. Ihr Mann soll ihr sogar einen richtigen Tempel spendiert haben. Isebel ist genau die richtige Partie für einen König, der hoch hinaus und in der Liga der mächtigen Völker mitspielen will. Aus Israel soll noch etwas werden! Dafür werden die königlichen Herrschaftsinteressen rücksichtslos durchgesetzt und alte Bestimmungen - wie das traditionelle Bodenrecht  - ausgehebelt. Isebel hat auch den richtigen Namen. Übersetzt: „Wo ist Hoheit“? Was ist das – Hoheit?

Die Leute haben das mitbekommen. Elia hat ein Massaker angerichtet. Er hat 450 Priester der Baalim – so heißen die Fruchtbarkeitsgötter der Isebel – umgebracht. Sogar eigenhändig. Mit dem Schwert. Elia wird als Wüterich gezeichnet, der kein Maß mehr kennt. Die Baalim sind sein großes Feindbild. Der Gott Israels ist alleine Gott. Nur er. Er hat einen Bund mit seinem Volk geschlossen. Für alle Zeit. Nach ihm trägt Elia seinen Namen: Gott ist Jahwe.
Jetzt hat Elia Blut an den Händen - und Gott in eine unheilvolle Geschichte gezogen. Er hat Gott einfach für seine Träume vereinnahmt. Er hat Gott missbraucht. Geschehen ist das in aller Öffentlichkeit. Fanatismus und Hass liegen offen. Darüber können auch die vielen Geschichten nicht hinwegtäuschen, die beschönigen, entschuldigen und verstecken sollen.

Ahab, der König, so heißt es lapidar, habe Isebel davon berichtet. Sie kann jetzt machen, was sie will – und Ahab ist fein heraus. Ahab kennt Gott auch. Wie man eben Gott so kennt, wenn man mit ihm – oder auch ohne ihn – seine eigene Geschichte schreibt.

Wenn die Leute dann auch sagen, Elia habe den Verstand verloren, ist das fein beobachtet. Elia hat sich tatsächlich vergessen – und Gott auch. Er glaubte, mit Gewalt Gottes Ehre verteidigen zu können, auch Gottes Willen durchsetzen zu müssen. Er glaubte – das Falsche. Als er wieder zu sich kommt, kann er nur noch rennen. Nur: So schnell er auch läuft, er entkommt sich nicht. So weit er auch läuft, er nimmt sich immer mit.
Jetzt ist er in der Wüste. Unter dem weißen Ginster hat er sich fallengelassen. Es ist genug.

Genug

Elia sagt es leise zu sich, er sagt es Gott. Genug. Nicht mehr davon. Nicht weiter so. Aber auch: Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende.
Hat Elia einen Engel verdient? Ist er – Opfer? Müsste der Engel nicht ganz woanders sein? Dass ein Engel ihn anrührt, mit ihm spricht, hat zärtliche Züge – es ist eine Geschichte wie aus einer anderen Welt.

Elia lässt sich fallen, Elia wird aber nicht fallengelassen. Von Gott nicht. Elia wird auf einen weiten Weg geschickt, auf einen sehr weiten. Wohin? Wie lange? Der Engel sagt nur: „Du hast einen weiten Weg vor dir“. Eigentlich, wörtlich: „Genug noch hast du des Weges“. Ein schönes Spiel mit Worten, fein abgestimmt. Nach Engelart. Während Elia genug hat und innerlich abschließt, sagt ihm der Engel, dass er noch genug vor sich hat. Mehr als genug.

Wenn da nicht das Brot wäre und der Krug mit Wasser – niemand hätte gewusst, das ein Engel da war. Wohl auch Elia nicht. Ob er ihn überhaupt gehört, wahrgenommen hat? Womöglich wissen wir mehr als er.

DIE

Jetzt sehen wir Elia in einer Höhle. Spricht er mit sich? Spricht er mit Gott? Ein Vorwurf reiht sich an den anderen. Es sprudelt geradezu aus ihm heraus. Eine Kaskade.

DIE haben deinen Bund verlassen.
DIE haben deine Altäre niedergerissen.
DIE haben die Propheten mit dem Schwert getötet.
DIE trachten mir nach dem Leben.
DIE Russen.
DIE Nato.
DIE Ukrainer.
DIE DIE trachten mir nach dem Leben.

Von sich redet Elia aber eigentlich nicht. Er hätte so viel zu erzählen. Von dem, was er dachte, was er machte. Von seinen Träumen hätte er reden können. Und von dem, was ihm gründlich misslungen ist. Hatte er nicht 40 Tage Zeit? Zeit zum Nachdenken? Zeit, mit sich ins Reine zu kommen? Aber was sind schon 40 Tage – wenn ein Mensch mit jedem Tag sturer, trotziger und uneinsichtiger wird. Wenn ein Mensch 40 Tage nur mit sich unterwegs ist. Und aus dem Bann seiner eigenen Geschichte nicht heraustreten kann.

DIE. DIE. Elia ist – nur Opfer. Er muss das Opfer sein. Er allein. Ein gutes Wort hat er nicht für die Menschen. Er bittet nicht für sie. Er tritt vor Gott nicht für sie ein.
Nur: Wer nur DIE sagen kann, sagt nur ICH. ICH.

Elia ist in einer Höhle.
Er ist immer noch mit sich allein.
Er ist schon wieder mit sich allein.
Die Höhle ist ein Gefängnis.

DU

Der Ginster ist weit weg. Der weiße Ginster in der Wüste. Auch der Engel ist nicht mehr da. Das Brot ist verzehrt, der Krug geleert. Jetzt muss Elia aus seiner Höhle heraustreten. Gott selbst sagt: Geh heraus! Als Elia dann vor die Höhle tritt, wird er Zeuge großer Naturspektakel: ein Sturm, der Felsen bricht – ein Erdbeben, das Berge bewegt – ein Feuer, das sich durch die Täler frisst. Und Elia schaut zu. Das muss man seiner Höhle schon lassen: Elia hat einen sicheren Abstand. Weit kann er schauen. Passieren wird ihm nichts.
Doch was machen Sturm, Erdbeben und Feuer mit ihm? Alles kommt auf einmal. Hintereinander. Auch wie eine Kaskade. Kaum zu glauben, dass das mit rechten Dingen zugeht. Doch: Elia hatte sich ein Bild von Gott gemacht. Elia konnte sich Gott nur so vorstellen: stürmisch, bebend, brennend. Gewaltig, überwältigend, allmächtig. Elia wollte genauso sein: stürmisch, bebend, brennend. Allmächtig wohl auch. Tatsächlich ist er in die Geschichte eingegangen als „feuriger Elia“. Ein Ruhmestitel muss das nicht sein. Gott aber war nicht im Sturm, nicht im Beben, nicht im Feuer. Die Bilder, die sich auch Elia von ihm gemacht hat – im Nu zerstoben. Ob für Elia eine Welt zusammenbricht? Jedenfalls kann Elia nicht da stehen bleiben, wo er sich breitbeinig hingestellt hat.
Die Höhle ist auch zu klein.

Wir sehen dann, wie sich nach den verpufften gewaltigen Erscheinungen eine Ruhe ausbreitet. Ein Hauch. Ein Schweigen. Ein Schweigen, das schwebt. Über den Bergen, über Gipfel und Täler. Auch über Elia. Sturm, Beben und Feuer werden auch in seinem Herzen still!

Ein schwebendes Schweigen kennen wir in unserer Sprache nicht – aber in der hebräischen gibt es das. Wir spüren das Schweigen. Es bewegt sich – es lebt. Es geht in alle Ritzen. Es umschlingt die Sterne. Es streicht über ein Gesicht. Es streicht über die Ohren. Wie ein Wort.
Die Gewaltphantasien verschweben jetzt, die Allmachtsphantasien verschweben, DIE da verschweben. Wollte Elia Gott mit Gewalt schützen – er entzieht sich. Wollte Elia Gott in Gewalt verstecken – er bricht aus. In ein Schweigen, das so zärtlich ist, dass Menschen aufleben, aber das auch so laut ist, dass alle Tyrannen erzittern. Da  muss auch so mancher Patriarch noch lernen, für Gerechtigkeit und Wahrheit einzutreten.

Als Elia dieses Schweigen hört, verhüllt er sein Antlitz mit seinem Mantel, geht hinaus und tritt in den Eingang der Höhle. Der erste Schritt nach draußen. Obwohl Elia von Gott nichts gesehen hat, ist Gott ihm im Schweigen vorausgegangen. Jetzt verstummen, jetzt verschweben die Ängste, der Hass, die Gewalt. Frieden breitet sich aus. Gott ist Frieden. Nicht Sturm. Nicht Beben. Nicht Feuer.

Frieden

Es ist, als sei von langer Hand vorbereitet, dass wir heute Elias Geschichte aus dem Buch der Könige lesen. 

Heute sind wir ein Stück Weg mit Elia gegangen. In die Wüste. Zum Berg Horeb. Wir haben ihn unter dem Ginster liegen sehen. Wir sahen ihn aus seiner Höhle heraustreten. Gehen wir mit ihm, finden wir Gegenstücke zu den Bildern, die uns ständig durch den Kopf gehen, die uns Angst einjagen, die unser Vertrauen untergraben. In einem sanften Säuseln, wie Martin Luther übersetzt, geht Gott uns voran. Dieses Bild ist ein Bild des Friedens. Nachdem Sturm, Erdbeben und Feuer verklungen sind. Der Aufruhr hat ein Ende. Und keine Zukunft.

Wie der Krieg ausgeht, wissen wir nicht. Wieviele Opfer er noch fordert, auch nicht. Wieviele Menschen noch flüchten, auch nicht. Wieviel Vertrauen noch zerstört wird, auch nicht. Wieviel Worte ins Leere gehen, auch nicht. Das Leid ist grenzenlos. Aber Wunder gibt es. Menschen werden zu Engeln, die sich müder, verzweifelter und enttäuschter Menschen annehmen: Iss, du hast noch einen weiten Weg vor dir! Vertrauen. In einem Satz.

Die Sehnsucht ist groß, dass auch die Gewalt verstummt. Menschen, die die Sprache der Gewalt beherrschen, sollen aus ihren Höhlen und Blasen heraustreten. Der Frieden kommt mit einem großen Schweigen.

Ich sehe den Ginster vor mir! Den weißen Ginster in der Wüste. Eine kleine Oase. Für  müde, verzweifelte und enttäuschte Menschen. Für Menschen, die die Welt auf einmal neu entdecken müssen. Für Menschen, die Gott finden werden. Am Tag hält der Ginster die Hitze aus, in der Nacht die Kälte.

Ich möchte ein Engel sein.

 

Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Manfred Wussow

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Der Überfall auf die Ukraine hat im Wohnviertel wie auch in der Kirchengemeinde tiefe Spuren hinterlassen. Russen, Kasachen und Ukrainer leben seit vielen Jahren hier. Viele von ihnen haben selber eine „Heimkehr- oder auch Fluchtgeschichte“. Aber es sind verschiedene Narrative im Umlauf. Darauf muss auch in Gottesdiensten Rücksicht genommen werden, was z.T. Zerreißproben gleichkommt.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich weiß nicht recht, was mich beflügelt hat. Ein Prediger ist im Gespräch mit dem ihm anvertrauten oder vorgegebenen Text und mit der Gemeinde, die den Gottesdienst feiert. Die Frage, ob die Elia-Geschichte in der aktuellen Situation helfen kann, ist zwar „einseitig“, andererseits aber auch ein Ansporn. Schon der Predigttext ist ein Politikum.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Der vorgelegte Predigt-Entwurf stellt nur einen Ausschnitt dar.  Die Frage, ob und wie Elia zu einem unverhofften Zeitgenossen wird, braucht mehr Annäherungen. Erzählt man seine Geschichte, bekommt man einen Blick auf die eigene. Reizvoll ist auch, die jüdische Auslegungsgeschichten der Elia-Traditionen einzubeziehen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Die abschließende Bearbeitung fand in einem „stillen Gespräch“ mit der Erstleserin statt. Ich habe ihre Rückfragen und Anmerkungen bedacht, auch ihre Zustimmungen befragt. Nach mehreren Versionen ist die vorgelegte Predigt vermutlich doch anders geworden. Ein richtiges Gespräch – bei einem Gläschen Wein – wäre noch schöner gewesen. Ich sage meiner Erstleserin und Gesprächspartnerin herzlichen Dank! Es ist schön, wenn eine Predigt nicht einsam entsteht.

Perikope
20.03.2022
19,1-13a

Blick ins Unendliche - Predigt zu 1. Könige 8,22-24.26-28 von Martin Weeber

Blick ins Unendliche - Predigt zu 1. Könige 8,22-24.26-28 von Martin Weeber
8,22-24.26-28

Wie schön ist es, wenn man einen Ort hat, an dem man zusammenkommen kann, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern! Wie viel kann solch ein Ort für einen bedeuten! Für viele Menschen bedeutet die Kirche ihres Dorfes oder ihrer Stadt oder ihres Stadtteils sehr viel: Es sind oftmals prägende biographische, lebensgeschichtliche Erinnerungen: In dieser Kirche wurde ich konfirmiert. In dieser Kirche haben wir kirchlich geheiratet. In dieser Kirche wurden unsere Kinder getauft.

Es ist etwas Feines, wenn man solch einen Ort hat. Einen Ort, an dem man – wenn es gut geht – Gott begegnen kann, gemeinsam und zusammen mit anderen: Man lauscht der Predigt, oder man lässt einfach ungestört seine Gedanken schweifen (auch das kann schön sein). Man singt vertraute oder auch neue Lieder. Man betet – und weil viele mitbeten ist einem das auch gar nicht peinlich.

Wenn man alte Berichte liest von Menschen, die ausgewandert sind, etwa vor 100 oder 150 Jahren in den Süden Brasiliens, dann war das für die ganz wichtig, dass sie sich dort bald eine Kirche bauten.

Und in der Kirche, im Gottesdienst, da konnten sie sich dann darauf besinnen, dass es noch mehr gibt im Leben als Mühe und Arbeit. In der Kirche konnten sie Kraft schöpfen und wieder zu innerer Freiheit gelangen.

Erst ein Dach über dem Kopf und einen Stall für das Vieh – aber dann doch ganz schnell eine Kirche.

Wenn man eine Kirche hat im fremden Land – dann ist man angekommen.

Und es muss gar kein fremdes Land sein: Auch wenn man innerhalb eines Landes umzieht, dann ist es ein wichtiger Schritt, wenn man am neuen Ort eine Kirche findet, der man sich zugehörig fühlt und wo man gerne hingeht, wenn einem danach der Sinn steht. Und auch wenn man sich vielleicht einer Gemeinde gar nicht eng anschließen will, so ist es doch auf jeden Fall ein schönes Zeichen dafür, dass man angekommen ist, wenn man sich sagt: Das ist nun meine, das ist unsere Kirche. Hier habe ich Fuß gefasst.

 

Wie sehr Menschen an einer Kirche, an einem Kirchengebäude hängen können, das zeigt sich oft auch daran, mit welchem Engagement sie sich einsetzen, wenn es eine Kirche zu renovieren gilt.

Im Osten Deutschlands ließ sich das in den letzten Jahren oft wunderschön beobachten: Da haben Leute Kirchbauvereine gegründet und sich an Kirchenrenovierungen beteiligt, auch wenn sie eher selten an dem teilnehmen, was wir gewohnt sind „Gemeindeleben“ zu nennen. „Wir können doch unsere Kirche nicht verkommen lassen! Das geht doch nicht, dass es da durch’s Dach reinregnet!“

Wie schön ist es, wenn man einen Ort hat, an dem man zusammenkommen kann, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern! Wie viel kann solch ein Ort für einen bedeuten!

Aus diesem Grund wurden auch vor fünf, sechs Jahrzehnten noch einmal ganz viele Kirchen gebaut: Da wuchsen die Städte, es wurden neue Wohnsiedlungen gegründet – und wenn diese Wohnsiedlungen groß genug waren, dann war es klar: Da baut man auch eine Kirche, damit die Menschen dort eine religiöse Heimat finden können, damit sie gemeinsam Gottesdienste feiern und damit in die Traditionen des Glaubens hineinwachsen können.

Wie schön, wenn man eine Kirche einweihen kann!

 

Die Einweihung einer Kirche, genauer: eines Tempels, ist auch der Hintergrund unseres heutigen Predigttextes.

Die Vorgeschichte kurz zusammengefasst: Endlos lange waren die Israeliten unterwegs und hatten als Tempel nur ein transportables Zelt. Aber jetzt waren sie endlich angekommen – und nun hatten sie einen Tempel bauen können. Endlich! Der wird nun eingeweiht, und zwar durch den König Salomo. Der spricht, wie es sich gehört, ein Weihegebet für diesen neuen Tempel, und daraus hören wir nun einen Auszug:

Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. Denn sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, auf dass du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir. (1. Könige 8,22-24.26-28)

Salomo war ein kluger Mann, ein weiser Mann. Man redet geradezu sprichwörtlich von der „Weisheit Salomos“. Und diese Klugheit, die kommt zum Ausdruck in zwei Fragen, die er sich stellt. Klug ist nicht, wer alles weiß. Klug ist, wer Fragen stellt. Weise ist, wer Problemen nicht ausweicht (sich von ihnen freilich auch nicht erdrücken und entmutigen lässt). Klugheit, Weisheit hat oft die Gestalt von Problembewusstsein.

Die beiden Fragen lauten wie folgt, wir haben sie gehört:

„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

Salomo könnte eigentlich hin und weg sein vor Freude und Glück:

Endlich steht der Tempel! Und er selbst fühlt sich als Bauherr! Wie froh kann man sein, wenn ein Bauvorhaben vollendet ist! Endlich waren alle Genehmigungen zusammen, endlich hatten die Handwerker Zeit! Endlich kann man einziehen!

Und dann diese Frage: „Wie sinnvoll ist das eigentlich, was wir da gebaut haben?“

„Wir haben ein Haus für Gott gebaut – aber man kann Gott doch nicht in ein Haus einsperren. Gott ist doch viel größer.“

„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

Am heutigen kirchlichen Feiertag „Christi Himmelfahrt“ ist es in vielen Kirchengemeinden Brauch, dass man die Kirche verlässt und dass man den Gottesdienst im Freien feiert, unter freiem Himmel (und wenn man Glück hat: unter blauem Himmel, oder doch zumindest unter einem Himmel, aus dem es nicht herabregnet).

Wenn man im Freien ist, dann weitet sich der Blick: Man lässt ihn schweifen – ringsherum, ins Land hinaus – und auch nach oben, ins Offene des Himmels.

Der offene Himmel steht für die Grenzenlosigkeit:

Wie es in einem inzwischen auch nicht mehr ganz neuen aber immer noch schönen Liede von Reinhard Mey heißt: „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.“

Der Himmel überwindet Grenzen und verbindet Menschen über Grenzen hinweg: Wir leben alle unter dem gleichen Himmel. Und wenn jemand den Himmel teilen will, dann kommt uns das unpassend und unmenschlich vor. Manchen von Ihnen klingt vielleicht noch der Buchtitel von Christa Wolf im Ohr: „Der geteilte Himmel.“ Da ging es um die Teilung Deutschlands – und um all die Probleme, die sich daraus ergaben.

Nein, der Himmel ist ungeteilt und soll von Menschen nicht geteilt werden.

Wo der Himmel geteilt werden soll, da herrscht keine Freiheit.

Der Himmel ist unendlich groß und überspannt alles.

Und Gott ist noch einmal viel größer und umspannt auch noch alles, was vom Himmel überspannt wird – und den Himmel selbst auch noch dazu.

 

„Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“

In der Schriftlesung haben wir die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu gehört (Lukas 24, 50-53 oder auch Apostelgeschichte 1, 1-11). Manche tun sich schwer damit, weil sie sagen: „Ich kann mir das nicht vorstellen.“ Das kann ich nachvollziehen, und da soll man auch nicht versuchen, jemandem seine Vorstellungsschwierigkeiten wegzuargumentieren. Aber was vielleicht hilft: Dass man sich fragt, was die Geschichte bedeuten soll.

Und ich denke, der kluge Salomo gibt uns da den entscheidenden Hinweis:

 

Gott kann man nicht einsperren in einen Tempel.

Und Jesus kann man auch nicht einsperren in einen Tempel oder in eine Kirche.

Ja, man soll Jesus nicht einmal einsperren wollen.

Man soll ihn nicht einsperren wollen in ein Gebäude aus Holz oder Stein. Das ist einem ja schnell klar. Wie sollte das auch gehen?

Aber – und da scheint mir die Pointe der Himmelfahrtsgeschichte zu liegen – man soll Jesus auch nicht einsperren wollen in einem Gedankengebäude.

Man soll Jesus nicht einsperren wollen in einen Käfig aus Begriffen und Worten.

Man soll Ihn nicht einsperren wollen in dem, was man ohnehin schon längst von ihm weiß.

Man soll ihn nicht einsperren wollen in Traditionen.

Nein: Jesus ist größer als alle unsere Eingrenzungen, die wir uns für ihn ausdenken.

Ja, jede und jeder von uns hat irgendwelche Bilder oder Vorstellungen von Jesus. Es geht gar nicht ohne solche Bilder und Vorstellungen von ihm.

Aber Jesus ist eben immer nochmal größer als alle unsere Gedanken über ihn.

„Der Himmel und aller Himmel Himmel können ihn nicht fassen.“

Was für Gott gilt, das gilt für Jesus eben auch.

An einem anderen Sonntag, an einem anderen Feiertag, in einer anderen Predigt werden wir auch wieder darüber nachdenken, was es bedeutet, dass Jesus auch ein ganz irdischer und greifbarer Mensch geworden ist – ziemlich genau so wie wir auch irdische und greifbare und begrenzte Menschen sind.

Aber heute soll unser Jesus-Blick ins ganz, ganz Weite, ins Himmlische, ins Unendliche gelenkt werden. Heute soll unser Sinn und Geschmack für’s Unendliche bedient und gestärkt werden.

Heute dürfen wir unseren Blick mit bestem Gewissen gemeinsam wegwenden vom Klein-Klein des Irdischen und Endlichen und Alltäglichen. Dem begegnen wir schnell genug wieder.

Heute lenkt Jesus selber unseren Blick nach oben, ins Weite, ins Unendliche.

Amen.

Perikope
30.05.2019
8,22-24.26-28

Christus ist uns im Alltag nahe! – Predigt zu 1. Könige 8,22-24.26-28 von Rainer Stahl

Christus ist uns im Alltag nahe! – Predigt zu 1. Könige 8,22-24.26-28 von Rainer Stahl
8,22-24.26-28

Kronstadt / Braşov.

 

Liebe Schwestern und Brüder!

Zu Beginn muss ich Euch gestehen, dass ich mir nicht denken kann, warum die kirchlichen Gremien, die die Predigttexte für die Sonntage und Feiertage entscheiden, dieses Zitat für das Fest der Himmelfahrt Christi ausgewählt haben. Sie haben auch aus 1. Könige 8 ab Vers 22 in merkwürdiger Weise Verse ausgewählt:

+  Die historische Verortung in einer angeblichen Tempelweihe durch den König Salomo – ja,

+  die dynastischen Hoffnungen auf eine immerwährende Abfolge von davidischen Königen in Jerusalem – nur zum Teil,

+  das eigentliche Gebet, das die judäischen Verfasser um das Jahr 570 vor Christus vielleicht geschrieben und dem Salomo um das Jahr 950 vor Christus in den Mund gelegt haben – gar nicht.

Ich darf eine erste Frage nur andeuten: Welche Bedeutung mag dieser Text für unsere jüdischen Freunde haben? Zu 1. Könige 8 habe ich keine jüdische Auslegung gelesen. Aber ich vermute in einem ersten Schritt: Eine nur sehr abgeleitete Bedeutung. Denn der Tempel existiert seit 1.949 Jahren nicht mehr. In einem zweiten Schritt ist mir aber bewusst geworden, dass dieser Text für unsere jüdischen Freunde eine große Bedeutung besitzen dürfte: Als Begründung, als Grundlegung für die lebendige Gebetspraxis nach Osten hin zur Fundamentmauer, die Herodes ab etwa 20 vor Christus für seinen großen Tempel hat errichten lassen, zu so genannten Westwand, oder auch: Klagemauer – eine Bezeichnung, die ich nicht liebe –, hin!

Wart Ihr schon einmal in Jerusalem und habt diese beeindruckende Gebetspraxis miterlebt, vielleicht sogar selber einen Zettel mit einer Bitte in eine der Fugen zwischen den riesigen Steinquadern geschoben? Für mich war Freitag, der 18. November 2016, erlebnisreich: Mit dem Bus waren wir zum Ölberg gefahren, haben dort die beiden Himmelfahrtskirchen, die evangelische deutsche und die orthodoxe, nicht besucht, sondern wir sind von der Kirche „Der Herr weint“ / „Dominus flevit“ über den Garten Gethsemane in die Stadt gegangen. Da war die Straße hinter dem Stephanstor schon dicht gedrängt von Menschen, die alle zum Freitagsgebet auf dem Haram al Sharif, wir sagen: zum Felsendom, strömten. Da war die Gebetspraxis der Muslime auf dem Terrain, für das dieses Gebet geschrieben worden war, handgreiflich erlebbar. Aber am späten Nachmittag war ich dann vor der Westwand des Tempelfundaments – und wieder strömten viele Menschen dorthin, nun Jüdinnen und Juden, um den Beginn des Sabbat zu begehen und zu beten, wie es nach unserem Gebet Salomo getan haben soll – was leider dem Predigtwort nicht mehr zugeordnet wurde:

            „Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag,

            über der Stätte, von der du gesagt hast:

            Da soll mein Name sein.

            Du wollest hören das Gebet [...] deines Knechts und deines Volkes Israel,

            wenn sie hier bitten werden an dieser Stätte“ (Verse 29a.bα.30aβ).

Welche Bedeutung aber hat dieser Text für uns, für unsere evangelisch-lutherische Gemeinde hier in Kronstadt / Braşov, für uns als Gottesdienstgemeinde zum Himmelfahrtsfest in der „Schwarzen Kirche“? Wir achten kirchliche Gebäude und Gottesdienststätten. Aber so ausschließlich wie die judäische Theologie damals die Kontaktmöglichkeit mit Gott an den Tempel in Jerusalem gebunden hat, können wir doch nicht über unsere Kirchen sprechen und denken! Auch unsere jüdischen Freunde haben schon zu Zeiten, da der Tempel noch in Funktion war, an vielen Orten und weit über Judäa hinaus Versammlungshäuser, Synagogen, errichtet und in ihnen zu Gott gebetet. So auch für uns: Solange wir Kirchen nutzen können – Unsere Glaubensgeschwister aller Konfessionen in der Sowjetunion mussten durch Jahrzehnte gehen, in denen ihnen ihre Kirchen weggenommen, und diese zerstört oder zweckentfremdet wurden! –, solange wir Kirchen nutzen können, nehmen wir sie dankbar als Stätten des Gebetes an, als Stätten, denen die Verheißung gilt, dass Gott in ihnen ausgesprochene Gebete hören wird! Wie auch in Eurer „Schwarzen Kirche“ zur Zeit des Dienstes von Pfarrer Dr. Konrad Möckel in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Und jetzt aber, oder besser: jetzt erst recht gewinnt unser Bibelwort für das Fest von Christi Himmelfahrt Deutungskraft. Aber auch mit einer Aussage, die gar nicht als Predigttext ausgewählt wurde:

            „Wenn du es hörst in deiner Wohnung im Himmel, wollest du gnädig sein“

            (Vers 30b).

Mit dem Fest Christi Himmelfahrt wird zum Ausdruck gebracht, dass der auferstandene Gekreuzigte ganz bei Gott ist, dass er wirklich der Gott ist, der unsere Bitten hört.

Schon die alten Theologen, die Salomo dieses Gebet beten lassen, haben festgehalten, dass der Himmel, von dem sie reden und von dem Salomo in seinem Gebet spricht, viel mehr ist als der Himmel, der sich über uns wölbt:

            „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen – wie

            sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?“ (Vers 27b).

Daran können wir anknüpfen: Wir wissen schon so viel über den Kosmos, in dem unsere Erde ein kleines Sandkorn mit einer dünnen Lufthülle ist, dass wir den Schöpfer dieses Kosmos nicht über der dünnen Lufthülle dieses Sandkornes verorten können. Vielleicht habt Ihr auch einmal eine Abbildung jenes dümmlichen Plakats der Bolschewiki gesehen: Ein Pope sitzt auf Erden und hat ein Telefon mit einer Leitung bis hinauf zu einer Wolke, auf der Gott sitzt. Aber der Sputnik von 1957 hat auf seinem Flug um die Erde diese Telefonleitung gekappt, so dass des Popen Verbindung zu Gott unterbrochen ist. Solch einen Gott habe ich nie geglaubt. „Im Himmel“ – das heißt: in einer anderen Dimension, in einer Dimension quer zu den von uns erfahrbaren Dimensionen, so quer, dass uns ein „im Himmel“ Befindlicher ganz nah ist.

Diese Einsicht hat schon Lukas angedeutet, indem er in seinem zweiten Himmelfahrtsbericht die Männer zu den Jüngern sagen lässt. „Was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen“ (Apostelgeschichte 1,11). Nicht wegschauen – irgendwohin. Sondern das Leben meistern im Glauben, dass Christus uns nahe ist und uns hält.

Amen.

Perikope
30.05.2019
8,22-24.26-28