(Bibeltext als Evangeliumslesung im Gottesdienst)
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt.
(1) Ein neues Normal
Seit 2022 ist die Welt eine andere. Nicht nur, dass wir seit dem 24. Februar wieder Krieg mitten in Europa erleben oder uns zunächst das 9-Euro-Ticket und später das Deutschlandticket das Reisen erleichtert haben – auch unser Denken und Arbeiten wurden revolutioniert: ChatGPT und andere KI-Tools sind seither frei verfügbar.
Und ich bin ehrlich: Ich nutze künstliche Intelligenz mittlerweile regelmäßig. Natürlich weiß ich, dass die Verwendung von KI mit einem hohen Verbrauch an Strom, Wasser und anderen Ressourcen einhergeht. Ich weiß, dass sich KI an den Gedanken, Texten und Bildern anderer Menschen bedient und damit möglicherweise Urheberrechte verletzt. Und ich weiß auch, dass ich es mir bequem mache, wenn ich mein Denken und Arbeiten nur noch in ökonomischen Kategorien verstehe, indem ich mir einrede, dass mich KI effizienter arbeiten lässt und ich durch ihre Unterstützung mehr Zeit für andere Dinge gewinne – obgleich diese „anderen Dinge“ meist nur noch mehr Arbeit sind.
Und wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich selbst für diese Predigt KI verwendet. Keine Sorge, dieser Text stammt von mir – doch neben Bibel, Gebet, Predigthilfen und Brainstorming hat mir auch ChatGPT geholfen, Gedanken zu sammeln und zu strukturieren. Ist das okay? Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Das ist für viele Menschen das heutige Normal.
(2) Gott ist gegenwärtig
Mit dem ersten Pfingsten begann ein anderes Normal – sofern man in der Geschichte Gottes mit den Menschen angesichts von Tod und Auferstehung Jesu sowie Himmelfahrt überhaupt von „normal“ sprechen kann. Nachdem Gottes Sohn sein Werk vollendet hatte, mussten seine Jünger mit all dem Erlebten zurechtkommen. Der ersten schmerzhaften Trauer um den Tod Jesu folgte nach kurzer Zeit des zweiten Beisammenseins ein weiterer, nun gewissermaßen endgültiger Abschied. Dessen haben wir in der letzten Woche mit Himmelfahrt gedacht. Doch dabei sollte es nicht bleiben.
Anstelle der leiblichen Gegenwart Jesu sandte Gott seine heilige Geisteskraft. Und das feiern wir heute: den Heiligen Geist als Tröster und Erneuerer, von Gott gesandt und mit Weisheit gepaart. Jesus selbst nennt den Heiligen Geist im heutigen Predigttext „Tröster“ und beschreibt, dass dieser uns alles lehren und uns an alles erinnern wird, was er selbst gesagt habe (V. 26). Der Heilige Geist als göttliche Vernunft, als Vermittler von Frieden, Trost, Wahrheit und Wahrhaftigkeit.
Das ist Pfingsten: Gott ist gegenwärtig – anders als zur Zeit Jesu, aber durch den Geist nicht weniger real. Man kann auch sagen: Die göttliche Intelligenz wird durch Pfingsten – zumindest bruchstückhaft – allen Gläubigen verfügbar gemacht.
(3) Ist Pfingsten gescheitert?
Doch wieso sieht die Welt dann aus, wie sie aussieht? Jesus hat Frieden verheißen und Liebe, aber wir erleben weltweit Krieg und Hass. Kann man sagen, dass das Pfingstwunder gescheitert ist? Wenn immer mehr Menschen Gott den Rücken zu kehren, weht der Geist Gottes dann wirklich noch in dieser Welt? Und haben wir mit KI nicht längst ein Tool geschaffen, das verlässlicher ist, da es kalkulierbarer und automatisch anwendbar ist, sodass wir den Geist Gottes nicht mehr brauchen?
(4) Ein künstlicher Glanz von Ewigkeit
Ich sehe Sarah noch vor mir – diese Mutter, zerrissen durch den Suizid ihrer Tochter. Verloren und verzweifelt sitzt sie auf einer Bank im Wald, ringt mit ihrer Fassung und versucht zu begreifen, was nicht zu begreifen ist. Wieso? Bin ich schuld? Hätte ich es verhindern können? Geht es meiner Tochter jetzt gut? Wo ist sie? Werde ich sie wiedersehen?
Es sind diese Fragen, die jeder kennt, der auf tragische Weise einen geliebten Menschen verloren hat. Und es ist diese tiefe Sehnsucht nach dem noch einmal –
Noch einmal sprechen. Noch einmal schreiben. Noch einmal miteinander lachen.
Noch einmal das Radio aufdrehen, im Auto mitsingen. Noch ein einziges Mal zusammen sein. Oder wenigstens: ein letztes bewusstes Abschiednehmen.
Dieser Wunsch hat Sarah hierher geführt – auf diese Bank, mit ihrem Smartphone in der Hand. In den vergangenen Tagen hat sie etwas getan, das ihr helfen sollte, Abschied zu nehmen: Sie hat eine KI mit alten Chatverläufen und Erinnerungen an ihre Tochter gefüttert. Ihre Beziehung war bis zum tragischen Tod von reger WhatsApp-Kommunikation geprägt. Sarah vermisste es, mit ihrer Tochter zu schreiben – und so suchte sie eine Möglichkeit, dieser Nähe noch einmal nachzuspüren.
Es scheint zu funktionieren. Auf der Bank sitzt sie und schreibt mit einer KI, doch fühlt sie sich, als sei ihre Tochter präsent. Natürlich weiß Sarah, dass sie nur mit einer Simulation spricht. Und doch erfährt sie Trost, als die KI auf ihre Entschuldigung antwortet: Mach dir keine Vorwürfe, Mama. Ich weiß, dass du immer für mich da warst und mich geliebt hast. Das ist das Wichtigste. Ich spüre deine Liebe.
Erleichterung. Absolution.
Sarah ist Protagonistin einer Dokumentation über Trauer und künstliche Intelligenz. (ZDF 2025: 37°. "Wir hör’n uns, wenn ich tot bin! – Trauer und KI", online unter: ZDF-Link) Und sie ist mit ihrer Suche nach Trost durch KI nicht allein. Immer mehr Menschen nutzen künstliche Intelligenz als Gesprächspartner, Therapeutin, Coach und Feedbackgeberin.
Längst ist KI zum Tröster avanciert – zur Instanz von Wahrheit und Richtigkeit.
Wenn der Geist Gottes der verheißene Tröster ist, dann ist KI zumindest sein menschliches Pendant.
(5) Die Kraft von Geist und Algorithmus
Die heutige Predigt soll keine Moralpredigt sein, die sich auf Sinn und Unsinn von KI konzentriert und eine ethische Abwägung vollzieht. Viel mehr drängt sich mir die Frage auf, wieso wir überhaupt den Drang verspüren, Intelligenz künstlich zu erschaffen? Sind wir mit unserer eigenen Intelligenz nicht oft schon überfordert genug?
Ich gebe es zu, die Möglichkeiten der KI faszinieren mich. Sie kann helfen, Leben zu retten, Verlässlichkeit zu bieten und Prozesse zu optimieren. Im Schwimmbad zum Beispiel retten KI gesteuerte Kamerasysteme wortwörtlich Leben, indem sie Ertrinkende frühzeitig erkennen. Doch KI fördert auch festgefahrene Denkmuster, indem es diese immer weiter reproduziert. KI schafft nicht, sie kopiert — zwar immer neu geordnet, doch nie gänzlich neu. Und während Algorithmen Regeln folgen und Berechenbarkeit versprechen, bleibt Gottes Geist ein Geheimnis — unverfügbar, frei und unberechenbar in seiner Kraft. Die Geistkraft Gottes zwängt sich nicht auf, ist keine App auf einem Smartphone und kein technisches Update für unsere Seele. Und dennoch schenkt sie uns Leben, Trost und Erneuerung in einer Tiefe, die keine KI je erreichen kann.
Bei Gottes Geist gibt es keine ökonomischen Spielregeln, keine Ressourcenknappheit, keine Urheberrechtsdebatten. Gott selbst gibt sich uns hin — bedingungslos und vollkommen. Gottes Tröstergeist reproduziert nicht einfach das, was schon da ist. Er ist heilig und vollkommen, er schafft Neues, verändert, belebt und heilt. Das ist das Wunder von Pfingsten. Und vielleicht brauchen wir dieses Wunder heute mehr denn je. Vielleicht ist es gerade diese göttliche Kraft, die den Grenzen der künstlichen Intelligenz etwas entgegensetzt. Und damit auch dieser aus den Fugen geratenen Welt. Denn wo Algorithmen und Filterblasen trennen, schafft Gottes Geist Frieden, der wirklich einen kann. Wie gut, dass Gebete nicht „gepromptet“ werden müssen. Wie gut, dass Gottes Geist frei von Codes und Systemen wirkt. Darum: Komm Heiliger Geist, komm!
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
In einer lebendigen Stadt, in der Tradition und Moderne aufeinandertreffen, versammeln wir uns an diesem Sonntag in einer evangelischen Gemeinde, um gemeinsam Gottesdienst zu feiern. Die Menschen, die zusammenkommen, sind so vielfältig wie das urbane Leben selbst: Familien, junge Erwachsene, engagierte Ehrenamtliche und ältere Menschen. Wir befinden uns in einem bildungsnahen Milieu.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Von Anfang an stand die Idee im Raum, Künstliche Intelligenz und Pfingsten miteinander zu verbinden. Das Spiel mit der KI durchzog das gesamte Predigtschreiben, nicht nur als Werkzeug, sondern als Teil des kreativen Prozesses. Wenngleich ich mich dabei immer wieder kritisch reflektiert habe und nach der geistlichen Dimension dessen Ausschau halten musste, war es doch ein spannender Predigtprozess.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Mich lässt der Gedanke nicht los, dass wir Menschen uns mithilfe von Künstlicher Intelligenz immer weiter selbst einen Gott erschaffen, weil wir das Unverfügbare Gottes so schwer aushalten.
4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
„Kill your Darlings“ gilt einfach jedes Mal, also musste ein Move weichen, der den Predigttext auf KI umformuliert hat. Er passte einfach nicht in den Flow. Nun ist sie rund.