Gutes Leben für alle? - Gutes Leben für alle! - Predigt zu Jes 55,1-5 von Elke Markmann
55,1-5

Hunger und Armut sind Realität für viele

Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser, und ihr, die ihr kein Geld habt! Los, kauft und esst! Los, kauft ohne Geld und ohne Preis Milch und Wein!

Unser heutiger Predigttext beginnt mit der Einladung zum guten Leben. „Alle sind eingeladen“ überschreibt die Basisbibel diesen Abschnitt. Die Durstigen und Armen werden angesprochen. Ihnen wird versprochen: Ihr bekommt Wasser, Wein und Milch. Alles, was Ihr braucht und was ihr wünscht. Mehr als das Notwendige! Sogar Milch und Wein.
In vielen Orten gibt es öffentliche Kühlschränke und Verteilstellen für Lebensmittel, die übrig sind. „Too good to go!“ ist eine Initiative, die ermöglicht, dass Lebensmittel nicht weggeworfen werden. In einem Kühlschrank wurden vor einiger Zeit jede Menge vegane Aufschnitte zur Verfügung gestellt.
In einer Kirchengemeinde organisiert eine Mitarbeiterin einen Ring von Menschen, die froh sind, wenn andere etwas übrig haben, weil sie zu viel gekauft haben oder die Gäste nicht alles aufgegessen haben. 

Ihr, die ihr kein Geld habt! Los, kauft und esst! Los, kauft ohne Geld und ohne Preis Milch und Wein!

Das gibt es schon!
Aber dann sehe ich auch: Menschen in den Kriegsgebieten der Welt. In Gaza können die Kinder nicht mehr ernährt werden. Medizinische Versorgung gibt es auch nicht. Die Hilfsgüter kommen nicht zu den Menschen. Hilfsorganisationen werden an der Arbeit gehindert.
Weltweit legen Menschen auf der Suche nach Leben weite Wege zurück. Sie fliehen vor Krieg und Gewalt und noch viel mehr vor Ausbeutung und Hunger. Wo finden sie gutes Leben?

Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser, und ihr, die ihr kein Geld habt! Los, kauft und esst! Los, kauft ohne Geld und ohne Preis Milch und Wein!

Das fehlt noch an so vielen Orten der Welt! Im Buch des Propheten Jesaja wird die Realität beschrieben:

Warum zählt Ihr Geld ab, ohne Brot zu bekommen, und euren Lohn, ohne satt zu werden? Hört mir gut zu, und ihr werdet Gutes essen und eure Kehle am Nahrhaften laben. 

Selbst wer Arbeit hat, kann davon nicht leben. So war es damals in vielen Teilen der Gesellschaft. So ist es heute für viel zu viele Menschen. Auch hier in Deutschland gibt es die, die von ihrem Lohn nicht leben können. Auch hier in unserer Gemeinde. 

Jesaja richtet sich an das Volk im Exil

Bei Jesaja hört es sich so an, als gäbe es eine Alternative. „Hört mir zu und kommt her zu mir und ihr werdet leben!“
Ach, wäre das schön, wenn es wirklich einen Ausweg aus Hunger und Armut gäbe, wenn gutes Leben für alle möglich wäre! Da bin ich skeptisch. Wenn das so einfach wäre – warum gibt es dann noch Hunger und Not? Was verspricht Jesaja da eigentlich? Zu wem spricht er?
Der Text ist in einer Zeit entstanden, als es den Staat Israel nicht mehr gab. Das babylonische Reich hatte das Volk besiegt und einige aus dem Volk nach Babylon verschleppt. Sie sahen die Zeit im Exil als Strafe Gottes an. In diesem Teil des Jesaja-Buches wird den Menschen im Exil neue Hoffnung gemacht. Gott ist stärker. Gott wird dem jüdischen Volk eine Zukunft geben. Gott richtet einen Bund mit dem Volk auf. Daran erinnern die nächsten Worte in unserem Predigttext:

Neigt eure Ohren und kommt her zu mir, hört, und ihr werdet leben! 
Ich will mit euch einen dauerhaften Bund schließen, zuverlässige Zuwendung, die ich David erwies. 4 Schau, als Zeugen für die Völker setze ich ihn ein, als Fürsten und Gebieter über Völker. 5 Schau, fremde Völker, die du noch nicht kennst, wirst du rufen, und fremde Völker, die dich nicht kannten, eilen zu dir, um Gottes willen, deiner Gottheit, heilig in Israel ist sie, ja, dich schmückt sie.

Ein Bund zwischen Gott und Israel – Den gab es schon einmal. Den Bund hat Gott schon mit Noah geschlossen, mit Mose, mit Abraham und David. Immer wieder in der Geschichte Israels ist vom Bund Gottes mit seinem Volk die Rede.
Immer wieder hat Israel einen Ausweg aus schwierigen Situationen erlebt. Genau das verspricht Gott hier: Es wird weiter gehen! So verstehe ich diesen Text. Er macht Mut, dass die aktuelle Situation nicht das Ende ist, sondern dass es weiter geht. 
Ja, vielleicht ist das die Lösung, zumindest der Anfang einer Lösung: Der Glaube an Gottes Treue und Gottes Zuwendung, an Gottes Nähe. Gott lässt uns nicht im Stich! So haben es die Nachkommen von Noah und Abraham in der Geschichte immer wieder erlebt. Wenn ich mich daran erinnere, kann ich daraus Hoffnung schöpfen und mit aktuellen Schwierigkeiten umgehen. 

Grundhaltung Gottes

Die Rabbinerin Margaret Moers Wenig hat zu Jom Kippur einmal (1990) über Gott gepredigt. Sie predigte über unterschiedliche Gottesbilder und lud dazu ein, sich Gott als Frau vorzustellen, die älter wird. Eine Frau sitzt am Küchentisch und blättert in alten Fotoalben. Sie erinnert sich an die Geschichten mit den Menschen. Und sie wartet auf die Menschen (eine sehr empfehlenswerte Predigt, hier nachzulesen: https://judentum.hagalil.com/gott-ist-eine-frau/).

Mir gefällt dieses Bild. „Komm her, iss und trink und komm zur Ruhe. Ich bin für Dich da.“ 
Das Gute Leben – da kann ich es finden. „Ich bin da!“ So glaube ich Gott. 
Gott wendet sich den Menschen zu. Ich will mit euch einen dauerhaften Bund schließen, zuverlässige Zuwendung. „Zuwendung“ (Bibel in gerechter Sprache) – in anderen Bibelübersetzungen heißt es „beständige Gnade“ (Luther 2017) oder „Zusagen“ (Gute Nachricht) oder „was ich versprochen habe“ (Basisbibel). Gott wendet sich uns Menschen zu. 
Diese Grundhaltung habe ich schon bei Menschen gespürt. Bei dem Freund, der für mich da war, als alles schwer war. Bei meinen Eltern, die verlässlich da waren, wenn ich sie brauchte. Wo ich fühle und weiß, dass ich gesehen werde und willkommen bin, kann ich Ruhe finden und Zuversicht, Hoffnung für das, was kommt. 
Diese Grundhaltung kenne ich von Gott. So glaube ich Gott: Noch viel größer und verlässlicher, zuverlässiger als Menschen: „Ich bin für Dich da! Du kannst jederzeit kommen.“
Diese Grundhaltung ist Gottes Grundhaltung den Menschen gegenüber. Das verspricht der Prophet den jüdischen Menschen im Exil. Die können sich wieder Gott zuwenden. Sie werden gut leben können. Und das wird ausstrahlen in die Völker. Dann werden auch andere kommen und zu eben dieser Gottheit beten. Alle werden erkennen, dass diese Gottheit stark und gerecht ist und Frieden bringt. 

Grundhaltung im menschlichen Miteinander

Diese Grundhaltung Gottes kann auch auf uns ausstrahlen. Davon bin ich überzeugt. Wenn ich bei Gott erlebe, dass ich jederzeit willkommen bin, kann ich das auch ausstrahlen: Gott ist da, für mich und für Dich! 
Diese Grundhaltung wünsche ich mir für mich. Dass ich anderen einen Ort biete, an dem sie gesehen werden und Zukunft finden.
Diese Grundhaltung wünsche ich mir für das menschliche Miteinander, für Staaten und Länder, für Regierungen und Machthaberinnen und Machthaber. Als der Krieg in der Ukraine begann, erlebten wir hier in Deutschland diese Haltung: Kommt! Wir bieten Euch Zuflucht.
Diese Grundhaltung wünsche ich mir für unsere Kirche. In vielen Gemeinden und Gruppen wird genau das gelebt. Sie wenden sich denen zu, die sie brauchen. Sie sind offen und einladend. Sie verteilen Lebensmittel oder laden zu Begegnungen ein. 
Der dauerhafte Bund Gottes verspricht zuverlässige Zuwendung, so schreibt Jesaja. Zuverlässige Zuwendung ist genau das, was ich brauche. Ich denke, wir alle brauchen genau das: wir brauchen Gott, uns zugewandt und verlässlich, auch durch andere Menschen.
Ich wünsche uns, dass wir glauben und erfahren: Gott wendet sich uns zu.
Das wünsche es allen, die Gottes Nähe dringend brauchen: den Armen und den Hungernden; denen, die unter Gewalt und Krieg leiden; denen, die keine Zukunft sehen. Ich wünsche mir, dass sie, dass wir alle Ähnliches erleben können wie der verlorene Sohn, der mit offenen Armen empfangen wird. 

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrerin Elke Markmann

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich werde an diesem Sonntag in einer Gemeinde predigen, die vom ehemaligen Bergbau geprägt ist. Zur Gemeinde gehören Menschen aus unteren Einkommensschichten und aus der Mittelschicht. Armut und Arbeitslosigkeit, Migration und Integration sind alltägliche Themen im Ort und in der Gemeinde. 

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ich bin gelockt worden vom Bild des guten Lebens für alle – ohne Voraussetzungen. Erst werden die Menschen eingeladen. Erst dann ist vom Bund Gottes die Rede. Es geht nicht darum, bestimmte Bedingungen einzuhalten, damit gutes Leben gelingt. Gott legt Gutes vor.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die zuverlässige Zuwendung Gottes ist für mich ein anderes Bild als der Bund Gottes. Zuverlässigkeit und Zuwendung sind sehr viel „menschlicher“ und näher als der „Bund“, der sich mehr nach Vertrag als nach Miteinander anhört.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Durch den Lektor bin ich an verschiedenen Stellen dazu ermutigt worden, präziser zu formulieren und auszuschmücken, was mir wichtig ist. Ich meine, dadurch meine Predigt mehr fokussiert zu haben. 

Perikope
29.06.2025
55,1-5