Sehnsucht nach dem Leben - Predigt zu Joh 6,30-35 von Margitta Dümmler
6,30-35

Ich sehe oft um Mitternacht,
wenn ich mein Werk getan
und niemand mehr im Hause wacht,
die Stern' am Himmel an.

Dann saget, unterm Himmelszelt,
mein Herz mir in der Brust:
„Es gibt was Bessers in der Welt
als all ihr Schmerz und Lust."

Ich werf' mich auf mein Lager hin,
und liege lange wach,
und suche es in meinem Sinn,
und sehne mich darnach.

(1.+.4.+5. Strophe des Gedichts „Die Sternenseherin Lise“ von Matthias Claudius)

Laue Nächte, freier Himmel – gerade ist ja wieder die Zeit, in der man einfach draußen sitzen kann und den Sternenhimmel betrachten. Wann haben Sie das zuletzt getan? Und was haben Sie sich dabei gedacht? Das lyrische Ich der Sternenseherin Lise aus dem gleichnamigen Gedicht von Matthias Claudius, ist ergriffen von den Sternen, von der Welt und ihrer Weite. Und doch ahnt sie vielleicht, wenn sie in den Himmel blickt: Da ist noch mehr und ein Gefühl hält sich in ihr fest. Ein Gefühl, das leise flüstert und sanft weht. Sehnsucht. Von großen Geschichten murmelt, Helden vielleicht, fernen Zeiten und Orten oder einem Zuhause. Die Sehnsucht ist ein merkwürdiges Gefühl, irgendwie ziellos, und doch auf etwas gerichtet. Sie lässt Dinge erahnen und schmecken, als, wären sie schon da und lägen einem unmittelbar auf der Zunge. Sie kommt über einen und geht so ungewiss, wie sie eben kam. Und ich meine dabei nicht die Sehnsucht nach diesem oder jenem, einem schönen Urlaub oder einem Stück Kuchen, sondern eine Sehnsucht, dass da noch mehr ist. Ein Mehr voller Bedeutung und Sinn, dass die Welt wie sie hier eben ist oder nicht ist, nicht alles gewesen sein kann. Eine Stimmung, die einen vielleicht beschleicht, eben wenn man in den Himmel blickt, oder auf die Weite des Meeres.

Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du?

31 Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht: »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.«
32 Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.
33 Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.
34 Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.
35 Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Diese Zeilen unseres heutigen Predigttextes erzählen auch von einer Geschichte der Sehnsucht. Wir befinden uns unmittelbar nach der Speisung der 5000, die Umstehenden und die die dabei gewesen sind, haben gerade ein Wunder erlebt. Wie aus wenigen Broten und Fischen ein Mahl für so Viele werden konnte. Und trotzdem fragen Sie: Was für Zeichen kannst du uns geben, dass wir sehen und glauben? – Sie wollen mehr. Mehr von diesen Wundern, wie es damals mit dem Manna bei den Israeliten und Mose in der Wüste auch gewesen ist. Als die Israeliten vielleicht gerade in den Sternenhimmel blickten und plötzlich an einem so lebensfeindlichen Ort wie der Wüste schlechthin eine Oase vom Himmel fiel.

Ich kann diese Menschen, die Jesus dort trotzdem noch fragen, gut verstehen. Sie haben mit der Speisung der 5000 einen kleinen Happen geschmeckt und quasi an dem Vorhang der Welt vorbei gelinst und einen Blick auf göttliches Tun erhascht. Und jetzt flammt in ihnen eine Sehnsucht auf vielleicht, so ein mysteriöses Gefühl davon, dass man nur zu gerne den Vorhang ganz beiseite ziehen möchte, wenn man doch nur könnte!

Und Jesus? Er geht mit ihnen, er versteht ihre Sehnsucht, aber er setzt noch einen drauf. Denn ja Mose ist ein großer Held, aber all das Sehnen verweist doch letztlich nur auf Gott, oder? So ist es eben nicht Mose gewesen, der das Manna herbeigebracht hat, sondern Gott. Als die Israeliten in den Himmel blickten. Gott zeigte sich, in all seiner Zuwendung und Liebe in diesem Manna und es wurde den Israeliten zu mehr als nur bloßer Nahrung.

Das Brot, das sie erstmal nur überleben ließ an so einem Ort wie der Wüste, es wurde den Israeliten zu Mehr. Doch zu was? Zunächst einmal fühlt sich auch die Sehnsucht in mir bei Jesu Antwort angesprochen. Die Sehnsucht, dass Gott in Beziehung zu dieser Welt steht, dass uns kein grauer und trister Vorhang voneinander trennt, sondern dass er sich kümmert und sein Wirken sich wahrhaftig in der Welt zeigt. Dass es da ein Mehr gibt, in allen Buchstaben der Bibel, in unseren Kirchenmauern, Gemeinschaften und persönlichen Glauben. Ein Mehr als das Faktische. Eine lebendige Beziehung.

Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.

Dazu ist den Israeliten das Manna geworden, zu einer existentiellen und geistigen Speise. Einer Speise, die nicht nur dem Magen Frieden bringt, sondern dem ganzen Leib. Das Sein in Ruhe bettet. So ist es mit dem Brot, das vom Himmel kommt – von Gott – es gibt der Welt das Leben.

Und die folgende Frage der Umstehenden trifft mich sehr: Herr gibt uns alle Zeit solches Brot! Wenn es das gibt, dann wollen wir es haben! Ich glaube Jesus hat hier einen tief verankerten existentielle Sehnsuchtsnerv getroffen: Wer will nicht Leben? Wer will nicht, dass die Sehnsucht Wirklichkeit und konkret wird? Ein Leben in Fülle. Und ein vielfältiges Bild tut sich da bei mir auf: Das Bild von einer Speise, die so ein Leben schenkt, dass mein Herz mir in der Brust sagt: „Es gibt was Besseres in der Welt als all ihr Schmerz und Lust." Frieden, Ruhe, Geborgenheit.

Und Jesus antwortet auf die Frage der Umstehenden jetzt sicher anders als erwartet, wenn sagt: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.

Nie mehr hungern? Und nie mehr dürsten? Wie muss das in den Ohren dieser Menschen geklungen haben. In einer Zeit, in der die Grundstandards noch nicht so gesichert waren wie heute bei uns. Jesus weiß sicher um diese Dimension des täglichen Lebens, wenn er vom Hungern und Dürsten spricht. Und so sehr diese Dimension unbedingt dazu gehört, höre ich als moderner Mensch vor allem auch, den Wunsch nach Geborgenheit und Frieden, der gerade bei uns jetzt so groß ist. Ich höre, dass Jesus hier auch von dem tiefen Gefühl der Ruhe spricht, nie mehr nach etwas Verlangen oder Zehren zu müssen. Wenn alle Zweifel und die kleinen oder großen Stimmen des Strebens verstummt sind. Wenn tiefer Friede alle stürmischen Gedanken umwehend zur Ruhe bringt und weder Schmerz noch Lust noch eine Rolle spielen. Diese Ruhe, die ich hier in Jesu Rede vom Brot des Lebens erahne, sie ist wohl dann eine, die sich auf alles legt und Frieden bringt. Frieden mit der Welt, Frieden mit meinen Mitmenschen und Frieden mit mir.

Ein tröstliches Bild, das Bild dieser Sehnsucht. Die dann solche Fragen stellt, wie die Umstehenden es tun. An welchen Zeichen soll ich das alles erkennen? Woran kann ich mich festhalten? Und wie bekomme ich dieses Brot des Lebens?

Ich werf' mich auf mein Lager hin,
und liege lange wach,
und suche es in meinem Sinn,
und sehne mich darnach.

Wer zu mir kommt, der … höre ich es dann und fühle mich daran erinnert, dass Jesus nicht auf eine ferne Zukunft verwiesen hat, sondern auf alle Gegenwart der Worte: Ich bin das Brot. Das Leben geht bereits jetzt nicht allein im Vorhandenen auf. Jesus selbst ist für mich der Garant dafür. Wie er in dieser Welt selbst immer wieder davon sprach und darauf zeigte: Es gibt ein Mehr in der Welt als all ihr Schmerz und Lust. Wir sind mehr als eine reine Einbildung unserer Gehirne oder die Summe all unserer Taten. Als Kinder Gottes und seine Geschöpfe sind wir in all unseren Leben verbunden und verwoben mit Gott. Diesen Gedanken finde ich so tröstlich: In unserer Welt, in der sich das Leben so oft nach Zahlen, Summen und Erfolg bemisst, gibt es ein Lebendig-Sein, dessen Fülle wir uns nicht erst erarbeiten müssen. Dieses Leben ist bereits erfüllt in den Worten. Ich bin das Brot.

Ich sehe oft um Mitternacht,
wenn ich mein Werk getan
und niemand mehr im Hause wacht,
die Stern' am Himmel an.

Und wenn ich jetzt sehnsüchtig in den Himmel blicke und auf das Manna warte, dann sind es Jesu Worte, die wie Perlen vom Himmel herabfallen. Ich-bin-das-Brot-des-Lebens. Jedes einzelne, nehm‘ ich auf und halt es fest. Sie sind für mich bestimmt. Mein Leben ist jetzt. Nicht erst Morgen, oder an einem bestimmten Ort. Mein Leben in Fülle ist jetzt, mit jedem Schritt, den ich tue und Gedanken, den ich kommen und gehen lasse – bin ich verwoben mit Gott und diesem Mehr. Bei der Fülle des Tages und der Stille der Nacht, zwischen Arbeit und freien Tagen, kleinen und großen Werken. Jesu Worte sind für mich bestimmt, jetzt.

So verwoben mit den Sternen, blickt meine Sehnsucht auf Gott und er auf mich zurück. Ich bin das Brot – nimm hin uns iss – mit ihnen ist es mir, als ob alles schon nach Erfüllung schmeckt.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Margitta Dümmler

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?

Meine Gemeinde ist modern, dh. Mit Band und wenigen klassischen liturgischen Elementen. Die Gemeinde ist eher städtisch ausgerichtet, mit einem relativ hohen Akademiker Anteil. Der Gottesdienst findet immer um 10:45 Uhr statt und wg. Meiner halben Stelle dort, ist die Gemeinde es gewohnt, viele unterschiedliche Prediger*innen zu hören.


2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ohne es genauer benannt zu haben, das Bild in dem Wortspiel mit dem hebräischen Wort für Brot und Leben. Sowie meine momentane Arbeit an meiner Promotion zu dem Gefühl der Sehnsucht.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Gegenwart von Jesu Worten: Ich bin das Brot.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?

Ich schreibe immer ein bisschen, dann überarbeite ich das wieder und dann wieder. Ich denke der wichtigste Schritt ist dabei die Anschaulichkeit durch sprachliche Bilder, gerade bei der Sehnsucht.
 

Perikope
03.08.2025
6,30-35