Das Leben im Glauben ist und bleibt spannend - Predigt zu Joh 5,39-47 von Andreas Schwarz
5,39-47

„Heureka“.
So soll Archimedes von Syrakus im 3. Jahrhundert vor Christus gerufen haben. Und zwar, so berichtet die Anekdote, sei er nackt durch die Stadt gelaufen und habe immer wieder laut ‚Heureka‘ gerufen: Ich habe es gefunden. Denn seine physikalische Erkenntnis erlangte er, als er in der Badewanne saß.
Ich habe es gefunden.
Das ist das manchmal überwältigende Ziel einer Suche, nach einer Erkenntnis.

Ihr sucht in der Schrift.
Das ist wohl so bei uns.
Wir sind auf der Suche in der Schrift:
nach Trost, wenn wir traurig sind,
nach Hilfe, wenn wir gefordert werden,
nach Ruhe, wenn wir verunsichert sind,
nach Orientierung, wenn wir nicht wissen, wohin,
nach einer Antwort auf entscheidende Fragen.
Wie gern hätten wir eine solche Situation, das Entscheidende gefunden zu haben.
Es muss ja nicht in der Badewanne sein.
Und wenn doch, dann müsste ich nicht aufspringen, auf die Straße rennen und rufen: Heureka – ich habe es gefunden.
Aber zu finden, wonach ich suche, das wäre schon was.
So wie bei dem Wissenschaftler.
Wenn er es einmal gefunden hat, ist es ein Besitz.
Den hat man dann und kann ihn anwenden.
Immer wieder.
Man kann ihn sich bestätigen lassen.
Die Formel stimmt.
Sie passt.
Sie ist richtig.
Sie ist das Ziel, das einer erreicht hat.
Die Suche hat ein Ende.

Ihr sucht in der Schrift.
Ob wir so suchen?
So, dass wir hoffen, die Suche ist damit beendet?
Wir haben ein Ziel erreicht.
Wir haben ein für alle Mal den Trost,
die Hilfe, die Ruhe, die Orientierung, die Antworten.
Glauben wir, dass es das gibt?
Dass Glaube das bedeutet?
Ein Ziel zu erreichen?
Und dann ist alles klar und sicher und geklärt?
Dann haben wir den Standpunkt, nach dem wir uns sehnen.
Dann haben wir für alles das Rezept.
Wir wissen dann, was richtig und gut ist.
Vor allem wüssten wir, was zum Ziel führt?
Glauben wir, dass unser Suchen in der Schrift vorbei ist, wenn wir gefunden haben, wonach wir suchen?

Ihr sucht in der Schrift.
Das ist eine gute Idee.
Denn sie erzählt von Gott.
Dass er das Leben wollte und erschuf.
Wie er das Leben seiner Menschen sicherte.
Auch als sie aufhörten, nach ihm zu fragen.
Wie er sie in die Freiheit führte, obwohl sie immer wieder unzufrieden waren und sich beschwerten.
Zwischendurch dachten sie, er habe sie vergessen,
allein gelassen.
Als stehe er nicht zu seinen Zusagen, zu seinem Wort, das er Mose gegeben hatte.
Und dann erlebten sie, wie er seine Zusagen bestätigte und erneuerte, obwohl sie ihren Part niemals wirklich einhielten.
Die Schrift erzählt, wie Gott seine Menschen liebt und sich für sie einsetzt.
Sie erzählt, dass er sie niemals aufgibt,
dass er ihnen nahekommt, um sie wirbt und um sie kämpft.
Die Schrift erzählt von Gottes Herz, das geöffnet ist für uns.
Sie erzählt vom Leben.
Jetzt und in Zukunft.

Ihr sucht in der Schrift.
Das ist eine gute Idee.
Denn sie erzählt von Jesus Christus.
Von Gottes Weg des Lebens.
Jetzt und in Zukunft.
Das ist wunderbar.
Aber vielleicht nicht das, was wir gesucht hatten.
Zu einer Ruhe führt das nicht.
Schon gar nicht zu einem Besitz.
Als hätten wir etwas, das sich jetzt beliebig anwenden ließe. 
Als seien wir nun gerüstet für alle Lagen unseres Lebens.
Welche Frage auch immer sich uns stellt, 
wir hätten die Antwort.
Vor welches Problem auch immer wir geraten, 
wir hätten die Lösung.
Was immer jemand sagt oder tut, 
wir wüssten, ob es richtig oder falsch ist.
Als sei die Schrift eine Formelsammlung.
Unter dem Arm, in der Hand – sofort griffbereit, um auf alles zielsicher reagieren zu können.
Für mich – und gegebenenfalls gegen andere.
Die Schrift hilft uns nicht, wenn wir etwas anderes in ihr suchen und zu finden hoffen, als Jesus Christus.
Sie gibt uns keine Sicherheiten,
keine Lösungen,
keinen Besitz.
Schon gar nicht gibt sie uns Worte, die wir als Waffen gegen andere einsetzen.
Sie führt uns zu Jesus Christus.
Der hat immer und immer wieder Menschen in Frage gestellt und verunsichert.
Dann, wenn sie meinten, sicher zu sein,
Bescheid zu wissen,
urteilen zu können.
Von einem scheinbar sicheren Standpunkt aus.

Ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt.
Nein, nicht um Wissen geht es.
Nicht um geistigen, ethischen, moralischen Besitz.
Sondern um die Liebe Gottes.
Wie Jesus sie gelebt hat.
Die war oft genug überraschend.
Unverdient ist sie immer wieder.
Widerspruch ruft sie hervor.

Wie kannst du nur?
Weißt du nicht?

An der Liebe Gottes entzündet sich der Widerspruch gegen Jesus Christus.
Ist das zu verstehen?
Der Gelähmte lag da, konnte sich nicht rühren.
Wartete auf Heilung, 38 Jahre lang.
Aber niemand war für ihn da.
Jeder war sich selbst der Nächste.
Bis Jesus kam und ihn heilte.
Unseliger Weise war es aber Sabbat.
Da hätte Jesus nicht arbeiten, also nicht heilen dürfen.

Wie kannst du nur?
Weißt du nicht?

Die Schrift sagt doch, was richtig und falsch ist,
was man darf und was verboten ist.
Klare Sache.
Klarer Standpunkt.
Da weiß man, wo es langgeht.
Und wie man das Verhalten anderer Menschen zu bewerten hat.

Du hättest nicht heilen dürfen.
Heute nicht.
Die Schrift ist wichtiger als die Liebe.

Ich kenne euch, dass ihr nicht Gottes Liebe in euch habt.
Darum streitet ihr;
kämpft darum, die besten Argumente zu haben,
um Recht zu haben.
Um zu urteilen,
zu beurteilen,
zu verurteilen.

Ohne die Liebe regiert der Streit,
am Ende der Hass, der zu Gewalt führt,
mit Worten und Taten.
Und das mit der Überzeugung,
das Richtige zu tun, das Gute.
Alles richtig, mit kaltem Herzen.
Und der Gelähmte läge noch immer am Teich,
weil niemand die Liebe Gottes in sich hat.
Bis Jesus kommt und ihn am Sabbat heilt.
Der alles falsch macht, aber die Liebe Gottes lebt.

Wir finden keine Wahrheiten in der Bibel,
keine Überzeugungen, keine Richtigkeiten, keine Lösungen, keine Antworten.
Wir finden Jesus Christus.
Und bleiben ein Leben lang auf der Suche.
Unsere Suche hat uns zu ihm geführt.
Hierher in den Gottesdienst.
Gleich an seinen Altar.
Und wir hören, schmecken und sehen,
dass wir ihm begegnen.
Wir sind nicht allein, verlassen oder einsam.
Wer ein Handbuch zur Lösung aller Probleme erhofft, ist bei der Schrift an der falschen Adresse.
Wer einfache Antworten auf drängende Fragen sucht, ebenfalls.
Wir finden Jesus Christus.
Verborgen in seinem Wort, in Brot und Wein.
Missverstanden – und uns doch nahe.
Angeklagt, verurteilt, ermordet und doch lebendig.

Auf Jesu Spur suchen wir in der Schrift.
Machen schöne Erfahrungen der Liebe und freuen uns darüber.
Manchmal bleiben wir verunsichert zurück.
Wir finden Halt und können schwere Wege gehen.
Und manchmal wissen wir den nächsten Schritt nicht.
Das Leben mit Christus bleibt spannend,
ein Leben lang. Voller Überraschungen.
Aber mit ihm geht es ins Leben.

Heureka – das habe ich in der Schrift gefunden. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Es wird eine relativ gut gefüllte Kirche sein, eine Doppeltaufe, eine Aufnahme eines neuen Gemeindegliedes, erster Abendmahlsgottesdienst seit Pfingsten, nach den Ferien. Die Gemeinde wird sehr gemischt sein, was ihre Frömmigkeit und Traditionsverbundenheit angeht, auch Erwartung und Umgang mit der Schrift. Das erlebe ich als große Herausforderung, die Neuen genauso anzusprechen, wie die Treuen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Botschaft Jesu, wie sie Johannes übermittelt, dass die Liebe im Umgang miteinander entscheidend ist. Es wird so viel gestritten und die Bibel wird dabei von manchen gern als Zeuge verwendet, um Recht zu haben und andere als falsch oder verirret zu bezeichnen. Hier erlebe ich eine große Freiheit, die dann entsteht, wenn es darum geht, anderen Gutes zu tun.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Etwas zugespitzt: Es gibt nur einen Weg, Hass und Streit und Rechthaberei zu überwinden: Liebe – auch dann, wenn sie scheinbar scheitert.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Diese Frage kann nicht beantwortet werden, da es leider kein Coaching gab.

Perikope
22.06.2025
5,39-47